Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankheitsbedingte Kündigung

 

Orientierungssatz

1. Im Zeitpunkt der Kündigung müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die ernste Besorgnis weiterer Erkrankungen rechtfertigen.

2. Die prognostizierten Kurzerkrankungen müssen zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen.

a. Die außergewöhnlich hohe Belastung durch Lohnfortzahlungskosten kann im Ausnahmefall zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung betrieblicher Interessen werden.

b. Die Möglichkeit der Einstellung von Aushilfskräften ist bei Kurzerkrankungen gegenüber langanhaltenden Arbeitsunfähigkeitszeiten eingeschränkt.

3. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können zunächst für einen entsprechenden Krankheitsverlauf in der Zukunft sprechen. Den Arbeitnehmer trifft dann nach § 138 Abs 2 ZPO eine prozessuale Mitwirkungspflicht, näher dar zulegen, weshalb die Besorgnis weiterer Kurzerkrankungen unberechtigt sei soll. Sind ihm Krankheitsbefund und vermutliche Entwicklung selbst nicht bekannt, dann genügt der Arbeitnehmer seiner Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er die Behauptung des Arbeitgebers bestreitet und die Ärzte von der Schweigepflicht entbindet, die ihn behandelt haben. (Vergleiche BAG vom 25.11.1982 - 2 AZR 140/81 = BAGE 40, 361; BAG vom 23.6.1983 - 2 AZR 15/82 = BAGE 43, 129; BAG vom 15.2.1984 - 2 AZR 573/82 = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr 15).

 

Normenkette

ZPO §§ 139, 286, 138 Abs. 2; BGB § 620 Abs. 2; KSchG § 1 Abs. 2 S. 4 Fassung 1969-08-25

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 08.11.1983; Aktenzeichen 13 Sa 46/83)

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 03.02.1983; Aktenzeichen 17 Ca 211/82)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 28. April 1982 zum 31. Mai 1982.

Die zum Zeitpunkt der Kündigung 44 Jahre alte geschiedene Klägerin war seit dem 9. Juni 1976 bei der Beklagten als Produktionshelferin bei einem Stundenlohn von zuletzt 13,-- DM brutto beschäftigt. Bei der Beklagten, die Artikel für den Bürobedarf herstellt, arbeiten etwa 800 Mitarbeiter, davon etwa 600 gewerbliche Arbeitnehmer.

Die Beklagte kündigte der Klägerin nach Anhörung des Betriebsrates mit Schreiben vom 28. April 1982, das der Klägerin am 29. April 1982 zuging, zum 31. Mai 1982. Die Kündigung wurde von der Beklagten mit häufigen und lang anhaltenden krankheitsbedingten Fehlzeiten begründet. Die Klägerin war während folgender Zeiten arbeitsunfähig krankgeschrieben:

