Leitsatz (redaktionell)

Eine verhaltensbedingte Kündigung ist sozial nicht gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt werden kann und der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung hierwegen widersprochen hat.

 

Normenkette

BetrVG § 102 Abs. 5, 3; KSchG § 1 Abs. 2 Fassung 1969-08-25

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 07.08.1980; Aktenzeichen 10 Sa 1442/79)

ArbG Minden (Entscheidung vom 17.10.1979; Aktenzeichen 1 Ca 571/79)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 9. zum 24. August 1979.

Der Kläger ist 1936 geboren, geschieden und leistet Unterhalt für ein Kind. Er leidet an Herz- und Kreislaufstörungen und hat eine Fettleber. Seit dem 16. August 1976 war er bei der Beklagten beschäftigt. Zunächst wurde er als Gabelstaplerfahrer eingesetzt und nach der Lohngruppe II des einschlägigen Tarifvertrages vergütet. Ab 1. Oktober 1978 war er im gegenseitigen Einvernehmen als Aussucher in der Versandabteilung unter Zurückstufung in die Lohngruppe III tätig. Mit Schreiben vom 3. Mai 1979 wurde der Kläger wie folgt abgemahnt:

"Sehr geehrter Herr A]

Wir nehmen Bezug auf die Mitteilung Ihres Abteilungsleiters und das gestern im Beisein von Frau C und dem Unterzeichner geführte Gespräch.

Aufgrund der von Ihnen gezeigten unzureichenden Arbeitsleistung wurden Sie am 1.10.78 versetzt und in eine niedrigere Lohngruppe eingestuft. Sie sind damals auf Ihre schlechte Arbeitsleistung hingewiesen und ermahnt worden, diese zu steigern. Ihre Arbeitsleistung hat sich jedoch bis heute nicht gebessert, sondern verschlechtert. So wurde am 18.4.79 ein Auftrag von Ihnen am Lager gefunden, wo Sie ihn abgelegt und vergessen hatten.

Hinzu kommt, daß Sie wiederholt nicht zur Arbeit erschienen, dann telefonisch anrufen und um Urlaub bitten. Wir weisen darauf hin, daß Urlaub - gleich ob bezahlt oder unbezahlt - vor Antritt zu beantragen und zu genehmigen ist.

Durch Ihr Verhalten haben Sie gegen die Verpflichtung aus Ihrem Arbeitsvertrag verstoßen. Wir mahnen hiermit die Pflichten aus dem Arbeitsvertrag ab.

Sollte sich Ihr Verhalten in Zukunft nicht ändern, müssen Sie mit der Auflösung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen."

Am 31. Juli 1979 benötigte der Kläger für einen Auftrag von 125 kg mit 17 Positionen vier Stunden, der normalerweise von einem Aussucher in einer halben Stunde erledigt wird. Als der Kläger dem Versandleiter erklären sollte, was er in der Zwischenzeit getan habe, fiel diesem auf, daß der Kläger stark nach Alkohol roch und sehr schleppend sprach. Die Beklagte kündigte daraufhin nach Anhörung des Betriebsrats dem Kläger das Arbeitsverhältnis. Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung u. a. mit der Begründung, die durchschnittliche Leistung des Klägers sei über einen längeren Zeitraum gesehen nicht schlechter als die vergleichbarer Arbeitnehmer. Auch bestehe die Möglichkeit, den Kläger evtl. an einem anderen Arbeitsplatz, z.B. als Transporteur einzusetzen, falls der Versand zu einer weiteren Beschäftigung des Klägers nicht bereit sein sollte.

Der Kläger ist der Auffassung, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt.

