Entscheidungsstichwort (Thema)

Karenzentschädigung bei unverbindlichem Wettbewerbsverbot

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Vertragsbestimmung, in der sich ein Arbeitgeber vorbehält, bei Ausscheiden des Arbeitnehmers diesem ein Wettbewerbsverbot aufzuerlegen, ist für den Arbeitnehmer unverbindlich. Der Arbeitnehmer hat die Wahl, ob er sich auf die Unverbindlichkeit berufen oder aber Wettbewerb unterlassen und dafür Karenzentschädigung beanspruchen will (ständige Rechtsprechung).

2. Für einen Anspruch auf Karenzentschädigung aus einem für den Arbeitnehmer unverbindlichen Wettbewerbsverbot genügt es, wenn der Arbeitnehmer sich zu Beginn der Karenzzeit endgültig für das Wettbewerbsverbot entscheidet und seiner Unterlassungsverpflichtung nachkommt. Einer darüber hinausgehenden Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber bedarf es nicht (Abweichung von Urteilen des Senats vom 13. Mai 1986 3 AZR 85/85 = AP Nr 51 zu § 74 HGB und vom 16. Dezember 1986 3 AZR 73/86 = AP Nr 53 zu § 74 HGB).

3. Der Arbeitgeber hat in Anwendung des Rechtsgedankens aus § 264 Abs 2 Satz 1 BGB das Recht, den wahlberechtigten Arbeitnehmer unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Vornahme der Wahl aufzufordern. Mit Ablauf der Frist geht das Wahlrecht auf den Arbeitgeber über (§ 264 Abs 2 Satz 2 BGB).

 

Verfahrensgang

LAG München (Entscheidung vom 03.05.1988; Aktenzeichen 3 Sa 1191/87)

ArbG München (Entscheidung vom 29.10.1987; Aktenzeichen 29 Ca 3762/87)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Karenzentschädigung.

Der Kläger war bei der Beklagten seit 1. November 1981 als Verkäufer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete am 31. Dezember 1985 aufgrund einer Kündigung des Klägers. In den letzten drei Jahren hatte der Kläger ein durchschnittliches jährliches Arbeitseinkommen von 45.773,33 DM.

Die Parteien hatten im schriftlichen Arbeitsvertrag folgendes Wettbewerbsverbot vereinbart:

"Aus Gründen des Wettbewerbs kann das Unternehmen den Mit-

arbeiter bei Austritt verpflichten, für die Dauer von

2 Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in

der BRD nicht für ein Konkurrenzunternehmen tätig zu

werden, sowie weder mittelbar noch unmittelbar an der

Gründung oder im Betrieb eines solchen Unternehmens

mitzuwirken.

Für die Dauer des Wettbewerbsverbots verpflichtet sich

die Firma 50 % der zuletzt gewährten vertragsmäßigen

Leistung zu zahlen.

Im übrigen gelten die Vorschriften der §§ 74 ff. HGB."

Im übrigen enthielt der Arbeitsvertrag unter Nr. 11 folgende Verfallklausel:

"Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis

und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung

stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten

nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei

schriftlich erhoben werden.

Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab und erklärt sie sich

nicht innerhalb von 2 Wochen nach der Geltendmachung des

Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von

6 Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gericht-

lich geltend gemacht wird."

Unmittelbar nach seinem Ausscheiden eröffnete der Kläger ein Gewerbe als selbständiger Handelsvertreter, ohne dabei zu der Beklagten in Konkurrenz zu treten. Nachdem die Beklagte für Januar 1986 keine Zahlungen leistete, forderte der Kläger sie mit Schreiben vom 16. Februar 1986 auf, eine Karenzentschädigung in Höhe von 50 % der letzten vertragsmäßigen Leistung für die Dauer von zwei Jahren zu zahlen. Die Beklagte wies mit Schreiben vom 26. Februar 1986 die Forderung des Klägers zurück und erklärte, sie wolle von ihrem vertraglichen Recht auf ein Wettbewerbsverbot keinen Gebrauch machen.

