Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Durchführung von Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit beruht nur dann auf betriebsbedingten Gründen im Sinne des § 37 Abs 3 Satz 1 BetrVG, wenn der Arbeitgeber darauf Einfluß genommen hatte, daß sie nicht während der Arbeitszeit verrichtet wurde.

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 06.07.1992; Aktenzeichen 10 Sa 1054/91)

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 13.06.1991; Aktenzeichen 5 Ca 448/90)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf bezahlten Freizeitausgleich wegen der außerhalb der Arbeitszeit durchgeführten Rückreise des Klägers von einer Betriebsräteversammlung.

Der Kläger ist Vorsitzender des bei der Beklagten in ihrem Betrieb in F bestehenden Betriebsrats. Er nahm am 4. und 5. Oktober 1990 an einer vom Gesamtbetriebsrat einberufenen Betriebsräteversammlung in M teil, deren Beginn am 4. Oktober 1990 auf 14.00 Uhr festgelegt war und deren Tagesordnung am 5. Oktober 1990, einem Freitag, für 9.00 Uhr einen Bericht zur wirtschaftlichen Lage seitens eines Vorstandsmitglieds der Beklagten und für 10.45 Uhr einen Bericht zum Personal- und Sozialwesen durch den Personalleiter vorsah. Die Arbeitszeit des Klägers beginnt um 7.30 Uhr und endet freitags um 13.00 Uhr. Der Kläger reiste am 5. Oktober 1990 gemeinsam mit einem weiteren Betriebsratsmitglied (dem Kläger des Parallelverfahrens 7 AZR 594/92) in dessen Pkw zurück zum Betrieb in F -

.

Der Kläger hat im wesentlichen vorgetragen, er sei nach Ende der Betriebsräteversammlung gegen 14.00 Uhr in M abgefahren und gegen 18.30 Uhr in F eingetroffen. Die Einberufung der Betriebsräteversammlung in M und damit auch die Notwendigkeit einer längeren An- und Abreise für einen Teil der Betriebsratsmitglieder sei durch Gründe in der Unternehmensstruktur der Beklagten veranlaßt, so daß die Rückreise außerhalb der Arbeitszeit aus betriebsbedingten Gründen notwendig geworden sei. Auf die Terminplanung des Gesamtbetriebsrats habe er keinen Einfluß. Überdies handele die Beklagte widersprüchlich, wenn ein Vorstandsmitglied und der Personalleiter die vom Gesamtbetriebsrat vorgeschlagene zeitliche Festlegung der zu erstellenden Berichte akzeptierten, später aber die bezahlte Arbeitsbefreiung verweigert werde. Die Beklagte setze sich auch deshalb zu ihrem früheren Verhalten in Widerspruch, weil unter anderem auch 1989 den Betriebsratsmitgliedern bezahlte Arbeitsfreistellung für die Rückreise von einer Betriebsrätekonferenz gewährt worden sei.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm fünf Stunden

Freizeit unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu

gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat im wesentlichen vorgetragen, die Rückreise außerhalb der Arbeitszeit sei nicht durch in der betrieblichen Sphäre liegende Gründe veranlaßt worden. Es handele sich vielmehr ausschließlich um eine Folge der Terminplanung des Gesamtbetriebsrats, auf die die Beklagte keinen Einfluß habe nehmen können. Dem Vorstandsmitglied und dem Personalleiter sei lediglich mitgeteilt worden, wann die Sitzung stattfinde und für welche Uhrzeit ihre Berichte vorgesehen seien. Beide hätten im Hinblick auf ihre terminlichen Bindungen keine Veranlassung zum Widerspruch gesehen. Seitens des Klägers sei zu diesem Zeitpunkt die beabsichtigte Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit nicht angezeigt worden. Wenn in der Vergangenheit in vergleichbaren Fällen bezahlte Arbeitsbefreiung gewährt worden sei, hätten dem nie Absprachen mit dem damaligen Geschäftsführer der Betriebsstätte in F zugrunde gelegen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben; das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des Ersturteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Denn das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

I. Gemäß § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG hat ein Betriebsratsmitglied zum Ausgleich für außerhalb seiner individuellen Arbeitszeit geleistete Betriebsratstätigkeit nur dann einen Anspruch auf Freizeitausgleich, wenn es auf betriebsbedingten Gründen beruhte, daß die Betriebsratstätigkeit nicht während der Arbeitszeit verrichtet werden konnte. Derartige betriebsbedingte Gründe liegen nach ständiger Rechtsprechung (z.B. BAG Urteile vom 11. Juli 1978 - 6 AZR 387/75 - AP Nr. 57 zu § 37 BetrVG 1972 und vom 3. Dezember 1987, BAGE 57, 96 = AP Nr. 62 zu § 37 BetrVG 1972; vgl. auch Senatsurteil vom 15. Februar 1989 - 7 AZR 193/88 - AP Nr. 70 zu § 37 BetrVG 1972) nur vor, wenn bestimmte Gegebenheiten und Sachzwänge innerhalb der Betriebssphäre dazu geführt haben, daß die Betriebsratstätigkeit nicht während der Arbeitszeit durchgeführt werden konnte.

II. Im Entscheidungsfall kann dahinstehen, ob Reisezeiten überhaupt als Betriebsratstätigkeit im Sinne des § 37 Abs. 3 BetrVG angesehen werden können. Denn das Landesarbeitsgericht hat unter Zugrundelegung der dargestellten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zutreffend angenommen, daß der Kläger jedenfalls nicht aus betriebsbedingten Gründen außerhalb seiner Arbeitszeit die Rückreise von M nach F durchführen mußte.

1. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit im wesentlichen ausgeführt, zwar hätten Gründe in der Unternehmensstruktur der Beklagten, wie insbesondere ihre räumlich weit auseinanderliegenden Betriebsstätten, dazu geführt, daß die Betriebsräteversammlung zentral und weit ab von der F Niederlassung durchzuführen war und daher der Kläger habe reisen müssen. Diese Gründe hätten aber nicht bedingt, daß die Reisezeiten des Klägers gerade außerhalb seiner Arbeitszeit hätten anfallen müssen; dies habe vielmehr auf der Terminplanung des Gesamtbetriebsrats beruht. Denn beispielsweise bei Durchführung der Betriebsräteversammlung an anderen Wochentagen als dem Freitag sei auch eine Rückreise des Klägers während seiner Arbeitszeit möglich gewesen.

2. Ein Rechtsfehler dieser Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist weder vom Kläger aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich. Entgegen der Ansicht des Klägers ist insbesondere unerheblich, ob die vom Gesamtbetriebsrat vorgenommene Terminplanung insgesamt für die Beklagte kostengünstiger war als eine Durchführung der Betriebsräteversammlung an anderen Wochentagen, so daß diese Terminplanung letztlich auf einer Rücksichtnahme auf Interessen der Beklagten beruht habe. Die Entscheidung darüber, ob betriebsbedingte Gründe so gewichtig sind, daß sie eine Betriebsratstätigkeit außerhalb der individuellen Arbeitszeit geboten erscheinen lassen, obliegt nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. BAG Urteil vom 3. Dezember 1987, aaO, zu II 3 a der Gründe) nicht dem Betriebsrat, sondern - gegebenenfalls im Einvernehmen mit dem Betriebsrat - dem Arbeitgeber. Jedenfalls soweit eine Durchführung der Betriebsratstätigkeit auch während der Arbeitszeit in Betracht gekommen wäre, beruht deshalb ihre Durchführung außerhalb der Arbeitszeit nur dann auf betriebsbedingten Gründen im Sinne des § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, wenn der Arbeitgeber zumindest darauf Einfluß genommen hat, daß sie nicht während der Arbeitszeit verrichtet werden soll. Demgegenüber beruhte es im Entscheidungsfalle nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht auf einer Einflußnahme der Beklagten, daß die Betriebsräteversammlung zeitlich so gelegt wurde, daß eine Rückreise des Klägers während seiner Arbeitszeit nicht mehr möglich war.

3. Entgegen der Ansicht des Klägers ist auch unerheblich, daß er persönlich keinen Einfluß auf die Terminplanung des Gesamtbetriebsrats nehmen konnte. Die Vorschrift des § 37 Abs. 3 BetrVG bezweckt, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, nicht lediglich einen Ausschluß von Freizeitausgleichsansprüchen in den Fällen, in denen es auf einer persönlichen Entscheidung des Betriebsratsmitglieds beruht, daß es außerhalb seiner Arbeitszeit Betriebsratstätigkeit verrichtet. Vielmehr begründet § 37 Abs. 3 BetrVG in Abweichung von der Grundregel des § 37 Abs. 1 BetrVG, daß die Betriebsratsmitglieder ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt führen und damit grundsätzlich auch ihre Freizeit ohne Ersatzansprüche aufwenden, einen Freizeitausgleichsanspruch gerade nur für den Fall einer auf betriebsbedingten Gründen beruhenden Unmöglichkeit, die Betriebsratstätigkeit während der Arbeitszeit durchzuführen.

III. Zutreffend hat sich das Landesarbeitsgericht auch mit dem Vortrag des Klägers befaßt, in der Vergangenheit habe die Beklagte auch für Reisezeiten außerhalb der Arbeitszeit bezahlte Arbeitsfreistellung gewährt. Wenn das Landesarbeitsgericht insoweit aufgrund nachvollziehbarer und plausibler Überlegungen zu dem Ergebnis gelangt ist, aufgrund der bisherigen Praxis sei für den Kläger schon kein Vertrauenstatbestand entstanden, so liegt dies im Bereich der dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung, wie ein von den Parteien in der Vergangenheit geübtes Verhalten im konkreten Einzelfall zu verstehen war. Ein Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts ist auch insoweit nicht ersichtlich.

Prof. Dr. Weller ist

wegen Erkrankung an Schliemann Dr. Steckhan

der Unterschrift ver-

hindert.

Dr. Steckhan

Dr. Johannsen Kordus

 

Fundstellen

Haufe-Index 441387

BB 1994, 1215

BB 1994, 1215-1216 (LT1)

DB 1994, 1244-1245 (LT1)

DStR 1995, 69 (T)

EBE/BAG 1994, 95-96 (LT1)

BetrR 1994, 83-84 (LT1)

BetrVG, (3) (LT1)

ARST 1994, 183-184 (LT1)

NZA 1994, 765

NZA 1994, 765-766 (LT1)

ZTR 1994, 348-349 (LT1)

AP § 37 BetrVG 1972 (LT1), Nr 93

AR-Blattei, ES 530.10 Nr 78 (LT1)

AuA 1995, 71-72 (LT1)

EzA-SD 1994, Nr 12, 11-13 (LT1)

EzA § 37 BetrVG 1972, Nr 118 (LT1)

EzBAT § 17 BAT, Nr 17 (LT1)

ZfPR 1994, 197 (L)

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