Leitsatz (redaktionell)

Vom betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) werden nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 10 VTV nur Betriebe der Säurebauindustrie nicht erfaßt. Ein Betrieb, der Säurebau in handwerklicher Form betreibt, fällt deshalb unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV.

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 26.11.1996; Aktenzeichen 15 Sa 386/96)

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 10.01.1996; Aktenzeichen Ca 2384/9)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten für den Zeitraum von Januar bis Oktober 1992 Auskunft über die Zahl der gewerblichen Arbeitnehmer und deren Bruttogehaltssumme sowie über die Summe der Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft zu erteilen und für den Fall nicht fristgerechter Auskunftserteilung eine Entschädigung in einer Höhe von DM 36.000,00 zu zahlen.

Die Klägerin (ZVK) ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien die Einzugsstelle für die Beiträge der baugewerblichen Arbeitgeber zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Sie führt das gemeinsame Beitragskonto eines jeden tarifunterworfenen Arbeitgebers.

Im Betrieb des früheren, im Laufe des Rechtsstreits verstorbenen Beklagten, dessen Rechtsnachfolger eine Erbengemeinschaft ist, wurden im Jahre 1992 säurefeste Materialien von Drittfirmen angekauft und dann handwerklich auf der jeweiligen Baustelle verarbeitet (einschließlich Reparaturen). Es wurden ohne eigene Produktion der säurefesten Materialien säurefeste Wand- und Bodenfliesen sowie Steine in Labors, Werkhallen und Werkstraßen und auf Werkplätzen verlegt und säurefest verfugt.

Die ZVK hat die Auffassung vertreten, mit diesen Tätigkeiten fiel der Betrieb unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV, so daß eine Auskunftspflicht bestehe. Die ZVK hat beantragt,

die Beklagten zu verurteilen:

1.

ihr auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft darüber zu erteilen, wieviele Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches, Sechstes Buch (SGB VI), über die gesetzliche Rentenversicherung versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten Januar bis Oktober 1992 in dem Betrieb des Beklagten beschäftigt wurden sowie in welcher Höhe die Bruttolohnsumme insgesamt für diese Arbeitnehmer und die Beiträge für die Sozialkassen der Bauwirtschaft in den genannten Monaten angefallen sind,

2.

für den Fall, daß die Verpflichtung zur Auskunftserteilung innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung nicht erfüllt wird, an sie folgende Entschädigung zu zahlen:36.000,00 DM.

Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, der Betrieb sei aus dem Geltungsbereich des VTV als Betrieb der Säurebauindustrie ausgenommen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihr Klageabweisungbegehren weiter. Die ZVK bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. I.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Auskunftsanspruch der ZVK sei begründet. Der Betrieb unterfalle im Jahre 1992 dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV. Es seien überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten ausgeführt worden. Der Betrieb sei vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV auch nicht nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Ziff. 10 VTV ausgenommen, weil es sich nicht um einen Betrieb der Säurebauindustrie gehandelt habe. Der Begriff Säurebauindustrie sei dahin auszulegen, daß er nur solche Betriebe umfasse, die säurefeste Materialien selbst produzieren und dann durch eigene Kolonnen verarbeiten lassen. Diese Voraussetzungen lägen bei dem Betrieb der Beklagten nicht vor. Etwaige Beitragsansprüche der ZVK seien auch nicht verjährt bzw. verfallen. Diese Ausführungen sind im Ergebnis nicht zu beanstanden.

II. 1. Der Betrieb des früheren Beklagten wird von dem für allgemeinverbindlich erklärten VTV (§§ 4 Abs. 2, 5 Abs. 4 TVG) erfaßt. Deswegen sind die Beklagten gemäß § 27 VTV verpflichtet, die von der ZVK begehrten Auskünfte für die Zeit von Januar bis Oktober 1992 zu erteilen. Der Betrieb unterfiel als Betrieb des Baugewerbes dem betrieblichen Geltungsbereich nach § 1 Abs. 2 Abschn. II bzw. V VTV, weil er im Jahre 1992 arbeitszeitlich nur bzw. ganz überwiegend bauliche Tätigkeiten im Sinne dieser Abschnitte ausgeführt hat. Dies hat das Landesarbeitsgericht für die Revisionsinstanz bindend festgestellt.