Der Kläger hat beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 9. August 1979 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und zur Begründung vorgetragen, die Kündigung sei nur aus verhaltensbedingten Gründen, nämlich wegen schlechter Arbeitsleistung, Trunkenheit und Unzuverlässigkeit ausgesprochen worden. Bereits am 1. Oktober 1978 sei der Kläger mit seinem Einverständnis wegen schlechter Arbeitsleistung, häufiger Unpünktlichkeit sowie wegen Alkoholgenusses auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt und in die Lohngruppe III zurückgestuft worden. Damals habe er außerdem unter Mißachtung des Alkoholverbots im Betrieb der Beklagten während der Arbeitszeit Alkohol zu sich genommen und infolgedessen einen Unfall mit dem Gabelstapler verschuldet. Schon aus jenem Anlaß sei er ermahnt worden, in Zukunft besser zu arbeiten. Tatsächlich habe sich seine Arbeitsleistung weiter verschlechtert. So habe er am 18. April 1979 einen Auftrag einfach im Lager abgelegt und vergessen. Außerdem sei er wiederholt ohne Vorankündigung nicht zur Arbeit erschienen und habe erst nach Arbeitsbeginn um bezahlten oder unbezahlten Urlaub gebeten. Wegen dieser Vorfälle sei der Kläger mit Schreiben vom 3. Mai 1979 abgemahnt worden unter Androhung einer Kündigung für den Fall, daß sich sein Verhalten in der Zukunft nicht bessere. Auch nach der Abmahnung habe sich das Verhalten des Klägers nicht gebessert. Er sei weiterhin häufig unpünktlich gewesen oder habe erst kurz vor Dienstbeginn mitgeteilt, daß er erst später kommen könne bzw. früher gehen müsse. Am 9. und 22. Februar 1979 habe er unentschuldigt gefehlt. Er habe auch nach wie vor mehrfach eine Alkoholfahne gehabt, obwohl der Alkoholgenuß während der Arbeitszeit untersagt sei und sie, die Beklagte, ihn unmißverständlich darauf hingewiesen habe, daß sie den Alkoholgenuß nicht hinzunehmen bereit sei. Weder Verhalten noch Arbeitsleistung des Klägers hätten sich trotz zahlreicher weiterer mündlicher Ermahnungen gebessert. Zuletzt sei der Kläger der schlechteste aller vergleichbaren Arbeiter gewesen. Dementsprechend sei auch die Umsetzung des Klägers in eine andere Schicht am Widerstand des entsprechenden Schichtleiters gescheitert.

Der Kläger hat erwidert, seine Herz- und Kreislaufbeschwerden wirkten sich auf seine Arbeitsleistung aus. Die Abmahnung habe er zu Unrecht erhalten. Ihm sei vorgeworfen worden, an einem Auftrag länger als nötig gearbeitet zu haben. Dies sei nicht richtig, vielmehr habe ihn der Gruppenleiter R angewiesen, einigen Kolleginnen bei der Verladung schweren Materials mitzuhelfen, und zwar bei wenigstens vier Paletten. Auch sonst habe er des öfteren Arbeitskolleginnen geholfen, das sei nicht auf seinen Arbeitsnachweisen notiert. Entgegen der Darstellung des Zeugen G habe er keine Aufträge "verloren" oder vergessen. Allerdings habe er einmal wegen eines akuten Herz- und Kreislaufanfalles nach zwei bis drei Stunden die Arbeit beenden müssen. Am nächsten Tage habe er dann nicht mehr an den Auftrag gedacht. Er bestreite entschieden, während der Arbeitszeit Alkohol zu sich genommen zu haben. Allein aus Gesundheitsgründen habe er am 1. Oktober 1978 eine andere Arbeit erhalten. Weder von schlechter Arbeitsleistung noch von Alkoholmißbrauch sei damals die Rede gewesen. Richtig sei, daß er schon einmal vor der Arbeit Bier getrunken habe. Auf seine Arbeitsleistung habe dies aber keinen Einfluß gehabt. So habe er am 31. Juli 1979 Spätschicht gehabt und zuvor in bescheidenem Maße Bier getrunken, ohne daß dies seine Arbeitsleistung beeinträchtigt hätte. Als ihm der Zeuge G vorgeworfen habe, er würde ihn am liebsten nach Hause schicken, weil er Alkohol getrunken habe, habe er, der Kläger, geantwortet: "Wenn Sie das meinen, dann geben Sie mir doch einen Passierschein." Der Vorwurf, unpünktlich gewesen zu sein, treffe nicht zu. Die von der Beklagten vorgelegte Aufstellung über die Tage, an denen er weniger als acht Stunden am Arbeitsplatz gewesen sei, sei unrichtig, weil er seine Arbeit stets pünktlich aufgenommen habe, wegen seines gesundheitlichen Zustandes aber seinen Arbeitsplatz manchmal früher habe verlassen müssen. An den Tagen, an denen eine Fehlzeit von acht Stunden vermerkt sei, habe er immer vor Dienstantritt, und zwar rechtzeitig, dieses persönlich oder durch seine damalige Verlobte der Beklagten mitgeteilt. Er bestreite, unentschuldigt gefehlt zu haben. Soweit Fehlzeiten auf den Urlaub angerechnet worden seien, könne ihm das Fehlen nicht mehr vorgeworfen werden und keinen Kündigungsgrund mehr hergeben. Insoweit spiele es keine Rolle, ob die Beklagte, etwa bei einem Anruf, vorher eingewilligt oder ob sie den Urlaub nachträglich bewilligt habe. Schließlich sei die Kündigung auch deshalb sozial ungerechtfertigt, weil er bereit sei, auch in anderen Abteilungen zu arbeiten, z. B. als Transporteur. Entsprechende freie Stellen seien vorhanden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

I. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, der Kläger habe an den von der Beklagten behaupteten vier Tagen des Jahres 1978 und 17 Tagen im Jahre 1979 stundenweise gefehlt; teilweise seien diese Fehlzeiten mit Urlaub verrechnet worden, zum Teil nach unentschuldigtem Fehlen auch nicht. Außerdem sei der Kläger häufig mit einer Alkoholfahne angetroffen worden. Wegen beidem sei er abgemahnt worden. Das Berufungsgericht hat weiter festgestellt, der Kläger habe schlechter als der Durchschnitt gearbeitet. Er habe für seine Aufträge relativ lange Zeiten benötigt. Die in der Urlaubszeit als Aushilfskräfte eingesetzten Schüler seien nach kurzer Einarbeitung schneller gewesen als er. Schließlich habe der Kläger mehrfach Aufträge "verloren". Auch wegen dieser Unzuverlässigkeit und der Schlechtleistung sei der Kläger abgemahnt worden mit dem Hinweis, daß der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet sei.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, solche Unzuverlässigkeit, Bummelei und langsame Arbeitsweise habe die Beklagte nach Abmahnung auf Dauer nicht hinnehmen müssen. Zumindest in ihrer Gesamtheit berechtigten die Unzulänglichkeiten und Verfehlungen des Klägers die Beklagte zur Kündigung. Da es sich nicht um eine personenbedingte, sondern ausschließlich um eine verhaltensbedingte Kündigung handele, habe die Beklagte nicht prüfen müssen, ob der Kläger an anderer Stelle des Betriebes hätte eingesetzt werden können, an der weniger Leistungen gefordert würden.

Die Abwägung zwischen dem Interesse des Klägers an dem Bestand und dem des Arbeitgebers an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses habe aufgrund aller dieser Umstände daher zugunsten der Beklagten ausfallen müssen.

II. Der Senat ist an die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gebunden, weil der Kläger keine zulässige Revisionsrüge in Bezug auf die Feststellung erhoben hat (§ 561 Abs. 2 ZPO).

Der Kläger hat zwar verfahrensrechtlich gerügt, ein Teil seines Vortrags und die von ihm angebotenen Beweismittel seien in den Vorinstanzen unberücksichtigt geblieben. Dieser Vortrag genügt aber nicht den Anforderungen einer zulässigen Prozeßrüge. Dafür wäre die Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm und der Tatsachen, die den Mangel ergeben, erforderlich (§ 554 Abs. 3 Nr. 3 lit. b ZPO). Der Revisionsbegründung ist zwar zu entnehmen, daß die Verletzung von § 286 ZPO gerügt werden soll. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat aber nicht substantiiert dargelegt, welchen Vortrag und welches Beweisangebot das Landesarbeitsgericht außer acht gelassen haben soll.

III. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war aber wegen materiell-rechtlicher Fehler aufzuheben.

1. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist der Nachprüfung im Revisionsverfahren nur in beschränktem Maße zugänglich. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts: vgl. u.a. BAG 1, 99; 1, 117 und 29, 49).

2. Unter Berücksichtigung dieser eingeschränkten Überprüfungsmöglichkeit begegnet die Annahme des Landesarbeitsgerichts keinen rechtlichen Bedenken, die Kündigung sei allein aus verhaltensbedingten Gründen erfolgt. Zu Recht hat es demzufolge seine Prüfung beendet, als nach seiner Überzeugung feststand, daß die Kündigung wegen der verhaltensbedingten Gründe sozial gerechtfertigt sei. Dementsprechend geht die Rüge der Revision, der Vortrag der Beklagten zu personenbedingten Gründen reiche für eine Kündigung nicht aus, ins Leere.

3. Es ist revisionsrechtlich auch nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht annimmt, das von ihm festgestellte Verhalten des Klägers sei an sich geeignet, eine Kündigung sozial zu rechtfertigen. Zwar ist bei einer Kündigung, die auf mehrere Gründe gestützt wird, zunächst zu prüfen, ob jeder Sachverhalt für sich allein geeignet ist, die Kündigung zu begründen (vgl. KR-Becker, § 1 KSchG Rz 180 und BAG Urteil vom 4. August 1955 - 2 AZR 88/54 - AP Nr. 3 zu § 626 BGB). Erst wenn die isolierte Betrachtungsweise nicht bereits zur Sozialwidrigkeit der Kündigung führt, ist im Wege einer einheitlichen Betrachtungsweise zu prüfen, ob die einzelnen Kündigungsgründe in ihrer Gesamtheit Umstände darstellen, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen (BAG, aaO; KR-Becker, aaO).

Das Berufungsgericht hat vorliegend zugunsten des Klägers unterstellt, daß die einzelnen Kündigungssachverhalte möglicherweise für eine Kündigung nicht ausgereicht hätten. Dies ist im Ergebnis zutreffend.

a) Das Landesarbeitsgericht hat bezüglich der Fehlzeiten nur festgestellt, der Kläger habe an vier Tagen im Jahre 1978 und 17 Tagen im Jahre 1979 stundenweise gefehlt und darunter seien auch Fehlzeiten gewesen, die wegen unentschuldigten Fehlens nicht mit Urlaub verrechnet worden seien. Wie oft der Kläger der Arbeit unentschuldigt ferngeblieben ist, hat das Landesarbeitsgericht offen gelassen. Es ist daher nicht auszuschließen, daß das unentschuldigte Fehlen insbesondere unter Berücksichtigung der Kreislauf- und Herzbeschwerden des Klägers kündigungsrechtlich nicht relevant gewesen ist. Das Berufungsgericht hat aufgrund seiner Feststellungen deshalb gerade nicht zu der Annahme kommen dürfen, die in dem unentschuldigten Fernbleiben Ausdruck findende Unzuverlässigkeit und Bummelei habe die Beklagte auf Dauer nicht hinnehmen müssen. Dies gilt auch für den Fall, daß der Kläger, was das Berufungsgericht auch offen gelassen hat, nach der Abmahnung ein weiteres Mal unentschuldigt gefehlt hat.