Mit der am 14. August 1986 erhobenen Klage hat der Kläger, soweit für die Revision noch von Bedeutung, beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückstän-

dige Karenzentschädigung für den Zeitraum vom

1. Januar 1986 bis zum 31. Dezember 1987 in Höhe

von 1.907,22 DM brutto monatlich (insgesamt

45.773,28 DM) nebst 8,5 % Zinsen hieraus seit

dem 31. Januar 1986 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe verspätet erklärt, daß er sich an das Wettbewerbsverbot halten werde und Entschädigung fordere. Sie habe ein berechtigtes Interesse gehabt, zu Beginn des Verbotszeitraums zu erfahren, ob der Arbeitnehmer sich an das Verbot halten wolle oder nicht. Der Kläger hätte schon vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder zumindest in den ersten Januartagen 1986 sich erklären müssen, nicht aber erst Mitte Februar 1986. Im übrigen habe sie vorsorglich die Wettbewerbsvereinbarung wegen Irrtums über die Rechtsfolgen angefochten. Schließlich seien die Ansprüche auf Karenzentschädigung auch verfallen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben und lediglich den Zinsbeginn korrigiert. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht die verlangte Karenzentschädigung zu.

I. Der Anspruch auf Karenzentschädigung ergibt sich aus der vertraglichen Wettbewerbsabrede in Verbindung mit § 74 HGB.

1. Zwischen den Parteien besteht ein für den Kläger unverbindliches Wettbewerbsverbot.

Nach dem Wortlaut des Arbeitsvertrags ist der Beklagten das Recht vorbehalten, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Wettbewerbsverbot gemäß den Vorschriften der §§ 74 ff. HGB für die Dauer von zwei Jahren auszusprechen.

Diese Wettbewerbsvereinbarung verstößt gegen Schutzvorschriften des HGB zum Nachteil des Klägers. Sie macht abweichend von § 74 Abs. 1 HGB die Entstehung der Pflicht zur Wettbewerbsunterlassung von einer Entscheidung des Arbeitgebers abhängig und sieht unter Verstoß gegen § 74 Abs. 2 HGB eine Karenzentschädigung nur für den Fall vor, daß der Arbeitgeber das Wettbewerbsverbot in Anspruch nimmt.

Nach § 75 d Satz 1 HGB kann sich der Arbeitgeber auf eine Vereinbarung, durch die von den Vorschriften der §§ 74 bis 75 c HGB zum Nachteil des Arbeitnehmers abgewichen wird, nicht berufen. Ein von der Entscheidung des Arbeitgebers abhängiges Wettbewerbsverbot ist daher für den Arbeitnehmer unverbindlich (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Urteil vom 13. Mai 1986 - 3 AZR 85/85 - AP Nr. 51 zu § 74 HGB; Urteil vom 16. Dezember 1986 - 3 AZR 73/86 - AP Nr. 53 zu § 74 HGB).

2. Der Kläger hat aus dem für ihn unverbindlichen Wettbewerbsverbot Anspruch auf Karenzentschädigung, da er sich endgültig für die Einhaltung des Wettbewerbsverbots entschieden hat und seiner Unterlassungsverpflichtung nachgekommen ist.

a) Bei einem unverbindlichen Wettbewerbsverbot hat der Arbeitnehmer eine Wahlmöglichkeit: Er kann entscheiden, ob er sich von dem Wettbewerbsverbot lösen und in seiner weiteren beruflichen Entwicklung frei sein will. Er kann aber auch den Arbeitgeber an dem Wettbewerbsverbot festhalten, seine Unterlassungspflichten erfüllen und die vereinbarte Karenzentschädigung fordern (BAGE 30, 23, 30 = AP Nr. 36 zu § 74 HGB, zu II 4 der Gründe).

b) Der Senat ist in seiner bisherigen Rechtsprechung zu bedingten Wettbewerbsverboten davon ausgegangen, daß der Arbeitnehmer schon zu Beginn der Karenzzeit dem Arbeitgeber erklären müsse, ob er sich an das Wettbewerbsverbot halten wolle oder nicht (Urteile des Senats vom 13. Mai 1986 - 3 AZR 85/85 - und vom 16. Dezember 1986 - 3 AZR 73/86 - AP Nr. 51 und 53 zu § 74 HGB). Der Senat wollte damit verhindern, daß der Arbeitnehmer seine Wahlentscheidung während der Karenzzeit ändert und je nach seinen Arbeitsmarktchancen abwechselnd Wettbewerb treiben oder Karenzentschädigung verlangen kann. Die einmal getroffene Entscheidung sollte für die Dauer der Karenzzeit bindend sein.

