Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung eines Schuldanerkenntnisses wegen widerrechtlicher Drohung

 

Leitsatz (amtlich)

Dient die Drohung des Arbeitgebers mit einer Strafanzeige wegen schädigender Handlungen des Arbeitnehmers dazu, den Arbeitnehmer zur Wiedergutmachung des Schadens zu veranlassen, so handelt der Arbeitgeber in der Regel nicht widerrechtlich, wenn er den geforderten Schadensersatz aufgrund der Angaben des Arbeitnehmers für berechtigt halten durfte (Fortführung von BAG Urteil vom 3. Mai 1963 – 1 AZR 136/62 – AP Nr. 1 zu § 781 BGB).

 

Normenkette

BGB § 123 Abs. 1, §§ 138, 781, 823, 826

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 10.04.1997; Aktenzeichen 13 Sa 107/96)

ArbG Karlsruhe (Urteil vom 19.07.1996; Aktenzeichen 5 Ca 18/96)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 10. April 1997 – 13 Sa 107/96 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Beklagte verlangt von der Klägerin Schadensersatz. Die Parteien streiten insbesondere darüber, ob die Klägerin ein entsprechendes Schuldanerkenntnis wirksam wegen widerrechtlicher Drohung angefochten hat.

Die Beklagte ist ein Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels mit zahlreichen Filialen. Die 1952 geborene Klägerin war bei ihr von September 1987 bis zum 18. Dezember 1995 als Verkäuferin und Kassiererin in der Filiale K beschäftigt. Nach einer Kassendienstanweisung, die Inhalt des Arbeitsvertrages der Klägerin war, durften Einkäufe von Angehörigen nicht abgerechnet werden.

Am 18. Dezember 1995, gegen 10:10 Uhr, beobachtete die stellvertretende Marktleiterin B, wie die Klägerin ihren Ehemann an der Kasse abfertigte. Anschließend verständigte sie ihren Vorgesetzten, den Bezirksverkaufsleiter S, und teilte ihm mit, die Klägerin habe ihrem Ehemann zwei Päckchen Zigaretten zu je 4,85 DM und eine Packung Kaffee zu 5,99 DM nicht berechnet. Die Klägerin habe bereits in der Vergangenheit des öfteren ihren Ehemann abkassiert, und es sei schon damals der Verdacht aufgekommen, sie habe nur einen Teil der Waren berechnet. Um 11:00 Uhr führte der Bezirksverkaufsleiter in der Filiale mit der Klägerin ein Gespräch, zu dem die Parteien unterschiedlich vorgetragen haben. Jedenfalls stellte Herr S die Klägerin schließlich vor die Alternative, entweder in einen Aufhebungsvertrag einzuwilligen und ein Schuldanerkenntnis abzugeben oder die Zuziehung der Polizei hinzunehmen. Die Klägerin erklärte hierauf, sie wolle keine Polizei, sondern zunächst eine Rücksprache mit ihrem Ehemann. Nachdem dieser hinzugezogen worden war, erklärte er, er werde seine Frau jetzt mitnehmen. Herr S erwiderte, dies könne er tun, die Sache müsse dann halt auf einem anderen Weg geklärt werden. Daraufhin bat die Klägerin, man solle keine Polizei holen, und gab ihrem Mann zu verstehen, sie wolle bleiben. Kurz darauf wies Herr S den Ehemann der Klägerin mit der Begründung aus dem Hause, er habe sich lautstark und ungehörig benommen. Die Klägerin unterzeichnete dann das folgende

„Schuldanerkenntnis

Folgenden Sachverhalt gestehe ich ein:

In der Zeit vom: 1.7.1993 bis 18.12.95

habe ich in der Filiale: K

wo ich als: Kassiererin

beschäftigt war, die Fa. P um einen Betrag in

Höhe von DM 5.750,– geschädigt, indem ich

meinem Mann, meiner Schwester Ware an der Kasse

nicht getippt habe (1 × pro Woche DM 50,00).

Hiermit erkenne ich freiwillig an, daß ich der Fa. P einen Betrag von DM 5.750,– (i.W.: fünftausendsiebenhundertundfünfzig) schulde. + 7,25 % Zins

Ich verpflichte mich, der Fa. P über diesen Schadensbetrag zusätzlich ein notarielles Schuldanerkenntnis zu erteilen.

