Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingruppierung - Pädagogische Hilfskraft in Brandenburg

 

Orientierungssatz

1. Hinweise des Senats:

"Anschlußentscheidung zu den Entscheidungen des Senats vom 27. Januar 1999 (- 4 AZR 88/98 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 262 auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen - 4 AZR 79/98 -, - 4 AZR 476/97 -, - 4 AZR 532/97 -, - 4 AZR 533/97 -, - 4 AZR 566/97 -, - 4 AZR 634/97 -, - 4 AZR 668/97 -, - 4 AZR 753/97 -)."

2. In einer Förderschule für Geistigbehinderte sind die Funktionen des Unterrichts im Sinne der Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten und die Funktion der persönlichen Betreuung, Hilfestellung und Fürsorge in der praktischen Durchführung zeitlich und inhaltlich kaum zu trennen. Das führt dazu, daß auch die Lehrer im Rahmen des Unterrichts je nach den Bedürfnissen der Schüler/innen diese Funktion der persönlichen Betreuung, Hilfestellung und Fürsorge übernehmen und daß die pädagogischen Hilfskräfte im Rahmen ihrer Aufgaben auch die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten unterstützen und begleiten müssen.

 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerinnen wird das Urteil des

Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 2. April 1998 - 3 Sa 336/96

- aufgehoben, soweit es die Berufung zurückgewiesen hat.

2. Auf die Berufung der Klägerinnen wird das Urteil des

Arbeitsgerichts Frankfurt/Oder vom 13. März 1996 - 1 Ca 4206/95 -

abgeändert.

3. Es wird festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet ist,

den Klägerinnen zu 1) und zu 2) ab dem 1. Juni 1995 jeweils die

Vergütung nach Vergütungsgruppe V c BAT-O und ab dem 1. April 1996

bis zum 30. April 1999 die Vergütung nach Vergütungsgruppe V b

BAT-O zu zahlen, und zwar unter Anrechnung der ab diesem Zeitpunkt

gewährten Vergütung und zuzüglich 4 % Zinsen auf die sich jeweils

ergebenden Nettodifferenzbeträge ab der monatlichen Fälligkeit,

frühestens ab dem 16. April 1996.

4. Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten noch darüber, ob den Klägerinnen für ihre Arbeit als pädagogische Unterrichtshilfe Vergütung für Erzieherinnen nach dem BAT-O oder nur die nach Lehrer-Richtlinien-O der TdL gezahlte Vergütung für Lehrkräfte zusteht.

Die Klägerin zu 1) hat im Januar 1979 ihr Studium als Horterzieherin am Institut für Lehrerbildung in Neuzelle mit der Lehrbefähigung für die Fächer Musik und Werken abgeschlossen. Sie hat seitdem als Horterzieherin gearbeitet. Die Klägerin zu 2) hat im Juli 1980 ihr Studium als Horterzieherin ebenfalls am Institut für Lehrerbildung in Neuzelle mit der Lehrbefähigung für die Fächer Schulgarten und Werkunterricht abgeschlossen. Sie hat von 1980 bis 1989 an drei verschiedenen Einrichtungen als Erzieherin und von 1989 bis 1992 als Horterzieherin in einer Grundschule gearbeitet.

Seit dem 1. April 1992 arbeiten beide Klägerinnen in der Förderschule für Geistigbehinderte (Pestalozzi-Schule) in E, die ab dem 1. Oktober 1994 in die Trägerschaft des beklagten Landes übergegangen ist. Beide Klägerinnen sind nach der Teilnahme an einer dafür vorgesehenen Anpassungsfortbildung als Erzieherinnen staatlich anerkannt. Die Klägerinnen schlossen im Oktober 1995 für die Zeit ab dem 1. Oktober 1994 einen Anstellungsvertrag mit dem beklagten Land, wonach die Beschäftigung als pädagogische Hilfskraft und die Eingruppierung in die Vergütungsgruppe VI b vorgesehen war. § 3 der Arbeitsverträge lautete:

"Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag zur

Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifrechtliche Vorschriften -

(BAT-O) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden

Tarifverträgen in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft

deutscher Länder (TdL) jeweils geltenden Fassung. Außerdem finden

die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen

Tarifverträge Anwendung."