vom 14. Juli 1976 - 19. Juli 1976

vom 22. Juli 1976 - 31. Juli 1976

vom 8. Dezember 1976 - 15. Februar 1977

vom 21. März 1977 - 27. März 1977

vom 11. Juli 1977 - 16. Juli 1977

vom 6. September 1977 - 8. Oktober 1977

vom 23. Januar 1978 - 12. Februar 1978

vom 20. April 1978 - 25. April 1978

vom 10. Juli 1978 - 20. August 1978

vom 4. Dezember 1978 - 17. Dezember 1978

vom 25. Januar 1979 - 26. Januar 1979

vom 22. März 1979 - 13. Mai 1979

vom 23. August 1979 - 12. Oktober 1979

vom 14. Februar 1980 - 12. April 1980

vom 17. September 1980 - 28. September 1980

vom 11. Dezember 1980 - 12. Dezember 1980

vom 14. Januar 1981 - 8. März 1981

vom 4. Juni 1981 - 13. Juni 1981

vom 5. Oktober 1981 - 30. Oktober 1981

vom 18. Dezember 1981 - 29. Dezember 1981

vom 4. Januar 1982 - 6. Februar 1982

vom 11. Februar 1982 - 15. März 1982

Am 28. Januar 1982 wurde die Klägerin zur sozialmedizinischen Untersuchung geladen, bei der die Arbeitsfähigkeit ab dem 8. Februar 1982 festgestellt wurde. Am 11. Februar 1982 wurde die Klägerin wiederum krankgeschrieben. Der Anordnung einer sozialmedizinischen Untersuchung am 9. März 1982 kam die Klägerin nicht nach. Sie nahm vielmehr am 10. März 1982 die Arbeit bei der Beklagten wieder auf. Ihren Angaben zufolge war die Klägerin mit Ausnahme der Erkrankung vom 18. Dezember 1981 bis 29. Dezember 1981 jeweils wegen Beschwerden an der Halswirbelsäule, wegen Herzbeschwerden und Bronchitis arbeitsunfähig krankgeschrieben. Während der genannten Dauer der Frist vom 30. April bis 31. Mai 1982 war die Klägerin erneut arbeitsunfähig krank.

Die Klägerin war in der Abteilung Register beschäftigt. Sie war an einem Einzelarbeitsplatz mit sitzender Tätigkeit eingesetzt. Ihre Tätigkeit bestand darin, Register mit sogenannten Taps zu verstärken. Der Arbeitsplatz der Klägerin mußte stets besetzt sein. Während der Krankheitszeiten der Klägerin wurden jeweils Arbeitnehmerinnen aus anderen Abteilungen auf den Arbeitsplatz der Klägerin versetzt. Die Beklagte hatte für krankheitsbedingte und unentschuldigte Fehlzeiten 17 % Personalreserve eingeplant. In der Abteilung der Klägerin schwankten die Fehlzeiten der letzten Jahre zwischen 10 % und 21 %. Seit März 1977 leistete die Beklagte an die Klägerin Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle für insgesamt 34.198,03 DM.

Die Klägerin ist der Auffassung, ihre krankheitsbedingten Fehlzeiten seien nicht außergewöhnlich hoch und hätten keine unzumutbare betriebliche Störung verursacht. Aus den bisherigen krankheitsbedingten Fehlzeiten lasse sich nicht der Schluß ziehen, sie werde auch zukünftig in ähnlich hohem Maße krankheitsbedingt ausfallen. Die von der Beklagten behaupteten Produktionsstörungen könnten schon deshalb nicht vorgelegen haben, weil dem Vortrag der Beklagten zufolge bei Erkrankungen jeweils Arbeitnehmer aus anderen Abteilungen abgezogen und auf ihrem Arbeitsplatz eingesetzt worden seien. Offenbar habe die Beklagte ihren Arbeitsausfall durch entsprechende organisatorische Maßnahmen innerbetrieblich ausgleichen können. Dies seien ganz typische Überbrückungsmaßnahmen, die dem Arbeitgeber bis hin zur Einstellung einer Aushilfskraft zugemutet werden könnten. Es sei nicht zwingend erforderlich gewesen, während der krankheitsbedingten Fehlzeiten Arbeitnehmer aus anderen Abteilungen abzuziehen; die Beklagte hätte auch kurzfristig Beschäftigte mit Zeit- und Zweckbefristung einstellen können.

