Entscheidungsstichwort (Thema)

Gleichbehandlung Teilzeitbeschäftigter bei der Zusatzversorgung der Deutschen Bundespost

 

Normenkette

Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) § 24; Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost (TV Ang) § 42; Versorgungstarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Bundespost § 3; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; EGVtr Art. 119; ZPO §§ 148, 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 02.11.1994; Aktenzeichen 4 Sa 851/94)

ArbG Hannover (Urteil vom 03.02.1994; Aktenzeichen 3 Ca 217/93)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 2. November 1994 – 4 Sa 851/94 – wird mit folgender Maßgabe zurückgewiesen:

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 1. November 1992 die Versorgungsleistungen zu verschaffen, die ihr zustünden, wenn sie in der Zeit vom 15. Februar 1986 bis einschließlich 31. Oktober 1991 bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP) versichert gewesen wäre.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob die Klägerin einen Anspruch auf Zusatzversorgung erworben hat.

Die am 17. Oktober 1927 geborene Klägerin ist Mitglied der Deutschen Postgewerkschaft. Sie war vom 12. Juni 1971 bis zu ihrem altersbedingten Ausscheiden am 31. Oktober 1992 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten zunächst als Arbeiterin, dann ab dem 1. Januar 1987 als Angestellte in Teilzeit beschäftigt. Die Beschäftigungszeit zwischen dem 12. Juni 1971 und dem 29. Januar 1986 war vielfach, teilweise mehrere Monate lang, unterbrochen. Längere zusammenhängende Beschäftigungszeiten als drei Monate kamen so nicht vor. Ab dem 15. Februar 1986 war die Klägerin ununterbrochen für die Rechtsvorgängerin der Beklagten tätig. Dabei war sie zunächst bis zum 31. Dezember 1986 als Arbeiterin, eingruppiert in die Lohngruppe IV, mit mehr als der Hälfte der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit beschäftigt. Ab dem 1. Januar 1987 wurde sie dann als Angestellte in der Vergütungsgruppe VII, ab dem 1. Januar 1992 in der Vergütungsgruppe VI b weiterbeschäftigt.

Nach § 24 des von der Deutschen Bundespost mit der Deutschen Postgewerkschaft abgeschlossenen Tarifvertrages für Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) und § 42 des Tarifvertrages für die Angestellten der Deutschen Bundespost (TV Ang) sind beide Arbeitnehmergruppen bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost nach Maßgabe des Versorgungstarifvertrages der Deutschen Bundespost in seiner jeweiligen Fassung zu versichern. § 3 des Versorgungstarifvertrages bestimmte vom 1. Januar 1988 bis zum 31. März 1991:

„Der Arbeitnehmer ist bei der VAP nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn

  1. er das 17. Lebensjahr vollendet hat,
  2. er vom Beginn der Pflicht zur Versicherung an bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres die Wartezeit nach der Satzung der VAP erfüllen kann, wobei frühere Zeiten, die auf die Wartezeit angerechnet werden, zu berücksichtigen sind,
  3. seine arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit mindestens 18 Stunden beträgt.”

Die bis zum 31. Dezember 1987 § 3 Buchst. c Versorgungstarifvertrag entsprechende Vorschrift des § 3 Buchst. b lautete:

„seine arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit mindestens die Hälfte der jeweils geltenden regelmäßigen Wochenarbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Arbeitnehmers beträgt.”

Seit dem 1. April 1991 gilt § 3 Buchst. c in der folgenden Fassung:

„Der Arbeitnehmer ist bei der VAP nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn

c) er in einem Arbeitsverhältnis steht, in dem er nicht nur im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB IV geringfügig beschäftigt ist.”