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten unterfiel der Betrieb im Jahre 1992 nicht der Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 2 Abschn. VII Ziff. 10 VTV. Danach werden vom betrieblichen Geltungsbereich Betriebe der Säurebauindustrie nicht erfaßt. Bei dem Betrieb handelte es sich im Klagezeitraum jedoch nicht um einen Betrieb der Säurebauindustrie. Dies ergibt die Auslegung des Begriffes "Säurebauindustrie".

a) Unter Säurebau ist die Erstellung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von baulichen Anlagen zu verstehen, die der Produktion, Aufbewahrung oder Beseitigung chemischer Stoffe dienen unter Verwendung von Werkstoffen, die gegen chemische Einflüsse resistent sind. Dem Säurebau sind allerdings auch diejenigen Tätigkeiten zuzuordnen, die dazu dienen, konstruktive Bauteile, die aus üblichen statisch tragenden Konstruktionen hergestellt sind, durch Oberflächenbekleidung mit chemisch widerstandsfähigen Schutzschichten zu schützen. Insoweit handelt es sich um "Säureschutzbau", der vom tariflichen Begriff des "Säurebaus" mit umfaßt wird (vgl. BAG Urteil vom 28. September 1988 - 4 AZR 352/88 - AP Nr. 96 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). b) Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Tarifbestimmung müssen die Tätigkeiten des Säurebaus jedoch industriell betrieben werden. Wie sich aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV ergibt, unterscheiden die Tarifvertragsparteien bei den vom betrieblichen Geltungsbereich nicht erfaßten Betrieben zwischen Gewerbebetrieben (Nr. 1, 3, 8), Handwerksbetrieben (Nr. 2, 4, 5, 6, 9, 11, 12, 13) und Industriebetrieben (Nr. 7, 10, 11). Daraus ist zu folgern, daß sie an den Unterschied zwischen Handwerks- und Industriebetrieben anknüpfen wollen. Wenn sie aber nur die Säurebauindustrie aus dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausnehmen, ergibt sich daraus, daß die Handwerksbetriebe des Säurebaus vom tariflichen Geltungsbereich erfaßt werden.

c) Über die Zugehörigkeit eines Betriebs zum Handwerk oder zur Industrie läßt sich aus den tariflichen Bestimmungen allerdings nichts entnehmen. Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff "Säurebauindustrie" nicht näher erläutert. Daraus kann entgegen der Auffassung der Beklagten jedoch nicht geschlossen werden, daß zur Säurebauindustrie im tariflichen Sinne sämtliche Betriebe des Säurebaus und somit auch Handwerksbetriebe gehören. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien diesen Begriff in seiner allgemeinen Bedeutung verstehen und angewandt wissen wollen (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 5, 338 = AP Nr. 13 zu § 1 TVG Auslegung).

Allgemein wird der Begriff "Industrie" zum "Handwerk" durch den Unterschied bei der Betriebsgröße, der Anzahl der Beschäftigten sowie dem größeren Kapitalbedarf infolge der Anlagenintensität abgrenzend bestimmt. Die Industrie ist durch Produktionsanlagen und -stufen sowie Absatzstrukturen gekennzeichnet (vgl. Brockhaus  Enzyklopädie S. 569, 571), während bei einem Handwerksbetrieb, die Arbeiten überwiegend mit der Hand nach Methoden des einschlägigen Handwerks ausgeführt werden, diese Arbeiten für einen bestimmten Kundenkreis (Einzelfertigung) und nicht auf Vorrat getätigt werden und es sich um einen kleineren, weniger technisierten Betrieb handelt (vgl. BAG Urteile vom 21. Januar 1981 - 4 AZR 856/78 - und vom 18. Januar 1984 - 4 AZR 13/82 - AP Nr. 33 und 59 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau, BAG Urteil vom 26. August 1987 - 4 AZR 153/87 - n.v.).

