Entscheidungsstichwort (Thema)

Übergangsgeld im öffentlichen Dienst

 

Leitsatz (amtlich)

  • Die Verpflichtungen, die für den Stipendiaten durch die Annahme des Forschungsstipendiums einer Universität entstehen, begründen kein den Anspruch des Stipendiaten auf Übergangsgeld ausschließendes Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 62 Abs. 4 BAT.
  • Auf das Übergangsgeld können Bezüge aus einem Forschungsstipendium nicht angerechnet werden (wie BAGE 42, 212 = AP Nr. 5 zu § 63 BAT).
 

Normenkette

BAT § 62 Abs. 4, § 63 Abs. 5; SGB IV § 7

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 03.03.1993; Aktenzeichen 11 Sa 1546/92)

ArbG Essen (Urteil vom 06.10.1992; Aktenzeichen 6 Ca 1973/92)

 

Tenor

  • Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 3. März 1993 – 11 Sa 1546/92 – wird zurückgewiesen.
  • Das beklagte Land hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Anspruch auf Übergangsgeld Bezüge aus einem Forschungsstipendium entgegenstehen.

Der Kläger war vom 1. Dezember 1986 bis zum 30. November 1991 als wissenschaftlicher Angestellter an der Universität Gesamthochschule E… beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) Anwendung. Vom 1. Dezember bis zum 14. Dezember 1991 war der Kläger arbeitslos. Ab 15. Dezember 1991 erhielt er von dem Graduiertenkolleg Entwicklungsoziologie/Sozialanthropologie an der Fakultät für Soziologie der Universität B… ein Forschungsstipendium in Höhe von 2.700,-- DM monatlich, das zur Hälfte von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und zur anderen Hälfte vom beklagten Land finanziert wurde. Die allgemeinen Richtlinien dieses Graduiertenkollegs lauten u.a.:

  • “…
  • Zweckbestimmung und Mitglieder

    Das Graduiertenkolleg Entwicklungssoziologie/Sozialanthropologie dient der forschungsorientierten Ausbildung und Fortbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Zu diesem Zweck vergibt es Stipendien, insbesondere an Doktorandinnen/Doktoranden, die über Probleme im Rahmen der Thematik des FSP Entwicklungssoziologie und des Graduiertenkollegs arbeiten.

  • Verpflichtung der Stipendiatin/des Stipendiaten

    Die Annahme des Stipendiums verpflichtet die Stipendiatin/den Stipendiaten

    • ihre/seine Arbeitskraft auf das in ihrem/seinem Studienplan beschriebene Vorhaben zu konzentrieren,
    • keine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, die über gelegentliche geringfügige Einkünfte bis zu einer Höhe von monatlich DM 400,-- hinausgehen,
    • mindestens einmal jährlich über den Verlauf und Ergebnis ihrer/seiner Studien zu berichten und zum Abschlußbericht, den die Kollegleitung über das Gesamtvorhaben der DFG vorlegen wird, in geeigneter Form beizutragen,
    • regelmäßig an den Veranstaltungen des Graduiertenkollegs teilzunehmen. Um dies zu ermöglichen, wird erwartet, daß die Stipendiatin/der Stipendiat im Raum B… wohnhaft ist.
  • …”

Das beklagte Land gewährte dem Kläger für die Zeit vom 1. Dezember bis 14. Dezember 1991 Übergangsgeld nach §§ 62 bis 64 BAT in Höhe von 1.374,32 DM. Einen weitergehenden Anspruch lehnte es ab.

Der Kläger hat von dem beklagten Land die Zahlung eines weiteren Übergangsgeldes in unstreitiger Höhe von 4.288,30 DM verlangt und gemeint, dem Anspruch stünden die Bezüge aus dem Forschungsstipendium nicht entgegen. Sie könnten auch nicht auf das Übergangsgeld angerechnet werden. Ferner hat der Kläger eine Zuwendung in Höhe von 5.482,74 DM für 1991 nach dem Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte vom 12. Oktober 1973 verlangt.

Der Kläger hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 9.771,04 DM nebst 13,75 % Zinsen aus 5.482,74 DM seit dem 01. Dezember 1991 und aus 2.917,62 DM seit dem 15. Dezember 1991 und aus 1.370,68 DM seit dem 15. Januar 1992 zu zahlen.

Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, das Stipendiatenverhältnis sei ein neues mit Einkommen verbundenes Beschäftigungsverhältnis i. S. § 62 Abs. 4 BAT gewesen, so daß dem Kläger ab 15. Dezember 1991 kein Übergangsgeld zugestanden habe. Bezüge aus einem Stipendium seien auch als sonstige laufende Bezüge aus öffentlichen Mitteln anzusehen und daher nach § 63 Abs. 5 BAT auf das Übergangsgeld anzurechnen. Auch dies führe vorliegend ab 15. Dezember 1991 zum Wegfall des Anspruchs.

