Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindung bei Ablehnung eines Ersatzarbeitsplatzes;. Tarifauslegung. öffentl. Dienst. Abfindung

 

Leitsatz (redaktionell)

Hinweise des Senats:

Fortführung der Senatsrechtsprechung aus den Urteilen vom 18. April 1996 (– 6 AZR 607/95 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 14 = EzA TVG § 4 Personalabbau Nr. 5) und vom 30. Januar 1997 (– 6 AZR 859/95 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 18 = EzA TVG § 4 Personalabbau Nr. 7)

Verhältnis zu bisheriger Rechtsprechung:

Fortführung der Senatsrechtsprechung aus den Urteilen vom 18. April 1996 (– 6 AZR 607/95 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 14 = EzA TVG § 4 Personalabbau Nr. 5) und vom 30. Januar 1997 (– 6 AZR 859/95 – AP TVG § 4 Rationalierungsschutz Nr. 18 = EzA TVG § 4 Personalabbau Nr. 7)

 

Normenkette

Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 (TV soziale Absicherung) § 2

 

Verfahrensgang

LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 15.09.1999; Aktenzeichen 3 Sa 105/99)

ArbG Schwerin (Urteil vom 23.10.1998; Aktenzeichen 66 Ca 381/98)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 15. September 1999 – 3 Sa 105/99 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten wegen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine Abfindung.

Die Klägerin war seit dem 27. Februar 1990 bei der Beklagten als Küchenhilfe beschäftigt. Ihre Bruttovergütung betrug pro Stunde zuletzt 19,71 DM; die Arbeitszeit betrug 20 Stunden pro Woche.

Die Beklagte hat den Bereich Essensausgabe in den Kindereinrichtungen und Schulen ausgegliedert. Dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Firma M., die diese Aufgabe übernommen hat, hat die Klägerin widersprochen. Ihr war von dieser Firma ein Stundenlohn von 12,02 DM angeboten worden. Sie hätte statt bisher ca. 1.700,00 DM brutto ca. 1.000,00 DM brutto monatlich verdient. Arbeitsort wäre N. gewesen mit einem Arbeitsbeginn um 5.00 Uhr morgens.

Die Klägerin ist alleinerziehende Mutter eines zum Zeitpunkt der Ausgliederung im Februar 1997 fünf Jahre alten Sohnes. Dessen Kindergarten öffnet um 6.00 Uhr morgens. Eine Familie, bei der das Kind zwischen 4.00 und 6.00 Uhr morgens hätte untergebracht werden können, hat die Klägerin nicht. Sie verfügt über kein Auto und hätte den neuen Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen müssen. Der Kindergarten kostet monatlich 252,00 DM. Die Wohnungsmiete beträgt 490,00 DM einschließlich der Nebenkosten.

In dem Kündigungsschutzverfahren wegen der seitens der Beklagten ausgesprochenen Kündigung vom 14. Mai 1997 zum 30. September 1997 einigten sich die Parteien dahingehend, daß das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen durch fristgemäße Kündigung der Beklagten mit Wirkung zum 30. September 1997 endete und die Klägerin ab dem 1. Juli 1997 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung der Vergütung und unter Anrechnung von Urlaub von der Arbeitsleistung freigestellt wurde.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Abfindung nach dem auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 1 vom 25. April 1994 (TV soziale Absicherung) in unstreitiger Höhe von 5.013,75 DM. Sie habe die Kündigung nicht iSv. § 2 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung zu vertreten. Bei Anwendung dieser Bestimmung müsse eine einzelfallbezogene Wertung stattfinden, die auch persönliche und familiäre Belange berücksichtige. Auch ein von der Rechtsprechung grundsätzlich als zumutbar angesehener Umzug nach N. sei ihr praktisch nicht möglich gewesen, da sie ihn angesichts fehlender Ersparnisse und ihres niedrigen Einkommens nicht hätte bezahlen können. Zudem habe sie durch den früheren Arbeitsbeginn in N. die Betreuung ihres Sohnes nicht sicherstellen können.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Abfindung iHv. 5.013,75 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15. Oktober 1997 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, ein Anspruch der Klägerin auf Abfindung sei nach § 2 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung ausgeschlossen. Die Klägerin habe einen ihr nach dieser Bestimmung zumutbaren Arbeitsplatz bei der Firma M. abgelehnt. Die von ihr angeführten Gründe seien im Rahmen der Zumutbarkeit nicht berücksichtigungsfähig.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen tariflichen Anspruch auf Abfindung in der unstreitigen Höhe von 5.013,75 DM.

