Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsbefreiung wg. Betriebsratstätigkeit. Entgeltfortzahlung

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Regelung des § 48 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 17 a GVG i.d.F. des 4. VwGO-Änderungsgesetzes vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I, 2809), nach der das Rechtsmittelgericht die Zulässigkeit der beschrittenen Verfahrensart nicht prüft, findet in Fällen, in denen der erste Rechtszug vor dem 1. Januar 1991 abgeschlossen war, noch keine Anwendung.

 

Normenkette

BetrVG 1972 § 37 Abs. 2, § 40 Abs. 1; ArbGG 1979 § 48 Abs. 1; GVG § 17a Abs. 5 i.d.F. des 4. VwGO-Änderungsgesetzes vom 17. Dezember 1990 (BGBl.I 2809)

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 29.08.1989; Aktenzeichen 3 Sa 727/88)

ArbG Mainz (Urteil vom 18.07.1988; Aktenzeichen 5 Ca 577/88)

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. August 1989 – 3 Sa 727/88 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision tragen die Kläger je zur Hälfte.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Kläger sind im Zentralbetrieb der Beklagten, einem Reifenerneuerungsunternehmen, in Me. als Fahrer beschäftigt und gehören dem aus sieben Mitgliedern bestehenden Betriebsrat an. Am 3. März 1988 arbeiteten sie nicht, sondern reisten auf Beschluß des Betriebsrats mit dem Pkw des Klägers H. nach M. zur Gewerkschaft Chemie-Papier-Keramik, um dort Rechtsrat einzuholen.

Die Beklagte, die es zuvor abgelehnt hatte, hierfür Arbeitsbefreiung und Lohnfortzahlung zu gewähren sowie die Reisekosten zu übernehmen, kürzte daraufhin den Lohn der Kläger jeweils um einen Tageslohn in Höhe von 141,08 DM brutto sowie um 16,– DM netto Spesen, die sonst arbeitstäglich ohne Rücksicht auf eine Reisetätigkeit gezahlt wurden. Außerdem verweigerte die Beklagte die Zahlung des vom Kläger H. für die Fahrt zur Gewerkschaft geforderten Kilometergeldes in Höhe von 60,48 DM.

Die Kläger haben im wesentlichen vorgetragen, sie hätten am 3. März 1988 ganztägig erforderliche Betriebsratstätigkeit ausgeführt. Von 7.00 Uhr bis 11.00 Uhr hätten sie im Betriebsratsbüro die für 13.00 Uhr angesetzte Besprechung bei der Gewerkschaft vorbereitet. Diese Besprechung habe von 13.00 Uhr bis 15.45 Uhr gedauert. Erst um 17.00 Uhr seien sie wieder in Me. gewesen, obwohl ihre betriebliche Arbeitszeit bereits um 16.15 Uhr geendet habe. Bei der Gewerkschaft in M. seien mit dem Gewerkschaftssekretär K. acht Themen besprochen worden, nämlich die Auswirkungen und die betriebliche Handhabung des tariflichen Urlaubsabkommens, die Nichteinhaltung einer Vereinbarung über Samstagsarbeit, Differenzen zwischen der tariflichen und der betriebsüblichen Arbeitszeit, die Kündigung einer Betriebs Vereinbarung über Prämienlohn, die Lage der Arbeitszeit der Angestellten, der Fortgang eines am Verwaltungsgericht in Koblenz anhängigen Rechtsstreits mit der Beklagten, der Entwurf einer Betriebsvereinbarung für Kraftfahrer sowie die Vorbereitung und Besetzung einer Einigungsstelle. Aufgrund der internen Geschäftsverteilung des Betriebsrats seien sie, die beiden Kläger, jeweils für vier dieser Themen zuständig gewesen, so daß sie beide hätten fahren müssen. Angesichts der Vielfältigkeit und Komplexität der angesprochenen Themen hätte eine schriftliche Behandlung oder eine telefonische Unterredung nicht ausgereicht, sondern sei das persönliche Gespräch notwendig gewesen. Hiervon seien der Betriebsrat und die Kläger aus vernünftigen Gründen ausgegangen.

Der Kläger P. hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 141,08 DM brutto und 16,00 DM netto zu zahlen.

