Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung eines angestellten Rechtsanwaltes wegen versuchter Mandantenabwerbung

 

Orientierungssatz

1. Die Wettbewerbsbeschränkungen für Handlungsgehilfen aus den §§ 60 ff HGB sind analog auf den Bereich der freien Berufe (Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater etc) anzuwenden.

2. Die zum Nachteil seines bisherigen Arbeitgebers erfolgte Abwerbung oder der Versuch einer Abwerbung von Auftraggebern durch einen Rechtsanwalt, der sich selbständig macht, oder die Anwaltskanzlei wechselt, ist daher grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 626 Abs 1 BGB abzugeben. Darüber hinaus kann auch schon die erklärte und manifest gewordene Absicht, Auftraggeber abzuwerben, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung gem § 626 Abs 1 BGB abgeben, jedenfalls dann, wenn bereits durch diese greifbar gewordene Absichtserklärung die für die weitere Zusammenarbeit erforderliche Vertrauensgrundlage empfindlich gestört oder beeinträchtigt wird.

 

Normenkette

BRAO § 177; BGB § 626 Abs. 1; HGB § 60

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 27.02.1984; Aktenzeichen 10 Sa 1651/83)

ArbG Essen (Entscheidung vom 18.08.1983; Aktenzeichen 1 Ca 1712/83)

 

Tatbestand

Der Kläger war mit einem von ihm selbst zu versteuernden monatlichen Entgelt zuzüglich Mehrwertsteuer als Rechtsanwalt in der von dem Beklagten betriebenen Anwaltspraxis tätig. Dieses Beschäftigungsverhältnis mit dem Beklagten kündigte der Kläger am 16. Mai 1983 zum 30. Juni 1983. Im Anschluß an einen Besuch des Klägers bei dem Mandanten G am 24. Mai 1983 kündigte der Beklagte dem Kläger am 25. Mai 1983 fristlos.

Zuvor hatten am 24. und 25. Mai 1983 zwischen den Parteien Gespräche darüber stattgefunden, ob - wie vom Kläger verlangt - den vom Kläger betreuten Mandanten das Ausscheiden des Klägers aus der Anwaltsgemeinschaft mitgeteilt bzw. ob entsprechend § 29 der anwaltlichen Standesrichtlinien verfahren werden sollte.

Der Kläger, der sich mit der vorliegenden Klage gegen die fristlose Kündigung wendet und für den Zeitraum bis zum 30. Juni 1983 Zahlungsansprüche geltend macht, hat ausgeführt, die fristlose Kündigung sei unbegründet, da er dem Mandanten G lediglich mitgeteilt habe, daß er zum 30. Juni 1983 ausscheide. Er habe nicht versucht, den Mandanten G abzuwerben. Sein Verlangen, nach § 29 der anwaltlichen Standesrichtlinien zu verfahren, sei berechtigt gewesen, da eine Scheinsozietät vorgelegen habe. Hierwegen habe er sich zuvor bei der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk Hamm erkundigt. Die Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer vom 9. Januar 1984 ergebe mit aller Deutlichkeit, daß sein Standpunkt zutreffend sei.

Der Kläger hat beantragt

1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis

durch die fristlose Kündigung des Beklagten

vom 25. Mai 1983 nicht aufgelöst ist, son-

dern bis zum 30. Juni 1983 forbestanden hat;

2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger

9.510,87 DM nebst 11 % Zinsen von 1.530,87 DM

seit dem 1. Juni 1983 und 4 % Zinsen von

7.980,-- DM seit dem 1. Juli 1983 zu zahlen.

Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt und vorgetragen, der Kläger habe am 24. Mai 1983 unerlaubterweise versucht, den Mandanten G, der schon lange Zeit sein Klient sei, abzuwerben. Bei dem Gespräch am 25. Mai 1983 habe der Kläger auch unmißverständlich erklärt, er bestehe darauf, daß die von ihm betreuten Mandanten per Rundschreiben von dem Ausscheiden und der Errichtung einer neuen Anwaltspraxis informiert würden. Diese Ankündigung habe der Kläger auch wahr gemacht und gegenüber weiteren Mandanten per Rundschreiben versucht, diese zu veranlassen, ihm Aufträge zu erteilen. Bislang seien vier Fälle bekanntgeworden. Damit habe der Kläger nachhaltig gegen § 82 der Standesrichtlinien verstoßen. Auf § 29 der Standesrichtlinien, die nicht im Falle der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gelten, könne sich der Kläger nicht berufen.