Die Klägerin hat beantragt

1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen

den Parteien durch die von der Beklagten am

28. April 1982 ausgesprochene ordentliche Kündi-

gung zum 31. Mai 1982 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den

bisherigen Arbeitsbedingungen weiter zu beschäf-

tigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, aufgrund der Erkrankungen der Klägerin in der Vergangenheit bestünde die Besorgnis weiterer krankheitsbedingter Ausfälle in der Zukunft. Durch die Fehlzeiten sei der betriebliche Ablauf erheblich erschwert worden. Die Einstellung einer Ersatzkraft nur für die Ausfallzeiten der Klägerin sei deshalb nicht in Betracht gekommen, weil die Klägerin jeweils nach einigen Wochen Krankheit zwar einige Wochen gearbeitet habe, dann aber erneut wegen Krankheit gefehlt habe. Bei den relativ kurzfristigen und immer wechselnden Krankheiten sei regelmäßig ein neuer Lohnfortzahlungsanspruch entstanden, der zu einer erheblichen finanziellen Belastung der Beklagten durch die Krankheiten der Klägerin geführt habe. Würde man im vorliegenden Fall das Recht zur Kündigung ausschließen, dann würde dies bedeuten, daß ein Arbeitsplatz fast mit zwei Arbeitskräften besetzt sein müßte. Infolge der in den Jahren 1981 und 1982 sich häufenden Fehlzeiten sei der Arbeitseinsatz der Klägerin nicht mehr planbar gewesen. Die Klägerin habe eine Schlüsselposition eingenommen, die jederzeit habe besetzt sein müssen. Durch den Abzug von Arbeitskräften aus anderen Abteilungen und deren Einsatz auf dem Arbeitsplatz der Klägerin sei es in deren Abteilungen zu Produktionsstörungen gekommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Die Beklagte sei ihrer Darlegungspflicht hinsichtlich der negativen Gesundheitsprognose nachgekommen, indem sie die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin aus der Vergangenheit mitgeteilt habe. Aus diesen krankheitsbedingten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit habe die Beklagte auf ein entsprechendes Erscheinungsbild in der Zukunft schließen dürfen. Die Klägerin hätte nunmehr diese Wiederholungsgefahr widerlegen müssen. Sie habe dargelegt, mit Ausnahme einer Erkrankung seien Ursache für die Fehlzeiten Beschwerden an der Halswirbelsäule, Herzbeschwerden und Bronchitis gewesen. Damit habe die Klägerin die Prognose der Beklagten bestätigt. Aus der Tatsache, daß die Beklagte seit Oktober 1981 bei den vielen und zum Teil langen Arbeitsunfähigkeitszeiten stets mit Lohnfortzahlung in Anspruch genommen worden sei, ergebe sich ebenfalls, daß die Klägerin an stets wechselnden Krankheiten gelitten habe. Auch ohne Vernehmung des die Klägerin behandelnden Arztes sei das Gericht in der Lage zu beurteilen, daß die seit 1976 aufgetretenen Erkrankungen zum Zeitpunkt der Kündigung nicht plötzlich ausgeheilt gewesen seien. Bei den genannten Krankheiten könnten Wiederholungserkrankungen nicht ausgeschlossen werden. Die Klägerin hätte den Beweis führen können, die Beschwerden seien ausgeheilt, sie habe aber noch nicht einmal eine entsprechende Behauptung aufgestellt. Die Beklagte sei nicht darlegungs- oder beweispflichtig dafür, daß die über Jahre sich hinziehenden Beschwerden nicht ausgeheilt seien. Im Rahmen der Interessenabwägung sei zu prüfen, ob dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der sozialen Lage des Arbeitnehmers und der betrieblichen bzw. wirtschaftlichen Belange des Arbeitgebers die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses noch zugemutet werden könne. Aufgrund der Darlegung der Beklagten, die als Großbetrieb zu umfangreichen organisatorischen Maßnahmen gegen Störungen des Betriebsablaufs genötigt sei, stehe für das Gericht fest, daß der sich häufig wiederholende und überraschend eintretende Ausfall der Klägerin zu erheblichen Störungen des Betriebsablaufs geführt habe. Insbesondere hätten andere Arbeitnehmer aus anderen Abteilungen auf den Arbeitsplatz der Klägerin, die am Band gearbeitet habe, versetzt werden müssen. Die Folge sei gewesen, daß deren Arbeit liegen geblieben sei. Die Einstellung einer Ersatzkraft sei wegen der unerwartet auftretenden Fehlzeiten nicht möglich gewesen. Eine Weiterbeschäftigung der Klägerin hätte bedeutet, daß der Arbeitsplatz praktisch zweimal hätte besetzt werden müssen. Hinzu sei eine wirtschaftliche Belastung der Beklagten mit 29.396,67 DM Lohnfortzahlungskosten seit März 1977 zuzüglich 4.801,36 DM für Sozialversicherung gekommen. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Klägerin wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes erhebliche Schwierigkeiten habe, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, falle die Interessenabwägung insgesamt zugunsten der Beklagten aus, weil diese die vom ersten Jahr der Betriebszugehörigkeit aufgetretenen Arbeitsunfähigkeitszeiten lange hingenommen und der Klägerin entgegen gekommen sei.