Der Kläger H. hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 141,08 DM brutto und 76,48 DM netto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klagen abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, ein Anspruch auf Arbeitsbefreiung und Entgeltfortzahlung bestehe schon deshalb nicht, weil sich die Kläger nicht in einer Weise bei dem Arbeitgeber abgemeldet hätten, die habe erkennen lassen, daß es sich um eine erforderliche Amtstätigkeit handele. Aber auch objektiv sei die Reise nach M. nicht erforderlich gewesen; dies hätten die Kläger bei vorausschauender Betrachtung vom Standpunkt eines vernünftigen Dritten aus erkennen müssen. Ein aktueller betrieblicher Anlaß für diese Reise sei nicht vorhanden gewesen; vielmehr hätte sich der Betriebsrat zuvor mit dem Arbeitgeber zusammensetzen müssen, um dessen Ansichten kennenzulernen. Zu keinem der Punkte habe es irgendwelche innerbetriebliche Differenzen gegeben, die nicht in einem Gespräch hätten geklärt werden können. Auch seien nicht für beide Kläger jeweils vier Stunden erforderlich gewesen, um die Unterlagen für die Besprechung bei der Gewerkschaft zusammenzustellen.

Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat, nachdem es zunächst durch Versäumnisurteile vom 24. Januar 1989 den Klagen stattgegeben hatte, die beiden Verfahren verbunden und die Berufungen der Kläger zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Klageansprüche weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat auf die zulässigen Einsprüche der Beklagten hin zu Recht die Versäumnisurteile vom 24. Januar 1989 aufgehoben und die Berufungen der Kläger gegen die klageabweisenden Ersturteile zurückgewiesen.

I. Die Klagen auf Lohnzahlung für den 3. März 1988 (jeweils 141,08 DM brutto) sind unbegründet. Die Voraussetzungen der als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 37 Abs. 2 BetrVG sind nicht erfüllt, weil das Landesarbeitsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt ist, die darlegungspflichtigen Kläger hätten nicht hinreichend dargelegt, daß die Reise nach M. zur ordnungsgemäßen Durchführung der Betriebsratsaufgaben erforderlich gewesen sei.

1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Arbeitsbefreiung nach § 37 Abs. 2 BetrVG keine Zustimmung des Arbeitgebers voraussetzt, sondern daß sich das Betriebsratsmitglied lediglich vor dem Verlassen des Arbeitsplatzes ordnungsgemäß abzumelden hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAG Urteil vom 6. August 1981 – 6 AZR 505/78 – AP Nr. 39 zu § 37 BetrVG 1972, zu II 2 a der Gründe. m.w.N.; zuletzt Senatsurteil vom 27. Juni 1990 – 7 AZR 348/89 –, n.v., zu I 3 c der Gründe).

2. Das Landesarbeitsgericht hat weiter zutreffend erkannt, daß selbst diese ordnungsgemäße Abmeldung (zum Abmeldeverfahren vgl. insbesondere BAGE 43, 109 = AP Nr. 45 zu § 37 BetrVG 1972, m.w.N.) nicht zu den Voraussetzungen eines Lohn fort Zahlungsanspruches nach § 37 Abs. 2 BetrVG gehört. Für den Lohnfortzahlungsanspruch ist allein entscheidend, daß die Arbeitsbefreiung tatsächlich für die Erledigung der Betriebsratsaufgaben erforderlich im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG war (vgl. das bereits angeführte Senatsurteil vom 27. Juni 1990 – 7 AZR 348/89 –, zu II 2 der Gründe).