Sollte eine genaue Überprüfung ergeben, daß der Schadensbetrag höher ist als der von mir anerkannte, verpflichte ich mich, über den darüber hinausgehenden Betrag ein zusätzliches Schuldanerkenntnis abzugeben.

Aufgrund des vorliegenden Tatbestandes muß ich mit fristloser Entlassung rechnen.

Rückerstattung des Betrages wird wie folgt vereinbart: Der Betrag wird in 11 Raten a 480,– und einer Rate a 470,– DM zurückgezahlt. Zuzüglich werden die Zinsen i.H.v. 7,25 % = 416,88 mit der ersten Rate bezahlt.

Falls diese Vereinbarung nicht eingehalten wird, habe ich mit gerichtlichen Maßnahmen zu rechnen.”

Während Herr S etwa eineinhalb Stunden lang vergeblich versuchte, einen sofortigen Notartermin zwecks notarieller Beglaubigung des Schuldanerkenntnisses zu erhalten, wartete die Klägerin. Anschließend unterzeichneten die Parteien einen Aufhebungsvertrag, mit dem das Arbeitsverhältnis „im beiderseitigen Einvernehmen mit Wirkung vom 18. Dezember 1995 gelöst” wurde.

Durch Anwaltsschreiben vom 22. Dezember 1995 erklärte die Klägerin die Anfechtung des Schuldanerkenntnisses und des Aufhebungsvertrages wegen Drohung. Sie erhob am 22. Januar 1996 Klage auf Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses, nahm diese Klage aber später zurück.

Mit der allein noch rechtshängigen Widerklage hat die Beklagte vorgetragen, Frau B habe beobachtet, daß die Klägerin die Zigaretten und den Kaffee nicht berechnet habe. Diese Handlungen habe die Klägerin in dem Gespräch mit Herrn S eingeräumt. Sie habe die Frage, ob es Unachtsamkeit gewesen sei, nach längerem Zögern verneint. Auf die Frage, seit wann sie dies schon gemacht habe, habe sie zunächst erwidert, sie könne sich daran nicht erinnern. Auf den Vorhalt, das sei nicht glaubhaft, habe sie einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren genannt. Herr S habe dann gefragt, wie sie es und wie oft sie es gemacht habe. Die Klägerin habe entgegnet, sie habe bei ihrem Ehemann oder ihrer Schwester wöchentlich einmal den Einkauf nicht in vollem Umfang berechnet; es habe sich mal um größere, mal um kleinere Beträge gehandelt, jeweils um mehr oder weniger als 50,00 DM. Obwohl Herr S von einem längeren Zeitraum und von höheren Schadensbeträgen ausgegangen sei, habe er es dabei bewenden lassen. Er habe den Gesamtschaden unter Berücksichtigung von sechs Wochen Jahresurlaub wie folgt berechnet: 2,5 Jahre × 46 Wochen/Jahr × 50,00 DM/Woche = 5.750,00 DM. Daraufhin habe er der Klägerin die beiden Möglichkeiten genannt, nämlich die Polizei zu rufen, um die Schadenswiedergutmachung zu sichern, oder sich gütlich zu einigen.

Die Beklagte hat geltend gemacht, die Klägerin habe ruhig überlegen können und genau gewußt, was sie unterschreibe, sie sei nicht unzulässig unter Druck gesetzt worden. Das Gespräch mit der Klägerin sei ruhig und sachlich gewesen. Die Anfechtung des Schuldanerkenntnisses greife nicht durch. Die Beklagte hat beantragt

die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte 5.750,00 DM nebst 7,25 % Zinsen hieraus seit dem 18. Dezember 1995 zu zahlen.

Die Klägerin hat beantragt, die Widerklage abzuweisen. Sie hält die Anfechtung des Schuldanerkenntnisses für begründet, weil sie von Herrn S sofort massiv unter Druck gesetzt worden sei und man ihr mit einer Anzeige wegen betrügerischer Manipulationen gedroht habe, wenn sie die Erklärung nicht unterschreibe. Sie habe sich nichts zuschulden kommen lassen, das Geschehen vom 18. Dezember 1995 sei ein einmaliger Vorfall gewesen. Sie habe auch keine Möglichkeit gehabt, ruhig zu überlegen und die Konsequenzen der Erklärung zu bedenken. Ihr sei nicht klar gewesen, was sie unterschreibe. Ein Aufklärungsgespräch habe nicht stattgefunden. Die Höhe der geltend gemachten Forderung sei nicht gerechtfertigt, die pauschalierte Schadensberechnung der Beklagten nicht zulässig. Das Anerkenntnis könne nicht zum Verlust jeglicher Einwendungen gegen die Schadenshöhe führen. Dazu hätte es genauerer Schadensermittlungen bedurft.