B. Den Ausführungen des Berufungsgerichts wird im Ergebnis, wenn auch nicht in allen Teilen der Begründung gefolgt.

I. 1. Die Revision rügt, daß die Lohnfortzahlungskosten im Tatbestand des angefochtenen Urteils als unstreitig wiedergegeben worden sind, obwohl die Beklagte eine Aufstellung der Lohnfortzahlungskosten erst in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vorgelegt und der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin es abgelehnt habe, sich zur Höhe der Lohnfortzahlungskosten einzulassen.

a) Soweit die Beklagte der Auffassung ist, § 139 ZPO sei verletzt, weil das Berufungsgericht zumindest verpflichtet gewesen sei, auf eine Klarstellung dessen zu drängen, was der Klägervertreter mit der Erklärung gemeint habe, sich nicht einlassen zu wollen, kann diese Rüge keinen Erfolg haben, weil der Klägervertreter keinen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt hat und auch nicht dargelegt hat, was er denn im Falle einer Aufklärung vorgetragen hätte (vgl. BAG Urteil vom 23. Februar 1962 - 1 AZR 49/61 - AP Nr. 8 zu § 322 ZPO).

b) Die Ansicht der Revision, das Urteil des Berufungsgerichts sei aufzuheben, weil es § 67 Abs. 2 ArbGG verletze, ist rechtsirrig. Die Zulassung verspäteten Vorbringens ist nach allgemeiner Meinung (BAG Urteil vom 20. April 1983 - 4 AZR 497/80 - AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II, m.w.N. und Grunsky, ArbGG, 4. Aufl., § 67 Rz 12) unanfechtbar, weil die sonst notwendige Aufhebung und Zurückverweisung der von § 67 ArbGG angestrebten Prozeßbeschleunigung zuwiderliefe.

2. Die Revision rügt des weiteren, das Berufungsgericht habe die von der Beklagten behaupteten und von der Klägerin in dieser Höhe bestrittenen Krankheitsperioden durch Vorlage der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für bewiesen gehalten, obwohl die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in keinem Schriftsatz des Beklagtenvertreters angekündigt gewesen sei und er, der Klägervertreter, keine Fotokopie der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erhalten habe noch ihm die Einsichtnahme angeboten worden sei. Da § 131 ZPO somit nicht beachtet sei, habe das Landesarbeitsgericht die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch nicht verwerten dürfen.

Auch diese Rügen greifen nicht durch.

a) Richtig ist, daß das Landesarbeitsgericht vorliegend gegen § 131 ZPO verstoßen hat. Deshalb ist das Urteil aber noch nicht aufzuheben. Eine Verletzung von § 131 ZPO hat vielmehr dieselben Rechtsfolgen wie ein Verstoß gegen § 129 ZPO (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 43. Aufl., § 131 Anm. 1; Zöller/Stephan, ZPO, 14. Aufl., § 131 Rz 1). Danach ist aber in einem solchen Falle nur die Bestimmung einer Erklärungsfrist zulässig, es k a n n auch gemäß § 296 Abs. 2 ZPO das Beweismittel als verspätet zurückgewiesen werden. Beides ist indessen nicht geschehen.

b) Die Aufklärungsrüge nach § 139 ZPO kann deshalb keinen Erfolg haben, weil das Landesarbeitsgericht die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit als unstreitig behandelt hat. Das durfte es auch tun, weil es nur die Arbeitsunfähigkeitszeiten im unstreitigen Teil des Tatbestands aufgeführt hat, die bereits im unstreitigen Teil des Tatbestands des arbeitsgerichtlichen Urteils erwähnt werden, dieser Tatbestand aber weder mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag angegriffen worden ist noch die Parteien im Berufungsverfahren nach eigenem Vortrag der Klägerin über die Dauer der Arbeitsunfähigkeitszeiten gestritten haben.

3. Die im unstreitigen Teil des Tatbestands festgestellten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit entsprechen jenen, die sich aus den den Akten beigefügten Fotokopien der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ergeben. Auf Seite 10 der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils ist auf dieser Grundlage nur ausgerechnet worden, an wieviel A r b e i t s tagen die Klägerin in den letzten drei Jahren gefehlt hat. Eine Differenz zu den von der Revision für richtig gehaltenen Zahlen ergibt sich für das Jahr 1982 nur deshalb, weil das Berufungsgericht bei der Berechnung die Ausfallzeiten bis zum Ausscheiden berücksichtigt und dies auch kenntlich gemacht hat. Da es selber ausgeführt hat, entscheidend seien die objektiven Anhaltspunkte zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs für die Beurteilung, ob eine Kündigung sozial gerechtfertigt sei, kann nicht angenommen werden, daß es die Tage der Arbeitsunfähigkeit während der Kündigungsfrist zu Lasten der Klägerin verwertet hat. Dies hat die Revision auch nicht gerügt.