1. Nach § 2 Abs. 1 Buchst. a TV soziale Absicherung erhält ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist, eine Abfindung. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Voraussetzungen dieser Bestimmung bejaht.

Der Klägerin wurde gekündigt, weil nach der Ausgliederung des Bereichs Essensausgabe in den Kindereinrichtungen und Schulen der Beschäftigungsbedarf für sie, die dort eingesetzt war, entfallen ist.

2. Der Anspruch auf Abfindung ist auch nicht nach § 2 Abs. 5 TV soziale Absicherung ausgeschlossen. Den der Klägerin angebotenen Arbeitsplatz in N. durfte sie ablehnen, weil er ihr nach ihren Fähigkeiten und Kenntnissen wegen der reduzierten Vergütung billigerweise nicht zuzumuten war.

a) Entgegen der vom Landesarbeitsgericht vertretenen Auffassung folgt die Unzumutbarkeit nicht schon aus der persönlichen und familiären Situation der Klägerin.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind im Rahmen von § 2 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung weder persönliche, noch familiäre oder soziale Gründe berücksichtigungsfähig(zuletzt BAG 19. Februar 1998 – 6 AZR 367/96BAGE 88, 109, 116 ff.). Nach dem Klammerzusatz von § 2 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung ist die Frage, ob dem Arbeitnehmer die Annahme des angebotenen Arbeitsplatzes billigerweise zugemutet werden kann, im Hinblick auf seine Kenntnisse und Fähigkeiten zu beurteilen. Unter Kenntnissen ist das tätigkeitsbezogene Sach- und Erfahrungswissen zu verstehen. Der Begriff der Fähigkeiten umfaßt die körperliche und geistige Eignung zur Erfüllung der Anforderungen der neuen Tätigkeit(vgl. BAG 18. April 1996 – 6 AZR 607/95 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 14 = EzA TVG § 4 Personalabbau Nr. 5). Damit sind nach dem Wortlaut des Tarifvertrages, von dem bei der Tarifauslegung vorrangig auszugehen ist, weder persönliche, noch familiäre oder soziale Gründe von den Tarifvertragsparteien als berücksichtigungsfähig angesehen worden. Das gleiche gilt für einen erhöhten Wegezeitaufwand(vgl. Senat 19. Februar 1998 – 6 AZR 367/96 – aaO).

bb) Die dagegen vom Landesarbeitsgericht vorgebrachten Einwände überzeugen nicht.

Das Landesarbeitsgericht meint, der Klammerzusatz sei nur beispielhaft gemeint. Die Wörter „zum Beispiel” stehen zu Beginn des Klammerzusatzes und beziehen sich damit auf die Ablehnung eines anderen angebotenen Arbeitsplatzes. Insofern wird ein Beispiel genannt, das den Abfindungsanspruch ausschließen kann. Abschließend sind hingegen die Ablehnungsgründe angeführt, die zu einer Ausnahme, dem Erhalt der Abfindung führen können. Hätten die Tarifvertragsparteien insoweit andere Gesichtspunkte als Kenntnisse und Fähigkeiten berücksichtigt wissen wollen, hätten sie dies in vielfältiger Weise anders ausdrücken können – etwa indem sie den Begriff der Kenntnisse und Fähigkeiten weggelassen oder eben mit „z.B.” gekennzeichnet hätten, womit deutlich geworden wäre, daß Kenntnisse und Fähigkeiten nicht als einzige Gesichtspunkte, sondern als zwei unter mehreren zu berücksichtigen sind.

Auch der Hinweis des Landesarbeitsgerichts auf Ergebnisse, die die Tarifvertragsparteien nicht gewollt haben könnten, führt nicht weiter. Er verdeutlicht eher, daß die Tarifvertragsparteien, von denen man annehmen kann, daß ihnen das Problem persönlicher und familiärer Bindungen, die einem Arbeitsplatzwechsel entgegenstehen können, nicht neu ist, mit der Regelung in § 2 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung vor allem eine praktikable Regelung treffen wollten, die der Rechtssicherheit dient. Sie haben sich auf arbeitsplatzbezogene Merkmale bei der Zumutbarkeitsprüfung beschränkt. Arbeitnehmer können damit erkennen, ob sie, wenn sie den angebotenen anderen Arbeitsplatz ablehnen, gleichwohl eine Abfindung erhalten. Fehldispositionen mit wirtschaftlichen Folgen werden daher eher vermieden(vgl. dazu BAG 28. September 1988 – BAGE 59, 359).