Im Verhandlungstermin vor dem Landesarbeitsgericht am 10. April 1997 hat die Klägerin erklärt: Sie bestreite, am 18. Dezember 1995 die genannten Beträge ihrem Ehemann nicht berechnet und die Marktleitung nicht unterrichtet zu haben, daß sie bei ihm kassiere. Sie bestreite, in der anschließenden Unterredung eingeräumt zu haben, sie habe zweieinhalb Jahre lang wöchentlich 50,00 DM beim Abkassieren ihres Ehemannes oder von Verwandten nicht eingetippt. Sie sei gehindert worden, mit ihrem Mann das Haus zu verlassen, indem man ihr gesagt habe, sie müsse dableiben und unterschreiben oder es werde die Polizei geholt.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Widerklage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält die Klägerin an ihrem Abweisungsantrag fest.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Beklagten steht gegenüber der Klägerin ein Anspruch auf Schadensersatz entsprechend dem abgegebenen Anerkenntnis zu.

I. Grundlage des Anspruchs ist eine positive Forderungsverletzung.

1. Die Klägerin war als Kassiererin arbeitsvertraglich verpflichtet, die von den Kunden vorgelegten Waren vollständig abzurechnen. Sie durfte den Kunden nicht Waren ohne Abrechnung und Bezahlung überlassen. Ein vorsätzlicher Verstoß gegen diese Vertragspflicht begründet Schadensersatzansprüche der Beklagten. Das gilt auch bei Einkäufen von Angehörigen, die die Klägerin gar nicht hätte abrechnen dürfen. Der Schaden entspricht dem der Beklagten entgangenen Kaufpreis für die Waren. Es kommt nicht darauf an, ob ein Kaufvertrag zustande gekommen ist oder nicht und ob der Kunde die Ware überhaupt regulär gekauft hätte.

2. Die Beklagte hat unter Hinweis auf das Schuldanerkenntnis vom 18. Dezember 1995 schlüssig vorgetragen, die Klägerin habe ihren Arbeitsvertrag über zweieinhalb Jahre hinweg vorsätzlich verletzt, indem sie wöchentlich Ware für 50,00 DM bei Einkäufen ihres Ehemannes und ihrer Schwester nicht berechnete. Auch die Verursachung des geltend gemachten Schadens in Höhe von 5.750,00 DM ist schlüssig dargelegt. Gesamtzeitraum und wöchentliche Einzelbeträge ergeben den Gesamtschadensbetrag.

3. Das Landesarbeitsgericht hat die Einlassungen der Klägerin hierzu nicht gewürdigt. Ob die Klägerin den Beklagtenvortrag überhaupt (wirksam) bestritten hat, erscheint schon zweifelhaft. Ihr Vortrag betrifft fast ausschließlich das Zustandekommen des Schuldanerkenntnisses, kaum dessen Inhalt. Nach der pauschalen Behauptung in erster Instanz, sie habe sich nichts zuschulden kommen lassen, hat die Klägerin im Berufungsverfahren immerhin ausgeführt, der Vorfall vom 18. Dezember 1995 sei einmalig gewesen, zu keinem Zeitpunkt habe sie sich zuvor Unregelmäßigkeiten zuschulden kommen lassen. Der Vortrag der Klägerin ist zwar insgesamt nicht widerspruchsfrei. Doch scheint die Absicht des Bestreitens hinreichend deutlich (§ 138 Abs. 3 ZPO). Soweit die Klägerin jegliche Pflichtverletzung vor dem 18. Dezember 1995 leugnet, kann auch kein substantiiertes Bestreiten verlangt werden. Dagegen hätte sie Einwendungen gegen die Schadenshöhe konkret geltend machen müssen (Beginn der schädigenden Handlungen, Häufigkeit, etwaige Unterbrechungen des Zeitraumes, Einzelbeträge). Insoweit fehlen substantiierte Einwendungen ganz. Die Klägerin trägt nur vor, die Forderungshöhe entspreche nicht den Tatsachen, sei „völlig illusorisch” und nicht gerechtfertigt. Dabei bleibt unklar, inwiefern sie die Schadenshöhe angreifen will und um welche konkreten Einwendungen es geht, deren Verlust sie bekämpft.