Die Klägerin, die lediglich zwischen dem 15. Februar und 31. Dezember 1986 bei der VAP versichert war, hat ursprünglich den Standpunkt eingenommen, sie müsse eine Zusatzversorgung erhalten, als wäre sie während ihrer gesamten Beschäftigungszeit bei der VAP versichert gewesen. Die tarifliche Regelung, die unterhälftig beschäftigte Arbeiter und Angestellte von der Zusatz versorgung ausschließe, sei nichtig.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin, beginnend ab 1. November 1992, eine monatliche Rente in der Höhe zu zahlen, die zu gewähren wäre, wenn sie in der Zeit vom 12. Juni 1971 bis zum 31. Oktober 1991 bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP) versichert gewesen wäre;

hilfsweise

festzustellen, daß die Beklagte dazu verpflichtet ist, die Klägerin für die Zeit vom 12. Juni 1971 bis 31. Oktober 1992 auf Kosten der Beklagten in einer der Höhe ihres jeweils bezogenen Gehaltes entsprechenden Weise bei der VAP nachzuversichern;

weiter hilfsweise

festzustellen, daß die Beklagte dazu verpflichtet ist, der Kläger den Schaden zu ersetzen, der der Klägerin dadurch entstanden ist, daß die Klägerin von der Beklagten in der Zeit vom 12. Juni 1971 bis einschließlich 31. Oktober 1992 nicht auf Kosten der Beklagten bei der VAP versichert wurde.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, die tarifliche Regelung habe nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Sie hat behauptet, die Erfüllung des Klagebegehrens führe zu einer für sie unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung. Die Leistung sei für sie deshalb im Rechtssinne unmöglich. Darüber hinaus seien die Ansprüche der Klägerin für die Zeit vor dem 31. Oktober 1990 verjährt.

Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag für die Beschäftigungszeit vom 15. Februar 1986 bis zum 31. Oktober 1991 entsprochen und die Klage im übrigen abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat nur die Beklagte Berufung eingelegt. Diese Berufung hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer Revision strebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage an.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Sie muß die Klägerin, was die Zusatzversorgung angeht, so stellen, als wäre die Klägerin in der noch streitigen Beschäftigungszeit bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost versichert gewesen. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend entschieden.

A. Der Senat hat davon abgesehen, das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerden gegen die Urteile des Senats vom 7. März 1995 (– 3 AZR 583/94 – und – 3 AZR 625/94 –, n.v.) auszusetzen. Die Klägerin hat ein Recht darauf, daß die Fachgerichte ihren Anspruch abschließend beurteilen. Dieses Interesse überwiegt gegenüber den Interessen der Beklagten, weitere Prozeßkosten zu ersparen. Dasselbe gilt auch, soweit eine Aussetzung des Rechtsstreits in Betracht kommt, im Hinblick auf Vorabentscheidungsersuchen mehrerer Landesarbeitsgerichte an den Europäischen Gerichtshof.

B. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Feststellung einer Verschaffungspflicht der Beklagten. Die Klägerin will nach rechtskräftiger Zurückweisung ihrer Klage im übrigen noch festgestellt wissen, daß ihr die Beklagte ab Eintritt des Versorgungsfalls – auf welchem Weg auch immer – Versorgungsleistungen verschaffen muß, als wäre sie in der Zeit vom 15. Februar 1986 bis zum 31. Oktober 1991 bei der VAP versichert gewesen. In diesem Sinne war die Entscheidung erster Instanz klarzustellen.

I. Der Feststellungsantrag ist hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die für den Inhalt des Anspruchs maßgeblichen Umstände stehen zwischen den Parteien fest. Dies gilt für den Zeitraum, sowie die Art und den Umfang der Tätigkeit, für welche die Klägerin Versorgung beansprucht.

II. Für diesen Antrag besteht das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt.

1. Bei dem von der Klägerin geltend gemachten Verschaffungsanspruch handelt es sich um ein Rechtsverhältnis i.S. des § 256 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin ist Rentnerin. Der Versorgungsfall ist eingetreten.

2. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Inhalts ihres Verschaffungsanspruchs. Dem steht nicht entgegen, daß bei der Klägerin der Versorgungsfall bereits eingetreten und deshalb eine Leistungsklage an sich möglich ist. Der Vorrang der Leistungsklage gilt nicht uneingeschränkt. Er dient der prozeßwirtschaftlich sinnvollen Erledigung von Rechtsstreitigkeiten. Deshalb ist eine Feststellungsklage trotz der an sich gegebenen Möglichkeit einer Leistungsklage dann zulässig, wenn, wie im vorliegenden Fall, auf diesem Weg eine sachgemäße, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu erreichen ist und prozeßwirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen (vgl. auch BAG Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu A III 2 b der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

C. Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte muß der Klägerin ab dem 1. November 1992 die Versorgungsleistungen in dem geforderten Umfang verschaffen. Dies folgt für die Zeit ab dem 1. Januar 1987 aus § 42 TV Ang. Der Ausschluß der unterhälftig beschäftigten Arbeitnehmer von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist insoweit unwirksam, als er die mehr als geringfügig beschäftigten Teilzeitkräfte von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ausschließt. Dies hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; Urteil vom 16. Januar 1996 – 3 AZR 767/94 – AP Nr. 222 zu Art. 3 GG; Urteil vom 12. März 1996 – 3 AZR 993/94 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen; Urteil vom 18. Juni 1996 – 3 AZR 153/95 –, n.v.). Der Senat hat dabei an seiner Rechtsprechung trotz der von der Beklagten auch im vorliegenden Rechtsstreit vorgebrachten Bedenken festgehalten. Er sieht auch weiterhin keinen Anlaß, von seiner Rechtsprechung abzuweichen.

Dabei kommt es nicht darauf an, daß die Vorinstanzen anders als der Senat in seinem Urteil vom 12. März 1996 (– 3 AZR 993/94 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) davon ausgegangen ist, daß auch der Ausschluß der geringfügig beschäftigten Teilzeitkräfte gleichheitswidrig ist. Die Klägerin war während des Streitzeitraums mehr als nur geringfügig beschäftigt.

Sie erhielt für die von ihr geleisteten 12 Wochenarbeitsstunden Vergütung nach der VergGr. VII der Anl. 3 und 5 zum TV Ang. Damit lag ihr Gehalt stets deutlich über 600,– DM im Monat und oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV, die zwischen 1987 und 1991 lediglich von 430,– auf 480,– DM gestiegen ist.

I. Die Gerichte für Arbeitssachen haben Tarifverträge daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen das Grundgesetz oder zwingendes Gesetzesrecht verstoßen. Dies wird im Senatsurteil vom 7. März 1995 (aaO) näher ausgeführt. Auf die Begründung kann der Senat Bezug nehmen.

II. Der bis zum 31. März 1991 geltende Ausschluß von mehr als geringfügig beschäftigten Teilzeitkräften wird den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG, dessen Inhalt der Senat im Urteil vom 7. März 1995 beschrieben hat, nicht gerecht. Es gibt keine sachlich einleuchtenden Gründe für eine Gruppenbildung, die allein auf den zeitlichen Umfang der Arbeit abstellt.

1. Es kommt nicht darauf an, welche Rechtsüberzeugungen während der Zeit bestanden, in der nach dem Versorgungstarifvertrag unterhälftig beschäftigte Arbeitnehmer von der Zusatzversorgung ausgeschlossen waren (Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – aaO, zu B II 2 d bb der Gründe). Der Inhalt des Art. 3 Abs. 1 GG hat sich im Laufe der Zeit nicht geändert. Deshalb hat Art. 3 Abs. 1 GG auch nicht zeitweise eine Differenzierung nach dem zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung gestattet. Zwar kann eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu einer Änderung der Beurteilung einer Rechtsfrage führen. Vorliegend haben sich aber die tatsächlichen Verhältnisse, was Teilzeitarbeit angeht, nicht entscheidend geändert. Lediglich die Zahl der Teilzeitbeschäftigten hat zugenommen. Die Rechtsfrage, wie Teilzeit arbeitsrechtlich zu ordnen ist, ist die gleiche geblieben. Von der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist die Änderung der jeweiligen Rechtsauffassung, der Wandel der Rechtserkenntnisse, zu unterscheiden. Ein solcher Wandel führt nicht zu einer Änderung der Norm. Er kann allenfalls einer Rechtsprechung entgegenstehen, welche die heutigen Vorstellungen auf Sachverhalte überträgt, die längere Zeit zurückliegen. Dies hat aber mit dem Norminhalt des Art. 3 Abs. 1 GG nichts zu tun.

