Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation. Arbeitsentgelt im Sinne von § 115 SGB X

 

Leitsatz (amtlich)

Vertraglich zugesichertes Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation sind Arbeitsentgelt im Sinne des § 115 Abs. 1 SGB X. Soweit die Bundesanstalt für Arbeit anstelle des Arbeitgebers gleichwohl Arbeitslosengeld nach § 117 Abs. 4 AFG erbringt, gehen die Forderungen des Arbeitnehmers auf die Bundesanstalt für Arbeit über.

Der Forderungsübergang kommt jedoch nur insoweit in Betracht, als die Bundesanstalt für Arbeit in den Monaten Arbeitslosengeld geleistet hat, in denen Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation zu zahlen waren. Nur wenn es sich hierbei um aufgespartes Arbeitsentgelt aus mehreren Monaten handelt, können dementsprechend Forderungen wegen der in dieser Zeit erbrachten Arbeitslosenleistungen übergehen.

 

Normenkette

SGB X § 115 Abs. 1; AFG §§ 111-112, 117 Abs. 1, 4; SGB IV §§ 14, 17

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 19.12.1990; Aktenzeichen 12 Sa 150/90)

ArbG Dortmund (Urteil vom 19.10.1989; Aktenzeichen 3 Ca 1553/89)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 19. Dezember 1990 – 12 Sa 150/90 – abgeändert.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten jetzt noch über Ansprüche des Klägers auf Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation.

Der 1928 geborene Kläger war seit 1969 bei der Beklagten als Versicherungsangestellter im Außendienst beschäftigt. Außer seiner Vergütung stand dem Kläger nach einer Betriebsordnung der Beklagten eine Leistungsprämie, ein Urlaubsgeld und eine Weihnachtsgratifikation zu. Der Kläger war seit dem 27. Oktober 1986 arbeitsunfähig krank. Er erhielt von seiner Krankenkasse bis zum 21. Dezember 1987 Krankengeld, danach von der Bundesanstalt für Arbeit bis zum 31. Dezember 1988 Arbeitslosengeld. Seit dem 1. Januar 1989 bezieht der Kläger vorgezogenes Altersruhegeld.

Die Parteien haben zunächst darüber gestritten, ob ihr Arbeitsverhältnis durch Kündigung des Klägers bereits mit dem 30. Juni 1988 beendet worden sei. Der Kläger hat geltend gemacht, es habe bis zum 31. Dezember 1988 fortbestanden. Außerdem hat der Kläger Urlaubsgeld in Höhe eines Monatsgehalts, Weihnachtsgratifikation in derselben Höhe und eine Leistungsprämie in Höhe eines halben Monatsgehalts verlangt.

Er hat beantragt,

  • festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bis zum 31. Dezember 1988 bestanden hat,
  • die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.375,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Januar 1989 zu zahlen,
  • hilfsweise den Betrag von 7.375,-- DM an das Arbeitsamt Hagen zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat rechtskräftig festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien bis zum 31. Dezember 1988 fortbestand. Weiter hat das Arbeitsgericht dem Zahlungsbegehren des Klägers entsprochen. Im Berufungsrechtszug hat die Beklagte nur noch eingewandt, der Kläger sei nicht Inhaber der Forderungen. Das Landesarbeitsgericht hat das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Leistungsprämie bestätigt, im übrigen das Zahlungsbegehren im Haupt- und Hilfsantrag zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision, mit der er den vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesenen Zahlungshauptantrag weiterverfolgt. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Zwar hat das Landesarbeitsgericht zu Recht festgestellt, daß der Kläger weitgehend nicht mehr Inhaber der geltend gemachten Forderungen ist. Diese stehen aufgrund der cessio legis des § 115 Abs. 1 SGB X insoweit der Bundesanstalt für Arbeit zu. Die Höhe des Forderungsübergangs kann der Senat wegen fehlender Angaben der Parteien über die Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit nicht beurteilen. Deshalb war der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

I. Die dem Grund und der Höhe nach unstreitigen Ansprüche des Klägers sind gemäß § 115 Abs. 1 SGB X auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangen. Die Beklagte hat Ansprüche des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und die Bundesanstalt für Arbeit hat deshalb Sozialleistungen (Arbeitslosengeld) erbracht.

