Entscheidungsstichwort (Thema)

Tariflicher Anspruch auf amtsärztliche Untersuchung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach § 4 Abs 2 Satz 1 des Tarifvertrages für Musiker in Kulturorchestern vom 1. Juli 1971 kann der Arbeitgeber bei gegebener Veranlassung durch das Gesundheitsamt feststellen lassen, ob der Musiker "arbeitsfähig und frei von ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten" ist.

2. Für die danach bestehende Pflicht des Arbeitnehmers, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, genügt es, daß der Arbeitgeber Veranlassung hat anzunehmen, der Arbeitnehmer sei arbeitsunfähig erkrankt oder er leide an einer der genannten Krankheiten. Nach Sinn und Zweck der Tarifnorm ist es nicht erforderlich, daß der Verdacht des Arbeitgebers sich auf beides zugleich bezieht, die Arbeitsunfähigkeit und eine ansteckende oder ekelerregende Krankheit.

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 24.04.1991; Aktenzeichen 15 Sa 267/91)

ArbG Krefeld (Entscheidung vom 29.01.1991; Aktenzeichen 4 Ca 2306/90)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger verpflichtet ist, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen.

Der Kläger ist Orchestermusiker bei den "Vereinigten Städtischen Bühnen Krefeld und Mönchengladbach" (VSB), die von den Beklagten als Gesellschaft Bürgerlichen Rechts betrieben werden. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 1. Juli 1971 Anwendung. Dort ist bestimmt:

"§ 4

Ärztliche Untersuchung

...

(2) Der Arbeitgeber kann bei gegebener Veran-

lassung durch einen Vertrauensarzt (-zahn-

arzt) oder das Gesundheitsamt feststellen

lassen, ob der Musiker arbeitsfähig und

frei von ansteckenden oder ekelerregenden

Krankheiten ist. Von der Befugnis darf

nicht willkürlich Gebrauch gemacht werden.

...

§ 10

Personalakten

...

(2) Der Musiker muß über Beschwerden und Be-

hauptungen tatsächlicher Art, die für ihn

ungünstig sind oder ihm nachteilig werden

können, vor Aufnahme in die Personalakten

gehört werden. Seine Äußerung ist zu den

Personalakten zu nehmen."

Der Kläger legte den Beklagten eine Bescheinigung seines Hals-, Nasen-, Ohrenarztes S. Galip Oruz vom 9. Februar 1990 vor, die folgenden Wortlaut hat:

"Bescheinigung

Betr.: ARATO, Gabor, geb. 03.07.50, wohnhaft in

4150 Krefeld, Buchenstr. 23

Bei Herrn G. Arato besteht eine beiderseitige Ir-

ritation der Nasennebenhöhlen in Form von immer

wiederkehrenden Entzündungen, die wahrscheinlich

mit nebelartigen Dämpfen und Staubteilchen wäh-

rend einer Vorstellung zusammenhängen.

Eine medikamentöse Therapie ist daher bisher er-

folglos geblieben, so daß ein Fernbleiben des

obengenannten von dieser bestimmten Vorstellung

fachärztlicherseits vorerst als erforderlich an-

gesehen werden muß."

In der Folgezeit konnten sich die Parteien nicht über den Einsatz des Klägers bei Vorstellungen mit sogenanntem Bühnennebel einigen. Mit Schreiben vom 10. September 1990 forderten die Beklagten den Kläger unter Bezugnahme auf § 4 Abs. 2 TVK auf, sich einer amtsärztlichen Untersuchung beim Gesundheitsamt Krefeld zu unterziehen. In dem Schreiben führten sie aus, die Untersuchung sei dringend erforderlich, um sich ein exaktes und ausführliches Bild über die Erkrankung und deren Auswirkungen auf den Spielbetrieb der Vereinigten Städtischen Bühnen machen zu können.