Nach diesen Kriterien können auch im Bereich des Säurebaus Handwerksbetriebe von Industriebetrieben abgegrenzt werden. Demgemäß ist für einen Betrieb der Säurebauindustrie, entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht maßgebend, daß die verarbeiteten Materialien selbst produziert werden. Andererseits wird die Kategorisierung eines Betriebes, der Säurebau betreibt, als Industriebetrieb nicht, wie die Beklagten meinen, dadurch ausgeschlossen, daß die Arbeiten vor Ort auf einer Baustelle ausgeführt werden. Dies wird schon dadurch deutlich, daß auch in Betrieben, die herkömmlicher Weise der Bauindustrie zugerechnet werden, die Arbeiten stets ortsgebunden auf den jeweiligen Baustellen erbracht werden.

d) Soweit die Beklagten meinen, die Tarifvertragsparteien hätten durch die Änderung des Begriffs "Säurebau" in "Säurebauindustrie" mit Wirkung zum 1. Januar 1985 hinsichtlich des betrieblichen Geltungsbereichs des VTV nicht zwischen Handwerks- und Industriebetrieb unterscheiden, sondern mit der Verwendung des Begriffs der "Säurebauindustrie" auf Betriebe Bezug nehmen wollen, die vom fachlichen Geltungsbereich des Rahmentarifvertrags für die Säureschutzindustrie erfaßt werden, kann dem nicht zugestimmt werden. Für eine solche Auslegung ergeben sich weder aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 10 VTV noch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang irgendwelche Anhaltspunkte. Die Tarifvertragsparteien haben im Ausnahmekatalog des § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV in keinem Fall auf den fachlichen Geltungsbereich bestimmter anderer Tarifverträge Bezug genommen, sondern stets auf die betriebliche Tätigkeit abgestellt. Es ist im VTV in keiner Weise zum Ausdruck gekommen, daß dies in § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 10 VTV anders sein soll.

e) Das Landesarbeitsgericht hat bindend festgestellt, daß im Klagezeitraum nur bzw. überwiegend im Betrieb des früheren Beklagten von Drittfirmen bezogene säurefeste Wand- und Bodenfliesen sowie Steine in Labors, Werkhallen und Werkstraßen sowie auf Werkplätzen verlegt und säurefest verfugt worden sind. Damit wurden im Betrieb Arbeiten in handwerklicher Form ausgeführt, wie auch in der mündlichen Verhandlung von den Beklagten bestätigt wurde. Der Betrieb war deshalb nicht aus dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgenommen.

3. Mögliche Beitragsansprüche der ZVK sind entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht verjährt bzw. verfallen. Die vierjährige Verjährungsfrist des § 197 BGB für die Beitragsansprüche der ZVK beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Beiträge gemäß § 29 VTV durch den Arbeitgeber zu entrichten gewesen wären. Die vierjährige Verfallsfrist des § 31 Abs. 2 Satz 2 VTV beginnt mit dem Schluß der Jahren zu laufen (§ 201 BGB), in dem die Beitragsansprüche fällig werden (vgl. BAG Urteil vom 25. September 1996 - 10 AZR 678/95 - n. v.).

Im vorliegenden Fall sind die Zahlungsansprüche für die Monate Januar bis Oktober 1992 unstreitig mit einer Klage am 9. Dezember 1996 gerichtlich geltend gemacht worden. Der frühere Beklagte hat daraufhin unter Vorbehalt am 27. Dezember 1996 gezahlt.

4. Die für den Fall der Nichterfüllung der Auskünfte begehrte Entschädigung kann die ZVK nach § 61 Abs. 2 ArbGG verlangen. Einwendungen gegen die Höhe der Entschädigungssumme, die grundsätzlich nur 80% des erwarteten Zahlungsanspruchs betragen darf (BAG Urteil vom 26. April 1989 - 4 AZR 49/89 - AP Nr. 110 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG Urteil vom 26. Mai 1993 - 10 AZR 273/92 - n. v. und vom 11. Dezember 1996 - 10 AZR 376/96 - EzA § 4 TVG Bauindustrie Nr. 84, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) sind nicht erhoben worden.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 436593

BB 1998, 2372

FA 1999, 33

NZA 1999, 213

RdA 1999, 228

AP, 0

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