Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung nach Einigungsvertrag - Auflösungsantrag

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr 1 Abs 4 der Anlage I zum Einigungsvertrag (fortan: Absatz 4) ersetzt in seinem Regelungsbereich § 1 KSchG. Wird eine Kündigung auf Absatz 4 gestützt, findet § 1 KSchG daneben keine Anwendung.

2. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 9, 10 KSchG ist zulässig. Die Unwirksamkeit einer Kündigung allein macht es dem Arbeitnehmer nicht unzumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Die Unzumutbarkeit muß sich aus weiteren Umständen ergeben.

3. Es bleibt unentschieden, unter welchen tatsächlichen Umständen eine Kündigung nach Absatz 4 deshalb unwirksam ist, weil sie gegen § 242 BGB verstößt.

 

Normenkette

KSchG §§ 1, 9-10; EinigVtr Anlage I Kap. XIX A III Nr. 1 A

 

Verfahrensgang

LAG Brandenburg (Entscheidung vom 12.09.1991; Aktenzeichen 1 Sa 71/91)

KreisG Guben (Entscheidung vom 16.04.1991; Aktenzeichen 08 A 142/90)

 

Tatbestand

Der Kläger war ab 1948 bei den sogenannten Staatsorganen und seit 1962 bei dem Rat des Kreises , später bei der Kreisverwaltung beschäftigt. Zuletzt war er seit 1. Dezember 1988 aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages als "Leiter des Büros des Vorsitzenden" eingesetzt. Unter Bezugnahme auf den Rahmenkollektivvertrag MA Staatsorgane war ein monatlicher Lohn von 1.700,-- DM "personengebunden" vereinbart.

Der Kläger besaß einen "Beschädigten-Ausweis" vom August 1990. Er besitzt nunmehr einen "Schwerbeschädigten-Ausweis" vom 28. November 1990, in dem ein Grad der Behinderung von 50 % bescheinigt ist.

Mit Schreiben vom 28. Juni 1990 bewarb sich der Kläger "um eine Tätigkeit im Landratsamt Guben bzw. in den zu schaffenden Ämtern". Am 13. September 1990 wurde ihm eine Tätigkeit als Mitarbeiter im Archivwesen angeboten. Das Gehalt hierfür wäre wesentlich geringer gewesen als das bisher vom Kläger bezogene.

Der Beklagte teilte dem Kläger im Oktober 1990 mit, seine bisherigen Bezüge beruhten auf einer ungesetzlichen Entscheidung. Ab 1. November 1990 erhalte er monatlich nur noch 1.200,-- DM zuzüglich 200,-- DM.

Am 26. Oktober 1990 erhielt der Kläger ein Schreiben vom 19. Oktober 1990, in dem die Kündigung mit folgendem Wortlaut zum 31. Januar 1991 ausgesprochen wurde:

"Im Zuge der Veränderungen der gesamten Struktur

des ehemaligen Rates des Kreises zu einem Land-

ratsamt und der damit verbundenen Neuorganisation

der Kreisverwaltung , gemäß §§ 71 ff der

Kommunalverfassung vom 17.05.1990 macht sich eine

erhebliche Reduzierung, vor allem des Personalbe-

standes notwendig, deren Arbeitsaufgaben ersatz-

los aufgelöst sind.

In der mit Ihnen am 13.09.1990 geführten Perso-

nalbesprechung wurde Ihnen durch das Landratsamt

eine mögliche Weiterbeschäftigung als Mitarbeiter

im Archivwesen angeboten.

Das Ihnen unterbreitete Angebot haben Sie ausge-

schlagen.

Entsprechend Kapitel XIX, Abschnitt III, Ab-

satz 1, Ziffer 4, Punkt 2 und 3 des Einigungsver-

trages ist eine Weiterbeschäftigung nicht mehr

möglich und damit die Kündigung Ihres Arbeitsver-

hältnisses gegeben.

Der Personalrat wurde zum Vorgang informiert."