Der Kläger lehnte die Untersuchung ab. Mit Schreiben vom 18. Oktober 1990 erteilten die Beklagten dem Kläger wegen dieser Weigerung eine Abmahnung. Gleichzeitig wiederholten sie ihre Aufforderung und gaben dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 10. November 1990 mit dem Hinweis, daß der Vorgang nach Ablauf dieser Frist zu den Personalakten genommen werde. Das Schreiben war von dem Generalmusikdirektor und dem Geschäftsführer der VSB unterzeichnet.

Der Kläger kam auch dieser zweiten Aufforderung nicht nach. Mit Schreiben vom 20. November 1990 forderten die Beklagten den Kläger nochmals auf, sich vom Amtsarzt untersuchen zu lassen. Bei Übergabe dieses Schriftstücks wurde dem Kläger für den Fall der Weigerung mündlich eine fristlose Kündigung angedroht. Der Kläger befolgte auch diese Aufforderung nicht.

Der Kläger hat gemeint, die Beklagten könnten die amtsärztliche Untersuchung nicht verlangen. Nach § 4 Abs. 2 TVK habe der Arbeitgeber diesen Anspruch nur dann, wenn festgestellt werden solle, ob der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist und an einer ansteckenden oder ekelerregenden Krankheit leidet. Bloße Zweifel an der Arbeitsfähigkeit allein berechtigten den Arbeitgeber somit nicht. Die amtsärztliche Untersuchung könne nur gefordert werden, wenn Veranlassung zu der Annahme bestehe, daß der Arbeitnehmer arbeitsunfähig sei und daß er außerdem an einer ansteckenden oder ekelerregenden Krankheit leide. Bei ihm habe es an beidem gefehlt. Er sei weder arbeitsunfähig gewesen, noch habe er an einer ansteckenden oder ekelerregenden Krankheit gelitten. Er habe allein den Bühnennebel nicht vertragen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, daß die Beklagten nicht be-

rechtigt sind, das Arbeitsverhältnis mit dem

Kläger aufgrund dessen mangelnder Bereitschaft

zur Duldung der amtsärztlichen Untersuchung

gemäß Schreiben der Beklagten vom 18. Oktober

1990 zu kündigen;

2. die Beklagten zu verurteilen, diese Abmahnung

nebst zugehöriger Korrespondenz aus der über

den Kläger geführten Personalakte zu entfer-

nen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, § 4 Abs. 2 TVK berechtige den Arbeitgeber, schon bei Zweifeln an der Arbeitsfähigkeit eines Musikers den Amtsarzt einzuschalten. Auf den zusätzlichen Verdacht, daß der Arbeitnehmer auch an einer ansteckenden oder ekelerregenden Krankheit leide, komme es nicht an. Die Untersuchung sei erforderlich gewesen, weil zuverlässig habe festgestellt werden müssen, ob die Nebelflüssigkeit die Ursache der Erkrankung sei und die Arbeitsfähigkeit des Klägers beeinträchtige.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter, wobei er den Feststellungsantrag nunmehr darauf richtet, daß er nicht verpflichtet sei, sich auf Weisung der Beklagten wegen Empfindlichkeit gegen künstlichen Bühnennebel einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Die Beklagten bitten um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Klage ist, soweit der Kläger Feststellung begehrt, unzulässig. Das gleiche gilt, soweit er beantragt, die Korrespondenz aus den Personalakten zu entfernen, die über die Abmahnung entstanden ist. Im übrigen ist die Klage unbegründet.

I. Hinsichtlich des Feststellungsantrags fehlt es jedenfalls an dem nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresse.

1. In den Vorinstanzen hat der Kläger die Feststellung begehrt, daß die Beklagten nicht berechtigt seien, das Arbeitsverhältnis aufgrund der mangelnden Bereitschaft des Klägers zur Duldung der amtsärztlichen Untersuchung zu kündigen. Mit der Revision beantragt er statt dessen festzustellen, daß er nicht verpflichtet sei, sich auf Weisung der Beklagten wegen Empfindlichkeit gegen künstlichen Bühnennebel einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen.