Im vorliegenden Fall ist zu entscheiden, ob ein Arbeitnehmer, für den ein unverbindliches Wettbewerbsverbot besteht, auch dann eine Karenzentschädigung verlangen kann, wenn er zwar im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Vereinbarung Wettbewerb unterläßt, dies aber dem Arbeitgeber nicht sogleich mitteilt. Nach Ansicht des Senats bedarf der Arbeitnehmer auch in diesem Fall des Schutzes vor der einseitigen Benachteiligung durch ein bedingtes Wettbewerbsverbot.

c) Für einen Anspruch auf Karenzentschädigung aus einem für den Arbeitnehmer unverbindlichen Wettbewerbsverbot genügt es, wenn der Arbeitnehmer sich zu Beginn der Karenzzeit endgültig für das Wettbewerbsverbot entscheidet und seiner Unterlassungsverpflichtung nachkommt. Einer darüber hinausgehenden Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber bedarf es nicht (Abweichung von den Urteilen des Senats vom 13. Mai 1986 - 3 AZR 85/86 - und vom 16. Dezember 1986 - 3 AZR 73/86 - AP Nr. 51 und 53 zu § 74 HGB). Der Anspruch auf Karenzentschädigung entsteht mit der vom Arbeitnehmer erbrachten Leistung, der Wettbewerbsenthaltung.

Die Entscheidung des Arbeitnehmers, der sich auf ein für ihn unverbindliches Wettbewerbsverbot beruft, muß endgültig sein und den gesamten Karenzzeitraum umfassen. Durch das unverbindliche Wettbewerbsverbot darf der Arbeitnehmer insoweit nicht besser gestellt werden als ein Arbeitnehmer mit verbindlichem Wettbewerbsverbot.

Die Notwendigkeit einer einheitlichen, den gesamten Karenzzeitraum umfassenden Entscheidung zwingt entgegen der bisherigen Senatsrechtsprechung den Arbeitnehmer jedoch nicht zu einer Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber. Sonst würde ein Arbeitnehmer, der auf die Verbindlichkeit eines in Wahrheit unverbindlichen Wettbewerbsverbots vertraut und Wettbewerbsenthaltung leistet, nicht ausreichend geschützt. Die Unklarheiten eines unverbindlichen Wettbewerbsverbots dürfen nicht zu Lasten des Arbeitnehmers gehen.

Andererseits hat der Arbeitgeber ein schutzwürdiges Interesse daran, bald zu erfahren, wie der Arbeitnehmer sich hinsichtlich der Verbindlichkeit des Wettbewerbsverbots entscheidet. Diesem Interesse kann jedoch in anderer Weise ausreichend Rechnung getragen werden. Es bedarf keiner unaufgeforderten Mitteilungsverpflichtung des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber hat nämlich in Anwendung des Rechtsgedankens aus § 264 Abs. 2 Satz 1 BGB das Recht, den wahlberechtigten Arbeitnehmer unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Vornahme der Wahl aufzufordern. Mit Ablauf der Frist geht das Wahlrecht auf den Arbeitgeber über (§ 264 Abs. 2 Satz 2 BGB).