Ab November 1990 wurde der Kläger von jeder weiteren Tätigkeit suspendiert. Der Kläger hält die Kürzung des Gehaltes und die Kündigung für unwirksam. Er hat vorgetragen, die Kündigung sei nicht nur nach § 15 SchwbG unwirksam, sondern auch sozialwidrig. Die Arbeit im Archiv sei für ihn schon deshalb unzumutbar, weil ihm nur eine Entlohnung von 970,-- DM brutto angeboten worden sei. Bei dem Beklagten seien viele Stellen frei gewesen, die er aufgrund seiner Qualifikation hätte einnehmen können. Er habe von 1948 bis 1951 eine Verwaltungslehre absolviert, sei von 1959 bis 1961 zum Diplom-Staatswissenschaftler ausgebildet worden und habe in den Jahren 1970 bis 1971 eine Zusatzausbildung als Ökonom erhalten. Eine weitere Tätigkeit bei dem Beklagten sei ihm nicht zuzumuten. Der Beklagte habe ihm jeglichen Kündigungsschutz abgesprochen, was zu außergerichtlichen und gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt habe. Außerdem habe der Beklagte ihm in unwürdiger Form das Betreten der Amtsräume ab 1. November 1990 untersagt.

Der Kläger hat beantragt

1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch

die Kündigung des Beklagten vom 19. Oktober

1990 nicht aufgelöst worden sei und über den

31. März 1991 fortbestehe;

2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger

3.000,-- DM brutto Gehalt nachzuzahlen;

3. das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1991

gegen Zahlung einer Abfindung gemäß §§ 9, 10

KSchG in Höhe von 34.200,-- DM aufzulösen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und den Auflösungsantrag des Klägers zurückzuweisen. Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozialgemäß, er verfüge über keine Beschäftigungsmöglichkeiten, für die der Kläger hinreichend qualifiziert sei. Die Suspendierung sei notwendig gewesen, weil der Kläger andere Mitarbeiter von der Arbeit abgehalten und negativ beeinflußt habe. Gegenüber anderen Arbeitnehmern des Landratsamtes habe der Kläger geäußert, der Landrat und die Dezernenten seien zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nicht in der Lage.

Das Kreisgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es hat ausgeführt, die Kündigung sei unwirksam, weil die Hauptfürsorgestelle dieser nicht zugestimmt habe. Sie sei außerdem sozialwidrig. Aus dem Vorbringen des Beklagten gehe nicht hervor, daß die Verwaltungstätigkeit, die der Kläger ausgeübt habe, ersatzlos entfallen sei. Der Auflösungsantrag des Klägers sei gerechtfertigt. Durch die ungerechtfertigte Kündigung sei es zu Unstimmigkeiten und Spannungen zwischen den Parteien gekommen, die den Beklagten veranlaßt hätten, dem Kläger das Betreten der Diensträume zu untersagen. Durch diese Verfahrensweise sei der Kläger in seiner Persönlichkeit gegenüber den Arbeitskollegen herabgesetzt worden.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen, soweit das Kreisgericht den Beklagten zur Zahlung verurteilt und die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt hat. Im übrigen hat es der Berufung stattgegeben und den Antrag des Klägers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, soweit es der Berufung stattgegeben hat. Im Umfang der Aufhebung ist der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

I. Ist das Arbeitsverhältnis durch eine auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 der Anlage I zum Einigungsvertrag (fortan: Absatz 4) gestützte Kündigung nicht aufgelöst worden, kann zulässigerweise ein Antrag gemäß §§ 9, 10 KSchG gestellt werden. Absatz 4 schließt eine solche Möglichkeit nicht aus.

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen, wenn das Gericht feststellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, dem Arbeitnehmer jedoch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist.

2. Voraussetzung für die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist immer, daß das Gericht die Sozialwidrigkeit der Kündigung feststellt.

Ist eine Kündigung nicht nur sozialwidrig, sondern auch aus anderen Gründen unwirksam, kann jedenfalls der Arbeitnehmer die Auflösung des Arbeitsverhältnisses begehren. Die Unwirksamkeit aus anderen Gründen hat keinen logischen Vorrang vor der Sozialwidrigkeit (vgl. BAGE 35, 30 = AP Nr. 6 zu § 9 KSchG 1969; Herschel/Loewisch, KSchG, 6. Aufl., § 9 Rz 16; KR-Becker, KSchG, 3. Aufl., § 9 Rz 26, 27). Bei Konkurrenz verschiedener Unwirksamkeitsgründe muß das Gericht, sofern der Arbeitnehmer einen Auflösungsantrag stellt, die Sozialwidrigkeit prüfen und in den Entscheidungsgründen feststellen, wenn es dem Auflösungsantrag stattgeben will (Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 5. Aufl., Rz 1192).