Die Pestalozzi-Schule ist eine Förderschule für Geistigbehinderte (zT mit Mehrfachbehinderungen) im Sinne der sonderpädagogischen Förderung (§ 75 Erstes Schulreformgesetz für das Land Brandenburg vom 28. Mai 1991 und §§ 29 ff. Brandenburgisches Schulgesetz - BbgSchulG - vom 12. April 1996). Die nähere Ausgestaltung dieser Schulform ergibt sich aus der Verordnung über Unterricht und Erziehung für junge Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf vom 30. November 1992 (Sonderpädagogik-Verordnung; GVBl II S 748) und der Verwaltungsvorschrift "Aufgaben und die Organisation der Förderschule für Geistigbehinderte" (ABl. MBJS S 300).

Die Klägerinnen haben mit ihrer am 24. November 1995 beim Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) eingegangenen Klage die Feststellung begehrt, daß das beklagte Land sie gemäß der Vergütungsgruppe V b, zumindest aber nach der Vergütungsgruppe V c BAT-O zu vergüten habe. Sie sind der Auffassung, daß sie als pädagogische Hilfskräfte an der Förderschule für Geistigbehinderte die Tätigkeiten von Erzieherinnen ausübten. Im Mittelpunkt des Unterrichts stehe nicht der übliche Lehrstoff wie Lesen, Schreiben und Rechnen, sondern die Förderung des Einzelnen bei alltäglichen Verrichtungen. Im Unterricht könne nicht zwischen erzieherischen und anderen Hilfstätigkeiten bzw. zwischen schulischen und pflegerischen Leistungen unterschieden werden. Sie arbeiteten jeweils mit einem Lehrer zusammen, wobei jeweils ein Teil der Klasse von einer Kraft betreut werde. Dabei würde der Unterricht zwar von den Lehrern geplant, aber gemeinsam durchgeführt und auch von den Klägerinnen wesentlich mit geprägt. Diese Tätigkeiten seien typische Erziehertätigkeiten, die dem Berufsbild des Erziehers entsprächen. Da alle Kinder der Pestalozzi-Schule schwerst- und mehrfachbehindert seien, liege auch eine besonders schwierige fachliche Tätigkeit vor. Die vierjährige Bewährungsfrist sei spätestens am 1. April 1996 abgelaufen.

Die Klägerinnen haben zuletzt beantragt

festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, ihnen ab

dem 1. Juni 1995 jeweils eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe

V c BAT-O und ab dem 1. April 1996 eine Vergütung nach der

Vergütungsgruppe V b BAT-O, hilfsweise nach der Vergütungsgruppe V

c BAT-O, zu gewähren, und zwar unter Anrechnung der ab diesen

Zeitpunkten gewährten Vergütung und zuzüglich 4 % Zinsen auf die

sich jeweils ergebenden Nettodifferenzbeträge ab der monatlichen

Fälligkeit, frühestens jedoch ab dem 11. Dezember 1995.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es ist der Meinung, daß die Klägerinnen weder die Eingruppierungsvoraussetzungen als Erzieherinnen nach der Anlage 1 a zum BAT-O noch die einer Lehrkraft nach den TdL-Richtlinien erfüllten. Ihre Tätigkeit beschränke sich auf die Beaufsichtigung der Schüler und die Ausübung von bestimmten Hilfsfunktionen im Rahmen des Schulbetriebes. Wegen ihrer Tätigkeit im Rahmen des Schulbetriebes könnten die Eingruppierungsmerkmale für Erzieher nicht zur Anwendung kommen, und wegen der nur unterstützenden Funktion während des Schulunterrichts könnten sie nicht als Lehrkräfte angesehen werden. Bei ihrer Tätigkeit stehe nicht die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten im Vordergrund, sondern ihre Hilfs- und Betreuungsfunktion für die behinderten Kinder. Die Klägerinnen führten nicht selbständig Unterricht durch und seien für die Vorbereitung und Planung nicht verantwortlich. Die Gesamtverantwortung für die Planung, Vorbereitung und Durchführung des Erziehungsprozesses obliege den Lehrern.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach Durchführung einer Augenscheinseinnahme unter Zurückweisung der Berufung im übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet sei, den Klägerinnen seit dem 1. Juni 1995 die Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c BAT-O zu zahlen. Die Klägerinnen begehren mit der für sie von dem Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision die Feststellung, daß das beklagte Land sie über den zuerkannten Zeitraum hinaus ab dem 1. April 1996 bis zum 30. April 1999 nach der Vergütungsgruppe V b BAT-O zu vergüten habe. Das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerinnen ist begründet.