Selbst wenn aber dem Berufungsgericht für die Jahre 1980 und 1981 bei der Umrechnung ein Rechenfehler von ein bzw. zwei Tagen unterlaufen sein sollte, würde das Urteil hierauf nicht beruhen. Das Landesarbeitsgericht hat nämlich den Nachweis der negativen Gesundheitsprognose nicht mit einer bestimmten Anzahl von Fehltagen begründet. Es hat vielmehr daraus, daß drei Grundleiden in den letzten drei Jahren immer wieder zu Fehlzeiten geführt hatten, geschlossen, daran ändere sich auch für die Zukunft nichts. Dieser Rückschluß wird nicht davon beeinflußt, ob die Klägerin bisher drei Tage länger oder weniger gefehlt hat.

4. Das Berufungsgericht ist auch ohne Rechtsfehler von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen.

a) Allerdings sind die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur abgestuften Darlegungs- und Beweislast zumindest mißverständlich. Nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG hat der Arbeitgeber die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen. Dazu gehören auch die Umstände, aus denen sich ergeben soll, daß in Zukunft auf nicht absehbare Zeit mit erheblichen Ausfallzeiten infolge Krankheit zu rechnen ist. Weil Ausfallzeiten in der Vergangenheit für ein entsprechendes Erscheinungsbild in der Zukunft sprechen können und der Arbeitgeber nicht gehalten ist, von vornherein auf alle denkbaren Erwiderungen des Arbeitnehmers einzugehen, kann er sich zunächst darauf beschränken, die Indizwirkung entfaltenden Fehlzeiten in der Vergangenheit darzulegen (BAG 29, 49; 40, 361; 43, 129). Daraufhin muß der Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO dartun, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist. Aufgrund dieser prozessualen Mitwirkung des Arbeitnehmers soll der Arbeitgeber die Möglichkeit erhalten, trotz der ärztlichen Schweigepflicht Beweis anzubieten. Hat der Arbeitnehmer seiner prozessualen Mitwirkungspflicht genügt, hat der Arbeitgeber - sofern erforderlich - zu beweisen, daß in Zukunft mit ähnlich hohen Fehlzeiten wie in der Vergangenheit zu rechnen ist. Ist die Beklagte also beweispflichtig für die Wiederholungsgefahr, hätte das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft gehandelt, wenn es aufgrund eines Antrages der Klägerin darüber Beweis erhoben hätte, ob in Zukunft nicht mit ähnlich hohen Fehlzeiten zu rechnen wäre wie in der Vergangenheit.

b) Vorliegend hat die Beklagte einen entsprechenden Beweis nur deshalb nicht führen müssen, weil sich die Richtigkeit ihrer Behauptung bereits aus der Einlassung der Klägerin ergibt. Hätte diese beispielsweise behauptet, die drei Grundkrankheiten seien ausgeheilt, hätte die Beklagte entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts sehr wohl beweisen müssen, daß die Krankheiten zum Zeitpunkt der Kündigung nicht ausgeheilt waren und deshalb auch künftig mit entsprechenden Ausfallzeiten zu rechnen sei.

Zwar sprechen die Formulierungen, "Die Klägerin hätte den Beweis führen können", sie "hat die....Prognose nicht entkräftet", "Die Beklagte ist weder darlegungs- noch beweispflichtig dafür, daß die ... Beschwerden nicht ausgeheilt seien", dafür, daß das Berufungsgericht die Beweislast vorliegend verkannt hat. Das Urteil ist aber trotzdem nicht aufzuheben, weil es auf diesem Fehler nicht beruht, sondern die Prognose aufgrund der Einlassung der Klägerin sich als zutreffend erweist.

