Entscheidungsstichwort (Thema)

Tariflicher Urlaubsabgeltungsanspruch. Arbeitsunfähigkeit

 

Orientierungssatz

1. Der Urlaubsabgeltungsanspruch als Surrogat des Urlaubsanspruchs ist in allen Voraussetzungen und Wirkungen ebenso zu behandeln wie der Urlaubsanspruch selbst. Das Entstehen von Urlaubsabgeltungsansprüchen ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Arbeitnehmer wegen Erwerbsunfähigkeit aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist.

2. Auslegung der §§ 23, 25, 27, 28 und 30 des Tarifvertrages für die Angehörigen der Ersatzkassen.

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abs. 4

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 13.05.1985; Aktenzeichen 11 Sa 1267/84)

ArbG Bad Hersfeld (Urteil vom 30.08.1984; Aktenzeichen 1 Ca 340/84)

 

Tatbestand

Der Kläger ist schwerbehindert. Er war bei der Beklagten seit dem Jahre 1953 beschäftigt, zuletzt als Bezirksgeschäftsführer der Geschäftsstelle der Beklagten in Bad H. Auf das Arbeitsverhältnis war der Ersatzkassentarifvertrag (EKT) in seiner jeweils gültigen Fassung anzuwenden.

Der EKT enthält u. a. folgende Vorschriften:

"§ 23

Sonderzahlung

(1) Der Angestellte erhält in jedem Kalenderjahr ein

Urlaubsgeld in Höhe von 100 v. H. des für den

Monat April und ein Weihnachtsgeld in Höhe von

100 v. H. des für den Monat November maßgebli-

chen Bruttogehaltes (§ 11) bzw. bei Auszubilden-

den der Vergütung (§ 17) einschließlich persönli-

cher Zulagen nach § 10 Abs. 2 bis 4 und Anlage 5.

....

§ 25

Erholungsurlaub

(1) Unter Fortzahlung der Gehaltsbezüge wird ein

Erholungsurlaub gewährt. Das Urlaubsjahr läuft vom

1. Januar bis 31. Dezember.

....

§ 27

Urlaubsanspruch

....

(2) Beginnt oder endet das Beschäftigungsverhältnis

im Laufe des Urlaubsjahres, so beträgt der Urlaubs-

anspruch 1/12 des vollen Jahresurlaubs für jeden

angefangenen Beschäftigungsmonat. Das gilt entspre-

chend, wenn das Beschäftigungsverhältnis länger als

zwei Monate ruht. Bruchteile von Urlaubstagen

werden auf volle Tage, jedoch nur einmal im

Urlaubsjahr, aufgerundet.

....

(5) Bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses

wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder Errei-

chens der Altersgrenze besteht Anspruch auf den

vollen Urlaub für das laufende Kalenderjahr,

jedoch nur insoweit, als das verbleibende Beschäf-

tigungsverhältnis Arbeitstage umfaßt. § 28 Abs. 4

gilt, es sei denn, daß der Angestellte allein

wegen der Urlaubsabwicklung nicht arbeitet.

....

§ 28

Besondere Urlaubsbestimmungen

(1) Urlaub, der nicht spätestens drei Monate nach

Ablauf des Urlaubsjahres genommen wird, verfällt

ohne Anspruch auf Geldentschädigung, es sei denn,

daß er erfolglos schriftlich geltend gemacht

worden ist.

....

(3) Konnte der Urlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder

wegen Schwangerschaft nicht bis zum Ende des

Urlaubsjahres genommen werden, so ist er auf das

folgende Kalenderjahr zu übertragen und nach

Fortfall der Hinderungsgründe unverzüglich,

spätestens jedoch bis zum Ablauf des Jahres, in

das der Urlaub übertragen worden ist, zu nehmen;

ansonsten verfällt der Urlaub.

(4) Hat der Angestellte in dem betreffenden Urlaubs-

jahr weniger Tage gearbeitet als er tarifvertrag-

lich an Urlaubstagen zu beanspruchen hätte,

richtet sich der Urlaubsanspruch ausschließlich

nach dem Bundesurlaubsgesetz.

