Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf von Versorgungszusagen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Arbeitgeber kann eine Versorgungsvereinbarung, nach der ein Arbeitnehmer bei weiterer Betriebstreue eine höhere Versorgung erreichen kann, nur widerrufen, wenn er sich den Widerruf vertraglich vorbehalten hatte, oder wenn die Geschäftsgrundlage für diese Vereinbarung weggefallen ist.

2. Der allgemeine Vorbehalt, die zugesagten Leistungen zu kürzen oder einzustellen, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens sich nachhaltig so wesentlich verschlechtert, daß dem Unternehmen eine Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen nicht mehr zugemutet werden kann, enthält nur den Hinweis auf Kürzungs- oder Widerrufsmöglichkeiten wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage.

3. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten ist gleichbedeutend mit dem Sicherungsfall der wirtschaftlichen Notlage nach § 7 Abs 1 Satz 3 Nr 5 BetrAVG.

4. Danach ist der Widerruf nur berechtigt, wenn die Belastung des Arbeitgebers infolge einer wirtschaftlichen Notlage so groß wird, daß ihm als Schuldner der Versorgungszusage nicht zugemutet werden kann, seine vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen.

5. Sachliche Gründe reichen nicht aus, den Widerruf einer Versorgungszusage zu rechtfertigen, die dem Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf die zugesagten Leistungen einräumt.

 

Normenkette

BGB § 242; BetrAVG §§ 1, 7; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 16.12.1986; Aktenzeichen 6 Sa 1790/85)

ArbG Siegen (Entscheidung vom 06.08.1985; Aktenzeichen 1 Ca 523/85)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob und in welcher Höhe der Kläger von der Beklagten eine Invalidenrente verlangen kann.

Der Kläger, geboren am 10. Juli 1924, trat am 7. Juli 1969 als Lackierer in die Dienste der Beklagten, die Produkte für den Baubedarf produziert. Das Arbeitsverhältnis endete am 10. Oktober 1984.

Die Bundesknappschaft bewilligte dem Kläger am 3. Oktober 1984 eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Sie setzte den Versorgungsfall rückwirkend auf den 25. Mai 1983 fest, den Beginn der Rentenzahlung auf den 5. Oktober 1983. Bis zum 19. August 1984 ruhte die Rente, weil der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt Arbeitsentgelt erhielt.

Die Beklagte hat ihren Mitarbeitern in einer Versorgungsordnung vom 21. Dezember 1970 (VersO) Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt, und zwar Altersrenten, Invalidenrenten und Witwenrenten. Die Alters- und Invalidenrente sollen monatlich 300,-- DM, die Witwenrente 180,-- DM betragen. § 1 VersO sieht für männliche Arbeitnehmer eine Altersgrenze von 65 Jahren vor. Über die Anspruchsvoraussetzungen bestimmt § 2 VersO:

"1. Der Betriebsangehörige muß bei Eintritt des

Versorgungsfalles in einem festen Arbeitsverhältnis

bei unserer Firma gestanden und deren

unmittelbarer Weisungsbefugnis während der Arbeitszeit

unterstanden haben.

2. Für die Rentenzahlungen müssen als Wartezeit

folgende beiden zeitlichen Bedingungen erfüllt

sein:

a) eine Mindestdienstzeit in unserer Firma

von 15 Jahren

und

b) die Vollendung des 50. Lebensjahres für

männliche bzw. des 45. Lebensjahres für

weibliche Betriebsangehörige.

Auf die 15-jährige Wartezeit werden Dienstjahre

vor Vollendung des 20. Lebensjahres und nach Erreichen

der Altersgrenze (vgl. § 1 a) nicht angerechnet.

3. Der männliche bzw. weibliche Betriebsangehörige

durfte bei Eintritt in unsere Firma das 50. bzw.