Das Arbeitsgericht hat nach uneidlicher Vernehmung des Zeugen G durch Teil-Urteil vom 18. August 1983 dem Klageantrag Ziff. 1 stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten mit Urteil vom 27. Februar 1984 zurückgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Ziel der Klagabweisung weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Ein zur fristlosen Kündigung berechtigender wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB hat nicht vorgelegen.

I. Das Landesarbeitsgericht hat sowohl die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers (§ 5 ArbGG) und damit die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG, § 73 Abs. 2 ArbGG) als auch zutreffend das Feststellungsinteresse des Klägers an der Unwirksamkeit der am 25. Mai 1983 ausgesprochenen fristlosen Kündigung gemäß § 256 ZPO bejaht. Auch wenn der Kläger seine Vergütungsansprüche im Wege einer Leistungsklage geltend gemacht hat, kann ihm gleichwohl nicht das rechtliche Interesse daran abgesprochen werden, alsbald festgestellt zu wissen, daß das Beschäftigungsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 25. Mai 1983, sondern aufgrund seiner fristgemäßen Kündigung erst zum 30. Juni 1983 beendet worden ist, zumal er durch eine fristlose Kündigung auch in seinem beruflichen und gesellschaftlichen Ansehen beeinträchtigt wird (BAG 9, 361; BAG Urteil vom 17. Mai 1962 - 2 AZR 354/60 - AP Nr. 2 zu § 620 BGB Bedingung; KR-Friedrich, 2. Aufl., § 13 KSchG Rz 313 ff.; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 271).

II. In der Sache selbst hat das Landesarbeitsgericht unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Teil-Urteils ausgeführt, auch einem angestellten Rechtsanwalt sei jede Konkurrenztätigkeit untersagt. Erlaubt sei es nur, eine eigene selbständige Tätigkeit vorzubereiten, sofern dadurch die Interessen des bisherigen Arbeitgebers nicht gefährdet würden. Diese schon aus dem allgemeinen Recht ableitbare Rechtslage habe ihren konkreten Niederschlag in den standesrechtlichen Richtlinien im Sinne des § 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO gefunden, wie sich im einzelnen aus § 82 und § 29 dieser Richtlinien ergebe. Ob der Kläger, entsprechend der ihm von der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk Hamm erteilten Auskunft nach § 29 der Richtlinien wie bei einer Auflösung einer Sozietät habe verfahren dürfen, könne dahingestellt bleiben. Denn auch wenn dieser Rechtsstandpunkt als falsch zu qualifizieren wäre, könnte daraus nicht abgeleitet werden, daß der Kläger einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB und damit einen fristlosen Kündigungsgrund gesetzt habe. Dem Kläger sei auch nicht nachzuweisen, daß er zu rechtserheblicher Zeit konkrete Abwerbungsversuche unternommen habe. Nach den Aussagen des Zeugen G habe der Kläger dem Zeugen lediglich mitgeteilt, daß er beim Beklagten ausscheide und später, nach der Trennung, näheres von sich geben werde. Abwerbungsversuche habe der Kläger damit nicht unternommen. Auf sein Ausscheiden habe er hinweisen dürfen, ohne gegen Standesrichtlinien zu verstoßen. Alle übrigen dem Kläger zum Vorwurf gemachten Verhaltensweisen lägen in der Zeit nach der Kündigung und kämen daher als Kündigungsgründe nicht in Betracht. Solche nach Ausspruch der Kündigung entstandenen Tatsachen könnten allenfalls eine Indizwirkung entfalten, nämlich dann, wenn sich aus ihnen kraft Rückschlusses erkennen oder schließen lasse, daß sie die vor der Kündigung liegenden Tatsachen bestätigen oder unterstützen. Ein solcher Zusammenhang lasse sich aus dem Rundschreiben des Klägers an einige Klienten jedoch nicht ziehen. Vielmehr sei anzunehmen, daß der Kläger zunächst auch tatsächlich gewillt gewesen sei, nach § 29 der Standesrichtlinien zu verfahren. Wenn der Kläger nach der Kündigung einen anderen Weg gewählt habe, so könne ihm nicht unterstellt werden, daß er dies auch schon vor der fristlosen Kündigung gewollt habe.

III. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist beizupflichten. Revisionsrechtlich relevante Rechtsfehler sind nicht ersichtlich.

1. Die Anwendung des § 626 Abs. 1 BGB durch das Landesarbeitsgericht kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff des wichtigen Grundes verkannt worden ist. Das Revisionsgericht kann insoweit nur nachprüfen, ob der Sachverhalt unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei berücksichtigt worden sind (BAG 2, 175, 182; 2, 214, 215; 9, 263, 265; 24, 401, 407; BAG Urteil vom 26. August 1976 - 2 AZR 377/75 - AP Nr. 68 zu § 626 BGB).

Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil stand. Die einzige von der Revision erhobene materielle Rüge der Verletzung des § 626 Abs. 1 BGB in Verb. mit § 177 Abs. 2 BRAO, §§ 82, 29 der Standesrichtlinien, ist nicht begründet.

a) Während des Arbeitsverhältnisses ist dem Arbeitnehmer aufgrund der ihm obliegenden Treuepflicht grundsätzlich jede Konkurrenztätigkeit zum Nachteil seines Arbeitgebers untersagt (BAG Urteil vom 17. Oktober 1969 - 3 AZR 442/68 - AP Nr. 7 zu § 611 BGB Treuepflicht; BAG Urteil vom 26. März 1965 - 3 AZR 248/63 - AP Nr. 1 zu § 306 BGB). Für Handlungsgehilfen ist dies in § 60 Abs. 1 HGB ausdrücklich geregelt. Ohne Einwilligung des Prinzipals darf der Handlungsgehilfe in dem Handelszweig des Prinzipals weder ein Handelsgewerbe betreiben noch für eigene oder fremde Rechnung Geschäfte machen. Jede unerlaubte Konkurrenztätigkeit zu Lasten des Arbeitgebers ist dem Handlungsgehilfen während des (rechtlichen) Bestandes des Arbeitsverhältnisses untersagt (BAG 22, 344; BAG Urteil vom 7. September 1972 - 2 AZR 486/71 - AP Nr. 7 zu § 60 HGB; KR-Becker, 2. Aufl., § 1 KSchG Rz 280; KR- Hillebrecht, aaO, Rz 341; Röhsler/Borrmann, Wettbewerbsbeschränkungen für Arbeitnehmer und Handelsvertreter, 1981, S. 26, 29).

Nicht unter das Wettbewerbsverbot fallen nur vorbereitende Maßnahmen für die Aufnahme eines konkurrierenden Handelsgeschäftes nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (z. B. Anmietung von Geschäftsräumen, Ankauf von Waren etc.). Ihre Grenze finden solche vorbereitenden Maßnahmen allerdings dort, wo die geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt werden können. Das ist regelmäßig bei einer nach außen wirkenden, werbenden Tätigkeit der Fall. Deshalb stellt sich auch schon der Versuch einer Abwerbung von Geschäftsverbindungen oder Kunden stets als eine Verletzung des Wettbewerbsverbotes gemäß § 60 Abs. 1 HGB dar; d. h. alle Tätigkeiten, die geeignet sind, die Geschäftsverbindungen des Arbeitgebers zu Kunden, Lieferanten usw. zu beeinträchtigen, sind dem Handlungsgehilfen untersagt (BAG 14, 72 = AP Nr. 3 zu § 60 HGB; BAG Urteil vom 12. Mai 1972 - 3 AZR 401/71 - AP Nr. 6 zu § 60 HGB; BAG Urteil vom 7. September 1972 - 2 AZR 486/71 - AP Nr. 7 zu § 60 HGB; Röhsler/-Borrmann, aaO, S. 31, 32; KR-Becker, aaO, Rz 280; KR-Hillebrecht, aaO, Rz 341).

