Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsrisiko. Stillegung eines privaten Schlachthofs

 

Normenkette

BGB §§ 615, 611, 294-296, 323, 284, 288, 291; BeschFG 1985 § 4 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 23.07.1993; Aktenzeichen 3 Sa 1376/92)

ArbG Lüneburg (Urteil vom 21.07.1992; Aktenzeichen 2 Ca 702/92)

 

Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 23. Juli 1993 – 3 Sa 1376/92 – wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Lohnzahlung für den Zeitraum ihrer Kündigungsfrist.

Der Beklagte unterhielt an dem privaten Schlachtbetrieb der F. z. GmbH (NFZ) in U. ein Fleischhygieneamt. Die Klägerin war bei dem Beklagten als nebenamtliche Fleischbeschautierärztin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand kraft einzelvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure außerhalb öffentlicher Schlachthöfe vom 1. April 1969 i.d. Fassung des 22. Änderungstarifvertrages vom 31. Mai 1991 (fortan: TV) Anwendung. Die Klägerin erhielt Stückvergütungen nach § 12 Abs. 1 TV.

Am 11. März 1992 erfuhr der Beklagte, daß der Schlachtbetrieb nach L. verlegt werde. Er kündigte daraufhin Ende März/Anfang April 1992 die Arbeitsverhältnisse aller angestellten Fleichbeschautierärzte ordentlich. Am 2. Mai 1992 stellte die NFZ den Schlachtbetrieb in U. ein. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Klägerin vom Beklagten nicht mehr beschäftigt. Sie erhielt auch keine Vergütung mehr. Mit der Klage verlangt die Klägerin Lohnzahlung in rechnerisch unstreitiger Höhe für den Zeitraum ihrer Kündigungsfrist vom 2. Mai 1992 bis 30. September 1992.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe sich nach dem 2. Mai 1992 in Annahmeverzug befunden. Der Anspruch belaufe sich für jeden Werktag ihrer Kündigungsfrist auf die Durchschnittsvergütung, die sich aus der analogen Anwendung der §§ 13, 17 TV (Krankenbezüge, Urlaubsentgelt) ergebe.

Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen,

  1. an sie für die Monate Mai und Juni 1992 5.007,80 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich aus 2.452,80 DM brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Juni 1992 und auf den sich aus weiteren 2.555,00 DM brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Juli 1992 zu zahlen.
  2. an sie für die Zeit vom 1. Juli bis zum 30. September 1992 werktäglich 102,20 DM brutto zu zahlen, davon fällig am 31. Juli 1992 2.759,40 DM, am 31. August 1992 2.657,20 DM und am 30. September 1992 2.657,20 DM sowie 4 % Zinsen auf den sich jeweils ergebenden Nettobetrag jeweils seit Fälligkeit.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, nach dem TV sei keine Mindeststückvergütung vorgesehen; deshalb sei während der Kündigungsfrist die Reduzierung der stückzahlen auf Null zulässig gewesen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

Der Zahlungsanspruch der Klägerin ist begründet, weil der Beklagte sich mit der Annahme der Dienste der Klägerin in Verzug befand (§ 615 i.V.m. § 611 BGB). Die Klägerin hat daher für den Zeitraum ihrer Kündigungsfrist in analoger Anwendung der §§ 13, 17 TV Anspruch auf die verlangte Vergütung. Dies haben beide Vorinstanzen zu Recht angenommen.

1. Nach § 615 Satz 1 BGB kann der Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste in Verzug kommt, für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Für die Begründung des Annahmeverzugs des Beklagten bedurfte es keines tatsächlichen oder wörtlichen Arbeitsangebots der Klägerin im Sinne der §§ 294, 295 BGB. Ein solches war gemäß § 296 BGB überflüssig, nachdem der Beklagte das Arbeitsverhältnis wegen der Einstellung des Schlachtbetriebs durch die NFZ gekündigt und damit zu erkennen gegeben hatte, daß er nicht mehr bereit war, weitere Arbeitsleistungen der ihrerseits weiterhin arbeitsbereiten Klägerin entgegenzunehmen (vgl. dazu MünchKomm-Schaub, 2. Aufl., § 615 BGB Rz 18; Palandt/Heinrichs, BGB, 53. Aufl., § 296 Rz 2).