45. Lebensjahr noch nicht überschritten haben."

§ 5 VersO bestimmt ergänzend über die Invalidenrente:

"1. Die Invaliditätsrente wird fällig, wenn der

Betriebsangehörige nach Erfüllung der in § 2

Ziffer 2 geforderten Wartezeit invalid, d.h.

erwerbsunfähig oder berufsunfähig im Sinne der

gesetzlichen Sozialversicherung ist.

2. Die Invaliditätsrente wird so lange und insoweit

in Höhe des in § 3 festgesetzten Betrages gezahlt,

als seitens des Sozialversicherungsträgers Erwerbsunfähigkeitsrente

oder Berufsunfähigkeitsrente

gezahlt wird.

...

5. Die Invaliditätsrente wird von dem Zeitpunkt an

gezahlt, zu welchem

a) zu Ziffer 3 laut Rentenbescheid des Sozialversicherungsträgers

die Zahlung der

Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente

beginnt, bzw.

b) zu Ziffer 4 laut vertrauensärztlichem Gutachten

die Invalidität beginnt. ...

...

7. Die Zahlung der Invaliditätsrente ruht

a) ganz, wenn und solange der Rentenberechtigte

noch Gehalt oder Lohn von unserer Firma bezieht,

..."

§ 9 VersO enthält die nach den Einkommensteuerrichtlinien steuerunschädlichen Vorbehalte der Aufhebung oder Änderung von Versorgungszusagen. Es heißt dort:

"Unsere Firma gibt diese Zusage in der festen Hoffnung,

daß sie wirtschaftlich in der Lage ist, die vorgesehenen

Leistungen dauernd erfüllen zu können. Sie muß

sich aber das Recht vorbehalten, die zugesagten Leistungen

zu kürzen oder einzustellen, wenn

a) die wirtschaftliche Lage unseres Unternehmens

sich nachhaltig so wesentlich verschlechtert

hat, daß ihm eine Aufrechterhaltung der zugesagten

Leistungen nicht mehr zugemutet werden

kann oder ..."

Die Beklagte, die Anfang der siebziger Jahre noch mehr als 400 Arbeitnehmer beschäftigt hatte, mußte ihren Betrieb in den folgenden Jahren wegen der ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung in der Baubranche verkleinern. Sie beschäftigte Ende des Jahres 1980 noch 188 und Ende des Jahres 1986 noch 106 Arbeitnehmer. Schon im Juni 1975 hatte sie ihr Versorgungswerk für neueintretende Mitarbeiter geschlossen. Mit Schreiben vom 10. Dezember 1980 widerrief sie die schon erteilten Versorgungszusagen mit der Maßgabe, daß nur die am 31. Dezember 1980 bestehenden unverfallbaren Anwartschaften mit dem zu diesem Zeitpunkt erreichten Teilwert, berechnet nach § 2 Abs. 1 BetrAVG erhalten bleiben sollten. Insgesamt wurden für 102 Arbeitnehmer unverfallbare Anwartschaften aufrechterhalten. Die Anwartschaft des Klägers wurde mit 172,50 DM berechnet.

Der Kläger fordert ab 20. August 1984 die Invalidenrente von monatlich 300,-- DM. Er hat die Auffassung vertreten, nach Erfüllung der Wartezeit von 15 Jahren am 7. Juli 1984 und der Vollendung des 50. Lebensjahres am 10. Juli 1984 könne er die Invalidenrente in voller Höhe verlangen. Der Widerruf der Versorgungszusage sei unwirksam. Die Beklagte habe sich in keiner wirtschaftlichen Notlage befunden. Sie habe den Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung nicht eingeschaltet und ihren Betriebsrat nicht beteiligt.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Zeit

