Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtskraft. Zulassung neuen Vorbringens. Säurebau

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Rechtskraft eines Urteils, mit dem ein Arbeitgeber nach dem Tarifvertrag über das Verfahren für den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe vom 12. November 1960 bzw 19. Dezember 1983 auf Auskunftserteilung verurteilt worden ist, steht einer gegenteiligen Entscheidung im Nachfolgeprozeß, in dem die entsprechende Beitragsforderung eingeklagt wird, nicht entgegen. Solchenfalls entstehen keine Präklusionswirkungen und greift § 318 ZPO nicht ein.

2. Von der Möglichkeit des Ausschlusses von Parteivorbringen oder Beweismitteln wegen Verspätung (§ 67 Abs 2 ArbGG) kann kein Gebrauch gemacht werden, wenn ein Schriftsatz so rechtzeitig beim Berufungsgericht eingeht, daß die Ladung eines darin benannten Zeugen zu einem bereits anberaumten Termin möglich ist, oder der betreffende Zeuge in dem Termin gestellt wird.

 

Orientierungssatz

Fliesenverlegung - Säurebau.

 

Normenkette

TVG § 1; ZPO §§ 138-139, 318, 322; BauRTV § 1; ArbGG § 67

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 21.03.1988; Aktenzeichen 14 Sa 1093/87)

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 14.05.1987; Aktenzeichen 5 Ca 4211/86)

 

Tatbestand

Die Klägerin ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Sie nimmt die Beklagte zu 1) und deren persönlich haftende Gesellschafterin, die Beklagte zu 2), auf Beitragszahlung für die Monate April 1983 bis Januar 1984 in Anspruch, nachdem die Beklagten rechtskräftig zur Erteilung der zur Berechnung der Beitragsansprüche notwendigen Auskünfte verurteilt worden waren (BAG Urteile vom 27. August 1986 - 4 AZR 591/85 - und - 4 AZR 593/85 -) und diese Auskünfte erteilt hatten.

Die Klägerin hat behauptet, daß im Betrieb der Beklagten zu 1) arbeitszeitlich überwiegend Fliesen- und Plattenverlegungsarbeiten durchgeführt würden. Der Betrieb werde deshalb vom fachlichen Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV-Bau) und demzufolge auch von dem der allgemeinverbindlichen Verfahrenstarifverträge erfaßt. Die Beklagte zu 1) führe Fliesen-, Platten- und Mosaik-, Ansetz- und Verlegearbeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 14 BRTV-Bau aus. Die Beklagte sei auch als Fliesenlegerbetrieb in die Handwerksrolle eingetragen. Es handele sich nicht um einen Betrieb des Säurebaus im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 8 BRTV-Bau in der Fassung vom 3. Februar 1981. Die Herstellung eines säurefesten Untergrundes sei eine typische Tätigkeit des Fliesenlegerhandwerks. Daß der Betrieb der Beklagten zu 1) vom Geltungsbereich der Verfahrens-Tarifverträge erfaßt werde, sei außerdem Grundlage der gerichtlichen Entscheidungen über die Verpflichtung zur Auskunftserteilung gewesen. Daran seien die Beklagten auch im vorliegenden Rechtsstreit über die Beitragszahlung gebunden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte als Gesamtschuldner zu verurteilen,

an sie 289.677,30 DM zu zahlen.

Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, daß die Beklagte zu 1) als Betrieb des Säurebaus im Anspruchszeitraum nicht vom fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge des Baugewerbes erfaßt worden sei. Gegenstand der überwiegenden betrieblichen Tätigkeit sei die Herstellung chemisch resistenter Oberflächen unter Einsatz für den Säurebau typischer Werkstoffe gewesen. Dazu gehöre die Herstellung eines säurefesten Untergrundes und säurefester Verfugungen. Bei dieser Tätigkeit kämen für den Säurebau typische Arbeitsgeräte zum Einsatz. Die Verlegung keramischer Fliesen habe arbeitszeitlich und wertmäßig bei der Herstellung säurefester Oberflächen, die überwiegend in Industriebetrieben erfolge, nur untergeordnete Bedeutung. Auch sei die Verlegung keramischer Platten überwiegend durch Subunternehmer vorgenommen worden. Durch die Verurteilung zur Auskunftserteilung sei keine Bindungswirkung für den vorliegenden Rechtsstreit eingetreten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision mit der Maßgabe, daß die Beklagten wie Gesamtschuldner (als unechte Gesamtschuldner) zu verurteilen sind.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des berufungsgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht. Das Landesarbeitsgericht durfte mit der von ihm gegebenen Begründung der Klage nicht stattgeben.

Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht zunächst davon aus, daß die rechtskräftige Verurteilung der Beklagten zur Auskunftserteilung nach den Verfahrens-Tarifverträgen des Baugewerbes für die streitbefangenen Zeiträume von April 1983 bis Dezember 1983 (Urteil des Senats vom 27. August 1986 - 4 AZR 591/85 -) und von Oktober 1983 bis Januar 1984 (Urteil des Senats vom 27. August 1986 - 4 AZR 593/85 -) keinen Einfluß auf die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits über die Beitragszahlung hat.

Der rechtlichen Beurteilung des von der Klägerin vorliegend geltend gemachten Anspruches auf Beitragszahlung steht die materielle Rechtskraft (§ 322 Abs. 1 ZPO) der Urteile des Senats vom 27. August 1986 über die Verpflichtung der Beklagten zur Auskunftserteilung nicht entgegen. Nach § 322 Abs. 1 ZPO soll die materielle Rechtskraft auf die im Vorprozeß jeweils entschiedenen Ansprüche beschränkt bleiben und demgemäß nur bezüglich eines kongruenten Streitgegenstandes eine neue Klage ausgeschlossen sein. Damit soll verhindert werden, daß aus dem gleichen Sachverhalt zwischen denselben Parteien über eine daraus abgeleitete zivilrechtliche Rechtsfolge dann anders entschieden wird, wenn hierüber bereits durch ein älteres Urteil rechtskräftig entschieden worden ist (BAG Urteil vom 18. Mai 1977 - 4 AZR 18/76 - AP Nr. 97 zu §§ 22, 23 BAT m. w. N.). Streitgegenstand der genannten Prozesse, die die Klägerin gegen die Beklagten geführt hat, war deren Verpflichtung zur Auskunftserteilung nach den Verfahrens-Tarifverträgen des Baugewerbes. Vorliegend ist jedoch Streitgegenstand die Verpflichtung der Beklagten zur Beitragszahlung. Damit liegen unterschiedliche Streitgegenstände vor (vgl. Urteil des Senats vom 27. August 1986 - 4 AZR 280/85 - AP Nr. 70 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Zwar stellt sich in beiden Fällen die Frage, ob der Betrieb der Beklagten zu 1) vom Geltungsbereich der Verfahrens-Tarifverträge erfaßt wird, jedoch erwuchs deren rechtliche Beurteilung in den Vorprozessen nicht in Rechtskraft. Streitgegenstand der Vorprozesse war nämlich die Verpflichtung zur Auskunftserteilung, nicht jedoch die der Tarifgebundenheit der Beklagten zu 1). Die materielle Rechtskraft der Vorprozesse steht damit einer erneuten Beurteilung der Frage, ob der Betrieb der Beklagten zu 1) vom Geltungsbereich der Verfahrens-Tarifverträge erfaßt wird, nicht entgegen.

Zutreffend nimmt das Landesarbeitsgericht weiter an, daß im vorliegenden Rechtsstreit auch eine anderweite rechtliche Beurteilung dieser Frage möglich ist. Für das Landesarbeitsgericht trat keine Bindung an seine frühere Entscheidung nach § 318 ZPO ein, da diese ein anderes Verfahren betraf. Mit Recht führt das Landesarbeitsgericht auch aus, daß im Hinblick auf die unterschiedlichen Streitgegenstände der Verfahren eine "Präklusion" der Beklagten in bezug auf solche die Frage der Tarifgebundenheit betreffenden Tatsachen weder nach prozessualen noch materiell- rechtlichen Gesichtspunkten begründet ist. Dafür fehlt es sowohl an einer gesetzlichen als auch an einer tariflichen Grundlage.