b) Für den Bereich der sogenannten freien Berufe (Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater etc.) fehlt es insoweit an einer konkreten gesetzlichen Regelung. Es ist aber anerkannt, daß sinngemäß die gleichen wettbewerblichen Beschränkungen wie für Handlungsgehilfen gelten und die §§ 60 ff. HGB analog anzuwenden sind (BAG Urteil vom 16. Juni 1976 - 3 AZR 73/75 - AP Nr. 8 zu § 611 BGB Treuepflicht). Aufgrund der allgemeinen Treuepflicht sind auch diese gehalten, alles zu unterlassen, was den von ihnen wahrzunehmenden Interessen des Arbeitgebers zuwiderläuft; sie dürfen insbesondere nicht im Geschäftszweig des Arbeitgebers konkurrierend tätig werden, Kunden bzw. Klienten des Arbeitgebers abwerben oder einen Konkurrenten des Arbeitgebers unterstützen (Röhsler/Borrmann, aaO, S. 67).

Diese Grundsätze haben, soweit es sich um Rechtsanwälte handelt, in den gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO von der Bundesrechtsanwaltskammer festgelegten Richtlinien über Fragen der Ausübung des Anwaltsberufes, nämlich in den zuletzt am 21. Juni 1973 festgestellten "Grundsätzen des anwaltlichen Standesrechts" ihren konkreten Niederschlag bzw. ihre Ausformung erfahren. Danach darf nach § 82 der anwaltlichen Standesrichtlinien der juristische Mitarbeiter einer Anwaltskanzlei, der sich als Rechtsanwalt selbständig macht oder in eine andere Anwaltskanzlei übertritt, nicht die ihm in der bisherigen Anwaltskanzlei bekanntgewordenen Auftraggeber veranlassen, ihm Aufträge zu erteilen. Ähnliches gilt bei Auflösung einer Sozietät nach § 29 der Standesrichtlinien. Nach § 29 Abs. 2 der Standesrichtlinien ist jeder der Sozien verpflichtet, unbeschadet der im Sozietätsvertrag getroffenen Vereinbarung, alles zu unterlassen, was darauf abzielt, frühere Auftraggeber zu veranlassen, weitere Aufträge ihm zu erteilen. Fehlt eine anderweitige vertragliche Regelung, so sieht § 29 Abs. 1 der Standesrichtlinien bei Auflösung einer Sozietät bezüglich der Verfahrensweise vor, daß die Sozien jeden Auftraggeber darüber zu befragen haben, welcher Rechtsanwalt künftig seine laufenden Sachen bearbeiten soll. Die Befragung hat in einem gemeinsamen Rundschreiben zu erfolgen, wenn sich die bisherigen Sozien über die Art der Befragung nicht einigen können. Kommt eine Verständigung über das Rundschreiben nicht zustande und scheitert auch ein Vermittlungsversuch des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer, so darf jeder der bisherigen Sozien von sich aus durch ein sachlich gehaltenes Schreiben einseitig die Entscheidung der Auftraggeber einholen.

Die für die Ausübung des Anwaltsberufes maßgebenden Standesrichtlinien geben allerdings nur die herrschende Standesauffassung wieder und haben keinen Rechtsnormcharakter. Sie sind aber eine wesentliche Erkenntnisquelle dafür, was im Einzelfall nach der Auffassung angesehener und erfahrener Standesgenossen der Meinung aller anständig und gerecht denkenden Anwälte und der Würde des Standes entspricht (BGH, Anwaltsblatt 1963, S. 51; Isele, Kommentar zur Bundesrechtsanwaltsordnung, § 177 Anm. III B, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