2. Im übrigen verweist der Senat, was die Gruppenbildung und deren rechtliche Beurteilung betrifft, auf seine Ausführungen im Urteil vom 7. März 1995. Die Revision enthält insoweit kein neues Vorbringen.

III. Der Verstoß der tariflichen Regelung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG führt im Ergebnis zur Unwirksamkeit der Ausschlußregelung. Im übrigen sind die tarifvertraglichen Versorgungsregelungen einschließlich der den Versorgungsanspruch begründenden Grundregel des § 42 TV Ang wirksam. Die Unwirksamkeit des Ausnahmetatbestandes, der die Klägerin ausgrenzte, führt zur Anwendbarkeit der Grundregel. Auch hierzu sind keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen worden. Der Senat nimmt deshalb auf seine Ausführungen im Urteil vom 7. März 1995 Bezug.

IV. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgende Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Belastungen steht dem Verschaffungsanspruch der Klägerin nicht entgegen. Der von der Beklagten geltend gemachte Rückwirkungsschutz kann auch nicht auf Europarecht gestützt werden.

1. Ob und in welchem Umfang gegenüber Rechtsprechungsänderung Vertrauensschutz einzuräumen ist, ist unterschiedlich zu beantworten je nachdem, ob es sich um eine Änderung der Rechtsprechung oder eine Änderung der objektiven Rechtslage durch neue Gesetze handelt. Die Änderung der objektiven Rechtslage durch neue Gesetze kann nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden mit einem Wandel der Rechtsauffassungen. Jedenfalls gewinnt der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Vertrauensschutz um so größere Bedeutung, je stärker die Rechtsprechung sich der Rechtssetzung nähert, wie dies etwa im Bereich der Rechtsfortbildung der Fall ist. Umgekehrt gilt, daß jeder Richter seiner Entscheidung die Erkenntnisse zugrunde legen muß, die er hier und heute gewinnt. Auch das hat der Senat eingehend im Urteil vom 7. März 1995 dargelegt und im Urteil vom 12. März 1996 (–3 AZR 993/94 – zu C I 4 der Gründe, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) ergänzt. Hierauf wird zunächst verwiesen. Zusammengefaßt gilt, daß die Erwartung eines Arbeitgebers oder einer Tarifvertragspartei, eine Regelung sei rechtlich nicht zu beanstanden, ansonsten fehlende Sachgründe nicht ersetzen kann. Es kann dahinstehen, ob überhaupt ein schützenswertes Vertrauen darauf entstehen kann, daß die Gerichte trotz besserer Erkenntnis ihre Rechtsprechung nicht mehr für zurückliegende Zeiträume ändern. Zumindest hat eine Interessenabwägung zu erfolgen, die nicht nur Ursache und Umfang des Vertrauens in eine bestimmte Gesetzesauslegung, sondern auch den Gedanken der materiellen Gerechtigkeit zu berücksichtigen hat. Bei einer solchen Abwägung verdient das Interesse der Beklagten, von zusätzlichen Belastungen und Verwaltungsmehraufwand verschont zu bleiben, keinen Vorrang gegenüber dem Interesse der benachteiligten Arbeitnehmer an der uneingeschränkten Beachtung des Gleichheitssatzes. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist in besonderem Maße Ausdruck der materiellen Gerechtigkeit. Seiner besonderen Bedeutung entspricht es, daß grundsätzlich auch für zurückliegende Zeiträume gleiche Entgelte für gleiche Arbeit zu leisten sind und nicht ohne sachlichen Grund bestimmte Personengruppen vorübergehend schlechter behandelt werden dürfen, auch wenn der Verstoß gegen den Gleichheitssatz erst nachträglich erkannt wird. Gegenüber diesem überragenden Interesse muß das Interesse der Beklagten zurücktreten, die finanziellen Belastungen zu vermeiden, die sich aus der Rechtsprechung ergeben und deren Bedeutung vor dem Hintergrund der gesamten Versorgungs- und Personalkostenbelastung der Beklagten gewichtet werden muß. Dabei ist auch von Bedeutung, daß die Beklagte nicht gezwungen ist, die zusätzlichen Versorgungsansprüche, die sich aus der Anwendung des Gleichheitssatzes auf unterhälftig Teilzeitbeschäftigte ergeben, mit Hilfe der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost zu erfüllen. Die Beklagte kann die Erfüllung der Ansprüche insoweit selbst übernehmen und dadurch einen sofortigen größeren Kapitalabfluß vermeiden. Darüber hinaus dürften sich die Gesamtbelastungen der Beklagten unterhalb des von ihr errechneten Volumens bewegen, weil die Beklagte nicht verpflichtet ist, auch für Zeiten geringfügiger Beschäftigung Versorgungsanwartschaften einzuräumen (vgl. Senatsurteil vom 12. März 1996 – 3 AZR 993/94 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