Damit hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob der Betrieb der Beklagten zu 1) im Anspruchszeitraum von April 1983 bis Januar 1984 vom Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Verfahren für den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe und vom gleichlautenden Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Verfahren für eine zusätzliche Alters- und Invalidenbeihilfe für technische und kaufmännische Angestellte sowie für Poliere und Schachtmeister des Baugewerbes erfaßt wurde.

Die Parteien streiten insoweit nur darüber, in welchem Umfange im Betrieb der Beklagten zu 1) Fliesen-, Platten- und Mosaik-, Ansetz- und Verlegearbeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 14 BRTV-Bau ausgeführt wurden, und ob der Betrieb als Betrieb des Säurebaus nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 8 BRTV-Bau in der Fassung vom 3. Februar 1981 vom Geltungsbereich nicht erfaßt wird.

Der Senat hat sich mit der Abgrenzung von Betrieben, die Fliesenverlegearbeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 14 BRTV-Bau ausführen, von Betrieben des Säurebaus im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 8 BRTV-Bau bereits mehrfach befaßt, wobei die Urteile vom 27. August 1986 (- 4 AZR 591/85 - AP Nr. 71 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau, - 4 AZR 592/85 - und - 4 AZR 593/85 - nicht zur Veröffentlichung bestimmt sowie Urteil vom 28. September 1988 - 4 AZR 352/88 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) den Betrieb der Beklagten zu 1) betreffen (vgl. im übrigen Urteile des Senats vom 22. April 1987 - 4 AZR 344/86 - und vom 26. August 1987 - 4 AZR 153/87 - nicht zur Veröffentlichung vorgesehen). In diesen Urteilen ist der Senat davon ausgegangen, daß unter Säurebau jedenfalls die Erstellung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von baulichen Anlagen zu verstehen ist, die der Produktion, Aufbewahrung oder Beseitigung chemischer Stoffe dienen, unter Verwendung von Werkstoffen, die gegen chemische Einflüsse resistent sind. Dem Säurebau wurden allerdings auch diejenigen Tätigkeiten zugeordnet, die dazu dienen, konstruktive Bauteile, die aus üblichen statisch tragenden Konstruktionen hergestellt sind, durch Oberflächenbekleidungen mit chemisch widerstandsfähigen Schutzschichten zu schützen. Insoweit handelt es sich um "Säureschutzbau", der vom tariflichen Begriff des "Säurebaus" mitumfaßt wird. Da von Betrieben des Säurebaus und des Säureschutzbaus zum Oberflächenschutz auch Fliesenverlegearbeiten durchgeführt werden, überschneiden sich der Tätigkeitsbereich des Säurebaus bzw. Säureschutzbaus und der des Fliesenlegerhandwerks, in dessen Tätigkeitsbereich auch die Herstellung chemisch beständiger Beläge fällt. Entfällt die überwiegende betriebliche Tätigkeit auf das Verlegen von Fliesen und Platten, so ist der Betrieb dem Fliesenlegerhandwerk zuzuordnen, auch wenn er teilweise Arbeiten ausführt, die dem Säureschutzbau zuzurechnen sind. Der Senat hat demgemäß entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung hinsichtlich der Zuordnung von Betrieben zum fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge des Baugewerbes auf die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer abgestellt (ständige Rechtsprechung BAG Urteil vom 25. Februar 1987 - 4 AZR 240/86 - AP Nr. 81 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau - auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen). Dies führt in bezug auf die Abgrenzung von Fliesenlegerbetrieben zu Betrieben des Säurebaus dazu, daß Betriebe, die sich allein oder überwiegend mit der Herstellung säurefester Untergründe und säurefester Verfugungen von Fliesen befassen, nicht als Betriebe des Fliesenlegerhandwerks im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 14 BRTV-Bau angesehen werden können, sondern als Betriebe des Säurebaus nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 8 BRTV-Bau vom fachlichen Geltungsbereich des BRTV-Bau ausgenommen sind (so Urteil des Senats vom 28. September 1988 - 4 AZR 352/88 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen - betreffend den Rechtsstreit zwischen den Parteien um Auskunftserteilung für die Zeit von September 1982 bis März 1983).