Dem Annahmeverzug des Beklagten steht nicht entgegen, daß die Klägerin wegen der Einstellung des Schlachtbetriebs tatsächlich nicht mehr in der Lage war, ihre Arbeitsleistung als Fleischbeschautierärztin zu erbringen. Dadurch, daß die NFZ den Schlachtbetrieb in U. einstellte, wurde der Beklagte für die Zeit nach dem 2. Mai 1992 nicht nach § 323 BGB von der Pflicht zur Lohnzahlung frei. Das folgt daraus, daß er als Betreiber des Fleischhygieneamtes und damit als Arbeitgeber der Klägerin das Wirtschaftsrisiko dieses Betriebes zu tragen hatte.

Zwar entfällt bei beiderseitig nicht zu vertretender Unmöglichkeit der aufgrund eines gegenseitigen Vertrages zu erbringenden Leistung grundsätzlich der Anspruch auf die Gegenleistung (§ 323 BGB). Innerhalb eines Arbeitsverhältnisses hat aber der Arbeitgeber das Risiko der Unmöglichkeit der Arbeitsleistung aus im Betrieb liegenden Gründen zu tragen und bleibt, sofern nicht durch Einzelvertrag oder Kollektivvereinbarung eine andere Regelung getroffen ist, zur Lohnfortzahlung verpflichtet, auch wenn diese Gründe nicht betriebstechnische Störungsursachen haben oder auf einem Versagen der sachlichen oder persönlichen Mittel des Betriebes beruhen, sondern von außen auf das Unternehmen einwirken (BAG Urteil vom 30. Mai 1963 – 5 AZR 282/62 – AP Nr. 15 zu § 615 BGB Betriebsrisiko, m.w.N.; BAGE 42, 94 = AP Nr. 31 zu § 615 BGB Betriebsrisiko). Dies gilt auch, wenn die Fortsetzung des Betriebes – wie hier – wegen Auftragsmangels sinnlos wird. Der Arbeitgeber trägt damit außer dem Betriebsrisiko auch das Wirtschaftsrisiko (BAG Urteil vom 11. Juli 1990 – 5 AZR 557/89 – BAGE 65, 260, 262 = AP Nr. 32 zu § 615 BGB Betriebsrisiko, zu I 1 der Gründe, m.w.N.). Diese Grundsätze kommen nur dann nicht zur Anwendung, wenn die Unmöglichkeit der Beschäftigung auf das Verhalten der Arbeitnehmer zurückzuführen ist oder das die Betriebsstörung herbeiführende Ereignis den Betrieb wirtschaftlich so schwer trifft, daß bei Zahlung der vollen Löhne die Existenz des Betriebes gefährdet würde (BAG Urteil vom 30. Mai 1963 – 5 AZR 282/62 – a.a.O.; BAGE 42, 94 = AP, a.a.O.), Fallgestaltungen, die nach dem festgestellten Sachverhalt nicht in Betracht kommen.

Vorliegend wurde mit der Einstellung des Schlachtbetriebes in U. die dortige Unterhaltung eines Fleischhygieneamtes sinnlos. Als ein Fall des Wirtschaftsrisikos ist dies der Sphäre des Beklagten zuzurechnen. Dies wird vor allem dadurch deutlich, daß der Beklagte vertragliche Beziehungen zur NFZ unterhielt und, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, die Möglichkeit gehabt hätte, durch eine entsprechende Vertragsgestaltung, das Beschäftigungsrisiko zu steuern, z.B. durch Vereinbarung einer angemessenen Frist für die Stillegung des Schlachthofs. Eine solche Risikovorsorge hätte um so näher gelegen, als der Beklagte selbst vorgetragen hat, die Schließung privater Schlachthöfe sei nicht unüblich. Der Betrieb des Fleischhygieneamtes in U., befand sich daher in der Risikosphäre des Beklagten. Dieser muß somit das Wirtschaftsrisiko tragen. Unerheblich ist, daß die Einstellung des Schlachtbetriebs als solche nicht in den eigentlichen Einflußbereich des Beklagten fiel (vgl. BAG Urteil vom 30. Mai 1963 – 5 AZR 282/62 – a.a.O.).

