Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsabgeltung im bestehenden Arbeitsverhältnis

 

Leitsatz (amtlich)

Bestimmt eine Tarifvorschrift, daß die Abgeltung des Urlaubsanspruches ausnahmsweise bei längerer Krankheit möglich ist, so entsteht der Anspruch nicht erst, wenn der Arbeitnehmer sechs Wochen und länger krank ist. Eine Krankheitsdauer von 24 Kalendertagen ist bereits als längere Krankheit i. S. der Tarifbestimmung anzusehen.

 

Normenkette

Urlaubsabkommen für die Arbeiter und Angestellten der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vom 22. Dezember 1987 (UA 88) § 2.3; Urlaubsabkommen für die Arbeiter und Angestellten der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vom 22. Dezember 1987 (UA 88) § 2.10; Urlaubsabkommen für die Arbeiter und Angestellten der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vom 22. Dezember 1987 (UA 88) § 2.11; BUrlG § 7 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 11.06.1991; Aktenzeichen 8 Sa 12/91)

ArbG Heilbronn (Urteil vom 13.02.1991; Aktenzeichen 5 Ca 21/91)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 11. Juni 1991 – 8 Sa 12/91 – aufgehoben.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 13. Februar 1991 – 5 Ca 21/91 – abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.190,42 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 29. Oktober 1990 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltung.

Der Kläger ist seit 1977 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind die Tarifverträge der Metallindustrie Nordwürttembergs/Nordbadens, unter anderem das Urlaubsabkommen für die Arbeiter und Angestellten der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vom 22. Dezember 1987 (UA 88) anzuwenden. Darin ist unter anderem bestimmt:

§ 2.3

Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs ist nicht zulässig.

Ausnahmen sind nur möglich bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses und bei längerer Krankheit. Das gleiche gilt beim Tod des Beschäftigten. Der Urlaubsanspruch, der dem Beschäftigten noch zugestanden hätte, ist gegenüber dem Ehegatten oder den unterhaltsberechtigten Angehörigen abzugelten.

§ 2.10

Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur aus persönlichen oder dringenden betrieblichen Gründen statthaft.

§ 2.11 

Der Urlaubsanspruch, der während eines Urlaubsjahres entsteht, erlischt drei Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, es sei denn, daß er erfolglos geltend gemacht wurde.

Die Parteien hatten vereinbart, daß der Kläger im Dezember 1989 seinen restlichen Tarifurlaub aus dem Jahr 1989 in Höhe von 7 Tagen erhalten solle. Dazu kam es nicht, weil der Kläger in der Zeit vom 2. Dezember 1989 bis 5. Januar 1990 arbeitsunfähig erkrankte. Im Anschluß an diese Arbeitsunfähigkeit vereinbarten die Parteien, daß der Kläger den Resturlaub aus 1989 vom 14. März 1990 an erhalten solle. Der Kläger erkrankte jedoch erneut in der Zeit vom 8. März bis 31. März 1990. Danach hat er von der Beklagten vergeblich Urlaubsabgeltung bzw. Urlaubsgewährung nach dem 31. März 1990 verlangt. Er hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.190,42 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 29. Oktober 1990 zu zahlen und

hilfsweise

festzustellen, daß dem Kläger für das Jahr 1989 noch ein zu gewährender Urlaubsanspruch in Höhe von 7 Arbeitstagen zusteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger weiter sein erstinstanzliches Klageziel. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Abgeltung seines Resturlaubs aus dem Jahr 1989 nach § 2.3 Abs. 2 UA.

1. Der Urlaubsanspruch des Klägers ist nicht am Jahresende 1989 erloschen, sondern auf das erste Quartal des folgenden Urlaubsjahres übertragen, § 2.10 UA, § 7 Abs. 3 Satz 2 BurlG. Denn krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ist ein persönlicher Grund i. S. dieser beiden Vorschriften.

2. Der übertragene Urlaub ist mit Ablauf des Übertragungszeitraums am 31. März 1989 nach § 2.11 UA und § 7 Abs. 3 Satz 3 BurlG erloschen. Für den Kläger waren 7 Arbeitstage in der Zeit ab 14. März 1990 als Urlaubszeit bestimmt worden. Der Urlaub war von diesem Tag an bis zum Ablauf des Übertragungszeitaums nicht erfüllbar, weil der Kläger vom 8. März 1990 bis 31. März 1990 arbeitsunfähig erkrankt war.

3. Der Urlaubsanspruch ist dem Kläger nicht über den 31. März 1990 erhalten geblieben, weil er ihn “erfolglos” i. S. des § 2.11 2. Halbsatz UA geltend gemacht hat. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger die Beklagte vor Beginn der Erkrankung im März 1990 nicht erfolglos gemahnt, ihm Urlaub zu gewähren.