vom 20. August 1984 bis 30. April 1985 zu zahlen

1.380,-- DM nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung,

329,91,-- DM nebst 4 % Zinsen seit Zustellung

des Schriftsatzes vom 26. April 1985,

307,17 DM nebst 4 % Zinsen seit Zustellung des

Schriftsatzes vom 21. Mai 1985 sowie weitere

482,92 DM nebst 4 % Zinsen seit 25. Februar 1986

(zusammen 2.500,-- DM),

2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet

ist, ihm eine monatliche Betriebsrente in Höhe

von 203,01 DM zu zahlen und diese vom Zeitpunkt

der Fälligkeit ab mit 4 % zu verzinsen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe keine Invalidenrente zu, da er die in der Versorgungsordnung vorgesehene Wartezeit von 15 Jahren vor Eintritt der Invalidität nicht erfüllt habe. Spätestens mit dem Beginn der Rentenzahlungen am 5. Oktober 1983 habe nur noch ein fiktives Arbeitsverhältnis bestanden. Im übrigen sei der Teilwiderruf der Versorgungszusage wirksam. Er sei unumgänglich gewesen. Sie habe seit 1974 erhebliche Verluste erlitten. Ende 1980 seien bei einem Eigenkapital von 435.000,-- DM Verluste von 7,5 Millionen DM entstanden. Durch den Widerruf der Versorgungszusagen habe sie 800.000,-- DM gespart. Zusammen mit anderen Maßnahmen habe sie den schon bevorstehenden Konkurs abwenden können. Nicht nur die Rentner, sondern alle am Unternehmen Beteiligten hätten erhebliche Einbußen hinnehmen müssen. So hätten die Gesellschafter im Jahre 1976 Grundschulden über die der GmbH gewährten Kredite im Gesamtbetrag von 5 Millionen DM bestellt. Der persönlich haftende Gesellschafter der K J KG habe eine persönliche Bürgschaft für die Kontokorrent-Kredite der GmbH in voller Höhe übernommen. Darüber hinaus habe die K J KG als Gesellschafterin der Beklagten eine Zubuße von 500.000,-- DM geleistet, um auch im Jahre 1976 einen Verlust von über 400.000,-- DM zu vermeiden. Schließlich hätten die Gesellschafter seit dem Jahre 1976 auf den größten Teil der ihnen von der Beklagten geschuldeten Pachtzinsen verzichtet. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei somit nicht verletzt worden, zumal von 1973 bis 1980 die Zahl der aktiven Mitarbeiter um etwa die Hälfte reduziert worden sei. Auch die weiterbeschäftigten Belegschaftsmitglieder hätten seit 1980 durch Akkordkürzungen und durch Verrechnung der Tariflohnerhöhungen mit übertariflichen Lohnbestandteilen Einbußen hinnehmen müssen. Nur alle Maßnahmen zusammen hätten inzwischen zu einer gewissen Konsolidierung des Unternehmens geführt, so daß heute die restlichen 106 Arbeitsplätze als gesichert angesehen werden könnten. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats habe nicht bestanden; nach der mitbestimmungsfreien Schließung des Versorgungswerks unter Aufrechterhaltung der unantastbaren Besitzstände seien keine Fragen der Lohngestaltung offengeblieben, die einer Regelung unter Mitwirkung des Betriebsrats bedurft hätten. Zudem sei der insoweit zuständige Gesamtbetriebsrat mit der Regelung einverstanden gewesen. Den Pensions-Sicherungs-Verein habe sie nicht einzuschalten brauchen, weil die über den Ablösungsstichtag hinaus erdienbaren Anteile nicht insolvenzgeschützt seien und hinsichtlich der aufrechterhaltenen Anwartschaftsteile kein Sicherungsfall eingetreten sei.

Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil lediglich über den Zahlungsantrag entschieden. Es hat dem Kläger ab 1. Juli 1984 eine monatliche Invalidenrente von 203,01 DM zugesprochen. Auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung der Anschlußberufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger für die Zeit vom 20. August 1984 bis zum 30. April 1985 (8 1/3 Monate) eine monatliche Invalidenrente von 175,-- DM zu zahlen. Gegen dieses Urteil hat nur der Kläger Revision eingelegt. Er will erreichen, daß die Beklagte zur Zahlung der ungekürzten Invaliditätsrente (300,-- DM monatlich) verurteilt wird.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil muß aufgehoben werden, soweit das Berufungsgericht die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung des Klägers zurückgewiesen hat (für die Zeit vom 20. August 1984 bis zum 30. April 1985 weitere 125,-- DM monatlich). Insoweit ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen; sie muß noch weiter aufgeklärt werden.

