Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsausschluß bei Arbeitsunfall

 

Orientierungssatz

Nach § 636 Abs 1 S 1 RVO ist der Unternehmer von der Haftung für Personenschäden befreit, die ein in seinem Betrieb beschäftigter Versicherter bei einem Arbeitsunfall erleidet, sofern der Unternehmer den Arbeitsunfall nicht vorsätzlich herbeigeführt hat. Auch Schmerzensgeldansprüche des Verletzten werden von dem Haftungsausschluß erfaßt. § 636 Abs 1 S 1 RVO gilt nach § 637 Abs 1 RVO entsprechend, wenn ein in demselben Betrieb tätiger Betriebsangehöriger den Arbeitsunfall durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht hat.

 

Normenkette

BGB § 847; RVO §§ 636-637; ArbGG § 64 Abs. 6; RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 542 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 23.09.1987; Aktenzeichen 5 Sa 356/87)

ArbG Celle (Entscheidung vom 17.02.1987; Aktenzeichen 1 Ca 323/86)

 

Tatbestand

Die Parteien sind als gewerbliche Arbeitnehmer in der Produktionsstätte R der T Produktions GmbH beschäftigt, der Beklagte als Vorarbeiter. In der Nachtschicht am 7. November 1984 erlitt der Kläger einen Unfall, als er mit einem Handspachtel die Druckwalzen einer Rohrfertigungsanlage säuberte, die in Betrieb war. Der Kläger zog sich eine 30 cm lange Wunde am rechten Arm und an der rechten Hand zu. Außerdem mußten von dieser Hand der Daumen und die körperfernen Grundglieder des Zeigefingers und des kleinen Fingers amputiert werden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 50 %.

Der Kläger verlangt Schmerzensgeld. Er hat vorgetragen, trotz seines Widerspruchs habe der Beklagte ihn angewiesen, den Rohrkern bei laufender Maschine zu säubern. Der Beklagte habe gewußt, daß es bei dieser Tätigkeit schon mehrfach zu Arbeitsunfällen gekommen sei, und daß er - der Kläger - im Umgang mit der Maschine unerfahren war. Der Beklagte habe den Unfall vorhergesehen und gewollt, jedenfalls billigend in Kauf genommen. Dies ergebe sich auch daraus, daß der Beklagte nach dem Unfall die Maschine nicht abgeschaltet habe, sondern weggelaufen sei.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein

angemessenes Schmerzensgeld, zumindest

aber 5.000,-- DM, nebst 4 % Zinsen seit

dem 1. Februar 1986 zu zahlen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Ein Anspruch des Klägers auf Schmerzensgeld (§ 847 Abs. 1 BGB) besteht nicht. Die Haftung des Beklagten ist nach § 637 Abs. 1 in Verb. mit § 636 Abs. 1 RVO ausgeschlossen.

I. Nach § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO ist der Unternehmer von der Haftung für Personenschäden befreit, die ein in seinem Betrieb beschäftigter Versicherter bei einem Arbeitsunfall erleidet, sofern der Unternehmer den Arbeitsunfall nicht vorsätzlich herbeigeführt hat. Auch Schmerzensgeldansprüche des Verletzten werden von dem Haftungsausschluß erfaßt (BVerfGE 34, 118 = AP Nr. 6 zu § 636 RVO). § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO gilt nach § 637 Abs. 1 RVO entsprechend, wenn ein in demselben Betrieb tätiger Betriebsangehöriger den Arbeitsunfall durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht hat.

II. Im Unfallzeitpunkt war der Kläger als Arbeitnehmer im Unternehmen der T Produktions GmbH versichert (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO). Der Beklagte war in demselben Betrieb tätig. Der Unfall war ein Arbeitsunfall und ist durch eine betriebliche Tätigkeit herbeigeführt worden. Dies hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler angenommen. Ihm ist auch darin zu folgen, daß der Beklagte den Unfall nicht vorsätzlich herbeigeführt hat.

1. Der Vorsatz im Sinne des § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO muß den Arbeitsunfall umfassen. Es genügt nicht, daß ein bestimmtes für den Unfall ursächliches Handeln gewollt, der Unfall selbst aber nicht vom Willen des Handelnden umfaßt wird (vgl. BAG Urteil vom 27. Juni 1975 - 3 AZR 457/74 - AP Nr. 9 zu § 636 RVO, m.w.N., mit zustimmender Anmerkung von Weitnauer und Holtkamp). Der Vorsatz des Beklagten wird somit nicht schon dadurch begründet, daß der Beklagte die gefährliche Tätigkeit des Klägers, also das Reinigen der Maschine mit dem Handspachtel, gewollt hat. Sein Vorsatz hätte sich auf den Eintritt des Unfalls beziehen müssen. Nur dann würde der gesetzliche Haftungsausschluß nicht eingreifen.