3. Absatz 4 ersetzt in seinem Regelungsbereich § 1 KSchG. Liegen die Voraussetzungen nach Absatz 4 vor, kann eine Kündigung wirksam ausgesprochen werden, ohne daß zusätzlich der Tatbestand des § 1 KSchG beachtet werden muß. § 1 KSchG steht insoweit nicht in Konkurrenz zu Absatz 4. Es bleibt unentschieden, unter welchen tatsächlichen Umständen eine Kündigung nach Absatz 4 deshalb unwirksam ist, weil sie gegen § 242 BGB verstößt.

Die §§ 9, 10 KSchG sind neben Absatz 4 anzuwenden (LAG Berlin Urteile vom 21. Oktober 1991 - 9 Sa 38/91 - und vom 28. Oktober 1991 - 9 Sa 48/91 - LAGE Art. 20 Einigungsvertrag Nr. 5 und 4; MünchKomm-Säcker/Oetker, Zivilrecht im Einigungsvertrag, Rz 998; Hueck/von Hoyningen-Huene, KSchG, 11. Aufl., Einleitung Rz 75 c; Preis, PersR 1991, 201, 203; a.A. Weiß, PersV 1991, 97, 117).

Die Auslegung des Absatzes 4 ergibt sich aus dem Wortsinn und einer interessengerechten Wertung der Vorschrift. Absatz 4 bestimmt, eine ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers in der öffentlichen Verwaltung sei "auch zulässig", wenn die Voraussetzungen nach Nummern 1 bis 3 erfüllt seien. Der Begriff der "Zulässigkeit" einer Kündigung ist insofern wertungsoffen, als die gängigen Regelungen nur die jeweils negativen Folgen eines Rechtsgeschäfts regeln. Nach BGB-Vorschriften kann ein Rechtsgeschäft "unwirksam" oder "nichtig" sein, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. So schließt das BAG u.a. aus der Verwendung des Begriffs "unwirksam" in § 613 a Abs. 4 BGB zutreffend, es handele sich bei dieser Bestimmung um eine eigenständige BGB-Regelung, die keinen Rückgriff auf das Kündigungsschutzgesetz erlaube (BAG Urteil vom 31. Januar 1985 - 2 AZR 530/82 - AP Nr. 40 zu § 613 a BGB).

Nach § 1 Abs. 1 KSchG ist eine sozialwidrige Kündigung "rechtsunwirksam". Die Sozialwidrigkeit erschließt sich aus den Absätzen 1 der Vorschrift einerseits und den Absätzen 2 und 3 andererseits. Während es in § 1 Abs. 1 KSchG heißt, eine Kündigung sei "rechtsunwirksam" wenn sie sozial ungerechtfertigt sei, bestimmt § 1 Abs. 2 KSchG im Wege einer doppelten Verneinung, eine Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch die weiter normierten Voraussetzungen gerechtfertigt sei.

Nach heute herrschender Ansicht bilden § 622 BGB und § 1 KSchG in sofern eine Einheit, als bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nicht nur Fristen und Termine einzuhalten sind, sondern bei Eingreifen des Kündigungsschutzgesetzes auch ein sachlicher Grund, die soziale Berechtigung tragen muß (Hueck/von Hoyningen-Huene, aa0, § 1 Rz 2; Preis, Prinzipien des Kündigungsschutzrechts, S. 55, 56, 158; Stahlhacke/Preis, aa0, Rz 347; Heinze, Gießener rechtswissenschaftliche Abhandlungen Bd. VI, S. 63; Ascheid, Beweislastfragen im Kündigungsschutzprozeß, S. 45 f., jeweils m.w.N.).