I. Der Kläger hat die Voraussetzungen für den Bezug einer Invalidenrente nach der Versorgungsordnung vom 21. Dezember 1970 erfüllt. Davon ist das Berufungsgericht zu Recht ausgegangen.

Gemäß §§ 2 und 5 der Versorgungsordnung muß der Arbeitnehmer bei Eintritt des Versorgungsfalls in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten stehen, eine Mindestdienstzeit von 15 Jahren aufweisen und als männlicher Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr vollendet haben; schließlich darf er bei Beginn des Arbeitsverhältnisses als männlicher Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr nicht überschritten haben.

Der Kläger erfüllt diese Merkmale. Der Versorgungsfall trat am 3. Oktober 1983 ein. Von diesem Zeitpunkt an war der Kläger nach den Feststellungen des gesetzlichen Rentenversicherers erwerbsunfähig (§ 5 Nr. 1 VersO). Er stand zu diesem Zeitpunkt unstreitig in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten (§ 2 Nr. 1 VersO). Er hatte auch bei Beginn des Arbeitsverhältnisses das 50. Lebensjahr noch nicht überschritten (§ 2 Nr. 3 VersO); bei Eintritt in den Betrieb der Beklagten war der Kläger erst knapp 45 Jahre alt.

Der Kläger hat auch die in § 2 Nr. 2 VersO vorgesehene Wartezeit erfüllt: Die Mindestdienstzeit von 15 Jahren hatte er zwar weder bei Eintritt der Invalidität am 25. Mai 1983 noch bei Beginn der Rentenzahlung am 5. Oktober erreicht. Diese Wartezeit wurde erst am 7. Juli 1984 erfüllt. Das ist jedoch unschädlich. Nach der Versorgungsordnung konnte der Kläger die Wartezeit in dem fortbestehenden Arbeitsverhältnis noch nach Eintritt der rückwirkend festgestellten Invalidität erfüllen. Nur die Fälligkeit des Versorgungsanspruchs ist nach § 5 Nr. 1 VersO bis zum Ablauf der Wartezeit hinausgeschoben. Dafür spricht vor allem der Wortlaut der §§ 5 Nr. 1 und 2 Nr. 2 a VersO. Dort ist nur die Rede davon, von welchem Zeitpunkt an die Rente zu zahlen ist; nach § 5 Nr. 1 VersO genügt es, wenn der Arbeitnehmer zu dem maßgebenden Zeitpunkt erwerbsunfähig ist. Es wäre allenfalls daran zu denken, daß Rente dann nicht geschuldet werden soll, wenn der Arbeitnehmer vor Ablauf der Wartezeit aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist (§ 2 Nr. 1 in Verb. m. Nr. 2 a VersO). Das ist jedoch beim Kläger nicht der Fall. Sein Arbeitsverhältnis endete erst am 10. Oktober 1984, also nach einer Dienstzeit von mehr als 15 Jahren.

II. Bei der Prüfung, ob der Widerruf der Versorgungszusage berechtigt war, ist das Berufungsgericht von falschen Voraussetzungen ausgegangen.

Das Berufungsgericht hat angenommen, der Arbeitgeber sei berechtigt, zeitanteilig noch nicht erdiente Rentenanteile aus sachlichen Gründen zu widerrufen. Es hat sich hierzu auf die Rechtsprechung des Senats zum Widerruf von Unterstützungskassenleistungen berufen, die unter Ausschluß eines Rechtsanspruchs zugesagt sind und damit nach der verfassungsgerichtlich gebilligten Rechtsprechung des Senats unter dem Vorbehalt des Widerrufs aus sachlichen Gründen stehen (BVerfG Beschluß vom 19. Oktober 1983 - 2 BvR 298/81 - AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, zu C II 1 der Gründe; BAGE 46, 80 = AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen; 49, 57 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen).