(5) Der Urlaub kann auch während einer mit Arbeits-

unfähigkeit verbundenen Erkrankung genommen werden.

In diesem Fall treten für die Dauer des Urlaubs

an die Stelle der Krankenbezüge bzw. des Zuschus-

ses zum Krankengeld die Gehaltsbezüge.

....

§ 30

Urlaubsabgeltung

Der Urlaubsanspruch kann nur abgegolten werden,

wenn dem Angestellten der noch zustehende Urlaub

nicht mehr vor Beendigung des Beschäftigungsver-

hältnisses gewährt werden kann. ...."

Seit Ende September 1982 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Den Jahresurlaub für 1982 von 36 Tagen hatte ihm die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewährt. Auch während des Jahres 1983 und bis zum Ende des Jahres 1984 war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig krank.

Mit Rentenbescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 7. Oktober 1983 wurde festgestellt, daß der Kläger seit 1. April 1983 erwerbsunfähig ist. Bis zu diesem Zeitpunkt war für den Kläger für das Jahr 1983 ein Urlaubsanspruch von sechs Tagen entstanden.

Mit seiner am 15. Juni 1984 zugestellten Klage hat der Kläger Abgeltung von 42 Urlaubstagen mit einem Betrag von 10.929,66 DM begehrt.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.929,66 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 15. Juni 1984 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Klage hatte vor dem Arbeitsgericht Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Dem Kläger steht ein Urlaubsabgeltungsanspruch nicht zu. Das Landesarbeitsgericht hat jedenfalls im Ergebnis zutreffend die Klage abgewiesen. Die Urlaubsansprüche des Klägers aus dem Jahre 1982 und 1983 sind mit Ablauf des Jahres 1983 bzw. des Jahres 1984 erloschen.

1. Der Kläger hatte im Jahre 1982 einen Urlaubs- und Zusatzurlaubsanspruch von insgesamt 36 Arbeitstagen. Wegen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers ist dieser Anspruch nach § 28 Abs. 3 EKT auf das folgende Jahr 1983 übertragen und bis zum Ende dieses Jahres befristet.

Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 1. April 1983 (§ 34 Abs. 2 EKT, vgl. dazu BAGE 48, 7 = AP Nr. 20 zu § 7 BUrlG Abgeltung) hat sich dieser Urlaubsanspruch in einen Urlaubsabgeltungsanspruch umgewandelt, weil wegen der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers der Urlaub nicht gewährt werden konnte (§ 30 Satz 1 EKT). Hierdurch hat sich an der Befristung des Anspruchs nichts geändert, weil der Urlaubsabgeltungsanspruch als Surrogat des Urlaubsanspruchs - abgesehen davon, daß nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Beseitigung von Arbeitspflichten nicht mehr in Betracht kommt - in allen Voraussetzungen und Wirkungen ebenso zu behandeln ist wie der Urlaubsanspruch selbst. Diese nach § 7 Abs. 4 BUrlG gebotenen Folgerungen vertritt das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt Urteil des erkennenden Senats vom 10. Februar 1987 - 8 AZR 529/84 - AP Nr. 12 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen). § 30 EKT enthält keinen Anhaltspunkt, daß gegenüber § 7 Abs. 4 BUrlG insoweit eine andere Regelung gewollt wäre.

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist das Entstehen von Urlaubsabgeltungsansprüchen auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Arbeitnehmer wegen Erwerbsunfähigkeit aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist. Dies entspricht der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der sich der z. T. abweichenden Ansicht des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts, auf die das Landesarbeitsgericht abstellt, nicht angeschlossen hat (ständige Rechtsprechung seit dem Urteil vom 14. Mai 1986, BAGE 52, 67 = AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung und vom 10. Februar 1987 - 8 AZR 529/84 -, aaO).

Dennoch scheidet ein Anspruch auf Abgeltung des aus dem Jahre 1982 übertragenen Urlaubs aus, weil der Kläger über das Jahresende 1983 hinaus weiterhin arbeitsunfähig krank, der Urlaubsabgeltungsanspruch also nicht erfüllbar war.