Wenn demgegenüber in Absatz 4 davon gesprochen wird, eine Kündigung sei "auch zulässig", wenn die in Nr. 1 bis 3 aufgezählten Voraussetzungen vorliegen, wird durch diese positive Formulierung zum Ausdruck gebracht, bei Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 4 seien sachliche Gründe für eine ordentliche Kündigung gegeben. Da das Wort "zulässig" eine Zuordnung sowohl zu einem BGB-Unwirksamkeitsgrund als auch zu einem Sozialwidrigkeitsgrund des § 1 KSchG zuläßt, wird die Auslegung durch den Sinn des Absatzes 4 bestimmt. Die in Nr. 1 bis 3 genannten Gründe des Absatzes 4 sind solche, die auch einem der Tatbestände des § 1 Abs. 2 KSchG zugeordnet werden könnten. Die Regelung des Absatz 4 wäre daher überflüssig, wenn neben einer auf Absatz 4 gestützten Kündigung noch § 1 KSchG anzuwenden wäre. Daraus folgt, daß die Regelung des Absatzes 4 als eine in sich selbständige Modifizierung des § 1 KSchG zu qualifizieren ist. Ist eine Kündigung demnach nach Absatz 4 unwirksam, finden die Vorschriften der §§ 9, 10 KSchG unmittelbar Anwendung. Außerdem gelten die Regelungen der §§ 4, 7 KSchG. Die Klagefrist ist hier gewahrt.

Der Normzweck des Absatzes 4 steht der Anwendung der §§ 9, 10 KSchG nicht entgegen.

Zwar sollte durch die Regelung in Absatz 4 offenbar auch ein Massenproblem gelöst werden, nämlich die völlige Überbesetzung der öffentlichen Verwaltung in der ehemaligen DDR. Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dieser Konflikt sei nicht zu bewältigen, wenn einem ausgeschiedenen Arbeitnehmer im Falle einer unwirksamen Kündigung und bei Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung gerichtlich eine Abfindung zuzuerkennen wäre.

Die Unzumutbarkeit des § 9 KSchG ist nicht identisch mit der Sozialwidrigkeit der Kündigung. Ist eine Kündigung unwirksam, ist nicht schon deshalb allein dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Die Unzumutbarkeit muß sich aus weiteren Gründen ergeben, die der Arbeitgeber setzt. Der Arbeitnehmer hat nicht etwa die freie Wahl, ob er bei festgestellter Unwirksamkeit der Kündigung das Arbeitsverhältnis fortsetzen oder ob er gegen eine Abfindung ausscheiden will. In der Regel treten durch jede Kündigung Spannungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf. Diese allein vermögen einen Auflösungsantrag noch nicht zu rechtfertigen.

Die Anforderungen an die Unzumutbarkeit in § 9 Abs. 1 KSchG sind nicht mit denen nach § 626 BGB identisch (BAGE 37, 135 = AP Nr. 8 zu § 9 KSchG 1969; Hueck/von Hoyningen-Huene, aaO, § 9 Rz 32; Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 9 Rz 21; KR-Becker, 3. Aufl., § 9 KSchG Rz 39). Während bei § 626 Abs. 1 BGB darauf abzustellen ist, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht wenigstens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zum vereinbarten Ende zumutbar ist, kommt es bei § 9 Abs. 1 KSchG darauf an, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit zumutbar ist.

Die Gründe müssen im Zusammenhang mit der Kündigung oder dem Kündigungsschutzprozeß stehen (BAG Urteil vom 18. Januar 1962 - 2 AZR 179/59 - AP Nr. 20 zu § 66 BetrVG; BAGE 28, 296 = AP Nr. 3 zu § 9 KSchG 1969 für den Auflösungsantrag des Arbeitgebers; Hueck/von Hoyningen-Huene, aaO, § 9 Rz 36; Herschel/Löwisch, aa0, § 9 Rz 20; KR-Becker, aa0, § 9 KSchG Rz 40; Stahlhacke/Preis, aaO, Rz 1200). Sie können sich einmal aus den Modalitäten der Kündigung selbst ergeben, z.B. Beleidigungen im Zusammenhang mit dem unmittelbaren Ausspruch der Kündigung, oder mit der Kündigung verbundenen unzulässigen Maßregelungen (vgl. Beispiele bei Hueck/von Hoyningen-Huene, aa0, § 9 Rz 33). Sie können sich auch aus weiteren Handlungen des Arbeitgebers ergeben. Hier beruft sich der Kläger auf eine völlig ungerechtfertigte Suspendierung. Der Arbeitnehmer kann sich allerdings nicht auf Auflösungsgründe berufen, die er selbst in treuwidriger Weise herbeigeführt hat (Hueck/von Hoyningen-Huene, aaO, § 9 Rz 35; KR-Becker, aaO, § 9 KSchG Rz 46; Herschel/Löwisch, aaO, § 9 Rz 26).