Das Berufungsgericht hat dabei übersehen, daß im Streitfall den Arbeitnehmern keine Versorgung durch eine Unterstützungskasse zugesagt, sondern ein Rechtsanspruch auf die zugesagten Leistungen eingeräumt war. Diese Rechtsansprüche können nur unter besonderen Voraussetzungen beseitigt oder eingeschränkt werden.

a) Der Widerrufsvorbehalt in § 9 der VersO hilft der Beklagten nicht. Er bringt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nur zum Ausdruck, was nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen ohnehin gilt: Der Arbeitgeber kann nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht an einer Zusage festgehalten werden, wenn aufgrund einer Änderung der Verhältnisse seine Belastung so groß wird, daß ihm als Schuldner der Versorgungszusage nicht zugemutet werden kann, seine vertragliche Rechtspflicht zu erfüllen (grundlegend: Urteil vom 8. Juli 1972 - 3 AZR 481/71 - AP Nr. 157 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu III 1 a der Gründe, und Anm. von Uhlenbruck, vgl. auch Blomeyer/Otto, BetrAVG, 1984, Einleitung Rz 361 und Vorbem. § 7 Rz 89, m.w.N.).

b) Folglich kann der Widerruf nur mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage begründet werden. Wegfall der Geschäftsgrundlage ist gleichbedeutend mit wirtschaftlicher Notlage i.S. des § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG, die den Pensions-Sicherungs-Verein hinsichtlich der laufenden Renten (§ 7 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG) und nach § 7 Abs. 2 Satz 3, § 2 Abs. 1 BetrAVG hinsichtlich der aufrechterhaltenen Anwartschaftsteils zum Eintritt verpflichtet. Es muß deshalb festgestellt werden, ob eine wirtschaftliche Notlage bestand. Da das Berufungsgericht nicht geprüft hat, ob bei der Beklagten eine wirtschaftliche Notlage bestand, die den Widerruf der Versorgungszusagen rechtfertigen könnte, muß das Urteil aufgehoben werden.

III. Der Senat kann nicht selbst entscheiden. Zwar spricht einiges dafür, daß eine wirtschaftliche Notlage bestand. Eine wirtschaftliche Notlage ist dann gegeben, wenn der Bestand des Unternehmens wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten ernsthaft gefährdet ist (ständige Rechtsprechung, so schon BAG Urteil vom 5. Mai 1955 - 2 AZR 55/73 - BAGE 2, 18 = AP Nr. 4 zu § 242 BGB Ruhegehalt, mit Anm. von Beitzke; vgl. im übrigen die zahlreichen Nachweise bei Blomeyer/Otto, BetrAVG, Vorbem. § 7 Rz 72). Ob eine solche Situation im Jahre 1980 bei der Beklagten vorlag, ist nicht geklärt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens von 1974 bis 1980 drastisch verschlechtert: Die Verluste hätten Ende 1980 7,5 Millionen DM erreicht. Das Eigenkapital sei im selben Zeitraum von ca. 8 Millionen DM auf 435.000,-- DM zurückgegangen. Die Gläubigerbanken hätten auf Einhaltung einer Kreditlinie von 1,8 Millionen DM bestanden. Das sei nur durch langfristige Sparmaßnahmen zu erreichen gewesen. Neben dem Abbau von Arbeitsplätzen seien die übertariflichen Lohnanteile auf tarifliche Lohnerhöhungen angerechnet worden. Die Gesellschafter hätten auf Pachtzinsen in Höhe von 1,165 Millionen DM verzichtet, die Gläubigerbanken auf Forderungen in Höhe von 1 Million DM. Die Reduzierung der Versorgungslasten habe eine Einsparung von 800.000,-- DM gebracht. Das sei ein wichtiger, aber dennoch maßvoller Betrag zur Unternehmenssanierung gewesen.