c) Die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe den einzigen Beweisantrag der Klägerin übergangen, ist noch aus einem weiteren Grunde erfolglos: Soweit der behandelnde Arzt bestätigen sollte, die Klägerin habe ausschließlich wegen der von ihr genannten drei Grundbeschwerden gefehlt, hat das Berufungsgericht diese Behauptung seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Die von der Revision wiedergegebene Behauptung, aus medizinischer Sicht sei n i c h t z w i n g e n d, daß in Zukunft mit weiteren Erkrankungen in ä h n l i c h e m Umfange zu rechnen sei, findet sich im Schriftsatz der Klägerin vom 29. Juli 1982 nicht. Dort hatte die Klägerin vielmehr behauptet, die Zahl der Ausfalltage sei im Jahre 1982 gegenüber 1981 um ein Drittel gesunken; dabei hat sie allerdings die Fehltage des gesamten Jahres 1981 denen des Jahres 1982 nur bis zum Zugang der Kündigung am 29. April 1982 gegenübergestellt und hieraus den Schluß gezogen, die Ausfallzeiten müßten in Zukunft nicht kontinuierlich die Höhe vergangener Jahre erreichen oder übertreffen. Selbst wenn der angebotene Zeuge die Schlußfolgerung der Klägerin bestätigt hätte, würde dieses Ergebnis nicht gegen eine negative Prognose sprechen. Angesichts der drei chronischen Grundkrankheiten kann dafür nämlich nicht ausschlaggebend sein, ob diese in Zukunft k o n t i n u i e r l i c h die Fehlzeiten der vergangenen Jahre erreichen oder sogar übertreffen.

5. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landesarbeitsgericht auch nicht § 286 ZPO verletzt, indem es sich ärztliche Sachkunde "angemaßt" hat.

Die Klägerin hat selbst mitgeteilt, bis auf eine Ausnahme beruhten alle krankheitsbedingten Fehltage auf den drei Grundleiden der Halswirbelsäulenerkrankung, Herzbeschwerden und Bronchitis. Die Klägerin hat damit dargelegt, die Fehlzeiten beruhten auf drei chronischen Erkrankungen. Der erkennende Senat hat zwar im Urteil vom 25. November 1982 und 23. Juni 1983 (BAG 40, 361 und 43, 129) mit ausführlicher Begründung ausgeführt, an die prozessuale Mitwirkungspflicht der Arbeitnehmerin dürften nicht allzu strenge Anforderungen gestellt werden. Deshalb genüge sie ihr bei unzureichender Aufklärung schon, wenn sie die Behauptung der Arbeitgeberseite bestreite und ihre Ärzte von der Schweigepflicht entbinde (BAG Urteil vom 23. Juni 1983, BAG 43, 129). Vorliegend hat die Klägerin aber ihre chronischen Erkrankungen gekannt. Deshalb hätte sie darlegen müssen, weshalb zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung plötzlich nicht mehr mit entsprechenden Ausfallzeiten hätte gerechnet werden müssen. Erst danach hätte die Beklagte Beweis antreten müssen für ihre entgegenstehende Behauptung. Das Berufungsgericht hat wegen des Fehlens einer entgegenstehenden Einlassung der Klägerin, ohne eigene medizinische Sachkenntnis bemühen zu müssen, aufgrund der Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten in Verbindung mit den drei chronischen Erkrankungen zu dem Ergebnis kommen können, mit entsprechenden Ausfallzeiten sei auch in Zukunft zu rechnen.

6. Die Revision rügt schließlich auch zu Unrecht, das Landesarbeitsgericht habe seiner Entscheidung den Erfahrungssatz zugrunde gelegt, aus der Tatsache häufiger Erkrankungen in der Vergangenheit ergebe sich die Besorgnis häufiger Erkrankungen in der Zukunft. Das Berufungsgericht ist vielmehr zulässigerweise von dem Erfahrungssatz ausgegangen, drei chronische Krankheiten, die bis zur Kündigung jahrelang zu häufigen Fehlzeiten geführt haben, würden bei unverändertem Gesundheitszustand in Zukunft zu Ausfallzeiten in ähnlichem Ausmaß führen.

II. Auch den Ausführungen des Berufungsgerichts zur sozialen Rechtfertigung wird im Ergebnis gefolgt.

1. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung des BAG: vgl. etwa BAG 1, 99 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG und BAG 29, 49 = AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Dieser eingeschränkten Nachprüfung hält das angefochtene Urteil zwar nicht in allen Teilen der Begründung, wohl aber im Ergebnis stand.