3. Im vorliegenden Fall hat der Kläger am 1. Januar 1986 ein Gewerbe als selbständiger Handelsvertreter eröffnet, mit dem er zur Beklagten nicht in Wettbewerb getreten ist. Er hat sich durch Aufnahme einer wettbewerbsneutralen Tätigkeit endgültig für das Wettbewerbsverbot entschieden und durch die Wettbewerbsenthaltung die vertragliche Gegenleistung für die Wettbewerbsentschädigung erbracht. Aus dem verbindlich gewordenen Wettbewerbsverbot ist die Beklagte zur Zahlung der begehrten Karenzentschädigung verpflichtet. Dabei ist es unerheblich, daß die Beklagte erst durch das Schreiben des Klägers vom 16. Februar 1986 erfahren hat, daß der Kläger sich an das Wettbewerbsverbot halten will und Karenzentschädigung verlangt. Der Entschädigungsanspruch ist bereits am 1. Januar 1986 durch die Wettbewerbsenthaltung des Klägers entstanden. Einer besonderen Mitteilung an die Beklagte bedurfte es nicht.

II. Der Anspruch des Klägers auf Karenzentschädigung ist weder durch Anfechtung der Wettbewerbsvereinbarung erloschen noch durch Fristablauf verfallen.

1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht die Anfechtung der Wettbewerbsvereinbarung durch die Beklagte als unbegründet angesehen. Für einen Inhaltsirrtum besteht kein Anhaltspunkt. Die Beklagte hat sich allenfalls über die Rechtsfolgen der bedingten Wettbewerbsvereinbarung geirrt. Ein solcher Rechtsfolgenirrtum ist unbeachtlich (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 49. Aufl., § 119 Anm. 5 d).

2. Der Anspruch auf Karenzentschädigung ist auch nicht verfallen. Der Kläger hat seinen Anspruch rechtzeitig im Sinne der Verfallfristen nach Nr. 11 des Arbeitsvertrags geltend gemacht. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß die Verfallfrist deshalb nicht gewahrt sei, weil die ursprünglich rechtzeitig erhobene Klage teilweise zurückgenommen worden sei (vgl. hierzu BAG Urteil vom 11. Juli 1990 - 5 AZR 609/89 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Die teilweise Klagerücknahme betraf den Provisionsanspruch des Klägers und nicht seinen Anspruch auf Karenzentschädigung.

3. Auch ein Verfall des Entschädigungsanspruchs nach § 19 Nr. 1 d und Nr. 4 des Manteltarifvertrags für den Groß- und Außenhandel in Bayern vom 21. März 1986, gültig ab 1. Januar 1986, scheidet aus. Nach dieser Tarifbestimmung erlöschen "Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis" in "Fällen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses", wenn sie nach schriftlicher Geltendmachung nicht innerhalb von zwei Monaten nach Ablehnung des Arbeitgebers durch Klageerhebung geltend gemacht werden. Diese tarifliche Ausschlußklausel erfaßt nur Ansprüche, die während des Arbeitsverhältnisses oder aus Anlaß seiner Beendigung entstanden sind, nicht jedoch Ansprüche auf Karenzentschädigung (vgl. BAG Urteil vom 24. April 1970 - 3 AZR 328/69 - AP Nr. 25 zu § 74 HGB, zu III 2 der Gründe). Im übrigen gehen die für den Arbeitnehmer günstigeren vertraglichen den tariflichen Ausschlußfristen vor (Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 383).

Dr. Heither Griebeling Dr. Wittek

Lichtenstein Dr. Jesse

 

Fundstellen

Haufe-Index 438724

BB 1991, 625

BB 1991, 625-626 (LT1-3)

DB 1991, 709-710 (LT1-3)

DStR 1991, 625-625 (T)

EBE/BAG 1991, 12-14 (LT1-3)

AiB 1991, 131-132 (LT1-2)

ARST 1991, 54-55 (LT1-3)

EWiR 1991, 271 (L1-3)

JR 1991, 352

JR 1991, 352 (S)

NZA 1991, 263-264 (LT1-3)

RdA 1991, 59

ZAP, EN-NR 289/91 (S)

ZIP 1991, 183

ZIP 1991, 183-185 (LT)

AP § 74 HGB (LT1-3), Nr 60

EzA § 74 HGB, Nr 53 (LT1-3)

JZ 1991, 880-881 (LT1-3)

VersR 1991, 484-485 (LT1-3)

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