Daher steht fest, daß der Urlaubsabgeltungsanspruch mit dem Ende des Jahres 1983 erloschen ist. Eine weitere Übertragung auf ein späteres Jahr ist nach dem Tarifvertrag nicht möglich.

2. Auch der Urlaubsanspruch für das Jahr 1983, der unstreitig für den Kläger in Höhe von sechs Arbeitstagen bestanden hat, steht dem Kläger nicht mehr zu.

Der Urlaubsanspruch hat sich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 1. April 1983 in einen Urlaubsabgeltungsanspruch umgewandelt (§ 30 Satz 1 EKT), weil er nicht vor Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gewährt werden konnte.

Dieser Urlaubsabgeltungsanspruch unterliegt wie der Urlaubsanspruch ebenfalls der Befristung nach § 28 Abs. 3 EKT. Da der Abgeltungsanspruch wegen der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum Ende des Jahres 1983 nicht erfüllbar war, ist er auf das folgende Kalenderjahr 1984 übertragen. Weil der Kläger auch in diesem Jahr nicht wieder arbeitsfähig geworden war, ist der Anspruch mit Ablauf des Jahres 1984 verfallen.

3. Die Angriffe der Revision hiergegen rechtfertigen kein anderes Ergebnis.

Die Revision rügt die Verletzung insbesondere der §§ 23, 27, 28 und 34 EKT. Sie übersieht dabei, daß keine der genannten Vorschriften den Anspruch des Klägers stützt. Der Anspruch richtet sich allein nach § 30 EKT.

Der Auffassung der Revision, § 30 Satz 1 EKT sei wegen der Regelungen in § 28 Abs. 1 und § 28 Abs. 5 EKT so zu verstehen, daß der Urlaubsabgeltungsanspruch vom Urlaubsanspruch "abgekoppelt" sei, kann nicht gefolgt werden. Die Revision meint, aus der Zusammenschau der drei Vorschriften ergebe sich, daß die Formulierung "Geldentschädigung" der Oberbegriff sei für die in § 28 Abs. 5 EKT getroffene Regelung; daraus folge, daß die Tarifvertragsparteien die in § 30 EKT genannte Urlaubsabgeltung "vom Charakter des ursprünglichen Urlaubsanspruchs" hätten "abkoppeln" wollen und es damit auf die Erfüllbarkeit i. S. der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 7 Abs. 4 BUrlG nicht ankomme.

Dieser Auffassung kann schon deshalb nicht zugestimmt werden, weil der Begriff "Geldentschädigung" nur in § 28 Abs. 1 EKT enthalten ist, nicht dagegen in den beiden anderen Vorschriften. Der Hinweis in § 28 Abs. 1 EKT, daß der Urlaubsanspruch ohne Anspruch auf Geldentschädigung verfällt, wenn er nicht spätestens drei Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres genommen wird, ist - darauf weist die Beklagte zu Recht hin - lediglich eine klarstellende Ergänzung der entsprechenden Regelung in § 7 Abs. 3 BUrlG.

Auch aus § 28 Abs. 5 EKT ist für den Inhalt des Abgeltungsanspruchs nichts zu entnehmen. In § 28 Abs. 5 EKT ist nur geregelt, daß während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses der Urlaub während der Krankheit abgegolten werden kann (vgl. dazu Urteil des Senats vom 22. Oktober 1987 - 8 AZR 171/86 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Ob gegen diese Vorschrift mit Rücksicht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG Bedenken bestehen, bedarf keiner Entscheidung. Sie bezieht sich jedenfalls nicht auf den Urlaubsabgeltungsanspruch nach Ende des Arbeitsverhältnisses.

Inwiefern sich daraus eine Abkoppelung des Abgeltungsanspruchs nach § 30 EKT vom Urlaubsanspruch ergeben könnte, ist nicht ersichtlich. § 30 EKT stimmt mit § 7 Abs. 4 BUrlG inhaltlich überein.

Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer

Dr. Meyer Wittendorfer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI441640

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