Den Klägerinnen steht entsprechend ihrer als Eingruppierungsfeststellungsklage zulässigen Klage die begehrte Vergütung nach dem BAT-O Anlage 1 a Teil II Abschn. G (Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst) zu, und zwar ab dem 1. Juni 1995 nach der Vergütungsgruppe V c BAT-O und für die Zeit vom 1. April 1996 bis zur Beendigung ihrer Tätigkeit als pädagogische Hilfskräfte mit dem 30. April 1999 nach der Vergütungsgruppe V b BAT-O.

1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist kraft vertraglicher Vereinbarung der BAT-O anzuwenden. Der BAT-O enthält in dem Abschnitt G (Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst) die für die Klägerinnen maßgeblichen Eingruppierungsbestimmungen. Denn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Klägerinnen keine Lehrkräfte im Sinne der Richtlinien der Tarifgemeinschaft deutscher Länder über die Eingruppierung der im Angestelltenverhältnis beschäftigten Lehrkräfte (Ost) vom 22. Juni 1995 (Lehrer-Richtlinien-O der TdL), sondern in ihrer Funktion als pädagogische Hilfskräfte Angestellte im Erziehungsdienst. Dies folgt aus den Feststellungen des Berufungsgerichts unter Berücksichtigung der einschlägigen Bestimmungen für die Förderschule für Geistigbehinderte.

a) Grundlegend für den Begriff der Lehrkraft iS des § 2 Nr. 3 des Änderungstarifvertrages Nr. 1 zum BAT-O, der SR 2 l I und der Vorbemerkung Nr. 5 zu allen Vergütungsgruppen ist die Protokollnotiz zu SR 2 l I BAT, die darauf abstellt, ob die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten der Tätigkeit das Gepräge gibt. Die Vermittlung von Kenntnissen iS von theoretischem Wissen und von Fertigkeiten iS der praktischen Handhabung des Erlernten gibt der Tätigkeit das Gepräge, wenn sie für die Tätigkeit maßgebend ist (ua. BAG 27. Januar 1999 - 4 AZR 88/98 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 262 auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

b) Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Stellung der Klägerinnen als Lehrkräfte halten der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand, auch wenn es sich bei den Begriffen "Kenntnisse und Fertigkeiten" und "Gepräge" um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt, die nur eingeschränkt zu überprüfen sind. Insoweit steht dem Landesarbeitsgericht ein Beurteilungsspielraum zu, und das Revisionsgericht hat nur zu prüfen, ob das Landesarbeitsgericht von dem zutreffenden Rechtsbegriff ausgegangen ist und diesen bei der Subsumtion beibehalten hat, ob alle erheblichen Tatumstände Berücksichtigung gefunden haben und ob ihm bei der Subsumtion Verstöße gegen die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze unterlaufen sind (ständ. Rechtsprechung des BAG ua. 6. Juni 1984 - 4 AZR 218/82 - AP BAT 1975 §§ 22,23 Nr. 90).