4. Die Klägerin ist aufgrund des Schuldanerkenntnisses vom 18. Dezember 1995 mit der von ihr erhobenen Einwendung ausgeschlossen.

a) Das Landesarbeitsgericht ist, indem es ohne weiteres die Frage der Anfechtung erörtert hat, von einer rechtsgeschäftlichen Erklärung ausgegangen. Diese Wertung trifft zu. Die Klägerin hat nicht lediglich eine Wissenserklärung ohne rechtliche Bindung (vgl. hierzu nur Staudinger/Marburger, 13. Aufl., § 781 BGB Rz 27) abgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat darüber hinaus eine Auslegung unterlassen, um welche Art „Schuldanerkenntnis” es sich handelt (während das Arbeitsgericht offenbar von einem abstrakten Schuldanerkenntnis ausgegangen ist). Für die Rechtsfolge der Erklärung kann das von entscheidender Bedeutung sein. Der Senat kann diese Auslegung selbst vornehmen. Es kommt nicht darauf an, ob eine typische oder eine nichttypische Willenserklärung vorliegt; denn der Wortlaut des Schuldanerkenntnisses und die maßgeblichen Umstände für die Auslegung stehen unabhängig von streitigen Einzelheiten fest. Die Auslegung kann ohne die Erschließung weiteren Tatsachenmaterials vorgenommen werden (vgl. nur BAG Urteil vom 28. Februar 1991 – 8 AZR 89/90 – AP Nr. 21 zu § 550 ZPO).

b) Die Parteien haben einen schuldbestätigenden Vertrag abgeschlossen (sog. deklaratorisches, kausales oder bestätigendes Schuldanerkenntnis). Ein sog. konstitutives (abstraktes, selbständiges) Schuldanerkenntnis im Sinne von § 781 BGB liegt demgegenüber nicht vor. Die Klägerin wollte ersichtlich keinesfalls eine Schuld unabhängig von dem Schuldgrund als bestehend anerkennen. Vielmehr ging es um die Bestätigung der Schadensersatzforderung. Dafür spricht zunächst die Darstellung der tatsächlichen Grundlagen der Forderung. Die Parteien verfolgten den Zweck, Schädigungshandlungen und Schaden festzulegen, um hierzu Klarheit zu schaffen. Das Ziel konnte nur sein, Zweifel über die Dauer der Schädigung und die wöchentliche Schadenshöhe auszuräumen und die Gesamtforderung insofern verbindlich festzulegen. An diesem Erklärungsinhalt konnte für die Klägerin kein Zweifel bestehen. Auch die Beklagte hat das so gesehen.

c) Die Auslegung des Schuldanerkenntnisses ergibt somit, daß die Parteien sich gerade verbindlich geeinigt haben, soweit die Klägerin jetzt Einwendungen erhebt. Das kausale Schuldanerkenntnis schließt alle Einwendungen aus, die der Klägerin in diesem Zeitpunkt bekannt waren oder mit denen sie rechnete (vgl. nur BGH Beschluß vom 11. Oktober 1994 – XI ZR 18/94 – NJW 1995, 961, m.w.N.). Die Klägerin wußte, daß in der gegebenen Situation die Häufigkeit ihres Vorgehens und die jeweiligen Einzelbeträge klärungsbedürftig waren und geklärt werden sollten. Gerade darauf erstreckt sich das Schuldanerkenntnis (vgl. nur Staudinger/Marburger, aaO, § 781 BGB Rz 11 ff.).

d) Die Klägerin hat das Schuldanerkenntnis nicht wirksam angefochten. Der allein in Betracht kommende Anfechtungsgrund der widerrechtlichen Drohung gem. § 123 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.