2. Aus dem Vortrag des Klägers, der wegen der Säumnis des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht als zugestanden anzusehen war (§ 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO), ergibt sich nicht, daß der Beklagte den Arbeitsunfall des Klägers vorsätzlich herbeigeführt hat. Zwar reicht als Vorsatz im Sinne des § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO auch der sog. bedingte Vorsatz aus, der gegeben ist, wenn der Handelnde den möglicherweise eintretenden Erfolg für den Fall seines Eintritts billigt (vgl. BAG Urteil vom 8. Dezember 1970 - 1 AZR 81/70 - AP Nr. 4 zu § 636 RVO). Der Kläger hat aber keine Tatsachen dafür vorgetragen, daß der Beklagte bedingt vorsätzlich gehandelt hat. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen.

a) Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, daraus, daß der Beklagte aufgrund seiner Kenntnis von früheren Unfällen den Arbeitsunfall vorausgesehen und gewußt habe, daß der Kläger im Umgang mit der Maschine unerfahren und die Reinigung des Rohrkerns bei laufender Maschine äußerst gefährlich war, und daraus, daß der Beklagte nach dem Unfall weggelaufen sei, ohne die Maschine abzuschalten, könne nicht auf bedingten Vorsatz geschlossen werden. Die Möglichkeit, daß der Beklagte trotzdem gehofft und damit gerechnet habe, es werde nicht zu dem Unfall kommen, sei nicht widerlegt. Die Behauptungen des Klägers ließen den Schluß nicht zu, der Arbeitsunfall sei als eine so naheliegende übliche Folge der angeordneten Reinigungsweise anzusehen, daß ein Vertrauen darauf, der Unfall werde nicht eintreten, bereits als ausgeschlossen angesehen werden könne. Eine nur formelhafte Begründung, wie etwa die Äußerung der Rechtsansicht, der Beklagte habe den Unfall gewollt bzw. billigend in Kauf genommen, reiche zur Begründung des willentlichen Elements des Vorsatzes nicht aus.

b) Dagegen wendet sich die Revision vergeblich.

Die Revision meint, aus dem mündlichen Vorbringen des Klägers in der Berufungsinstanz ergebe sich, daß der Beklagte ein Vertrauen darauf, der Unfall sei zu vermeiden gewesen, nicht hätte haben können und demgemäß auch nicht hatte. Dem ist nicht zu folgen. Vielmehr hat das Berufungsgericht den bedingten Vorsatz des Beklagten rechtsfehlerfrei abgelehnt.

Der Senat kann als Revisionsgericht nur nachprüfen, ob das Landesarbeitsgericht bei Einordnung des festgestellten Sachverhalts, hier also des als zugestanden geltenden tatsächlichen Vorbringens, unter den Rechtsbegriff des bedingten Vorsatzes alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob der Rechtsbegriff verkannt wurde (vgl. Zöller/Schneider, ZPO, 15. Aufl., § 550 Rz 12). Unter beiden Gesichtspunkten ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden.

Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß aus der dem Beklagten bekannten Gefährlichkeit der Arbeit und Unerfahrenheit des Klägers im Umgang mit der Maschine nicht auf bedingten Vorsatz des Beklagten geschlossen werden kann. Dies gilt, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, auch, wenn man entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil vom 8. Dezember 1970 - 1 AZR 81/70 - AP Nr. 4 zu § 636 RVO) genügen lassen wollte, daß der Handelnde den Unfall aus Gleichgültigkeit in Kauf genommen hat (vgl. Soergel/Wolf, BGB, 11. Aufl., § 276 Rz 65; dazu auch: MünchKomm-Hanau, BGB, 2. Aufl., § 276 Rz 61 und Mayer-Maly, Anmerkung zu AR-Blattei, (D) Haftung des Arbeitgebers, Entsch. 44). Nicht einmal dafür hat der Kläger substantiiert vorgetragen.

Der Kläger hat außer auf seine eigene Unerfahrenheit auf das insistierende Verhalten des Beklagten und die Gefährlichkeit der Arbeit hingewiesen, wobei er sich auf frühere, nicht näher bezeichnete Unfallereignisse berufen hat. Das sind keine Umstände, die es dem Gericht ermöglichten, konkrete Schlüsse darauf zu ziehen, daß der Beklagte vorsätzlich gehandelt hat. Dafür wäre vielmehr erforderlich gewesen vorzutragen, wie oft die Maschine gereinigt wird, wie oft der Kläger dies schon gemacht hat, wie hoch die Unfallhäufigkeit ist, welche Möglichkeiten bestanden, sich vor solchen Unfällen zu schützen, ob und gegebenenfalls wie der Beklagte den Kläger daran gehindert hat, in Betracht kommende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, und wie der Beklagte sich bisher verhalten hat, wenn der Kläger oder einer seiner Arbeitskollegen die Rohrfertigungsanlage reinigen mußte. Ohne Tatsachenvortrag zu diesen Fragen war es nicht möglich anzunehmen, der Beklagte habe den Unfallerfolg gebilligt oder auch nur aus Gleichgültigkeit in Kauf genommen. Der Klagevortrag läßt in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit offen, daß der Unfall sich bei einer Routinetätigkeit ereignete, die bisher nur selten zu Unfällen geführt hat. Selbst wenn aus der dem Beklagten erkennbaren Ängstlichkeit des Klägers und dem Umstand, daß der Handspachtel hätte länger sein müssen, um ihn gefahrlos in die laufende Maschine einzuführen, auf eine erhebliche Verletzung der Sorgfaltspflicht durch den Beklagten zu schließen wäre, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht eine auch nur gleichgültige Inkaufnahme des Unfalls durch den Beklagten als von dem Kläger nicht substantiiert behauptet und daher auch nicht von dem Beklagten zugestanden angesehen hat.

Michels-Holl Dr. Peifer Dr. Wittek

Dr. Weiss H. Rheinberger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI441716

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