c) Der Umstand, daß in den Lehrer-Richtlinien-O der TdL unter B III "Lehrkräfte an Sonderschulen" als Fallgruppen 11, 12 und 13 auch als pädagogische Unterrichtshilfen eingesetzte Erzieherinnen aufgeführt sind, ist für die Beurteilung des tariflichen Status der Klägerinnen als Lehrkräfte oder Erzieherinnen rechtlich nicht verbindlich. Denn diesen Richtlinien kommt kein Rechtsnormcharakter zu, weil es sich lediglich um einseitig erlassene Empfehlungen einer Tarifvertragspartei an ihre Mitglieder handelt, die von den Tarifvertragsparteien nicht zum Bestandteil der tariflichen Regelungen gemacht worden sind (BAG 20. April 1994 - 4 AZR 312/93 - BAGE 76, 264).

d) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts können die Klägerinnen auch nicht als Lehrkräfte iS des Brandenburgischen Schulgesetzes angesehen werden. Denn das Schulgesetz unterscheidet ausdrücklich zwischen den Lehrkräften gemäß § 67 BbgSchulG und dem sonstigen Schulpersonal gemäß § 68 BbgSchulG. Danach ist Lehrkraft nur, wer an einer Schule selbständig Unterricht erteilt (§ 67 Abs. 1 Satz 1 BbgSchulG); sie unterrichten und erziehen in eigener Verantwortung im Rahmen der Bildungs- und Erziehungsziele, der Rechts- und Verwaltungsvorschriften und der Beschlüsse der schulischen Gremien (§ 67 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG). Demgegenüber gehören zum sonstigen Schulpersonal, wer an der Schule tätig ist, ohne selbständig Unterricht zu erteilen (§ 68 Abs. 1 Satz 1 BbgSchulG). Dazu rechnet nicht nur das sonstige Personal zB mit erzieherischen, therapeutischen oder pflegerischen Aufgaben vorwiegend außerhalb des Unterrichts, sondern auch das sonstige pädagogische Personal, das Aufgaben im Unterricht zB an Förderschulen für Geistigbehinderte wahrnimmt, um die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten zu unterstützen.

Das Schulgesetz des beklagten Landes bestimmt somit die selbständige Unterrichtserteilung als entscheidendes Merkmal für den Status als Lehrkraft. Es genügt nicht, daß eine Person im Unterricht bei der Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten unterstützend tätig wird. Ausgehend von dieser Abgrenzung können die Klägerinnen jedenfalls nicht als Lehrkräfte angesehen werden, sondern im Hinblick auf die Unterstützung bei der Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten im Unterricht als sonstiges pädagogisches Personal oder im Hinblick auf erzieherische, therapeutische oder pflegerische Aufgaben außerhalb des Unterrichts als sonstiges Personal.

e) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts gibt die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten iS der Protokollnotiz zu SR 2 l I BAT der Tätigkeit der Klägerinnen nicht das Gepräge.

(1) Das Landesarbeitsgericht hat seine abweichende Ansicht auf die Feststellungen gestützt, daß die Klägerinnen zeitlich überwiegend mit der Betreuung von schwerstbehinderten Kindern während des Schulunterrichts einschließlich dessen Vor- und Nachbereitung beschäftigt seien und so die jeweiligen Lehrer unterrichtsbegleitend unterstützten, daß die Klägerinnen im Rahmen ihrer Tätigkeit und eingebunden in das pädagogische Gesamtkonzept der Förderschule für Geistigbehinderte auch Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelten und daß die Klägerinnen nicht nur eine Hilfs- oder Betreuungsfunktion hätten bzw. nicht nur erzieherische und pflegerische Aufgaben wahrnehmen würden, sondern im Rahmen der vollen Integration in den Unterrichtsablauf die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten unterstützten bzw. daran teilnehmen würden.

(2) Damit hat das Landesarbeitsgericht verkannt, daß es für die Begründung des Status einer Lehrkraft iS der tarifvertraglichen Regelungen nicht ausreicht, daß die Klägerinnen den Unterricht der Lehrer unterstützend begleiten und dabei auch Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, sondern, daß die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten der Tätigkeit das Gepräge geben muß. Pädagogische Unterrichtshilfen üben hinsichtlich des auf Sonder- oder Förderschulen erteilten Unterrichts nur eine unterstützende Funktion aus (BAG 27. Januar 1999 aaO).