b) Für die Klägerin war es dennoch unzumutbar, den angebotenen Arbeitsplatz bei der Firma M. anzunehmen, weil dieser zwar ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entsprach, jedoch wegen der um nahezu 40 % geringeren Vergütung für sie nicht mehr zumutbar war.

aa) Der andere angebotene Arbeitsplatz muß nicht gleichwertig sein. Ein anderer angebotener Arbeitsplatz kann auch ein Teilzeitarbeitsplatz sein(BAG 18. April 1996 – 6 AZR 607/95 – aaO; Sponer/Steinherr/Klaßen MTArb/MTArb-O Teil IV 1.2 TV soz. Absicherung MTArb-O, S 6 f.; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT-O/ATB-Ang 2 R 1 Sozialtarifvertrag Anmerkung 22). Jedoch muß er trotz der Arbeitszeit- und Verdienstverringerung noch zumutbar sein. Ob der angebotene Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer zumutbar ist, richtet sich im Einzelfall nach § 242 BGB. Es sind die beiderseitigen berechtigten Interessen zu wahren. Bietet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen nach seinem Arbeitszeitvolumen nicht mehr hinnehmbaren Teilzeitarbeitsplatz an, so kann er sich nicht auf den Ausschlußtatbestand berufen (BAG 18. April 1996 – 6 AZR 607/95 – aaO).

Von diesen Grundsätzen ausgehend hat der Senat im Urteil vom 18. April 1996(aaO) es für zumutbar gehalten, daß der Klägerin jenes Verfahrens der einzige ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende Teilzeitarbeitsplatz, der eine Reduzierung der Arbeitszeit und der Vergütung um 25 % mit sich brachte, angeboten wurde, mit dem Hinweis, daß beim Ausscheiden einer Kollegin eine volle Stelle zur Verfügung stehen würde. In der Entscheidung vom 30. Januar 1997(– 6 AZR 859/95 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 18 = EzA TVG § 4 Personalabbau Nr. 7) hat der Senat es dahinstehen lassen, ob die Annahme einer Teilzeitbeschäftigung im Umfang vom 62,5 % iSd. § 2 Abs. 5 Buchst. a TV soziale Absicherung dem Arbeitnehmer billigerweise zugemutet werden könne. Gegen die Zumutbarkeit sprach in dem seinerzeitigen Verfahren schon der Umstand, daß eine so weitgehende Reduzierung der Arbeitszeit nicht gerechtfertigt war, weil das Arbeitszeitvolumen lediglich um 25 % zurückgegangen war.

bb) Vorliegend ist der Klägerin zwar keine reduzierte Arbeitszeit angeboten worden, jedoch eine um ca. 40 % niedrigere Vergütung. Für die Verringerung der Vergütung kann grundsätzlich nichts anderes gelten als für die Verringerung der Arbeitszeit. Der Senat hat im übrigen in den beiden zuletzt genannten Entscheidungen stets auch auf die mit der verkürzten Arbeitszeit einhergehende Verringerung der Vergütung abgehoben. Eine Verringerung der Vergütung ist bei gleichbleibender Arbeitszeit ein besonders großer Nachteil für die Arbeitnehmerin, denn es bleibt dem Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit, den Verdienst während der hinzugewonnenen freien Zeit bei einem anderen Arbeitgeber auszugleichen. Eine Kürzung der Vergütung um ca. 40 % bedeutet eine bedeutende Verringerung des monatlichen Einkommens. Auf das verfügbare Einkommen ist typischerweise der Lebensstandard zugeschnitten. Ihn auf eine um fast 40 % verringerte Vergütung umzustellen, ist ohne große Einschnitte in der persönlichen Lebensführung nicht möglich und ggf. auch gänzlich ausgeschlossen, wie die Situation der Klägerin zeigt. Bei den Kindergartenkosten sowie der Miete ist eine Anpassung nach unten entsprechend dem verringerten Einkommen nicht vorstellbar.

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Armbrüster, Gräfl, Friedrich, Gebert, Erika Holzhausen

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 26.04.2001 durch Schneider, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

ZTR 2002, 80

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