b) Zutreffend ist, daß der Alkoholgenuß während der Arbeit trotz Alkoholverbots je nach den Umständen des Einzelfalles ein Kündigungsgrund sein kann (LAG Berlin Urteil vom 3. November 1964 - 3 Sa 118/64 - DB 1965, 1291; LAG Düsseldorf Urteil vom 17. August 1967 - 2 Sa 254/67 - DB 1967, 1903). Vorliegend hat das Landesarbeitsgericht nur festgestellt, der Kläger sei häufig mit einer Alkoholfahne während der Arbeitszeit angetroffen und deswegen abgemahnt worden. Damit steht aber nicht fest, daß der Kläger während der Arbeitszeit Alkohol zu sich genommen hat. Dessen Behauptung, er habe hin und wieder vor Beginn der Arbeitszeit Alkohol zu sich genommen und dies habe keinen Einfluß auf seine Arbeitsleistung gehabt, erscheint nicht ausgeschlossen, da er auch in der Spätschicht gearbeitet hat. Etwas anderes gilt nur für den Tag, an dem der Kläger mit der Schnapsflasche im Betrieb angetroffen und deshalb nach Hause geschickt worden ist. Dieser einzige festgestellte Verstoß gegen das Alkoholverbot vermag für sich allein trotz Abmahnung aber eine ordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen.

c) Auch die Tatsache, daß der Kläger "unterdurchschnittlich" schlecht gearbeitet habe (gemeint ist, der Kläger habe schlechter als der Durchschnitt gearbeitet), vermag für sich eine Kündigung nicht sozial zu rechtfertigen. Einer von mehreren Arbeitnehmern erbringt immer die "schlechteste" Arbeit, ohne daß damit zum Ausdruck kommen muß, der betreffende Arbeitnehmer arbeite nicht zufriedenstellend. In einer sehr guten Gruppe arbeitet schon der gute Arbeitnehmer unter dem Durchschnitt. Im vorliegenden Falle wird dem Kläger bezüglich der Arbeitsleistung vor allem vorgeworfen, er arbeite langsamer als die Kollegen und sogar langsamer als die nur kurz eingearbeiteten Schüler, die als Vertretung in der Urlaubszeit beschäftigt würden. Da aber zur Arbeitsleistung der Schüler keine Feststellungen getroffen worden sind, kann auch der Vergleich der Arbeitsweise des Klägers mit der der Schüler die Kündigung sozial nicht rechtfertigen.

Das Landesarbeitsgericht hat allerdings weiterhin festgestellt, der Kläger habe mehrfach Aufträge "verloren" und sei deshalb und wegen seiner schlechten Arbeitsleistung abgemahnt worden. Dies bringt den Zusammenhang zu den anderen Vertragsverletzungen. Die Annahme des Berufungsgerichts, das Zusammentreffen von unentschuldigtem Fehlen, Alkoholgenuß und Alkoholfahne während der Arbeitszeit mit dem Vergessen bzw. Verlieren von Aufträgen sowie langsamer Arbeitsweise sei geeignet, eine Kündigung sozial zu rechtfertigen, begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken.

4. Dem Landesarbeitsgericht kann aber nicht gefolgt werden, wenn es ausführt, die Beklagte habe nicht prüfen müssen, ob der Kläger an anderer Stelle des Betriebes weiterbeschäftigt werden könne, weil über eine verhaltensbedingte Kündigung zu entscheiden gewesen sei.