3. Für die Erforderlichkeit der Arbeitsbefreiung ist das Betriebsratsmitglied darlegungs- und im Bestreitens falle beweispflichtig. Hiervon ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen und zu dem Ergebnis gelangt, die Kläger hätten die Erforderlichkeit ihrer Reise nach M. nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

a) Zur Begründung dieser Würdigung hat das Landesarbeitsgericht im wesentlichen ausgeführt: Hinreichend dargetan und plausibel sei zwar, daß die von den Klägern in M. durchgeführte Besprechung von der Thematik her Bezug zu betrieblichen Fragen und damit zur Betriebsratsarbeit gehabt habe. Daraus folge aber nicht ohne weiteres, daß es erforderlich und verhältnismäßig gewesen sei, für eine derartige Besprechung eine Reise über 144 km und mit ganztägiger Inanspruchnahme von zwei Betriebsratsmitgliedern aufzuwenden. An die Darlegung und den Beweis der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit eines solchen Aufwands seien erhöhte Anforderungen zu stellen. Insoweit vermißt das Landesarbeitsgericht zunächst eine substantiierte Darlegung, wieso zwei Betriebsratsmitglieder hätten nach M. fahren müssen, insbesondere weshalb die Themenkreise, für die der Kläger P. zuständig gewesen sei, nicht vom Kläger H., dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden, hätten mitbesprochen werden können. Sei mithin selbst im Falle der Notwendigkeit einer Reise zur Gewerkschaft nur das Tätigwerden eines Betriebsratsmitglieds erforderlich gewesen, so hätten die Kläger darüber hinaus die Reise überhaupt nicht als erforderlich und verhältnismäßig ansehen dürfen. Das Aufsuchen einer Gewerkschaftsstelle müsse durch einen konkreten aktuellen Anlaß gerechtfertigt sein. Es fehle jede konkrete Darlegung darüber, weshalb Anfang März 1988 eine Besprechung mit dem Gewerkschaftssekretär habe durchgeführt werden müssen. Insbesondere sei nichts vorgetragen, was die besondere Eilbedürftigkeit einer Behandlung der aufgezählten Themen auf schnellstem nur durch die Reise nach M. zu verwirklichendem Wege erfordert hätte. Nur die zeitsparendste und kostengünstigste Erledigung sei erforderlich und verhältnismäßig. Anderweitige Klärungsmöglichkeiten seien erstens die Korrespondenz und zweitens die telefonische Besprechung. Etwaige Umstände, die eine kostenintensivere Art der Ausführung angezeigt erscheinen ließen, müßten im Streitfalle von dem Betriebsratsmitglied nachvollziehbar vorgetragen werden. Dies sei nicht erfolgt.

b) Diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es könne aus den Darlegungen der Kläger die Erforderlichkeit der Reise nach M. nicht feststellen, kann vom Senat nur in beschränktem Umfang nachgeprüft werden. Mit der Verwendung des Begriffs der Erforderlichkeit hat der Gesetzgeber die Würdigung der Besonderheit des jeweiligen Einzelfalles den Tatsachengerichten überlassen und diesen damit jedenfalls einen gewissen Beurteilungsspielraum eingeräumt. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen richtige Anwendung grundsätzlich in der Revisionsinstanz nur darauf nachprüfbar ist, ob das Tatsachengericht ihn frei von Rechtsirrtum angewandt hat und ob die Abwägung der Besonderheiten des Einzelfalles vollständig, ohne inneren Widerspruch und frei von Verstößen gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze erfolgt ist (ständige Rechtsprechung, vgl. insbesondere BAG Urteile vom 6. August 1981 – 6 AZR 505/78 – und vom 16. März 1988 – 7 AZR 557/87 – AP Nr. 39 und 63 zu § 37 BetrVG 1972, jeweils m.w.N.).

c) Derartige Rechts fehler sind dem Landesarbeitsgericht nicht unterlaufen. Insbesondere hat es entgegen der Ansicht der Revision den Rechtsbegriff der Erforderlichkeit im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG nicht verkannt. Es hat vielmehr darauf abgestellt, ob das Betriebsratsmitglied bei gewissenhafter Überlegung und vernünftiger Würdigung aller Umstände die Arbeitsversäumnis selbst für notwendig halten konnte. Damit befindet sich das Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Nach dieser ist entscheidend, ob das Betriebsratsmitglied bei gewissenhafter Überlegung und bei ruhiger, vernünftiger Würdigung aller Umstände die Arbeitsversäumnis für notwendig halten durfte, um den gestellten Aufgaben gerecht zu werden (vgl. z.B. BAG Urteil vom 6. August 1981 – 6 AZR 505/78 – AP Nr. 39 zu § 37 BetrVG 1972, zu II 2 b der Gründe, m.w.N.).