Nach § 115 Abs. 1 SGB X geht der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf den Leistungsträger bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen über, soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat.

1. Die Bundesanstalt für Arbeit, ein Leistungsträger nach den §§ 12, 19 SGB I, hat dem Kläger Sozialleistungen erbracht, §§ 11, 12, 19 SGB I, §§ 100 ff. AFG.

2. Diese beruhten auf § 117 Abs. 4 AFG, weil die Beklagte Ansprüche auf Arbeitsentgelt im Sinne des § 115 Abs. 1 SGB X nicht erfüllt hat.

a) Vertraglich zugesichertes Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation sind arbeitsrechtlich Arbeitsentgelt. Nach der Begriffsbestimmung in § 14 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Dazu gehören Urlaubsgeld und Gratifikation (Hauck/Haines, SGB IV, Stand März 1992, K § 14 Rz 5). Die aufgrund der Ermächtigung nach § 17 SGB IV erlassene Entgeltverordnung klammert diese Leistungen ebenfalls nicht aus.

b) Im sozialrechtlichen Schrifttum ist umstritten, ob der Arbeitsentgeltbegriff des § 14 SGB IV auch für den wortgleichen Begriff in § 115 SGB X und damit über die Bezugnahme des § 117 Abs. 4 AFG auch für diesen Bereich gilt (Gitter in SGB-SozVers-GesKomm, § 115 SGB X Anm. 8; Schelter, AFG, Stand Mai 1991, § 117 Rz 7). Die Frage braucht indessen nicht entschieden zu werden. Auch wenn der sozialversicherungsrechtliche Begriff des § 14 SGB IV nicht mit dem in § 115 SGB X übereinstimmen sollte, sondern der arbeitsrechtliche Begriff zur Anwendung käme, wären Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation übergangsfähiges Arbeitsentgelt im Sinne des § 115 SGB X. Der Hinweis des Klägers auf die Bemessungsvorschriften der §§ 111, 112 AFG ist unbeachtlich. Nur für die Berechnung des Arbeitslosengeldes bleiben einmalige und wiederkehrende Zuwendungen unberücksichtigt. So vermehren Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation das wöchentliche Arbeitslosengeld nicht (BSG Urteil vom 28. Oktober 1981 – 12 RK 23/80 – SozR 2100, § 14 Nr. 9; Gagel, AFG, Stand Mai 1991, § 112 Rz 161; Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, AFG, § 112 Anm. 9; Schelter, AFG, Stand Mai 1991, § 112 Rz 4; Schieckel/Grüner/Dalichau, AFG, Stand Januar 1992, § 112 Anm. II). Damit ist in diesen Vorschriften aber kein abweichender, dritter Arbeitsentgeltbegriff normiert. Vielmehr gehen auch die §§ 111, 112 AFG vom Arbeitsentgeltbegriff in § 115 Abs. 1 SGB X aus, wie das Verhältnis von § 112 Abs. 1 Satz 1 AFG zu § 112 Abs. 1 Satz 2 AFG zeigt. Ohne die ausdrückliche Ausklammerung im Gesetz wären Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation als einmalige Zuwendungen bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes einzuziehen gewesen.