2. Es kann dahinstehen, ob der neue Antrag, durch den der Kläger offenbar eine Beschränkung seines Klagebegehrens im Sinne des § 264 Nr. 2 ZPO erreichen möchte, nach § 561 Abs. 1 ZPO der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt. Auch wenn man dies unterstellt, ist der Antrag unzulässig, weil es dem Kläger an dem rechtlichen Interesse an alsbaldiger Feststellung (§ 256 Abs. 1 ZPO) fehlt.

a) Zwar ist das Feststellungsinteresse nicht schon dadurch entfallen, daß der Kläger sich zwischenzeitlich dem Amtsarzt gestellt hat. Dieser Untersuchung hat der Kläger sich nach dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unstreitig gewordenen Vortrag der Parteien nur unterzogen, um nach einer von den Beklagten inzwischen ausgesprochenen fristlosen Kündigung weiterbeschäftigt zu werden. Den tariflichen Anspruch, den die Beklagten in dem vorliegenden Verfahren weiterhin erheben, hat der Kläger dadurch weder erfüllt noch anerkannt.

b) Das Feststellungsinteresse besteht jedoch deshalb nicht, weil die Beklagten den Anspruch, gegen den der Feststellungsantrag des Klägers sich richtet, in Wirklichkeit nicht erheben und weil die Frage, ob der Kläger verpflichtet ist, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, bei der Entscheidung über den weiteren auf Leistung gerichteten Klageantrag als Vorfrage zu prüfen ist.

aa) Mit dem Antrag auf Feststellung, daß er nicht verpflichtet sei, sich auf Weisung der Beklagten wegen Empfindlichkeit gegen künstlichen Bühnennebel amtsärztlich untersuchen zu lassen, stellt der Kläger eine Frage zur gerichtlichen Entscheidung, die zwischen den Parteien nicht streitig ist. Die Beklagten berühmen sich nicht des Rechts feststellen zu lassen, ob der Kläger gegen künstlichen Bühnennebel empfindlich ist. Den Beklagten geht es vielmehr darum zu klären, ob der Kläger arbeitsfähig ist oder nicht; dagegen wendet der Kläger sich jedoch mit dem Feststellungsantrag nicht. Die vermeintliche Empfindlichkeit gegen Bühnennebel ist nicht allein Gegenstand des Streits zwischen den Parteien. Aus ihr leiten die Beklagten ihr Recht nicht her, sondern aus dem dadurch begründeten Verdacht auf Arbeitsunfähigkeit des Klägers. Schon in dem ersten Aufforderungsschreiben vom 10. September 1990 haben die Beklagten auf § 4 Abs. 2 TVK Bezug genommen und damit zum Ausdruck gebracht, daß sie die Arbeitsfähigkeit des Klägers überprüfen lassen wollen. Der Kläger begehrt somit die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechts, dessen die Beklagten sich ihm gegenüber nicht berühmen.

bb) Der Antrag ist aber auch deshalb unzulässig, weil die begehrte Feststellung eine Vorfrage betrifft, die bei der Entscheidung über den Antrag auf Entfernung der Abmahnung aus den Personalakten zu prüfen ist. Die Abmahnung vom 18. Oktober 1990 ist aus den Personalakten zu entfernen, wenn der Kläger bei seiner Weigerung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, nicht pflichtwidrig gehandelt hat. Bei Entscheidung über den Leistungsantrag wird somit die Frage zu prüfen sein, die der Kläger mit dem Feststellungsantrag klären lassen möchte, nämlich ob er verpflichtet ist, sich auf Verlangen der Beklagten amtsärztlich untersuchen zu lassen.

cc) Der Kläger hat auch nicht deshalb ein rechtliches Interesse an der beantragten Feststellung, weil zu erwarten ist, daß die Beklagten sich unabhängig von der Entscheidung über den Leistungsantrag weiterhin ihres Anspruchs berühmen werden. Dafür liegen keine Anhaltspunkte vor. Solche ergeben sich auch nicht daraus, daß die Beklagten den Kläger mit Schreiben vom 8. April 1991 erneut abgemahnt haben, nachdem sie am 15. Februar 1991 eine weitere vergebliche schriftliche Aufforderung an ihn gerichtet hatten. Auch diese weitere Abmahnung begründet mangels besonderer Anhaltspunkte nicht die Besorgnis, daß die Beklagten nach einem Obsiegen des Klägers im vorliegenden Leistungsprozeß weiterhin auf ihrem Anspruch bestehen würden.