2. Von den Grundsätzen über die Verteilung des Betriebsrisikos wurde vorliegend nicht durch tarifvertragliche Regelung abgewichen.

a) Entgegen der Auffassung der Revision findet die Bestimmung des § 12 des Tarifvertrages über die Regelung der Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen und in Einfuhruntersuchungsstellen vom 1. April 1969 i.d.F. des 21. Änderungstarifvertrages vom 10. Oktober 1988 vorliegend keine Anwendung. Der genannte Tarifvertrag gilt nicht für den privaten Schlachthof, in dem die Klägerin beschäftigt war. Im Gegensatz zu § 12 des genannten Tarifvertrages, der die Mindestbeschäftigungszeiten des § 4 Abs. 1 BeschFG tarifrechtlich zulässigerweise abbedingt (vgl. hierzu Senatsurteil vom 12. März 1992 – 6 AZR 311/90 – AP Nr. 1 zu § 4 BeschFG 1985, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen), bestimmt der hier anzuwendende § 12 TV nicht, daß sich die Arbeitszeit nach dem Arbeitsanfall richtet und Vergütung nur für angeordnete und geleistete Arbeit gezahlt werden soll. § 12 TV regelt nicht das geschuldete Arbeitszeitvolumen, sondern die Berechnung der Vergütung.

b) Von dem Grundsatz, daß der Arbeitgeber das Betriebsrisiko zu tragen hat, weicht § 12 TV nicht ab. § 12 Abs. 1 Satz 1 TV bestimmt, daß dem Angestellten Stückvergütungen für bestimmte Tätigkeiten nach den Anlagen 1 und 2 zum TV zustehen. Anschließend folgen Regelungen über Abschläge und Zuschläge (§ 1 Abs. 2 und Abs. 3 TV). § 12 TV regelt damit die Art und Höhe der Vergütung je nach Art der ausgeübten Tätigkeit (vgl. Senatsurteil vom 12. März 1992 – 6 AZR 392/91 – AP Nr. 17 zu § 611 BGB Fleischbeschauer-Dienstverhältnis). Ein Anhaltspunkt dafür, daß die Tarifvertragsparteien die Grundsätze der Verteilung des Betriebsrisikos etwa dahingehend abbedungen haben, daß eine einseitige Reduzierung der Stückzahlen und damit auch der Stückvergütungen auf Null zulässig ist, findet sich in § 12 TV nicht. Dadurch, daß der TV weder Mindeststückzahl noch Mindestarbeitszeit vorsieht, verlagert er nicht das Betriebsrisiko auf die Arbeitnehmer. Durch die in § 12 TV getroffenen Regelungen wird dem unterschiedlichen Arbeitsanfall Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, daß die Zahl der zu schlachtenden Tiere täglich wechselt. Vorausgesetzt wird dabei jedoch ein in Betrieb befindlicher Schlachthof. Der Fall der vollständigen und dauerhaften Einstellung des Schlachtbetriebs und damit der Stillegung des Fleischhygieneamtes ist tariflich nicht geregelt.

3. Die Höhe des Vergütungsanspruchs der Klägerin ergibt sich aus einer analogen Anwendung von §§ 13, 17 TV. Auch insoweit ist dem Landesarbeitsgericht zu folgen.

Nach § 615 Satz 1 BGB hat der Beklagte die Vergütung an die Klägerin weiterzuzahlen, die diese bei Weiterbeschäftigung verdient hätte. Die Rechtslage ist derjenigen bei Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle vergleichbar (vgl. Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., § 95 I 2 a.E., S. 711). § 13 Abs. 3 Satz 1 TV bestimmt, daß als Krankenbezüge für jeden Werktag 1/300 der Bezüge des vorangegangenen Kalenderjahres gezahlt werden. Eine entsprechende Regelung für die Berechnung der Urlaubsvergütung enthält § 17 Abs. 2 TV. Für Zeiten, in denen die Klägerin nicht arbeitet, aber Anspruch auf Vergütung hat, wird ein Durchschnittsbetrag, der in vorangegangenen Zeiträumen erreicht wurde, zugrundegelegt. Dies ist auch für den vergleichbaren Fall der Lohnzahlungspflicht aus Gründen des Betriebsrisikos eine sachgerechte Berechnungsart. Tarifliche Anhaltspunkte dafür, daß eine andere Berechnungsart anzuwenden wäre, ergeben sich nicht.

4. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 284, 288, 291 BGB.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Bepler Gebert, Kamm

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1087174

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