Diese Grundsätze der Senatsrechtsprechung hat das Landesarbeitsgericht im angefochtenen Urteil bei seiner materiellen Würdigung beachtet. Das Landesarbeitsgericht gelangt jedoch unter schwerwiegender Verletzung mehrerer grundlegender verfahrensrechtlicher Vorschriften in prozeßordnungswidriger Weise zu der Feststellung, daß im Betrieb der Beklagten zu 1) überwiegend Fliesen und Platten verlegt werden, so daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit der Zurückverweisung an eine andere Kammer des Berufungsgerichts nach § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

Das Landesarbeitsgericht geht von dem Sachvortrag der Klägerin aus, wonach die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer im Betrieb der Beklagten zu 1) auf das Verlegen von Fliesen und Platten entfällt. Das Landesarbeitsgericht nimmt an, daß die Beklagten diesem Sachvortrag in der ersten Instanz nicht entgegengetreten seien. Zwar hätten sie mit dem Schriftsatz vom 25. Februar 1987 vorgetragen, daß herkömmliche Fliesenarbeiten im Rahmen von Komplettaufträgen durch Subunternehmer ausgeführt werden; da die Beklagten aber stets geltend gemacht hätten, sie führten Säurebauarbeiten unter Einsatz von säurefesten Platten aus, könne ihr Vortrag im Schriftsatz vom 25. Februar 1987 nur so aufgefaßt werden, daß unter herkömmlichen Fliesenarbeiten andere Arbeiten, die nicht mit dem Säurebau in Zusammenhang ständen, zu verstehen seien.

Die Beklagten rügen mit der Revision jedoch zu Recht, daß das Landesarbeitsgericht insoweit seine Aufklärungspflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO grob verletzt hat. Die Begriffe "Fliesen" und "Platten" sind entsprechend der tariflichen Terminologie in § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 14 BRTV-Bau "Fliesen-, Platten- und Mosaik-, Ansetz- und Verlegearbeiten" von den Parteien und den Gerichten in den zahlreichen bisherigen Rechtsstreitigkeiten stets synonym gebraucht worden. Stets ging es auch allein um die Frage, ob die Beklagte zu 1) überwiegend Fliesen- und Plattenverlegearbeiten durchführt oder Arbeiten, die dem Säurebau zuzurechnen sind. Wenn die Beklagten unter diesen Umständen im vorliegenden Rechtsstreit unter Beweisantritt vorgetragen haben, daß herkömmliche "Fliesenarbeiten" von Subunternehmern durchgeführt werden, so konnte dies sachgerecht nur dahingehend aufgefaßt werden, daß sie den Vortrag der Klägerin hinsichtlich der zeitlich überwiegenden Ausführung von "Fliesen- und Plattenverlegearbeiten" substantiiert in der Weise bestreiten wollten (§ 138 Abs. 2 ZPO), daß diese Arbeiten gerade nicht überwiegend durch sie, sondern durch Subunternehmer ausgeführt worden seien. Selbst wenn das Landesarbeitsgericht insoweit hinsichtlich der Formulierung "Fliesenarbeiten" anstelle der Formulierung "Fliesen- und Plattenarbeiten" Zweifel gehabt hätte, wäre es im Hinblick auf den Prozeßverlauf und die prozeßentscheidende Bedeutung der Behauptung der Beklagten zur Aufklärung ihrer Angaben nach § 139 Abs. 1 ZPO verpflichtet gewesen. Wie die Beklagten mit Recht mit ihrer Rüge im einzelnen geltend machen, hätten sie dann erläutern können, daß sowohl Fliesen- als auch Plattenverlegearbeiten überwiegend durch Subunternehmer durchgeführt worden seien.

Die Revision rügt außerdem zu Recht, daß das Landesarbeitsgericht bei seiner Feststellung, daß die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer des Betriebes der Beklagten zu 1) auf das Verlegen von Fliesen und Platten entfallen sei, den Sachvortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 25. November 1987 (Bl. 2) übergangen hat. Dort hatten die Beklagten unter Beweisantritt vorgetragen, daß "in dem Veranlagungszeitraum ausschließlich die seitens des Sachverständigen Prof. Dr. M beurteilten Tätigkeiten ausgeführt" worden seien. Diese Tätigkeiten hatte der Sachverständige in der Schlußbemerkung seines dem Schriftsatz beigefügten Privatgutachtens wie folgt beschrieben:

"Besonders hervorzuheben ist aber auch, daß im Rahmen

des Säureschutzbaus/Säurebaus zwar keramisches Material

in oft nicht unerheblichem Umfange verwendet wird, daß

aber speziell in der Firma R der Einsatz kera-

mischer Steine und Platten - bezogen auf Zeit- und

Kostenaufwand - einen Anteil von etwa 2O % generell

- und nicht nur bei dem beschriebenen Beispiel - nicht

übersteigt."