3. Die Bundesanstalt für Arbeit hat auch deshalb geleistet, weil die Beklagte die Ansprüche des Klägers nicht erfüllt hat. Zu Unrecht meint die Revision, die Bundesanstalt habe in bezug auf Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation keine Leistungen an den Kläger erbracht, sondern nur, weil die Beklagte das reguläre vertraglich vereinbarte monatliche Gehalt nicht gezahlt habe. Die Bundesanstalt für Arbeit hat zunächst Arbeitslosengeld bezahlt, weil die Beklagte nach Ablauf der Gehaltsfortzahlungsfristen zu keinen weiteren Vergütungsleistungen verpflichtet war. Sobald der Kläger jedoch einen Anspruch auf Arbeitsentgelt wie Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation erworben hatte, ruhte der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld, § 117 Abs. 1 AFG. Nur weil die Beklagte die Erfüllung dieses Anspruchs ablehnte, hatte die Bundesanstalt für Arbeit nach § 117 Abs. 4 AFG gleichwohl zu leisten. Damit ist die von § 115 Abs. 1 SGB X geforderte Kausalität zwischen Arbeitslosengeldzahlung und Verweigerung der Zahlung von Arbeitsentgelt durch den Arbeitgeber gegeben.

II. Der Senat kann allerdings nicht beurteilen, in welcher Höhe die Ansprüche auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangen sind.

1. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, daß die Ansprüche des Klägers auf jeweils ein Monatsgehalt von 2.950,-- DM in vollem Umfang auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangen sind. Dieses Ergebnis ist nur zu rechtfertigen, wenn die im Monat Mai 1988 und im Monat November 1988 zu leistenden Beträge nicht nur dem jeweiligen Zahlungsmonat zuzurechnen wären, sondern dem gesamten Zeitraum, für den sie versprochen sind, hier dem Jahr 1988.

2. Im Streitfall sind die Forderungen nur den Leistungen der Bundesanstalt in den jeweiligen Auszahlungsmonaten zuzuordnen. Das folgt aus der Zweckbestimmung, die die Beklagte mit den Zusagen verbunden hat, auch ohne geleistete Dienste im jeweiligen Halbjahr für vergangene und zu erwartende Betriebstreue Arbeitsentgelt zahlen zu wollen.

a) § 115 SGB X ist nicht zu entnehmen, wie Einmalleistungen zu verteilen sind. Auch aus § 117 Abs. 4 Satz 1 AFG ergibt sich die zeitliche Zuweisung einer nicht gewährten Sonderleistung nicht. Die Zuordnung von Sonderleistungen auf einen Zeitraum muß allerdings auch in anderen Rechtsgebieten wie beim Anspruch auf Konkursausfallgeld nach § 141b AFG, im Beitragsbemessungsrecht des § 175 AFG und bei anderen sozialrechtlichen Bestimmungen (vgl. Gagel, § 175 Rz 26) sowie im Konkursrecht vorgenommen werden.