4. Mit dem Erlöschen des Urlaubsanspruchs entsteht nach der Ausnahmevorschrift des § 2.3 UA bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses und bei längerer Krankheit ein Abgeltungsanspruch. Er tritt an die Stelle des durch Fristablauf erloschenen Urlaubsanspruchs und wird mit diesem Zeitpunkt fällig (BAG Urteil vom 26. Mai 1983 – 6 AZR 273/82 – AP Nr. 12 zu § 7 BUrlG Abgeltung; BAG Urteil vom 13. November 1986 – 8 AZR 68/83 – BAGE 53, 322 = AP Nr. 28 zu § 13 BUrlG; BAG Urteil vom 22. Oktober 1987 – 8 AZR 172/86 – BAGE 56, 265 = AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG Abgeltung; BAG Urteil vom 20. April 1989 – 8 AZR 475/87 – AP Nr. 47 zu § 7 BUrlG Abgeltung; BAG Urteil vom 25. April 1991 – 8 AZR 277/90 – n. v.).

5. Der Kläger erfüllt die Voraussetzung “bei längerer Krankheit”.

a) Die von § 2.3 UA geforderte Kausalität zwischen Krankheit und Unmöglichkeit der Erfüllung des Urlaubsanspruchs ist gegeben. Der Kläger war im Übertragungszeitraum erkrankt und hat seine Arbeitsfähigkeit vor dem 31. März nicht mehr erlangt. Deswegen war der Resturlaub nicht mehr erfüllbar.

b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war der Urlaubsanspruch des Klägers auch wegen längerer Krankheit nicht erfüllbar. Das ergibt die Auslegung der Tarifbestimmung.

Wird ein Adjektiv in einer Steigerungsform gebraucht, so soll regelmäßig eine im Vergleich zur Grundform gesteigerte Aussage getroffen werden. Danach umfaßt eine längere Krankheit einen größeren Zeitraum als die lange Krankheit. Dieses Verständnis des Tarifbegriffs hat das Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung zugrundegelegt.

In der Umgangssprache wird die komparative Form eines Adjektivs aber nicht stets als Steigerung der Grundform gebraucht, sondern als Steigerung des Adjektivs mit der gegenteiligen Bedeutung. Das zeigt das Beispiel des älteren Menschen. Obwohl älter eigentlich der Komperativ von alt ist, wird in der Umgangssprache als älterer Mensch derjenige bezeichnet, der nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt ist. Das Wort älter orientiert sich also am Adjektiv jung und ist damit umgangssprachlich der Komparativ zu dieser Aussage. Er steht zwischen jung und alt. So verhält es sich auch bei dem umstrittenen Tarifbegriff. Die Tarifvertragsparteien, die nicht in der Lage waren, einen festen Zeitraum zu bestimmen, haben den unbestimmten Begriff längere Krankheit nicht als Steigerung zu einer langen Krankheit als Anspruchsvoraussetzung gewollt. Vielmehr soll bereits eine Krankheit, die noch nicht langandauernd bestand, aber auch nicht nur kurze Zeit anhielt, anspruchsbegründend wirken.

c) Somit ist der Begriff der längeren Krankheit nicht erst dann erfüllt, wenn ein Arbeitnehmer sechs Wochen oder länger krank ist. Vielmehr ist ein Arbeitnehmer länger erkrankt i. S. des § 2.3 UA, wenn er nicht nur kurze Zeit arbeitsunfähig erkrankt war. Die Grenze zwischen einer kurzen und längeren Krankheit haben die Tarifvertragsparteien ebenfalls nicht bestimmt. Im Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob eine Kurzerkrankung nur bei einer Krankheitsdauer von drei bis sechs Tagen vorliegt. Jedenfalls kann von einer Kurzerkrankung bei einer anspruchshindernden Krankheitsdauer von 24 Kalendertagen (21 Werktagen) nicht mehr ausgegangen werden.

6. Die Auslegung entspricht auch dem mit der Ausnahmevorschrift des § 2.3 UA verfolgten Ziel. Die Tarifvertragsparteien haben die urlaubsrechtliche Stellung eines Arbeitnehmers der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden gegenüber einem Arbeitnehmer, der nur gesetzliche Urlaubsansprüche geltend machen kann, verbessern wollen. Es kann nicht angenommen werden, daß diese Vergünstigung auf den kleinen Kreis der Arbeitnehmer beschränkt werden sollte, der am Ende des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums sechs Wochen und länger krank ist. Die entsprechenden Überlegungen des Landesarbeitsgerichts, nur die Anerkennung einer mehrwöchigen Krankheit veranlaße die Arbeitnehmer, sich darum zu kümmern, daß der Urlaub jedenfalls im Übertragungszeitraum möglichst frühzeitig genommen werde, damit seine Erfüllung nicht unmöglich werde, sind unzutreffend. Das Landesarbeitsgericht verkennt, daß der Arbeitnehmer weder nach dem Bundesurlaubsgesetz noch nach dem Urlaubsabkommen verpflichtet ist, sich um seinen Urlaub zu “kümmern”. Es steht ihm frei, seinen Anspruch bis zum Ende des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums geltend zu machen oder ihn am Ende des Urlaubsjahres verfallen zu lassen.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Leinemann, Dr. Reinecke, Dörner, Dr. Gaber, Fox

 

Fundstellen

Haufe-Index 846792

NJW 1993, 1814

NZA 1993, 604

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