c) Die zum Nachteil seines bisherigen Arbeitgebers erfolgte Abwerbung oder der Versuch einer Abwerbung von Auftraggebern durch einen Rechtsanwalt, der sich selbständig macht oder die Anwaltskanzlei wechselt, ist daher grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB abzugeben (BAG Urteil vom 24. April 1970 - 3 AZR 324/69 - AP Nr. 5 zu § 60 HGB; BAG Urteil vom 26. August 1976 - 2 AZR 377/75 - AP Nr. 68 zu § 626 BGB; BAG 14, 72 = AP Nr. 3 zu § 60 HGB; KR-Hillebrecht, aaO, Rz 61, 341; Röhsler/-Borrmann, aaO, S. 57). Darüber hinaus kann, wie der Revision zuzugeben ist, auch schon die erklärte und manifest gewordene Absicht, Auftraggeber abzuwerben, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB abgeben, jedenfalls dann, wenn bereits durch diese greifbar gewordene Absichtserklärung die für die weitere Zusammenarbeit erforderliche Vertrauensgrundlage empfindlich gestört oder beeinträchtigt wird (KR-Hillebrecht, aaO, Rz 86). Ob ein solches Verhalten, d. h. die Abwerbung, die versuchte Abwerbung oder die bloße Absichtserklärung bzw. die manifestierte Abwerbungsabsicht, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, hängt jedoch immer und stets von der unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden Interessenabwägung ab (KR--Hillebrecht, aaO, Rz 184 ff.; Röhsler/Borrmann, aaO). Darlegungs- und beweispflichtig für die Berechtigung der fristlosen Kündigung ist der Kündigende, d. h. vorliegend also der Beklagte (KR-Hillebrecht, aaO, Rz 275 ff., m. w. N.; Röhsler/-Borrmann, aaO).

2. Das Landesarbeitsgericht ist aufgrund des in erster Instanz vernommenen Zeugen G, dessen Aussagen es für glaubhaft, eindeutig, klar und überzeugend bezeichnet, zu dem Ergebnis gekommen, daß dem Kläger eine Abwerbung bzw. ein Abwerbungsversuch nicht nachgewiesen werden könne. Nach den Angaben des Zeugen G habe der Kläger vor der Kündigung keine Abwerbung versucht, sondern lediglich mitgeteilt, daß er beim Beklagten ausscheiden und später - offensichtlich nach der Trennung - näheres von sich geben werde. Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts habe sich damit der gegen den Kläger erhobene Vorwurf nicht bestätigt. Irgendwelche Abwerbungsversuche habe der Kläger nicht unternommen. Auf sein Ausscheiden beim Beklagten habe der Kläger hinweisen dürfen. Auch andere als standesrechtlich unzulässig zu wertende Angaben oder Mitteilungen gegenüber dem Zeugen G seien nicht erfolgt.

Auch der Beklagte geht nunmehr davon aus, daß dem Kläger ein Abwerbungsversuch vor Ausspruch der fristlosen Kündigung nicht nachgewiesen werden könne. Die Revision hat insoweit gegen die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Beweiswürdigung auch keine Verfahrensrügen erhoben.

3. Die Revision rügt jedoch, daß das Landesarbeitsgericht nicht alle wesentlichen, für die fristlose Kündigung sprechenden Umstände berücksichtigt habe. So habe das Landesarbeitsgericht unberücksichtigt gelassen, daß der Kläger durch Kundgabe seines Abwerbungswillens das arbeitsvertragliche Vertrauens- und Treueverhältnis zerstört habe. Bei dem Gespräch am 25. Mai 1983, bei dem der Beklagte die fristlose Kündigung ausgesprochen habe, habe der Kläger unmißverständlich erklärt und darauf bestanden, daß die von ihm betreuten Mandanten per Rundschreiben von dem Ausscheiden und der Errichtung einer neuen Anwaltspraxis informiert werden. Wörtlich habe der Kläger erklärt, aus dem Rundschreiben müsse hervorgehen, daß die angesprochenen Mandanten die weitere Bearbeitung ihrer Fälle ihm belassen müßten. Der Kläger habe ferner zum Ausdruck gebracht, daß er ein solches Rundschreiben allein verfassen werde, falls der Beklagte damit nicht einverstanden sei. In diesem Verhalten des Klägers liege der vom Landesarbeitsgericht verkannte, eine fristlose Kündigung rechtfertigende Grund. Ein Zuwarten sei dem Beklagten nicht zumutbar gewesen.