Das Arbeitsgericht hat der Klage auf Zahlung weiteren Übergangsgeldes stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Die Berufungen des Klägers und des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt das beklagte Land seinen Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld sei für die Zeit ab 15. Dezember 1991 weder nach § 62 Abs. 4 BAT ausgeschlossen noch nach § 63 Abs. 5 BAT gemindert. Das Rechtsverhältnis des Klägers als Stipendiat des Graduiertenkollegs an der Universität B… sei kein neues mit Einkommen verbundenes Beschäftigungsverhältnis i.S. der Tarifnorm, weil es an einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers fehle. Die mit dem Stipendium verbundenen Zahlungen seien auch keine sonstigen laufenden Bezüge aus öffentlichen Mitteln im tariflichen Sinn, weil auf das Übergangsgeld nur Vergütungsersatzleistungen angerechnet werden könnten. Eine solche sei das Stipendium nach seiner Zweckbestimmung nicht.

Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

II. Die Klage ist in dem im Revisionsverfahren noch anhängigen Umfang begründet.

Der Kläger hat gegen das beklagte Land Anspruch auf Zahlung des weiteren Übergangsgeldes (§§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 u. 2 BAT). Der Anspruch ist für die Zeit ab 15. Dezember 1991 weder nach § 62 Abs. 4 BAT ausgeschlossen noch nach § 63 Abs. 5 BAT gemindert.

1. Der Kläger erfüllt die tariflichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Übergangsgeld (§ 62 Abs. 1 BAT). Der Anspruch ist nicht ab 15. Dezember 1991 entfallen. Nach § 62 Abs. 4 BAT steht dem früheren Angestellten von dem Tage an kein Übergangsgeld zu, an dem er in ein neues mit Einkommen verbundenes Beschäftigungsverhältnis eingetreten ist. Die Verpflichtung, die der Kläger durch Annahme des Forschungsstipendiums eingegangen ist, führt nicht dazu, daß ein neues Beschäftigungsverhältnis entstanden ist.

a) Als neues Beschäftigungsverhältnis ist jede abhängige Tätigkeit anzusehen, die innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Dienstes ausgeübt wird, ohne daß es auf den Status ankommt (vgl. Urteil des Senats vom 11. November 1993 – 6 AZR 309/93 – zur Veröffentlichung bestimmt). Die Tätigkeit des Klägers ist weder eine abhängige noch ist sie mit Einkommen verbunden.

Die von dem Kläger eingegangene Verpflichtung ist keine Gegenleistung für das ihm gewährte Stipendium. Die Arbeitsleistung des Stipendiaten dient der Verwirklichung des Förderzwecks. Das Graduiertenkolleg, an dem der Kläger teilnimmt, dient der forschungsorienten Ausbildung und Fortbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die Leistungen an den Kläger sollen diesem ermöglichen, den Förderzweck zu verfolgen. Sie sind keine Gegenleistung für die Arbeitsleistung des Klägers. Damit fehlt es an der Entgeltlichkeit der ausgeübten Tätigkeit, auf die es für den Einkommensbegriff ankommt (vgl. Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Stand Februar 1994, § 62 Rz 33; Urteil des Sents vom 11. November 1993 – 6 AZR 309/93 – zur Veröffentlichung bestimmt).

Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht für den Begriff des Beschäftigungsverhältnisses darauf abgestellt, in welchem Maße der Kläger nach dem Inhalt seiner Verpflichtung persönlich abhängig ist. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist weder erforderlich noch ausreichend (vgl. BAG Urteil vom 14. Februar 1974 – 5 AZR 298/73 – BAGE 25, 505, 511 = AP Nr. 12 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 3b der Gründe und BAG Urteil vom 14. Dezember 1983 – 7 AZR 290/82 – EzBAT § 1 BAT Arbeitnehmerbegriff Nr. 8, zu 6 der Gründe). Die persönliche Abhängigkeit ergibt sich aus der Eingliederung in eine fremdbestimmte Arbeitsorganisation und dem Umfang der Weisungsgebundenheit. Der Kläger hat einige Pflichten gegenüber dem Graduiertenkolleg übernommen, aber es fehlt an der für ein Beschäftigungsverhältnis wesentlichen persönlichen Abhängigkeit. Der Kläger ist zwar verpflichtet, seine Arbeitskraft auf sein wissenschaftliches Vorhaben zu konzentrieren und einmal jährlich über Verlauf und Ergebnis seiner Studien zu berichten. Um dies zu gewährleisten, darf er auch keine Erwerbstätigkeit aufnehmen, die mehr als gelegentliche geringfügige Einkünfte bis zu einer Höhe von monatlich 400,-- DM einbringt. Hinsichtlich zeitlicher Lage, Dauer und Ort der Arbeitsleistung, Methode der Arbeitsgestaltung, Inhalt und Ergebnis seiner Arbeiten ist der Kläger aber nicht an Weisungen des Graduiertenkollegs gebunden. Damit fehlen wesensbestimmende Merkmale für ein Beschäftigungsverhältnis. Dem Kläger sind nicht dieselben oder ähnliche Arbeitsmöglichkeiten und -pflichten zugewiesen worden, die den beamteten oder angestellten Hochschullehrern oder sonstigem wissenschaftlichen Personal üblicherweise auferlegt sind (vgl. hierzu Senatsurteil vom 11. November 1993 – 6 AZR 309/93 – zur Veröffentlichung bestimmt).