Bei der Entscheidung darüber, ob die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten für die den Klägerinnen übertragenen Aufgaben prägend sind, müssen die inhaltlichen, strukturellen und organisatorischen Besonderheiten der Förderschule für Geistigbehinderte, die in den einschlägigen Regelungen in dem Brandenburgischen Schulgesetz, in der Sonderpädagogik-Verordnung, in der Verwaltungsvorschrift über die Aufgaben und die Organisation der Förderschule für Geistigbehinderte und in den Unterrichtsvorgaben des Landes Brandenburg für die Förderschule für Geistigbehinderte festgelegt worden sind, berücksichtigt werden. Insbesondere aus der Verwaltungsvorschrift "Aufgaben und die Organisation der Förderschule für Geistigbehinderte" wird deutlich, daß in der Förderung der Geistigbehinderten unter Aufrechterhaltung des Anspruchs einer schulischen Einrichtung die normalen Inhalte und Abläufe einer Schule weitestgehend relativiert werden zugunsten einer individuellen umfassenden Förderung und Betreuung.

In der Verwaltungsvorschrift ist ua. bestimmt:

"2. Pädagogische Grundsätze

(1) Die Förderschule für Geistigbehinderte führt die

Schülerinnen und Schüler zur Selbstverwirklichung in sozialer

Integration. Sie soll das Lernen und die soziale Eingliederung

in folgende Lebensbereiche ermöglichen:

a) Erfahren der eigenen Person und Aufbau eines

Lebenszutrauens,

b) Selbstversorgen und Beitragen zur eigenen

Existenzsicherung,

c) Zurechtfinden und angemessenes Erleben in der Umwelt,

d) Orientieren in sozialen Bezügen und Mitwirken bei ihrer

Gestaltung,

e) Erkennen und Gestalten der Sachumwelt.

(2) Der Unterricht an der Förderschule für Geistigbehinderte

umfaßt alle Lernsituationen, die sich im Klassenzimmer, im

Schulgebäude, auf dem Schulgelände und unter Aufsicht des

schulischen Personals als schulische Veranstaltung auch

außerhalb des Schulgeländes ereignen.

...

4. Didaktische Grundsätze

(1) Im Unterricht der Förderschule für Geistigbehinderte

sollen die Lernziele in einem gleichmäßig fortschreitenden und

ständig überprüften Prozeß der Annäherung verfolgt und

erreicht werden. Die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und

Lernfortschritte der Schülerinnen und Schüler machen es

notwendig, den Unterricht so zu planen und durchzuführen, daß

er den unterschiedlichen Lernbedürfnissen und Interessen durch

binnendifferenzierende Maßnahmen gerecht wird.

...

(3) Im Tagesablauf ist ein angemessener Wechsel zwischen

Lern-, Spiel-, Erholungs- und Ruhepausen erforderlich. Maßgabe

sind die Belastbarkeit, Ansprechbarkeit und Leistungsfähigkeit

der Schülerinnen und Schüler.

5. Unterrichtsorganisation

...

(7) Eine Unterteilung der Anwesenheitszeit der Schülerinnen

und Schüler in Unterricht, gestaltete Freizeit, Essenszeit,

Spiel und Betreuung wird nicht vorgenommen. Es wird davon

ausgegangen, daß ein Erreichen der Ziele und eine Durchführung

der Aufgaben dieser Schule nur in ständiger unterrichtlicher

und erzieherischer Bemühung möglich sind.

...

7. Schulisches Personal

(1) An der Förderschule für Geistigbehinderte arbeiten

Lehrkräfte für Sonderpädagogik mit einer Lehrbefähigung für

die Tätigkeit an Förderschulen für Geistigbehinderte, die von

sonderpädagogischen Fachkräften in der Tätigkeit von

Lehrkräften und weiteren pädagogischen Hilfskräften

unterstützt werden.

(2) ...

Für zwanzig Schülerinnen und Schüler wird zusätzlich eine

pädagogische Hilfskraft zur Unterstützung eingesetzt.

(3) ...

Die pädagogischen Hilfskräfte sind keine Lehrkräfte; sie

arbeiten 40 Wochenstunden.