aa) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB). Drohung ist die vom Gegner ernst genommene Ankündigung eines künftigen Übels, das nach Bekundung des Drohenden und der Ansicht des Gegners vom Drohenden herbeigeführt werden kann und soll, wenn der Bedrohte die angesonnene Willenserklärung nicht abgibt (BGH Urteil vom 22. November 1995 – XII ZR 227/94 – NJW RR 1996, 1281 ff., zu 2 der Gründe, m.w.N.; Jauernig, BGB, 8. Aufl., § 123 Rz 12). Die Klägerin ist zur Abgabe des Schuldanerkenntnisses durch eine Drohung des Bezirksverkaufsleiters S bestimmt worden. Dieser hat unstreitig die Zuziehung der Polizei und zumindest konkludent eine Strafanzeige angekündigt, sollte die Klägerin das Schuldanerkenntnis nicht abgeben. Ohne diese Ankündigung hätte die Klägerin das Schuldanerkenntnis nicht unterzeichnet.

bb) Die Drohung ist nach allgemeiner Auffassung widerrechtlich, wenn das Mittel, d.h. das angedrohte Verhalten, oder der Zweck, d.h. die abgenötigte Willenserklärung, oder jedenfalls die Verknüpfung von beidem widerrechtlich ist (vgl. Palandt/ Heinrichs, BGB, 57. Aufl., § 123 Rz 19 ff.; Jauernig, aaO, § 123 Rz 13 ff.; MünchKomm BGB-Kramer, 3. Aufl., § 123 Rz 35 ff.; Erman/Brox, BGB, 9. Aufl., § 123 Rz 60 ff.; Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 123 Rz 44 ff., alle m.w.N.).

cc) Im Streitfall war die angedrohte Hinzuziehung der Polizei zur Aufklärung ebenso wie die angedrohte Erstattung einer Strafanzeige erlaubt, also nicht rechtswidrig. Die Beklagte hatte – legt man ihren Vortrag zugrunde – genügend Anhaltspunkte, um die Klägerin wegen des Verdachts längerfristiger Manipulationen anzeigen zu dürfen. Das folgt eindeutig aus den Einlassungen der Klägerin in dem Gespräch mit dem Bezirksverkaufsleiter am 18. Dezember 1995. Die Rechtsordnung sieht die angedrohten Mittel in entsprechenden Fällen ohne weiteres vor.

Auf der Grundlage des Klägervorbringens ergibt sich nichts anderes: Dafür sprechen nicht nur die unstreitigen Mitteilungen der stellvertretenden Marktleiterin gegenüber dem Bezirksverkaufsleiter vom 18. Dezember 1995. Auch die Einlassungen der Klägerin zum Inhalt ihres Gesprächs mit Herrn S zeigen auf, daß ein hinreichender Verdacht bestand, die Klägerin habe längerfristig (und nicht nur einmalig) strafbare Handlungen begangen. Die Hinzuziehung der Polizei ist hierbei das adäquate Mittel. Die Beklagte hat keineswegs „ins Blaue hinein” gedroht. Die Klägerin hat sich auch später nicht dahin eingelassen, sie habe an dem betreffenden Tag darauf bestanden, es habe sich um einen einmaligen Vorfall gehandelt, und sie sei gleichwohl zur Abgabe des weitergehenden Anerkenntnisses genötigt worden.

dd) Der angestrebte Zweck, nämlich die Abgabe des Schuldanerkenntnisses, war ebenfalls rechtmäßig. Ein Schuldanerkenntnis ist jedenfalls dann nicht verboten oder sittenwidrig, wenn der Erklärungsempfänger von dem Bestehen der Schuld ausgehen darf. Die Beklagte durfte hier nach den Gesamtumständen annehmen, die Klägerin habe sich entsprechend ihrem Anerkenntnis verhalten und die Forderung von 5.750,00 DM sei berechtigt. Es bestand nicht lediglich ein gewisser Anfangsverdacht. Der Klägervortrag ist angesichts der genauen Schilderung des Geschehensablaufs seitens der Beklagten nicht hinreichend substantiiert. Die Klägerin hätte zu dem Gesprächsverlauf im einzelnen Stellung nehmen müssen. Ihre Wertung, ein Aufklärungsgespräch habe nicht stattgefunden, ist ohne nähere Darlegungen nicht nachvollziehbar. Auch fehlt es an einem Beweisangebot. Entgegen der Annahme der Revision ist die Schadenshöhe nicht willkürlich festgesetzt worden. Diese beruhte vielmehr auf dem Gesprächsinhalt vom 18. Dezember 1995, zu dem die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen hat. Die einvernehmlich festgelegte Schadenshöhe ist nach den gegebenen Umständen nicht zu beanstanden. Weder ergeben sich Bedenken gegen die wöchentliche Schadenshöhe von 50,00 DM noch gegen die Pauschalierung bei dem langen Schädigungszeitraum. Unerheblich ist, daß die Beklagte keinen Rechtsanspruch auf Abgabe eines Schuldanerkenntnisses hatte. Für die Rechtmäßigkeit des angestrebten Erfolgs ist das Bestehen eines hierauf gerichteten Rechtsanspruchs nicht Voraussetzung (BGH Urteil vom 16. Januar 1997 – IX ZR 250/95 – NJW 1997, 1980 ff., zu II 2 b der Gründe, m.w.N.).

