Entscheidungsstichwort (Thema)

AWbG NW. kein Lohn ohne Freistellung

 

Leitsatz (redaktionell)

Folgeentscheidung zum Urteil vom 21. September 1993 – 9 AZR 429/91 – AP Nr. 7 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen

 

Normenkette

AWbG NW § 1 Abs. 1, § 7 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 29.10.1992; Aktenzeichen 4 Sa 904/92)

ArbG Herne (Urteil vom 23.04.1992; Aktenzeichen 1 Ca 2562/91)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 29. Oktober 1992 – 4 Sa 904/92 – aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 23. April 1992 – 1 Ca 2562/91 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Arbeitsentgelt für die Zeit, in der der Kläger an einer Weiterbildungsveranstaltung teilgenommen hat.

Der Kläger ist seit 1967 bei der Beklagten beschäftigt. Am 7. Oktober 1991 teilte er seinem Arbeitgeber mit, er beabsichtige an der Bildungsveranstaltung „Europa – Verpflichtung für eine gemeinsame Umwelt” in der Zeit vom 25. November bis 29. November 1991 teilzunehmen, die von der Arbeitsgemeinschaft Arbeit und Leben (DGB/VHS Dortmund) durchgeführt werde. Die Beklagte antwortete am 16. Oktober 1991:

„Wir nehmen Bezug auf die uns eingereichte Mitteilung, mit der Sie bezahlte Freistellung für das Seminar „Europa – Verpflichtung für eine gemeinsame Umwelt” gemäß AWbG beantragen.

Da dieses Seminar nicht allen Anforderungen des AWbG entspricht, können wir Sie hierfür auch nicht unter Fortzahlung der Bezüge freistellen. Wir erklären uns jedoch bereit, Ihnen für diesen Zeitraum unbezahlte Freizeit bzw. Tarifurlaub zu gewähren.”

Der Kläger besuchte dennoch die Veranstaltung. Der Beklagte zahlte für diese Zeit kein Arbeitsentgelt.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 863,15 DM brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr entsprochen. Mit der Revision verlangt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit vom 25. bis 29. November 1991.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts gem. § 7 AWbG, weil die Beklagte ihn nicht zum Zweck der beruflichen und politischen Weiterbildung für die von ihm besuchte Veranstaltung von der Arbeit freigestellt hat. Das AWbG gewährt dem Arbeitnehmer einen gesetzlich bedingten Freistellungsanspruch, kein Selbstbeurlaubungsrecht. Der Lohnfortzahlungsanspruch kann nur entstehen, wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Erfüllung seines Anspruchs auf Freistellung nach dem AWbG nachgekommen ist. Weigert sich der Arbeitgeber, die Erfüllungshandlung vorzunehmen, d.h. die Freistellungserklärung abzugeben, kann der Arbeitnehmer versuchen, diesen Anspruch gerichtlich durchzusetzen (ständige Rechtsprechung des Senats, Urteil vom 11. Mai 1993 – 9 AZR 231/89 – AP Nr. 2 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt; Urteil vom 21. September 1993 – 9 AZR 335/91 – AP Nr. 6 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW und – 9 AZR 429/91 – AP Nr. 7 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Erlangt der Arbeitnehmer die Freistellungserklärung vor dem Besuch der Veranstaltung nicht, so fehlt es an einer Voraussetzung für den Entgeltanspruch.

So verhält es sich im Streitfall. Das Schreiben der Beklagten vom 16. Oktober 1991 enthält keine Freistellungserklärung nach dem AWbG. Vielmehr hat die Beklagte ausdrücklich erklärt, daß sie den Antrag auf Freistellung nach dem AWbG ablehne. Mit ihrer gleichzeitig abgegebenen Erklärung, dem Kläger für den genannten Zeitraum unbezahlte Freizeit bzw. Tarifurlaub zu gewähren, hat sie lediglich ein Angebot auf Abschluß einer Vereinbarung über Gewährung unbezahlten Urlaubs bzw. auf Gewährung von tarifvertraglichem Erholungsurlaub abgegeben. Somit fehlt es an einer anspruchsbegründenden Voraussetzung für den Lohnfortzahlungsanspruch nach § 7 AWbG, wobei dahingestellt bleiben kann, ob der Kläger das Angebot auf unbezahlten Urlaub angenommen hat oder nicht. In beiden Fällen hat er keinen Anspruch nach § 7 AWbG.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des Urlaubsentgelts nach § 11 BUrlG oder einer entsprechenden Tarifbestimmung. Zwar hat die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 16. Oktober 1991 angeboten, für diesen Zeitraum Tarifurlaub zu gewähren. Der Kläger hat jedoch nicht vorgetragen, dieses Angebot angenommen zu haben. Er hat in der Revisionsinstanz vielmehr ausdrücklich erklärt, mit dem Angebot der Beklagten nicht einverstanden gewesen zu sein.

3. Der Kläger hat keinen vertraglichen Anspruch auf Zahlung von Arbeitsentgelt aus einer besonderen Vereinbarung der Parteien (Senatsurteile vom 9. Februar 1993 – 9 AZR 648/90 – AP Nr. 1 zu § 9 BildungsurlaubsG Hessen, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt und vom 24. August 1993 – 9 AZR 240/90 – AP Nr. 9 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Er hat nicht vorgetragen, daß die Beklagte ihm angeboten habe, die Freizeit ggf. später nach gerichtlicher Kläger der Rechtslage zu vergüten. Eine derartige Vereinbarung hätte allenfalls im Vergleich vom 13. November 1993 liegen können. Diesen Vergleich hat der Kläger rechtswirksam widerrufen.

4. Der Kläger hat auch keinen Schadenersatzanspruch auf Zahlung einer Geldsumme nach den §§ 280 Abs. 1, 284 Abs. 1, 287 Satz 2, 251 BGB für den Fall, daß die Beklagte den Freistellungsanspruch des Klägers zu Unrecht verweigert haben sollte. Der im Jahr 1991 entstandene Anspruch des Klägers auf Freistellung nach dem AWbG ist zwar durch Zeitablauf am Ende des Kalenderjahres 1991 untergegangen, so daß ein Schadenersatzanspruch entstanden wäre, wenn die Beklagte zu Unrecht die Freistellung verweigert hätte. Ein Schadenersatzanspruch des Klägers wäre jedoch nach § 249 BGB auf die Wiederherstellung des Zustands gerichtet, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Die Wiederherstellung besteht in der künftigen Freistellung des Arbeitnehmers für die Teilnahme an einer Arbeitnehmerweiterbildungsveranstaltung. Ein Schadenersatz in Form einer Geldentschädigung ist gem. § 251 BGB erst statthaft, wenn die Freistellung z.B. wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist (ständige Rechtsprechung des Senats, Urteil vom 21. September 1993 – 9 AZR 429/91 – AP, a.a.O. und Urteil vom 7. Dezember 1993 – 9 AZR 325/92 – AP Nr. 8 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW).

5. Auf die Frage, ob die Veranstaltung der beruflichen Weiterbildung diente und ob der zuständige Träger die Veranstaltung durchgeführt hat, kommt es daher nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 97 ZPO.

 

Unterschriften

Dörner, Düwell, Böck, Fr. Holze, Schwarz

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1076781

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