...

(4) Die Lehrkräfte für Sonderpädagogik übernehmen die

Gesamtverantwortung für den zu erteilenden Unterricht.

..."

In diesen Regelungen zeigt sich, daß in der Förderschule für Geistigbehinderte die Funktionen des Unterrichts im Sinne der Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten und die Funktion der persönlichen Betreuung, Hilfestellung und Fürsorge in der praktischen Durchführung zeitlich und inhaltlich kaum zu trennen sind. Das führt dazu, daß auch die Lehrer im Rahmen des Unterrichts je nach den Bedürfnissen der Schüler/innen diese Funktionen der persönlichen Betreuung, Hilfestellung und Fürsorge übernehmen und daß die pädagogischen Hilfskräfte im Rahmen ihrer Aufgaben auch die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten unterstützen und begleiten müssen. Diese Vermengung der Aufgaben aufgrund der besonderen Bedürfnisse der Schüler/innen führt aber nicht dazu, daß sich die Funktionen der beteiligten Personen verändern. Trotz der Gemengelage zwischen Unterricht und Betreuung bleibt die prägende Aufgabe der Lehrer erhalten, den Unterrichtsprozeß zu planen, zu gestalten und zu evaluieren, und die prägende Aufgabe der pädagogischen Hilfskräfte, bei der Unterstützung dieses Unterrichtsprozesses die dabei notwendige ständige Betreuung zu gewährleisten. Diese auch durch die unterschiedliche Ausbildung bedingten Unterschiede in der Funktion werden nicht durch die praktische Zusammenarbeit aufgehoben, die sich aus den besonderen Bedürfnissen der Schüler/innen ergibt. Deshalb ist es für die Bewertung des tariflichen Status unerheblich, daß das Berufungsgericht bei den Beobachtungen im Rahmen der Augenscheinseinnahme keine klaren Unterschiede zwischen der Tätigkeit der Lehrkräfte und der pädagogischen Hilfskräfte hat feststellen können.

f) Die Entscheidung des Sechsten Senat vom 8. August 1996 (- 6 AZR 1013/94 - AP BAT §§ 22, 23 Lehrer Nr. 46, vgl. dazu schon BAG 27. Januar 1999 - 4 AZR 88/98 - aaO zu I 2 b dd der Gründe) steht dem nicht entgegen. Zwar ging es in dieser Entscheidung auch um eine pädagogische Unterrichtshilfe in einer Schule für Geistigbehinderte. Die Anerkennung des Status als Lehrkraft ist aber in der Entscheidung ohne nähere Begründung entsprechend der übereinstimmenden Einschätzung der Parteien erfolgt, und zwar auf der Grundlage der ausdrücklichen Feststellung des Berufungsgerichts, daß die dortige Klägerin im Rahmen des Schulbetriebes Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt.

2. Da somit die Klägerinnen nicht als Lehrkräfte im Sinne der Vorbemerkung Nr. 5 zu allen Vergütungsgruppen anzusehen sind, richtet sich ihre Eingruppierung nach der Anlage 1 a zum BAT-O, und zwar nach den Tätigkeitsmerkmalen von Teil II Abschn. G (Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst).

a) Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Senats ist zwar die Tätigkeit von Erzieher/innen entsprechend dem berufskundlichen Verständnis grundsätzlich auf außerschulische Einrichtungen beschränkt. Entsprechend den obigen Darlegungen handelt es sich bei der Förderschule für Geistigbehinderte zwar um eine Schule, aber aufgrund des umfassenden Bildungs- und Betreuungsauftrags, aufgrund des Charakters als Ganztagsschule und insbesondere aufgrund der durchgehenden Bedürfnisse der Schüler/innen nach individueller Betreuung, Pflege und Hilfestellung um eine Einrichtung, die außerschulische Aufgaben und Funktionen integriert. Gerade wegen dieser zusätzlichen Funktion und Aufgabenstellung werden pädagogische Unterrichtshilfen herangezogen. In dieser Förderschule bilden deshalb die Unterrichtsfunktion und die diese begleitende und ergänzende Betreuungsfunktion eine untrennbare Gemengelage. Hinzu kommt, daß die Klägerinnen nicht nur unterrichtsbegleitend tätig sind, sondern auch allein außerhalb der Unterrichtsstunden. Nach den vorliegenden Stunden- bzw. Einsatzplänen sind die Lehrer allenfalls in der Zeit zwischen 9.00 und 15.00 Uhr im Unterricht tätig, während die Schüler/innen bereits vorher ab 8.00 Uhr und nachher bis 16.00 Uhr präsent sind und in diesem Zeitraum ausschließlich von den pädagogischen Hilfskräften betreut werden müssen. Diese Tätigkeit jedenfalls hat eindeutig erzieherischen Charakter, weil sie sich nicht von entsprechenden Tätigkeiten in außerschulischen Einrichtungen unterscheidet und offensichtlich auch nicht mittelbar in die Unterrichtsgestaltung der Lehrkräfte einbezogen ist. Ausgehend davon erscheint es gerechtfertigt, auch die Betreuung der Schüler/innen während der Unterrichtszeit als unmittelbar erzieherische Tätigkeit anzusehen. Die Frage der Einordnung der Tätigkeit der pädagogischen Hilfskräfte in der Förderschule für Geistigbehinderte unmittelbar als erzieherische Tätigkeit iS der Tätigkeitsmerkmale von Abschn. G (Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst) braucht nicht abschließend entschieden zu werden, weil wegen des unmittelbaren Zusammenhangs der Aufgaben, ihrer Artverwandtheit und Vergleichbarkeit zumindest jedoch eine Anwendung der Tätigkeitsmerkmale für Angestellte im Erziehungsdienst im Wege der Lückenfüllung gerechtfertigt ist (zuletzt BAG 27. Januar 1999 - 4 AZR 88/98 - aaO mwN).

b) Für die tarifliche Bewertung der Klägerinnen sind demnach in jedem Fall die folgenden Tätigkeitsmerkmale der Anlage 1 a Teil II Abschn. G (Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst) BAT-O zugrunde zu legen:

"Vergütungsgruppe VI b

...

5. Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung und

entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die

aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen

entsprechende Tätigkeiten ausüben.

Hierzu Protokollnotizen Nrn. 1, 6 und 7

Vergütungsgruppe V c

...

5. Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung und

entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die

aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen

entsprechende Tätigkeiten ausüben, mit besonders schwierigen

fachlichen Tätigkeiten.

Hierzu Protokollnotizen Nrn. 1, 6, 7 und 8

Vergütungsgruppe V b

...

5. Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung und

entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die

aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen

entsprechende Tätigkeiten ausüben, mit besonders schwierigen

fachlichen Tätigkeiten, nach vierjähriger Bewährung in

Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 5.

Hierzu Protokollnotizen Nrn. 1, 6, 7 und 8

Protokollnotiz Nr. 7

Nach diesem Tätigkeitsmerkmal sind auch

a) Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen mit staatlicher

Anerkennung oder staatlicher Prüfung

b) Kinderkrankenschwestern, die in Kinderkrippen tätig sind,

eingruppiert.

Protokollnotiz Nr. 8

Besonders schwierige fachliche Tätigkeiten sind zB die

a) Tätigkeiten in Integrationsgruppen (Erziehungsgruppen,

denen besondere Aufgaben in der gemeinsamen Förderung

behinderter und nichtbehinderter Kinder zugewiesen sind) mit

einem Anteil von mindestens einem Drittel von Behinderten iSd.