Andererseits hat der Kläger behauptet, die Verschuldung der Beklagten sei im wesentlichen durch die hohen Pachtzinsforderungen der Gesellschafter in Höhe von ca. 600.000,-- DM jährlich herbeigeführt worden. Hierbei habe es sich um Kapitalverschiebungen zwischen der Beklagten und der K J KG gehandelt. Zur Firmengruppe des Gesellschafters J gehörten heute vier Werke mit ca. 500 Arbeitnehmern. Der Gesellschafter habe mit Hilfe der Pachtzinsforderungen enorme Beträge in der Unternehmensgruppe umverteilt.

Auch die weiteren Behauptungen des Klägers könnten beachtlich sein. Nach seiner Darstellung hat die Firmengruppe Jung Ende der siebziger Jahre stark expandiert, ohne daß erkennbar wäre, welche rechtlichen Beziehungen im Firmenverbund bestanden. Insbesondere sei unklar, ob Gewinnabführungs- und Verlustausgleichsverträge bestanden mit der Folge, daß die wirtschaftliche Lage der Beklagten nicht isoliert betrachtet werden dürfte (so zutreffend Blomeyer/Otto, aa0, Vorbem. § 7 Rz 72). Schließlich hat das Berufungsgericht davon abgesehen, das beantragte Gutachten über die wirtschaftliche Gesamtsituation der Beklagten einzuholen, weil es, von seinem Rechtsstandpunkt aus, schon sachliche Gründe als ausreichende Widerrufsgründe ansah. Für den Fall des Widerrufs aufgrund wirtschaftlicher Notlage i.S. des § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG hat der Senat grundsätzlich ein wirtschaftliches Gutachten gefordert, das die Situation des Arbeitgebers umfassend analysiert und ein Sanierungskonzept enthält (BAGE 50, 210, 218 = AP Nr. 8 zu § 7 BetrAVG Widerruf, zu II 1 der Gründe).

Auf diese Behauptungen des Klägers wird das Berufungsgericht noch eingehen müssen.

IV. Bei der weiteren rechtlichen Beurteilung wird das Berufungsgericht zu beachten haben, daß ein Widerruf vertraglich zugesagte Leistungen nur wirksam ist, wenn der Arbeitgeber vor Ausspruch des Widerrufs zur Durchsetzung einer neuen Leistungsordnung das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beachtet hat (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG). Eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts hätte die Unwirksamkeit des Widerrufs zur Folge. Ob der Betriebsrat seine Zustimmung erteilt hat, ist nicht aufgeklärt.

Das Berufungsgericht meint zwar, die Beklagte habe mit ihrem Teilwiderruf vom 10. Dezember 1980 keine Neuverteilung der reduzierten Mittel vorgenommen. Sie habe die künftig zu erdienenden Anwartschaftsteile gestrichen. In die nach § 2 Abs. 1 BetrAVG festgestellten Anwartschaftsteile habe die Beklagte ohnehin nicht eingreifen dürfen. Für die Aufstellung neuer Verteilungsgrundsätze unter Beteiligung des Betriebsrats sei kein Raum gewesen.