a) Letzteres ist zwar richtig, doch hat das Landesarbeitsgericht übersehen, daß nach § 1 Abs. 2 Ziff. 1 b KSchG die Kündigung auch dann sozial ungerechtfertigt ist, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann und der Betriebsrat aus diesem Grunde der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG schriftlich widersprochen hat. Diese Widerspruchsgründe beziehen sich nicht nur auf betriebsbedingte, sondern auch auf personen- und verhaltensbedingte Gründe. Hierfür spricht schon der Wortlaut des § 1 Abs. 2 Ziff. 1 b KSchG und des diesem korrespondierenden § 102 Abs. 3 BetrVG. Auch Sinn und Zweck des § 102 Abs. 3 in Verbindung mit § 102 Abs. 5 BetrVG, dem Arbeitnehmer für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses bei einem ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats den Arbeitsplatz zu erhalten und die ratio legis des § 1 Abs. 2 Ziff. 1 b KSchG, den materiellen Kündigungsschutz zu erweitern, sprechen gegen eine restriktive Auslegung der §§ 1 Abs. 2 Ziff. 1 b KSchG, 102 Abs. 3 BetrVG. Es gibt bei personenbedingten und verhaltensbedingten Kündigungen viele Fallgestaltungen, in denen die Interessen des Arbeitgebers genügend berücksichtigt sind, wenn der Arbeitnehmer auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt wird. Ist z. B. die weitere Beschäftigung eines Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz nur deshalb für den Arbeitgeber nicht zumutbar, weil der Arbeitnehmer mit einem Kollegen zerstritten ist und gegenüber diesem häufig ausfällig wird, kehrt möglicherweise Ruhe ein, wenn der Arbeitnehmer in eine andere Abteilung versetzt wird. Voraussetzung ist natürlich, daß ein Arbeitsplatz frei ist (so auch Brox, Zum Anspruch des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses nach Ablauf der Kündigungsfrist in Festschrift 25 Jahre BAG, S. 48; KR-Etzel, § 102 BetrVG Rz 146; Hueck, KSchG, 10. Aufl. 1980, § 1 Rz 78 und 141; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 13. Aufl. 1981, § 102 Rz 13; a.A. Gamillscheg, Betriebsrat und Kündigung in Festschrift 25 Jahre BAG, S. 128, ohne Begründung und mit Bedauern, da sich gerade personen- und verhaltensbedingte Kündigungen für einen Widerspruch anböten; ebenfalls a.A.: Kammann/Hess/Schlochauer, BetrVG, § 102 Rz 86 ff.; Stege, Umfang und Grenzen des Widerspruchsrechts des Betriebsrats bei Kündigungen nach § 102 Abs. 3 BetrVG, RdA 1978, 74).

Vorliegend hat der Betriebsrat der Kündigung u.a. deshalb widersprochen, weil der Kläger z.B. als Transporteur eingesetzt werden könne, also auf einem anderen Arbeitsplatz. Das Landesarbeitsgericht hätte schon aus diesem Grunde nunmehr aufklären müssen, ob dieser Widerspruch begründet gewesen ist und der Kläger tatsächlich an einem anderen Arbeitsplatz hätte weiterbeschäftigt werden können. Es ist nicht ausgeschlossen, daß aufgrund einer solchen Prüfung das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Aufgrund des Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 KSchG war daher das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben.

Das Urteil war auch deshalb aufzuheben, weil das Landesarbeitsgericht übersehen hat, daß auch unabhängig davon, ob der Betriebsrat der Kündigung aus einem der in § 102 Abs. 3 BetrVG genannten Gründe widerspricht, eine Kündigung dann sozial nicht gerechtfertigt ist, wenn die Möglichkeit besteht, den betreffenden Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz - ggf. zu schlechteren Arbeitsbedingungen - einzusetzen, sofern dieser seine Zustimmung erklärt. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt, indem es den unrichtigen Rechtssatz aufgestellt hat, bei einer verhaltensbedingten Kündigung brauche der Arbeitgeber und damit auch das Gericht nicht zu prüfen, ob der Arbeitnehmer an anderer Stelle des Betriebs hätte eingesetzt werden können. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch in verschiedenen Entscheidungen, denen beigetreten wird, den Rechtssatz aufgestellt, der Arbeitgeber müsse bei jeder Kündigung, gleich aus welchem Grunde sie ausgesprochen werde, grundsätzlich darlegen, daß er keine Beschäftigungsmöglichkeit hat. Anderenfalls sei die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt (vgl. zu der Frage, unter welchen Umständen der Arbeitgeber den Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigen muß, BAG Urteil vom 5. August 1976 - 3 AZR 110/75 - AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG 29, 49 und 30, 309: in der letzten Entscheidung hat der Senat für außerordentliche Kündigungen den gleichen Rechtssatz aufgestellt, daß auch bei personenbedingten oder verhaltensbedingten Kündigungen der Arbeitgeber von sich aus dem Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsplatz vorschlagen muß, auf dem seine Weiterbeschäftigung mindestens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist möglich ist; vgl. auch KR-Becker, § 1 KSchG Rz 190, 304 bis 308, 314 und 399 bis 401). Der Arbeitnehmer muß allerdings zu dem Vortrag des Arbeitgebers substantiiert Stellung nehmen und seinerseits darlegen, wie er sich eine weitere Beschäftigung vorstellt. Im vorliegenden Falle hat der Kläger schon in der Anlage der Kündigungsschutzklage und dann durch Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts dargelegt, daß er eine weitere Tätigkeit als Transporteur für möglich hält und auch entsprechende Arbeitsplätze frei seien. Dementsprechend hat der Kläger seiner Darlegungspflicht genügt.