b) Nach Auffassung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 7. September 1988 – 10 RAr 13/87 – SozR 4100, § 141b AFG Nr. 42; Urteil vom 10. September 1987 – 10 RAr 10/86 – BSGE 62, 131 = SozR 4100, § 141b AFG Nr. 40; Urteil vom 1. Dezember 1978 – 12 RAr 9/78 – SozR 4100, § 141b AFG Nr. 8) ist bei der Berechnung des Konkursausfallgeldes eine Jahressonderzahlung in voller Höhe zu berücksichtigen, wenn der für die Jahressonderzahlung bestimmte Auszahlungstag in die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses fällt und sich diese Zahlung nicht einzelnen Monaten zuordnen läßt. Dabei hat das Bundessozialgericht für die Zuordnung der Jahressonderzahlung bei der Gewährung von Konkursausfallgeld maßgeblich auf die arbeitsrechtlichen Vorgaben abgestellt. Ist die Jahressondervergütung arbeitsrechtlich nicht einzelnen Monaten zuzurechnen, so ist sie in voller Höhe bei der Berechnung des Konkursausfallgeldes zu berücksichtigen, wenn sie in den letzten drei Monaten vor Konkurseröffnung hätte ausgezahlt werden müssen. Sie ist anteilig zu berücksichtigen, wenn der Tarifvertrag eine Staffelung der Jahressonderzahlung je nach dem Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis vorsieht. Bei der beitragsrechtlichen Zuordnung der Sonderleistungen ist das Bundessozialgericht einen ähnlichen Weg gegangen. Nach seiner Rechtsprechung sind Sonderleistungen dann in jedem Monat anteilig zu berücksichtigen, wenn der Arbeitnehmer einen anteiligen Anspruch auf die Leistungen hat, der der Dauer seiner Beschäftigung entspricht, wenn er vor Ablauf des Bezugszeitraums ausscheidet (BSG Urteil vom 9. Juli 1980 – 12 RK 44/79 – USK 80201; Urteil vom 23. September 1980 – 12 RK 51/79 – USK 80225; Urteil vom 28. Oktober 1981 – 12 RK 23/80 – SozR 2100, § 14 SGB 4 Nr. 9; Urteil vom 18. Februar 1982 – 7 RAr 76/81 – USK 8254; Urteil vom 28. April 1982 – 12 RK 12/80 – USK 8244; Urteil vom 2. Juni 1982 – 12 RK 4/82 – SozR 2100, § 17 SGB 4 Nr. 3, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Das Bundesarbeitsgericht ist bei der konkursrechtlichen Einordnung der Jahressonderzahlung (Urteil vom 21. Mai 1980 – 5 AZR 441/78 -AP Nr. 10 zu § 59 KO) als einfache Konkursforderung, bevorrechtigte Konkursforderung oder Masseforderung ebenso verfahren (zum Urlaubsrecht vgl. BAG Urteil vom 4. Juni 1977 – 5 AZR 663/75 – BAGE 29, 211 = AP Nr. 4 zu § 59 KO).

c) Nach diesen Grundsätzen sind auch Sonderleistungen im Rahmen des § 115 Abs. 1 SGB X zuzuordnen. Die Berücksichtigung von Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation bei dem gesamten von der Bundesanstalt für Arbeit im Bemessungszeitraum geleisteten Arbeitslosengeld kommt nur in Betracht, wenn sich die Sonderleistungen als Entgelt für geleistete Arbeit pro abtrennbare Zeiteinheit in diesem Zeitraum erweisen und nur auf ein oder zwei Auszahlungszeitpunkte fällig gestellt werden. Anderenfalls sind die Ansprüche jeweils den Auszahlungsmonaten zuzuordnen.

d) Im Streitfall handelt es sich sowohl beim Urlaubsgeld wie bei der Weihnachtsgratifikation nicht um zeitanteilig verdientes Arbeitsentgelt, das für geleistete Arbeiten erbracht wird, sondern um Leistungen für vergangene und zukünftige Betriebstreue. Sowohl Urlaubsgeld als auch Weihnachtsgratifikation sind gerade nicht an Tätigkeiten des Arbeitnehmers im Bemessungszeitraum gebunden. Anspruchsbegründende Voraussetzung ist allein der ungekündigte Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

3. Das Landesarbeitsgericht hat die vom Arbeitsamt erbrachten Leistungen in den Monaten Mai 1988 und November 1988 nicht festgestellt. Das wird es in der erneuten Berufungsverhandlung nachzuholen haben. Dem Kläger wird es dabei Gelegenheit geben darzulegen, wann er welchen Betrag an Arbeitslosengeld an die Bundesanstalt für Arbeit zurückgezahlt hat und ob insoweit eine Rückübertragung seiner Ansprüche stattgefunden hat. Letztlich hat das Landesarbeitsgericht beim Urteilsausspruch zu berücksichtigen, daß der Kläger einen Bruttoanspruch verfolgt und das Arbeitslosengeld an ihn netto ausgezahlt worden ist.

 

Unterschriften

Dr. Leinemann, Dr. Lipke, Dörner, Dr. Wolter, Beckerle

 

Fundstellen

Haufe-Index 846796

BAGE, 275

NZA 1993, 848

RdA 1992, 401

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