II. Der auf Leistung gerichtete Klageantrag ist unzulässig, soweit der Kläger mit ihm erreichen will, daß die Beklagten die über die Abmahnung geführte Korrespondenz aus den Personalakten entfernen. Soweit der Klageanspruch auf die Entfernung der Abmahnung selbst gerichtet ist, ist er unbegründet.

1. Soweit der Kläger außer der Entfernung der Abmahnung auch die Entfernung "zugehöriger Korrespondenz" aus den Personalakten verlangt hat, entspricht sein Klageantrag nicht den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

Nach dieser Bestimmung muß die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes des erhobenen Anspruchs enthalten. Daran fehlt es hier. Der Kläger hat nicht die Schriftstücke bezeichnet, die außer der Abmahnung selbst den Personalakten entnommen werden sollen. Eine genaue Bestimmung dessen, was der Kläger unter "zugehöriger Korrespondenz" versteht, ist dem Gericht angesichts der Vielzahl der gewechselten Schreiben auch nicht durch Heranziehung der Klagebegründung möglich. Der Kläger hat nicht vorgetragen, welche Schreiben im einzelnen zu den Personalakten genommen wurden. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sah sich der Kläger nicht in der Lage, auf einen gerichtlichen Hinweis seinen Vortrag in diesem Punkt zu konkretisieren.

2. Auf die Entfernung der Abmahnung hat der Kläger keinen Anspruch. a)Soweit der Kläger in dem in der Revisionsinstanz gestellten Klageantrag als Datum der Abmahnung den 8. Oktober 1990 bezeichnet, beruht dies auf einem Versehen. Der Kläger meint in Wirklichkeit den 18. Oktober 1990. Dies hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt. Gegenstand der Klage ist somit wie in den Vorinstanzen die Abmahnung, die dem Kläger unter diesem Datum erteilt wurde und nicht etwa die weitere Abmahnung vom 8. April 1991, die bisher nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits war.

b) Der Kläger kann von den Beklagten nicht verlangen, die Abmahnung vom 18. Oktober 1990 aus den Personalakten zu entfernen.

Der Arbeitnehmer hat gegen den Arbeitgeber in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB einen Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus den Personalakten, wenn die Abmahnung unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, die den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung und seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigen können (dazu grundlegend BAGE 50, 202, 206 f. = AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu I 3 a und b der Gründe sowie BAGE 50, 362, 367 = AP Nr. 96 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu B I 2 der Gründe; Senatsurteil vom 13. Oktober 1988 - 6 AZR 144/85 - AP Nr. 4 zu § 611 BGB Abmahnung; Senatsurteil vom 16. November 1989, BAGE 63, 240, 243 = AP Nr. 2 zu § 13 BAT).

aa) Die Abmahnung ist in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Das Fehlverhalten des Klägers ist im Schreiben vom 18. Oktober 1990 hinreichend genau bezeichnet. Außerdem werden dem Kläger für den Wiederholungsfall arbeitsrechtliche Konsequenzen ("Beendigung des Arbeitsverhältnisses") angedroht. Das Schreiben ist vom Geschäftsführer der VSB und damit von einer abmahnungsberechtigten Person unterzeichnet. Darauf, daß der Generalmusikdirektor nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit Schreiben vom 18. Dezember 1990 dem Kläger mitgeteilt hat, er ziehe seine Unterschrift nachträglich zurück, kommt es nicht an. Es ist weder festgestellt noch vorgetragen, daß im Betrieb der VSB eine Abmahnung, um wirksam zu sein, der weiteren Unterschrift des Generalmusikdirektors bedarf. Vor Aufnahme des Abmahnungsschreibens in die Personalakten wurde dem Kläger gemäß § 10 Abs. 2 TVK Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Betriebsrat war entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu beteiligen, da eine Abmahnung keine mitbestimmungspflichtige Betriebsbuße darstellt (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BAGE 63, 169, 178 = AP Nr. 12 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu II 3 b der Gründe).