§ 39 BSHG in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung,

b) Tätigkeiten in Gruppen von Behinderten iSd. § 39 BSHG oder

von Kindern oder Jugendlichen mit wesentlichen

Erziehungsschwierigkeiten,

..."

c) Das Landesarbeitsgericht hat wegen der Zuordnung der Klägerinnen zu den Lehrkräften die tarifliche Bewertung ihrer Tätigkeit nach der Anlage 1 a Teil II Abschn. G (Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst) nicht vorgenommen. Der Senat kann aber ausgehend von den vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen die Eingruppierung selbst vornehmen. Insoweit kommt es darauf an, ob mindestens die Hälfte der Arbeitszeit der Klägerinnen aus Arbeitsvorgängen besteht, die den Tätigkeitsmerkmalen der von ihnen in Anspruch genommenen Vergütungsgruppe V b der Vergütungsgruppen für Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst der Anlage 1 a zum BAT-O/BL entsprechen (§ 22 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 BAT-O).

d) Das Landesarbeitsgericht hat ausgehend von dem in ständiger Rechtsprechung entwickelten Begriff des Arbeitsvorgangs (ua. BAG 10. Dezember 1997 - 4 AZR 221/96 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 237) zu Recht angenommen, daß die gesamte Tätigkeit der Klägerinnen jeweils als ein Arbeitsvorgang im Tarifsinne anzusehen ist. Zu Recht hat es darauf abgestellt, daß das Arbeitsergebnis ihrer pflegerischen, erzieherischen oder lernunterstützenden Tätigkeit die Unterstützung der in der Förderschule geleisteten Erziehungs- und Unterrichtsarbeit sei.

e) Die Klägerinnen sind Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung und sind nach den obigen Darlegungen mit entsprechenden Tätigkeiten betraut. Die Klägerinnen erfüllen auch das Tätigkeitsmerkmal der Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 5, weil ihre Tätigkeiten besonders schwierig im Sinne der tarifvertraglichen Regelungen sind. Denn diese Voraussetzung ist in der Protokollnotiz Nr. 8 anhand von Beispielen erläutert und die Klägerinnen erfüllen das Beispiel b), weil sie in Gruppen von Behinderten im Sinne des § 39 BSHG tätig sind. Somit steht den Klägerinnen, wie von ihnen geltend gemacht, ab dem 1. Juni 1995 die Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c BAT-O zu.

f) Auf Grund des Bewährungsaufstiegs nach vier Jahren steht ihnen ab dem 1. April 1996 auch die begehrte Vergütung nach der Vergütungsgruppe V b BAT-O Fallgruppe 5 zu. Die Klägerinnen waren in ihrer Funktion als pädagogische Unterrichtshilfen seit dem 1. April 1992 tätig. Hinsichtlich der von den Klägerinnen behaupteten Bewährung hat das beklagte Land keine Einwendungen erhoben. Die Bewährung hat auch schon mit dem 1. April 1992 begonnen, obwohl die Klägerinnen nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erst mit dem 1. Dezember 1993 als Erzieherinnen anerkannt worden sind. Denn es kann davon ausgegangen werden, daß die Klägerinnen schon vor ihrer formalen Anerkennung als Erzieherinnen gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen hatten. Zum einen verfügten beide Klägerinnen über einen Abschluß des Instituts für Lehrerbildung als Horterzieherinnen, die Klägerin zu 1) mit der Lehrbefähigung für die Fächer Musik und Werken und die Klägerin zu 2) mit der Lehrbefähigung für die Fächer Schulgarten und Werkunterricht. Diese berufliche Qualifikation zusammen mit der langjährigen Tätigkeit als Horterzieherinnen rechtfertigen die Anerkennung der subjektiven Voraussetzungen der gleichwertigen Qualifikation. Im übrigen können aus der von den Klägerinnen ausgeübten Tätigkeit Rückschlüsse auf ihre Kenntnisse und Fähigkeiten gezogen werden, weil es sich bei der Tätigkeit in der Funktion einer pädagogischen Hilfskraft nicht nur um eine erzieherische Tätigkeit in einem eng begrenzten Feld handelt (vgl. dazu ua. BAG 12. Juni 1996 - 4 AZR 26/95 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 216).

g) Die Klägerinnen haben somit seit dem 1. April 1996 Anspruch auf Vergütung nach der Vergütungsgruppe V b BAT-O.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Schliemann Bott Wolter

H. Scherweit-Müller Sieger

 

Fundstellen

Haufe-Index 610948

FA 2000, 67

ZTR 2000, 371

AuA 2000, 35

NJ 2000, 23

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