b) Das Urteil des Berufungsgerichts war schließlich auch deshalb aufzuheben, weil das Landesarbeitsgericht nicht alle wesentlichen Umstände bei der Interessenabwägung berücksichtigt hat. Unstreitig leidet der Kläger unter Herz- und Kreislaufbeschwerden und einer Fettleber. Es ist nicht auszuschließen, daß die Herz- und Kreislaufbeschwerden den Kläger bei entsprechenden Krankheitsanfällen zwangen, die Arbeit plötzlich zu verlassen und er aus demselben Grunde manchmal nur kurzfristig vor Beginn der Arbeit sich entschuldigen konnte. Auch das sogenannte "Vergessen" und "Verlieren" von Aufträgen erhält ein anderes Gewicht, wenn für diese Fehlleistungen der Gesundheitszustand des Klägers mitursächlich gewesen sein sollte. Das gleiche gilt für die Arbeitsleistung. Es bedarf keiner näheren Ausführung, daß ein Kreislauf- und Herzgeschädigter nicht ein so rasches Arbeitstempo einschlagen kann wie ein Gesunder.

Das Berufungsgericht ist in den Entscheidungsgründen mit keinem Wort auf den Gesundheitszustand des Klägers eingegangen, obwohl dieser während des gesamten Prozesses eine große Rolle spielte und der Kläger versuchte, das ihm vorgeworfene Verhalten gerade mit seinem angeschlagenen Gesundheitszustand zu erklären. Inwieweit die Krankheiten des Klägers sein Verhalten tatsächlich beeinflußten und ob eine Beschäftigung an einem anderen Platz möglich war, entzieht sich der Kenntnis des Revisionsgerichts, weil insoweit das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen getroffen hat. Aus diesem Grunde war der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

Dr. Röhsler Triebfürst Dr. Weller Holzmann Dr. Müller

 

Fundstellen

Haufe-Index 437753

BB 1983, 834-836 (Leitsatz 1 und Gründe)

DB 1983, 180-181 (Leitsatz 1 und Gründe)

NJW 1983, 700-701 (Leitsatz 1 und Gründe)

AuB 1984, 189-189 (Gründe)

BetrR 1983, 608-611 (Leitsatz 1 und Gründe)

BetrR 1983, 612-612 XX

ARST 1983, 35-37 (Leitsatz 1 und Gründe)

BlStSozArbR 1983, 305-307

BlStSozArbR 1983, 82-82

SAE 1983, 313-316 (Leitsatz 1 und Gründe)

SAE 1983, 316-317 Ottow, Christoph

AP § 1 KSchG 1969, Nr 5

AP KSchG 1969 § 1, Nr. 5 Verhaltensbedingte Kündigung Otto, H

AR-Blattei Kündigungsschutz, Entsch. 227 Herschel, Wilhelm

AR-Blattei, ES 1020 Nr 227 (Leitsatz 1 und Gründe)

AR-Blattei, Kündigungsschutz Entsch 227 (Leitsatz 1 und Gründe)

EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung, Nr 10 (Leitsatz 1 und Gründe)

EzA KSchG § 1, Verhaltensbedingte Kündigung Nr 10 Weiss, Manfred

JuS 1983, 562-563 (Leitsatz 1 und Gründe)

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