bb) Die Abmahnung ist in der Sache zu Recht erfolgt. Der Kläger handelte pflichtwidrig, als er der Aufforderung der Beklagten nicht nachkam. Die Beklagten hatten aufgrund der ärztlichen Bescheinigung vom 9. Februar 1990 Veranlassung, an der Arbeitsfähigkeit des Klägers zu zweifeln. Die Beklagten machten von ihrer tarifvertraglich geregelten Befugnis nicht willkürlich Gebrauch. Dies hat das Berufungsgericht zutreffend entschieden.

Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 TVK kann der Arbeitgeber bei gegebener Veranlassung durch einen Vertrauensarzt oder das Gesundheitsamt feststellen lassen, ob der Musiker arbeitsfähig und frei von ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten ist.

Diese Bestimmung ermächtigt den Arbeitgeber in zwei Fällen, vom Arbeitnehmer eine amtsärztliche Untersuchung zu verlangen. Entweder müssen Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Musikers bestehen oder es muß der Verdacht vorliegen, daß der Arbeitnehmer nicht frei von ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten ist. Soweit es im Tarifwortlaut heißt, der Arbeitgeber könne feststellen lassen, ob der Musiker arbeitsfähig "und" frei von ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten ist, liegt darin eine Aufzählung der beiden vorgenannten selbständigen Tatbestände, nicht aber, wie der Kläger meint, die Aufzählung von tatbestandlichen Voraussetzungen, die zusammentreffen müssen, um den Feststellungsanspruch des Arbeitgebers zu begründen.

Zuzugeben ist dem Kläger allerdings, daß der Tarifwortlaut auch die von ihm vertretene Auslegung zuläßt, wonach die amtsärztliche Untersuchung voraussetzt, daß sowohl Zweifel an der Arbeitsfähigkeit als auch daran bestehen, daß der Arbeitnehmer frei von ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten ist. In der Tat ist die entsprechende Bestimmung des § 7 Abs. 2 Satz 1 BAT, auf die der Kläger hingewiesen hat, in diesem Punkt anders gefaßt, indem sie statt des Wortes "und" das Wort "oder" enthält. Mit Recht hat allerdings das Berufungsgericht Sinn und Zweck der Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 1 TVK dafür herangezogen, daß auch dort zwei verschiedene Fälle geregelt sind, in denen der Arbeitgeber eine amtsärztliche Untersuchung des Arbeitnehmers verlangen kann.

In der ersten Alternative des § 4 Abs. 2 Satz 1 TVK soll dem Arbeitgeber das Recht zugestanden werden zu prüfen, ob der Arbeitnehmer seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachkommen kann. Hat der Arbeitgeber daran aus gegebener Veranlassung Zweifel, so soll er nach dem von den Tarifvertragsparteien zum Ausdruck gebrachten Willen feststellen dürfen, ob diese Zweifel begründet sind. Zur Veranlassung einer solchen Untersuchung kann der Arbeitgeber bereits verpflichtet sein, ohne daß es auf eine tarifliche Regelung ankommt. Je nach den Umständen des Falles kann sich die Untersuchungspflicht des Arbeitgebers schon allein aus seiner Fürsorgepflicht ergeben (vgl. BAG Urteil vom 21. Juni 1978 - 4 AZR 816/76 - AP Nr. 3 zu § 25 BAT).