ee) Die Verknüpfung von Mittel und Zweck (sog. Zweck-Mittel-Relation) war nicht unangemessen, macht das Verhalten der Beklagten daher nicht widerrechtlich. Die Drohung mit einer Strafanzeige diente nur dazu, die Klägerin zur Wiedergutmachung des Schadens der Beklagten zu veranlassen. Die Beklagte nutzte nicht etwa eine zufällig bekannt gewordene Straftat der Klägerin aus, um anderweitige zivilrechtliche Ansprüche gegen sie durchzusetzen. Vielmehr bestand zwischen der anzuzeigenden Straftat und dem wiedergutzumachenden Schaden ein innerer Zusammenhang, weil sich der Schaden gerade aus der Straftat ergab. Die Beklagte konnte den eingeräumten Schadensersatzbetrag für zutreffend halten. In diesen Fällen wird der Einsatz des Drohmittels Strafanzeige zum Zwecke des zivilrechtlichen Schadensausgleichs überwiegend für angemessen erachtet (BAG Urteil vom 3. Mai 1963 – 1 AZR 136/62 – AP Nr. 1 zu § 781 BGB, zu 3 b der Gründe; BGH Urteil vom 23. September 1957 – VII ZR 403/56 – BGHZ 25, 217 ff., 220 f. = NJW 1957, 1796; BGH Urteil vom 28. Oktober 1964 – VIII ZR 114/63 – WM 1964, 1296, 1297; BGH Urteil vom 16. März 1973 – V ZR 38/71 – WM 1973, 574 ff., zu II 3 der Gründe; MünchKomm BGB-Kramer, aaO, § 123 Rz 36; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 8. Aufl., § 37 III 2 c [Rz 34 – 36]; Palandt/Heinrichs, aaO, § 123 Rz 21 f.; Erman/ Brox, aaO, § 123 Rz 66). Dem ist zuzustimmen. Dem Drohenden kann das berechtigte Interesse am Schadensausgleich nicht abgesprochen werden. Geht es nur um den Schadensausgleich aus der Straftat und wird der Schuldner nicht übervorteilt, so verstößt die Drohung mit der Strafanzeige nicht gegen Treu und Glauben. Dabei liegt eine Übervorteilung nicht schon darin, daß die hinzugezogene Polizei kaum in der Lage gewesen wäre, den wirklichen Schaden festzustellen.

Die grundsätzlichen Bedenken des Landesarbeitsgerichts hiergegen greifen nicht durch. Das Strafverfahren wird nicht funktionswidrig eingesetzt. Vielmehr dienen polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen durchaus auch dem Ausgleichsinteresse des durch die Straftat Verletzten (vgl. Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., Band I, Einleitung, Kap. 7, Rz 1 ff.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., Einleitung Rz 8). So können etwa Strafakten im Zivilprozeß beigezogen werden (§§ 273, 432 ZPO), es kommt eine Aussetzung des Zivilprozesses bis zur Erledigung des Strafverfahrens (§ 149 ZPO) oder ein Adhäsionsverfahren (§§ 403 ff. StPO) in Betracht. Aus der Sicht des Verletzten kann sich eine strafgerichtliche Verfolgung durch zivilrechtliche Ersatzleistung durchaus erübrigen. Letztere wird ihm oftmals wichtiger sein als die Bestrafung des Täters. Daß eine Strafverfolgung unabhängig von der Anzeige des Drohenden stattfinden kann, macht dessen Verhalten in der Regel nicht unangemessen; denn praktisch hängt die Strafverfolgung doch von seiner Strafanzeige ab. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben mit der Rechtswidrigkeitsfolge kommt dagegen in Betracht, wenn der Drohende ohnehin mit einem Tätigwerden der Strafverfolgungsorgane rechnete. Dafür besteht im Streitfalle aber kein Anhaltspunkt. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts geht es auch nicht um die Übertragung der Grundsätze zur Anfechtung eines Aufhebungsvertrags wegen der Drohung mit einer fristlosen Kündigung (vgl. nur BAG Urteil vom 20. November 1969 – 2 AZR 51/69 – AP Nr. 16 zu § 123 BGB; zuletzt BAG Urteil vom 21. März 1996 – 2 AZR 543/95 – AP Nr. 42 zu § 123 BGB, zu B I 2 b der Gründe) auf Fälle der vorliegenden Art. Vielmehr ist bei beiden Fallgruppen zu bestimmen, was als angemessenes, sozial adäquates Verhalten gewertet werden kann.