Das Berufungsgericht verkennt, daß die Beklagte mehrere Möglichkeiten hatte, um durch Kürzungen der Anwartschaften die notwendigen Einsparungen zu erreichen. Die tatsächlich durchgeführte Maßnahme war nicht die einzige von der Rechtsordnung zugelassene Maßnahme. Befand sich die Beklagte in einer wirtschaftlichen Notlage, die die Geschäftsgrundlage des betrieblichen Versorgungswerks erschütterte, dann war sie nicht verpflichtet, die gesetzlich unverfallbaren Anwartschaften nach ratierlich berechneten Anteilen aufrecht zu erhalten. Vielmehr bestanden dann "zwingende" Gründe, die es der Beklagten auch erlaubt hätten, unter Einschaltung des Pensions-Sicherungs-Vereins in diese Anwartschaftsteile einzugreifen (vgl. z.B. BAGE 36, 327 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung; 48, 258 = AP Nr. 6 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen). Dann aber stellte sich durchaus die Frage, wie die reduzierten, aber für die betriebliche Altersversorgung weiterhin zur Verfügung stehenden Mittel neu verteilt werden sollten. Die Beklagte hätte - insoweit mitbestimmungsfrei - den Dotierungsrahmen zum Zwecke der Einsparung von Kosten in Höhe des schließlich erzielten Volumens von 800.000,-- DM auch dadurch kürzen können, daß sie etwa die Festrentenbeträge kürzte oder aber - auf geringerer Höhe - die erdienten, wenn auch noch nicht unverfallbaren Anwartschaftsteile ebenso aufrecht erhielt wie die unverfallbaren. Die Beklagte hätte damit sogar in besserer Weise dem Entgeltgedanken in der betrieblichen Altersversorgung und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen können. Ein Eingriff in die durch Vorleistung der Arbeitnehmer erdienten, aber noch verfallbaren Anwartschaftsteile hätte vielleicht bei geringfügigen Rentenbeträgen nahegelegen. Einen Arbeitnehmer, der etwa über neun Jahre eine Teilanwartschaft erdient hatte, trifft der Eingriff schwer.

Jedenfalls waren für den verringerten Dotierungsrahmen neue Verteilungskonzepte zu entwickeln. Mit ihrer Maßnahme - Widerruf der Versorgungszusagen gegenüber allen Inhabern noch verfallbarer Versorgungsanwartschaften - stellte die Beklagte einen neuen Leistungsplan für die betriebliche Altersversorgung auf. Bei dessen Einführung stand dem Betriebsrat - oder dem Gesamtbetriebsrat - ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 26. April 1988 - 3 AZR 168/86 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

Für den Fall, daß der Betriebsrat der neuen Leistungsordnung zugestimmt hat, muß geprüft werden, ob die Gruppenbildung des neuen Leistungsplans rechtlich zu billigen ist. Der neue Verteilungsplan teilt die Arbeitnehmer ein in solche mit und solche ohne gesetzlich unverfallbare Versorgungsanwartschaften. Diese Einteilung ist zwar eine sehr grobe, weil sie der einen Gruppe im Nachhinein schon verdientes Entgelt in Gestalt von Versorgungsansprüchen entzieht. Immerhin wird man eine solche Entscheidung in einer die Existenz des Unternehmens bedrohenden Situation nicht als willkürlich i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG oder als Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ansehen können. Denn die nach den gesetzlichen Merkmalen unverfallbare Anwartschaft stellt einen größeren wirtschaftlichen Wert dar als die verfallbare und ist nach dem Willen des Gesetzgebers auch stärker geschützt. Das zeigt sich im Fall des vorzeitigen Ausscheidens (§ 1 BetrAVG), beim gesetzlichen Insolvenzschutz (§ 7 Abs. 2 BetrAVG) und sogar bei der Frage, ob eine Anwartschaft abgefunden werden oder der Arbeitnehmer auf sie verzichten darf (§ 3 BetrAVG).

Dr. Heither Schaub Griebeling

Weinmann Paul-Reichart

 

Fundstellen

BAGE 58, 167-176 (LT1-5)

BAGE, 167

DB 1988, 2311-2312 (LT1-5)

AiB 1989, 18-19 (LT1-5)

EWiR 1989, 225 (L1-5)

JR 1989, 88

KTS 1989, 140-145 (LT1-5)

NZA 1989, 305-306 (LT1-5)

RdA 1989, 67

SAE 1989, 16-18 (LT1-5)

ZIP 1988, 1348

ZIP 1988, 1348-1351 (LT1-5)

AP § 1 BetrAVG Geschäftsgrundlage (LT1-5), Nr 3

AR-Blattei, Betriebliche Altersversorgung Entsch 206 (LT1-5)

AR-Blattei, ES 460 Nr 206 (LT1-5)

ArbuR 1989, 187-189 (LT1-5)

EzA § 1 BetrAVG, Nr 1 (LT1-5)

VersR 1989, 417 (L1-5)

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