Mit dieser ständigen Rechtsprechung ist insbesondere die Meinung der Revision, die Nachprüfung der Entscheidung des Betriebsratsmitglieds müsse sich auf eine reine Mißbrauchskontrolle beschränken, nicht vereinbar. Vielmehr ist dem Landesarbeitsgericht darin zu folgen, daß das Betriebsratsmitglied darzulegen hat, aufgrund welcher Überlegungen und welcher Umstände es seine Entscheidung getroffen hat. Insoweit trägt bereits die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Kläger hätten nicht dargelegt, weshalb zur Erledigung der anstehenden Aufgaben eine kostengünstigere Behandlung nicht in Betracht gekommen sei, das angefochtene Urteil, so daß es auf die weiteren Begründungen, etwa zum Ausreichen der Reise nur eines Betriebsratsmitglieds, nicht ankommt.

Entgegen der Ansicht der Revision führt die Notwendigkeit, die vom Betriebsratsmitglied angestellten Überlegungen so substantiiert darzulegen, daß das Landesarbeitsgericht sie nachvollziehen kann, auch nicht zu einer unzulässigen Überwachung der Betriebsratstätigkeit durch den Arbeitgeber. Die Maßstäbe, die die Rechtsprechung für die Abmeldung des Betriebsratsmitglieds vom Arbeitsplatz entwickelt hat (vgl. z.B. BAG Urteile vom 19. Juni 1979 – 6 AZR 638/77 – AP Nr. 36 zu § 37 BetrVG 1972 und vom 23. Juni 1983, BAGE 43, 109 = AP Nr. 45 zu § 37 BetrVG 1972), betreffen schon zeitlich eine ganz andere Situation und sind daher auf die Frage des Umfangs der Darlegungslast im Prozeß nicht übertragbar. Im übrigen ist es allein Gegenstand der dem Tatrichter obliegenden tatsächlichen Würdigung, ob er einen Tatsachenvortrag für ausreichend hält, um die Merkmale eines (vom Tatrichter richtig erkannten) Rechtsbegriffs auszufüllen.

II. Dasselbe wie für die Frage der Fortzahlung des Arbeitslohns hat auch für die verlangten „Spesen” in Höhe von jeweils 16,– DM netto zu gelten. Aus dem Sachvortrag der Parteien ergibt sich, daß diese „Spesen” für jeden Arbeitstag ohne Rücksicht darauf gezahlt wurden, ob der Arbeitnehmer eine Reisetätigkeit verrichtete. Sie können daher nur als zusätzlicher Arbeitslohn gewertet werden und sind daher nach denselben Maßstäben wie dieser zu behandeln.

III. Auch den Anspruch des Klägers H. auf Zahlung von 60,48 DM Kilometergeld für die Fahrt nach M. und zurück hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Insoweit ist die Klage unzulässig. Bei dem Anspruch auf Fahrtkostenerstattung handelt es sich um einen Anspruch auf Erstattung durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstandener Kosten gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG, der im Beschlußverfahren zu verfolgen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAGE 60, 385, 387 = AP Nr. 28 zu § 40 BetrVG 1972, zu B I der Gründe, m.w.N.).

Die Unzulässigkeit der beschrittenen Verfahrensart ist im Entscheidungsfall auch vom Revisionsgericht zu beachten. Denn die Regelung des § 48 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 17 a Abs. 5 GVG i.d.F. des 4. VwGO-Änderungsgesetzes vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I, 2809), nach der das Rechtsmittelgericht die Zulässigkeit der beschrittenen Verfahrensart nicht prüft, findet in Fällen, in denen der erste Rechtszug vor dem 1. Januar 1991 abgeschlossen war, noch keine Anwendung (BGH Urteile vom 28. Februar 1991 – III ZR 49/90NVwZ 1991, 606 und – III ZR 53/90 – NJW 1991, 1686).

 

Unterschriften

Dr. Seidensticker, Schliemann, Dr. Steckhan, Der ehrenamtliche Richter Neuroth ist wegen Ablaufs seiner Amtszeit verhindert zu unterschreiben. Dr. Seidensticker, Dr. Scholz

 

Fundstellen

Haufe-Index 1073832

RdA 1992, 59

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