Diesen Sachvortrag hätte das Landesarbeitsgericht nicht übergehen dürfen. Er steht der Feststellung, daß die überwiegende Arbeitszeit auf das Verlegen von Fliesen und Platten entfallen ist, in eklatanter und augenfälliger Weise entgegen.

Das Landesarbeitsgericht hat den Sachvortrag der Beklagten hinsichtlich des Umfanges der Ausführung von Fliesen- und Plattenverlegearbeiten aber noch in weiterer prozeßordnungswidriger Weise unberücksichtigt gelassen. Die Beklagten hatten mit Schriftsatz vom 8. März 1988 unter Beweisantritt vorgetragen, daß sie Fliesen- und Plattenarbeiten, soweit diese anfielen, nicht selbst ausführten, sondern überwiegend durch Subunternehmer hätten ausführen lassen. In seinen Entscheidungsgründen führt das Landesarbeitsgericht insoweit aus, daß die Beklagten diesen Vortrag in der mündlichen Verhandlung vom 21. März 1988 in der Weise präzisiert hätten, daß 13.000 qm Platten von Subunternehmern und nur 2.500 qm von Arbeitnehmern der Beklagten zu 1) verlegt worden seien. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Senats, nach der es für die Zuordnung von Betrieben zum Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge auf die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit ankomme, hält das Landesarbeitsgericht diese Behauptung der Beklagten zwar ausdrücklich für erheblich, weist ihren Sachvortrag jedoch nach § 67 Abs. 2 ArbGG als verspätet zurück.

Auch das wird von den Beklagten mit der Revision zu Recht gerügt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dürfen verspätetes Tatsachenvorbringen bzw. verspätete Beweisantritte nur dann nicht zugelassen werden, wenn dadurch die Erledigung des Rechtsstreits verzögert würde (vgl. BAG Urteil vom 5. Juli 1978 - 4 AZR 795/76 - AP Nr. 7 zu §§ 22, 23 BAT 1975 m. w. N.). Die Entscheidung über die Zulassung trifft das Landesarbeitsgericht nach seiner freien Überzeugung. Sie kann vom Revisionsgericht aber daraufhin überprüft werden, ob der Begriffsumfang der unbestimmten Rechtsbegriffe verkannt worden ist. Dies ist vorliegend der Fall. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt eine Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits objektiv dann nicht vor, wenn das Landesarbeitsgericht dafür sorgen kann, daß die angebotenen Beweismittel bereits in der ersten Verhandlung verfügbar sind (BAG Urteil vom 18. Januar 1980 - 7 AZR 260/78 - AP Nr. 1 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen m. w. N.). Dies wäre dem Landesarbeitsgericht durch eine entsprechende prozeßleitende Verfügung ohne weiteres möglich gewesen. Der Schriftsatz der Beklagten vom 8. März 1988, in dem die Beklagten Beweis für ihre Behauptung durch Benennung des Zeugen Jürgen G, bei ihr zu laden, angetreten hatten, ging am 11. März 1988 beim Landesarbeitsgericht ein und wurde am gleichen Tage dem Vorsitzenden vorgelegt. Innerhalb von zehn Tagen bis zum Termin vom 21. März 1988 hätte der Zeuge G deshalb ohne erkennbare Schwierigkeiten geladen werden können. Seine Benennung mit Schriftsatz vom 8. März 1988 und damit erst nach Ablauf der Berufungserwiderungsfrist konnte demzufolge objektiv zu keiner Verzögerung des Rechtsstreits führen.

Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsbegriff der Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits aber auch insofern in auffälliger Weise verkannt, als es ausführt, daß die Berücksichtigung des Vortrags und des Beweisantritts der Beklagten einen Beweistermin erforderlich gemacht hätte. Die Beklagten haben nämlich in der Revisionsinstanz unwidersprochen gerügt, daß sie den von ihnen benannten Zeugen G zum Termin vor dem Landesarbeitsgericht gestellt hatten. Im Hinblick darauf hätte es jedenfalls keines gesonderten Beweistermins bedurft, sondern der Zeuge hätte im Termin sofort vernommen werden können. Es sind auch keine Umstände ersichtlich, daß diese Beweisaufnahme den zeitlichen Rahmen der Verhandlung unangemessen überschritten hätte, da die Beklagten, wie das Landesarbeitsgericht selbst feststellt, ihre Angaben hinsichtlich der Erledigung der Aufträge durch Subunternehmer im Termin präzisiert hatten.

Das Landesarbeitsgericht durfte damit den Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 8. März 1988 einschließlich des entsprechenden Beweisantritts nicht als verspätet nach § 67 Abs. 2 ArbGG zurückweisen, weil bei seiner Berücksichtigung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert worden wäre.

Selbst wenn eine Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits durch die Durchführung eines weiteren Beweistermins zu befürchten gewesen wäre, hätten gewichtige Gründe für die Überzeugungsbildung des Landesarbeitsgerichts in bezug auf eine Zulassung des ergänzenden Vorbringens der Beklagten sprechen können. Das Landesarbeitsgericht hat die Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Urteils, mit dem die Beklagten zur Zahlung von 289.667,30 DM verurteilt worden waren, mit der Begründung ausgeschlossen, daß bei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der Bestand des Unternehmens gefährdet sei. Diesen Umstand hätte das Landesarbeitsgericht bei seiner Überzeugungsbildung nach § 67 Abs. 2 Satz 2 ArbGG berücksichtigen müssen, insbesondere deswegen, weil die Vorschrift weder Selbstzweck ist noch Sanktionscharakter hat, sondern allein der Prozeßbeschleunigung dienen soll (vgl BAGE 4, 41, 46 = AP Nr. 5 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Damit hat das Landesarbeitsgericht zumindest in Kauf genommen, daß durch die Zurückweisung des Sachvortrags der Beklagten als verspätet der Bestand von deren Unternehmen gefährdet wird und die dort beschäftigten Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren. Für eine Zulassung des prozeßentscheidenden Vorbringens der Beklagten hätte auch der Umstand gesprochen, daß die Kammer 5 des Landesarbeitsgerichts Frankfurt im Termin vom 15. März 1988, mithin nur sechs Tage vor der Kammer 14, zu dem Ergebnis gelangt ist, daß bei der Beklagten zu 1) die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit gerade nicht auf die Verlegung von Fliesen und Platten entfällt, sondern, wie auch im vorliegenden Rechtsstreit vorgetragen, nur zeit- und kostenmäßig untergeordnete Bedeutung hat (vgl. Senatsurteil vom 28. September 1988 - 4 AZR 352/88 - nicht zur Veröffentlichung vorgesehen).

Das Landesarbeitsgericht wird demgemäß auf den entsprechenden Sachvortrag und die Beweisantritte der Beklagten bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits einzugehen und auch über die in der Revisionsinstanz entstandenen Kosten mitzuentscheiden haben.

Dr. Feller Dr. Etzel Dr. Freitag

Dr. Koffka H. Pallas

 

Fundstellen

Haufe-Index 439279

BAGE 60, 174-183 (LT1-2)

BAGE, 174

BB 1989, 707-707 (LT1-2)

DB 1989, 1580 (L1-2)

NJW 1989, 1236

NJW 1989, 1236-1238 (LT1-2)

EWiR 1989, 639 (L1-2)

NZA 1989, 436-438 (LT1-2)

RdA 1989, 133

AP § 1 TVG Tarifverträge-Bau (LT1-2), Nr 104

AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit VII Entsch 194 (LT2)

AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit XI Entsch 106 (LT1)

AR-Blattei, Baugewerbe VIII Entsch 100 (LT1-2)

AR-Blattei, ES 160.11 Nr 106 (LT1)

AR-Blattei, ES 160.7 Nr 194 (LT2)

AR-Blattei, ES 370.8 Nr 100 (LT1-2)

EzA § 67 ArbGG 1979, Nr 1 (LT1-2)

MDR 1989, 484-485 (LT1-2)

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