Dem öffentlichen Arbeitgeber sollte durch eine modifizierte Sozialwidrigkeitsregelung eine der besonderen Sachlage angemessenes Instrumentarium gegeben werden. Es ist nicht anzunehmen, daß er darüber hinaus zusätzlich in die Lage versetzt werden sollte, die Kündigungen mit Umständen zu verbinden, die für den Arbeitnehmer einen Grund bilden, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als unzumutbar zu erachten.

II.1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Regelungen der §§ 9, 10 KSchG fänden keine Anwendung. Es hat infolge dieser Rechtsansicht keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Kündigung einem der Tatbestände in Absatz 4 zuzuordnen ist und ob dem Kläger eine weitere Beschäftigung unzumutbar ist. Diese Prüfung wird nachzuholen sein.

2. Soweit der Kläger geltend macht, dem Auflösungsantrag sei schon deshalb stattzugeben, weil ihm als einer der dienstältesten Mitarbeiter gekündigt worden sei, ist dies noch kein Auflösungsgrund. Die Kündigung ist damit begründet worden, für den Kläger stehe keine andere Beschäftigungsmöglichkeit zur Verfügung. Ist dieser Vortrag unzutreffend, ist die Kündigung unwirksam. Weitere Folgerungen sind damit nicht verbunden.

Soweit der Kläger vorgetragen hat, wegen der Suspendierung sei ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar, weil diese Maßnahme ihn in seinem Ansehen erheblich diskreditiert habe, ist dies ein Umstand, den das Landesarbeitsgericht näher zu überprüfen haben wird. Eine Suspendierung im Zusammenhang mit einer betriebsbedingten Kündigung wäre eine an sich nicht gebotene Maßnahme. Der Arbeitgeber bleibt trotz der Suspendierung zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Eine Suspendierung wäre daher allenfalls dann zu erwägen, wenn tatsächlich überhaupt keine, auch keine vorübergehende, Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger bestanden hätte.

In diesem Zusammenhang wird das Landesarbeitsgericht dem Vortrag des Beklagten nachzugehen haben, der Kläger habe andere Arbeitnehmer zu beeinflussen versucht und erklärt, der Landrat und die Dezernenten seien ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Sollten diese Vorgänge die Suspendierung ausgelöst haben, wäre es der Kläger selbst gewesen, der den Grund für diese Maßnahme gesetzt hätte.

Michels-Holl Dr. Ascheid Dr. Müller-Glöge

R. Schmidt Dr. Umfug

 

Fundstellen

Haufe-Index 441669

BAGE 71, 221-228 (LT1-3)

BAGE, 221

BB 1992, 2001

BB 1993, 363

BB 1993, 363-365 (LT1-3)

DB 1993, 179-180 (LT1-3)

EBE/BAG 1993, 15-16 (LT1-3)

BetrVG, (1) (LT1-3)

NZA 1993, 362-364 (LT1-3)

RzK, I 8m dd Nr 24 (LT1-3)

ZAP, RNB-Nr 13/93 (S)

AP, Nr 3 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap XIX (LT1-2)

AuA 1993, 61

AuA 1993, 88-89 (LT1-3)

AuA 1993, Sonderheft, 33 (T)

EzA, (LT1-3)

EzBAT § 53 BAT Einigungsvertrag, Nr 1 (LT1-3)

LKV 1993, 240 (L)

MDR 1993, 551 (LT1-3)

PersR 1993, 137-139 (LT1-3)

PersV 1993, 411 (L)

ZAP-DDR, EN-Nr 521/92 (S)

ZAP-DDR, EN-Nr 547/92 (S)

ZfPR 1993, 24 (L)

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