Demgegenüber dient die Untersuchung gemäß der zweiten Alternative des § 4 Abs. 2 TVK auch dem Schutz Dritter. Insbesondere Arbeitskollegen, aber auch betriebsfremde Dritte, sollen dadurch vor ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten geschützt werden. Ob diese Krankheiten auch eine Arbeitsunfähigkeit ihres Trägers ausgelöst haben, ist im Hinblick auf den Schutzzweck der Regelung unerheblich. Ein Arbeitnehmer, der an einer ansteckenden oder ekelerregenden Krankheit leidet, kann arbeitsfähig oder arbeitsunfähig sein. Um Mitarbeiter und Dritte wirksam schützen zu können, ist die Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung in beiden Fällen erforderlich und sinnvoll. Die vom Kläger vertretene Auslegung, wonach der Feststellungsanspruch des Arbeitgebers nach § 4 Abs. 2 TVK voraussetzt, daß bei dem Arbeitnehmer sowohl der Verdacht auf Arbeitsunfähigkeit als auch auf eine ekelerregende oder ansteckende Krankheit besteht, ergibt keinen Sinn. Sie erklärt nicht, warum einerseits der Schutz Dritter vor ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten erst greifen soll, wenn der Träger der Krankheit arbeitsunfähig ist, und warum andererseits einem Verdacht auf Arbeitsunfähigkeit nur soll nachgegangen werden dürfen, wenn bestimmte Krankheiten, nämlich ansteckende oder ekelerregende, ursächlich sind. Die Auslegung des Senats entspricht demgegenüber dem Grundsatz, wonach im Zweifel der Tarifauslegung der Vorzug gegeben werden muß, die zu einer vernünftigen, gerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung, m.w.N.). Dies ist hier allein die Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift, die auch das Berufungsgericht mit Recht gewählt hat.

Die Beklagten hatten Veranlassung, an der Arbeitsfähigkeit des Klägers zu zweifeln. Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß durch die von den Beklagten gewünschte Untersuchung geklärt werden sollte, ob der Kläger für bestimmte Arbeitseinsätze, nämlich Vorstellungen mit chemischer Nebelerzeugung, arbeitsfähig ist. Die Beklagten mußten aufgrund der ärztlichen Bescheinigung vom 9. Februar 1990 hieran zweifeln.

Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers brachte die Bescheinigung selbst diese Klärung nicht. Soweit in ihr ausgeführt ist, daß eine beiderseitige Irritation der Nasennebenhöhlen in Form von immer wiederkehrenden Entzündungen bestehe, die "wahrscheinlich" mit nebelartigen Dämpfen und Staubteilchen während einer Vorstellung zusammenhänge, begründete dies nur eine Vermutung, nicht jedoch den Nachweis dafür, daß der Bühnennebel tatsächlich die Beschwerden des Klägers verursachte. Es war nicht auszuschließen, daß die Irritation auch andere vom Kläger selbst nicht in Betracht gezogene Ursachen hatte. Da der Kläger arbeitsvertraglich verpflichtet ist, an allen Vorstellungen teilzunehmen, d.h. auch an solchen mit Bühnennebel, hatten die Beklagten Veranlassung festzustellen, ob der Kläger aufgrund seiner körperlichen Verfassung Bühnennebel verträgt und damit in vollem Umfang arbeitsfähig ist.

Dafür, daß das Verlangen der Beklagten nach einer amtsärztlichen Untersuchung des Klägers willkürlich im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 2 TVK war, bestehen keine Anhaltspunkte.

III. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Dr. Peifer Dr. Armbrüster Dr. Lipke

Fohrmann Schmidt

 

Fundstellen

Haufe-Index 440686

BAGE 70, 364-373 (LT1-2)

BAGE, 364

DB 1992, 2449-2450 (LT1-2)

EEK, I/1096 (ST1-3)

NZA 1993, 81

NZA 1993, 81-83 (LT1-2)

RdA 1992, 352

AP § 611 BGB Musiker (LT1-2), Nr 21

AR-Blattei, ES 1030 Nr 55 (LT1-2)

PersV 1993, 417 (L)

ZUM 1994, 57-60 (LT1-2)

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