2. Zutreffend weist die Revision daraufhin, daß nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats die betriebliche und/oder wirtschaftliche Beeinträchtigung zum Kündigungsgrund gehört (BAG 40, 361; 43, 129). Dies hat das Berufungsgericht verkannt, indem es die betriebliche Beeinträchtigung ausschließlich bei der Interessenabwägung berücksichtigt hat. Darauf kann aber die Revision nicht gestützt werden, weil es sich hier um eine rechtsdogmatische Frage handelt, die vorliegend ohne Auswirkungen auf das Ergebnis bleibt. Das Landesarbeitsgericht hat nämlich im Anschluß an die Senatsrechtsprechung den gleichen strengen Maßstab bei der Überprüfung der krankheitsbedingten Kündigung zugrunde gelegt.

a) Bei der Frage, ob bereits eingetretene und in Zukunft zu erwartende betriebliche Beeinträchtigungen eine Kündigung sozial rechtfertigen, steht dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zu. Wenn das Berufungsgericht annimmt, die häufigen und nicht vorhersehbaren Fehlzeiten der Klägerin erlaubten keine Einstellung einer Ersatzkraft, machten es aber erforderlich, jeweils eine Arbeitnehmerin aus einer anderen Abteilung abzuziehen, deren Arbeit liegenbleibe, dieser Sachverhalt sei eine erhebliche Betriebsbeeinträchtigung, mit der auch in Zukunft zu rechnen sei und von der Beklagten angesichts ihres langen rücksichtsvollen Zuwartens nicht mehr hingenommen werden müsse, so hält es sich im Rahmen dieses Beurteilungsspielraumes.

b) Richtig ist, daß bei Großunternehmen durch Ausfallzeiten eine Störung im Betriebsablauf oftmals nicht entsteht. Die größeren Betriebe wie die Beklagte sind in aller Regel so organisiert, daß es zu einer Störung im Betriebsablauf nur in Ausnahmefällen kommen kann. Daraus den Schluß zu ziehen, die Anforderungen an das Ausmaß der betrieblichen Beeinträchtigung müsse bei einer krankheitsbedingten Kündigung im Großbetrieb geringer sein als bei Kleinbetrieben ist ebenso unrichtig, wie die Annahme, die krankheitsbedingte Kündigung in einem Großbetrieb sei in den allerseltensten Fällen sozial gerechtfertigt.

c) Wie diesem Umstand Rechnung zu tragen ist, hat der erkennende Senat im Urteil vom 15. Februar 1984 (- 2 AZR 573/82 - EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 15) entschieden. Danach ist bei der Prüfung, ob eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung vorliegt, auf die Kosten des Arbeitsverhältnisses des gekündigten Arbeitnehmers abzustellen. Ob die finanziellen Belastungen dem Arbeitgeber noch zumutbar sind, hängt dabei insbesondere von der Dauer des ungestörten Bestandes des Arbeitsverhältnisses ab. Je länger ein Arbeitsverhältnis ungestört bestanden hat, desto mehr Rücksichtnahme ist vom Arbeitgeber zu erwarten. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin war von Anfang an durch krankheitsbedingte Fehlzeiten gekennzeichnet. Die Beklagte hatte seit März 1977 für die Klägerin erhebliche Aufwendungen an Lohnfortzahlungskosten, insgesamt 29.396,67 DM zuzüglich 4.801,36 DM für Sozialversicherung. Allein in den Jahren 1981 und 1982 betrugen die Lohnfortzahlungskosten 7.503,20 DM und 7.495,62 DM. Aufgrund der wechselnd auftretenden drei Grundleiden war auch in Zukunft mit entsprechend hohen Lohnfortzahlungskosten zu rechnen. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe auch unter Berücksichtigung der geringen Chancen der Klägerin, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, dies nicht länger hinnehmen müssen, ist nicht rechtsfehlerhaft. Für diese Würdigung spricht, daß die Beschwerden der Klägerin nicht durch ihre Arbeit hervorgerufen worden sind und die Beklagte erst nach sechsjährigem Zuwarten die Kündigung ausgesprochen hatte, obwohl das Arbeitsverhältnis von vornherein mit erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten belastet war. Erst als klar wurde, daß mit einer Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin nicht mehr zu rechnen war, sprach die Beklagte die Kündigung aus; diese war damit tatsächlich das letzte Mittel.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Hillebrecht Triebfürst Dr. Weller

Wellhausen Dr. Müller

 

Fundstellen

Haufe-Index 437513

RzK, I 5g Nr 12 (ST1)

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