e) Das Schuldanerkenntnis ist schließlich nicht wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) nichtig.

Ein Schuldanerkenntnis kann nach den Gesamtumständen bei Vertragsabschluß, insbesondere nach Inhalt, Beweggrund und Zweck des Rechtsgeschäfts, sittenwidrig sein. Teilweise wird angenommen, die Drohung mit einer Strafanzeige dürfe den Täter nicht zu einer überstürzten Entscheidung zwingen. Es dürfe ihm vor allem dann nicht jede Überlegungsfrist genommen werden, wenn die Höhe des wiedergutzumachenden Schadens erst durch einen Vergleich fixiert werden solle (MünchKomm BGB-Kramer, aaO, § 123 Rz 36; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band, 4. Aufl., § 28 Nr. 2 c; vgl. demgegenüber BAG Urteil vom 30. September 1993 – 2 AZR 268/93 – BAGE 74, 281 = AP Nr. 37 zu § 123 BGB, zu II 4 – 6 der Gründe). Bei einer Verpflichtung, die die Einkommens- und Vermögensverhältnisse weit übersteigt, kommt Sittenwidrigkeit in Betracht, wenn zusätzliche, dem Gläubiger zurechenbare Umstände zu einem unerträglichen Ungleichgewicht der Vertragsparteien führen. Solche Belastungen können sich insbesondere daraus ergeben, daß der Gläubiger die Geschäftsunerfahrenheit oder eine seelische Zwangslage des Schuldners ausnutzt oder ihn auf andere Weise in seiner Entscheidungsfreiheit unzulässig beeinträchtigt (BGH Urteil vom 16. Januar 1997 – IX ZR 250/95 – NJW 1997, 1980 ff., zu II 3 der Gründe, m.w.N.).

Die Klägerin hat zwar behauptet, „massiv unter Druck gesetzt worden” zu sein. Ihr konkreter Tatsachenvortrag rechtfertigt aber nicht die Annahme, sie habe keine angemessene Überlegungsfrist gehabt, es habe ein unerträgliches Ungleichgewicht der Parteien bei Vertragsabschluß bestanden oder die Beklagte habe die Entscheidungsfreiheit der Klägerin unzulässig beeinträchtigt. Die Beklagte ist insbesondere dem Verlangen der Klägerin nach Hinzuziehung des Ehemannes zwecks einer Rücksprache nachgekommen.

II. Ob die Schadensersatzforderung auch nach den §§ 823, 826 BGB berechtigt ist, bedarf keiner Prüfung mehr.

III. Die Zinsforderung in Höhe von 7,25 % ergibt sich ebenfalls aus dem Schuldanerkenntnis. Einwendungen hierzu hat die Klägerin nicht erhoben. Die Ratenzahlungsabrede (gemeint waren offenbar Monatsraten) ist wegen Zeitablaufs hinfällig, nachdem die Klägerin freiwillig nicht gezahlt hat.

IV. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision gem. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Morsch, Hickler

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 22.10.1998 durch Bartel, Reg.-Hauptsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

BB 1999, 480

BB 1999, 849

DB 1999, 586

NJW 1999, 2059

NWB 1999, 1239

EWiR 1999, 197

NZA 1999, 417

SAE 1999, 249

ZAP 1999, 610

AP, 0

AuA 1999, 282

DVP 2000, 216

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