a) Dieses Vorbringen des Beklagten ist, obschon an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung abzugeben, nicht schlüssig. Zur Untermauerung seines Vorbringens, daß der Kläger die ernsthafte Absicht gehabt habe, in standeswidriger Weise und entgegen anerkannter Rechtsgrundsätze Auftraggeber abzuwerben und an sich zu binden, verweist der Beklagte nämlich auf das vom Kläger verfaßte und nach Ausspruch der fristlosen Kündigung an die Auftraggeber verschickte Rundschreiben. Eine solche rückbezogene und die Schlüssigkeit des Vorbringens des Beklagten darlegende Indizwirkung vermag dieses Rundschreiben jedoch nicht auszulösen. Mit dem undatierten Rundschreiben wird seitens des Klägers nicht der Versuch einer Abwerbung unternommen; es enthält keine unzulässige Aufforderung an die Auftraggeber, nunmehr ihm, dem Kläger, mit den bisherigen oder neuen Aufträgen zu betrauen. Es enthält nur die Mitteilung, daß er aus der Anwaltskanzlei des Beklagten ausgeschieden ist und der Mandant sich entscheiden möge, wer die laufenden Sachen weiter bearbeiten soll. Es fehlt somit schon an einem schlüssigen Vortrag des Beklagten; aus dem Vorbringen ergibt sich nicht, daß der Kläger eine ernsthafte, den Standesrichtlinien und den allgemeinen Grundsätzen zuwiderlaufende Abwerbungsabsicht bekundet hat.

b) Unstreitig hat der Kläger, gestützt auf die ihm von der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk Hamm erteilte Auskunft, für sich eine Abwicklung nach § 29 der Standesrichtlinien in Anspruch genommen, was ihm aber vom Beklagten mit dem Hinweis, daß keine Sozietät vorliege, verweigert worden ist. Das Landesarbeitsgericht hat es zu Recht dahingestellt sein lassen, ob die Regelungen des § 29 der Standesrichtlinien vorliegend anwendbar sind, da selbst dann, wenn sich der vom Kläger eingenommene Rechtsstandpunkt als falsch erweisen sollte, ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliege. Der § 29 der Standesrichtlinien beinhaltet im Ergebnis nichts anderes als schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen erwartet wird, nämlich alles zu unterlassen, was darauf abzielt, frühere Auftraggeber zu veranlassen, weitere Aufträge nur dem Betreffenden zu erteilen. Diese Bestimmung regelt darüber hinaus nur den Modus über die Herbeiführung der Entscheidung des Auftraggebers bezüglich der Weiterbearbeitung der laufenden Sachen. In diesem Zusammenhang hat das Landesarbeitsgericht mit Recht ausgeführt, aufgrund der gegebenen Umstände sei davon auszugehen, daß der Kläger diese durch § 29 der Standesrichtlinien vorgezeichnete Verfahrensweise auch habe einhalten wollen, sich daran aber durch die zwischenzeitlich erfolgte fristlose Kündigung gehindert gesehen habe bzw. sich zu einem etwas hiervon abweichenden Weg entschlossen hat. Auch hieraus kann demnach keine Indizwirkung abgeleitet werden, daß der Kläger schon vorher die feste Absicht gehabt habe, die bisherigen Auftraggeber an sich zu ziehen. Dies ist zudem, wie anhand des Rundschreibens ausgewiesen, auch nicht, insbesondere auch nicht in unlauterer Weise, geschehen.

IV. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, daß ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, der den Beklagten zur fristlosen Kündigung berechtigt haben könnte, nicht vorgelegen hat. Einer Interessenabwägung hat es nicht bedurft. Im übrigen hat das Landesarbeitsgericht zutreffend darauf hingewiesen, daß Kündigungsgründe, die nach Ausspruch der fristlosen Kündigung entstanden sind, nicht zur Stützung der fristlosen Kündigung herangezogen werden können. Alle übrigen in der Zeit nach der Kündigung liegenden und dem Kläger zum Vorwurf gemachten Verhaltensweisen, so insbesondere der Vorgang bezüglich des undatierten Rundschreibens, sind, soweit nicht Rückschlüsse auf das Verhalten des Klägers vor der fristlosen Kündigung daraus gezogen werden können, nicht relevant.

Die Revision war daher aus den dargelegten Gründen mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Hillebrecht Dr. Röhsler Dr. Weller

Dr. Peppler Rupprecht

 

Fundstellen

Dokument-Index HI437688

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