b) Der gegenteiligen Tarifauslegung durch die BAT-Kommission kann nicht gefolgt werden. Diese hat in ihrer Sitzung am 15. September 1992 (unter Top 20) zur Frage des Übergangsgeldes nach § 62 BAT für Angestellte bei Gewährung eines Forschungsstipendiums erklärt:

“Die BAT-Kommission ist der Auffassung, daß ein Forschungsstipendium im Falle des Ausscheidens des Angestellten aus dem Arbeitsverhältnis einen Anspruch auf das tarifliche Übergangsgeld gemäß § 62 Abs. 2 Buchst. f BAT ausschließt, wenn im Hinblick auf die Höhe und die Zahlungsweise des Stipendiums von einem “Einkommen” im Sinne der tariflichen Bestimmung ausgegangen werden kann und z.B. im Hinblick auf die Verpflichtung des Stipendiaten, seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, ein Beschäftigungsverhältnis zu bejahen ist.

…”

Die Tarifauslegung hat nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung zunächst von dem Tarifwortlaut auszugehen (vgl. BAG Urteil vom 9. März 1983 – 4 AZR 61/80 – BAGE 42, 86 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Urteil vom 9. Juli 1980 – 4 AZR 560/78 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seeschiffahrt; BAG Urteil vom 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Ein Vertragswille, der im Tarifvertrag keinen erkennbaren Niederschlag gefunden hat, ist für die Anwendung tariflicher Normen bedeutungslos (vgl. BAG Urteil vom 17. September 1957 – 1 AZR 312/56 – AP Nr. 4 zu § 1 TVG Auslegung). Durch die Bezeichnung “Beschäftigungsverhältnis” haben die Tarifvertragsparteien einen Begriff verwendet, der nach seinem Wortlaut Entgeltlichkeit und persönliche Abhängigkeit als wesensbestimmende Merkmale voraussetzt.

Dem steht nicht entgegen, daß nach einer am Sinn und Zweck der Tarifnorm ausgerichteten Auslegung auch Ausbildungsverhältnisse vom Anwendungsbereich der Tarifbestimmung erfaßt werden. Ihnen ist das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit des Auszubildenden eigen. Der Gesetzgeber hat dem dadurch Rechnung getragen, daß nach § 7 Abs. 2 SGB IV der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung als Beschäftigung gilt.

2. Die monatlichen Bezüge des Klägers in Höhe von 2.700,-- DM dürfen auch nicht auf das Übergangsgeld angerechnet werden.

Werden dem Angestellten laufende Versorgungsbezüge, laufende Unterstützungen, Arbeitslosengeld, Unterstützung aus der Arbeitslosenhilfe oder sonstige laufende Bezüge aus öffentlichen Mitteln oder Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt, so erhält er ohne Rücksicht darauf, ob der Arbeitgeber dazu Mittel beigesteuert hat, das Übergangsgeld nur insoweit, als die genannten Bezüge für denselben Zeitraum hinter dem Übergangsgeld zurückbleiben (§ 63 Abs. 5 Unterabs. 1 BAT).

Entgegen der Ansicht der Revision gehören die Bezüge aus dem Forschungsstipendium nicht zu den “sonstigen laufenden Bezügen aus öffentlichen Mitteln” i.S. von § 63 Abs. 5 Unterabs. 1 BAT. Nach dem Sinn und Zweck der Tarifvorschrift sollen auf das Übergangsgeld Leistungen aus öffentlichen Mitteln angerechnet werden, die den gleichen Zweck wie Übergangsgeld verfolgen. Es gilt, Doppelzahlungen der öffentlichen Hand zu vermeiden. Das dem Kläger gewährte Forschungsstipendium verfolgt dagegen andere Zwecke als das Übergangsgeld. Wie sich aus den allgemeinen Richtlinien des Graduiertenkollegs ergibt, dient das Stipendium der forschungsorientierten Ausbildung und Fortbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Zu diesem Zweck vergibt das Kolleg Stipendien an graduierte Akademiker, die über Probleme im Rahmen der Thematik des Graduiertenkollegs Entwicklungssoziologie/Sozialanthropologie arbeiten. Diese Zweckbestimmung unterscheidet sich wesentlich von der Zweckbestimmung des Übergangsgeldes nach § 62 BAT. Eine Anrechnung von Leistungen aus dem Stipendium auf das Übergangsgeld würde daher dem Sinn und Ziel des Stipendiums widersprechen. Zweckgebundene Förderungsmittel erhielten die Funktion einer Übergangshilfe, soweit ein Stipendiat zuvor im öffentlichen Dienst tätig war. Damit würde ein Stipendium wirtschaftlich entwertet. Dies entspricht nicht dem Sinn der tariflichen Anrechnungsklausel. Der Senat schließt sich insoweit der Auffassung des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts an ( BAG Urteil vom 19. April 1983 – 3 AZR 16/81 – BAGE 42, 212 = AP Nr. 5 zu § 63 BAT).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Bengs, Elias

 

Fundstellen

Haufe-Index 856668

BB 1994, 2148

NZA 1995, 237

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