2. Die Beklagte kann sich zur Begründung eines Anspruchs auf Vertrauensschutz nicht auf Art. 119 EG-Vertrag und auf die in Maastricht beschlossene Protokollerklärung zu Art. 119 EG-Vertrag berufen. Es geht nicht um den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, sondern um die Zulässigkeit der unterschiedlichen Behandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten. Das Geschlecht der Arbeitnehmer spielt bei der Entscheidung des Senats keine Rolle. Die Entscheidung hängt nicht davon ab, ob Frauen und Männer in unterschiedlichem Umfang betroffen sind.

Die Protokollerklärung zu Art. 119 EG-Vertrag enthält auch keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem jede Rückwirkung in allen Fragen der Ungleichbehandlung ausgeschlossen ist. Weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte dieser Norm bieten hierfür Anhaltspunkte. Es geht hier nur um eine Beschränkung der rückwirkenden Belastung aus der Entwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 119 EG-Vertrag. Diese Auslegung ist derart offenkundig, daß auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Europäischen Gerichtshof selbst kein Raum für einen vernünftigen Zweifel am Auslegungsergebnis bleiben kann. Es besteht deshalb auch kein Anlaß, die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob die Protokollerklärung der Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf zurückliegende Zeiten entgegenstehen kann (Art. 177 EG- Vertrag). Im übrigen hat der Europäische Gerichtshof in seinen Urteilen vom 28. September 1994 (–Rs C-57/93 – „Vroege”, EAS Art. 119 EG-Vertrag Nr. 32; – Rs C-128/93 – „Fisscher”, EAS Art. 119 EG-Vertrag Nr. 33) bereits klargestellt, daß das dem Vertrag über die Europäische Union beigefügte Protokoll Nr. 2 zu Art. 119 EG-Vertrag sogar in dessen Anwendungsbereich keine Auswirkung auf den Anspruch auf Anschluß an ein Betriebsrentensystem hat, um den es der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1987 bis zum 31. Oktober 1991 geht.

V. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Verschaffungsanspruch der Klägerin auch nicht verjährt. Dieser Anspruch verjährt nach § 195 BGB, also erst in 30 Jahren. Die Ansprüche der Klägerin auf Zahlung der einzelnen Raten können zwar verjähren. Die Verjährung beginnt aber erst mit der Entstehung des Anspruchs. Angesichts der Klageerhebung der Klägerin im Jahre 1993 sind deshalb die streitigen Ansprüche der Klägerin für die Zeit ab dem 1. November 1992 nicht verjährt.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Schoden, Weinmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI951997

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