Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang; Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers

 

Leitsatz (redaktionell)

Für eine noch nach Betriebsübergang mögliche Ausübung des Widerspruchsrechts beginnt die Erklärungsfrist jedenfalls im Regelfall mit der ausreichenden Unterrichtung des Arbeitnehmers über den Betriebsinhaberwechsel. In einem solchen Falle ist es nicht erforderlich, daß der Betriebsveräußerer oder der Betriebserwerber dem widerspruchsberechtigten Arbeitnehmer eine Erklärungsfrist setzen. Der Arbeitnehmer muß unverzüglich dem Betriebsübergang widersprechen. In der Regel muß der Widerspruch spätestens innerhalb von drei Wochen erklärt werden.

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 22.05.1992; Aktenzeichen 2 Sa 5/92)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 30.10.1991; Aktenzeichen 64 A Ca 14449/91)

 

Tatbestand

Die Beklagte und ihre Rechtsvorgängerin beschäftigten den Kläger, einen Diplom-Juristen, seit dem 16. Mai 1983 als Betriebsjustitiar des Betonwerks R ("Betrieb 8") zu einem monatlichen Arbeitsentgelt von zuletzt 3.748,00 DM brutto. Seit dem 1. März 1991 befand sich der Kläger in Kurzarbeit mit "null" Arbeitsstunden. Im Frühjahr 1991 führte die Beklagte unter anderem mit der St KG Verkaufsverhandlungen. Am 26. April 1991 wurde mit der St KG ein Pachtvertrag geschlossen.

Auf einer Betriebsversammlung am 2. Mai 1991 unterrichtete die St KG die Belegschaft einschließlich des Klägers davon, daß der Betrieb mit sofortiger Wirkung auf sie übergegangen sei und sie dem fachlichen Geltungsbereich des Tarifwerks des Betonsteingewerbes Nord-Ost-Deutschland unterfalle. Der Kläger nahm am 20. Mai 1991 in der Personalabteilung der St KG Einblick in die einschlägigen Tarifverträge. Dabei stellte er fest, daß er bei der St KG eine um 1.548,00 DM brutto geringere Monatsvergütung und auch weniger Urlaub erhalten würde. Außerdem erfuhr er, daß die St KG nicht bereit war, in den von der Beklagten abgeschlossenen Sozialplan einzutreten. Der Kläger teilte der Beklagten mit Schreiben vom 30. Mai 1991, ihr zugegangen am 31. Mai 1991, mit, daß er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die St KG widerspreche.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß bei einem Betriebsübergang im Sinne des § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB den Arbeitnehmern ein Widerspruchsrecht zustehe. Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 5. Mai 1988 ergebe sich nicht, daß dieses Widerspruchsrecht gegen die EG-Richtlinie 77/187/EWG verstoße. Da er auch rechtzeitig und gegenüber dem richtigen Adressaten widersprochen habe, sei sein Arbeitsverhältnis nicht auf die St KG übergegangen.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß sein Arbeitsverhältnis zu der

Beklagten über den 30. April 1991 hinaus zu un-

veränderten Bedingungen fortbestehe.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die EG-Richtlinie 77/187/EWG lasse keinen Raum für ein Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers. Selbst wenn das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 5. Mai 1988 einem Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers nicht entgegenstünde, wäre die Stewing KG in das Arbeitsverhältnis eingetreten. Nach erfolgtem Betriebsübergang müsse sich der Widerspruch an den Betriebserwerber richten. Der Kläger habe sich jedoch an den Betriebsveräußerer gewandt. Unabhängig davon sei sein Widerspruch auch verspätet gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Es könne offenbleiben, ob das vom Bundesarbeitsgericht anerkannte Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers bei einem Betriebsübergang nach § 613 a BGB mit der EG-Richtlinie 77/187/EWG zu vereinbaren sei. Der Kläger habe jedenfalls nicht unverzüglich im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Widerspruch erhoben. Die Widerspruchsfrist beginne, sobald der Arbeitnehmer Kenntnis von der Tatsache des Betriebsübergangs und von der Person des Betriebserwerbers erlangt habe. Diese Informationen habe der Kläger auf der Betriebsversammlung am 2. Mai 1991 erhalten. Es sei unerheblich, daß der Kläger in diesem Zeitpunkt noch nicht überblickt habe, wie sich der Betriebsübergang auf seinen Arbeitsvertrag im einzelnen auswirken würde. Der Arbeitnehmer könne sich innerhalb der ihm einzuräumenden Überlegungsfrist rechts- und sachkundig machen. In analoger Anwendung der §§ 4, 13 KSchG sei eine dreiwöchige Überlegungsfrist ausreichend. Diese Frist habe der Kläger versäumt.

B. Der Auffassung des Landesarbeitsgerichts folgt der Senat im Ergebnis und großenteils auch in der Begründung.

I. Aus Kapitel III Artikel 8 des Einigungsvertrages in Verbindung mit Artikel 1 des Einigungsvertragsgesetzes vom 23. September 1990 (BGBl II S. 885, 889) und Artikel 232 § 5 Abs. 2 EGBGB ergibt sich, daß seit dem 3. Oktober 1990 in der vereinten Bundesrepublik auf sämtliche Arbeitsverhältnisse einschließlich derer, die nach dem Recht der früheren DDR begründet wurden, § 613 a BGB anzuwenden ist.

II. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß der "Betrieb 8" der Beklagten (Betonwerk R ), in dem der Kläger beschäftigt war, durch Pachtvertrag und damit durch Rechtsgeschäft nach § 613 a BGB auf die St KG überging.

III. Das Bundesarbeitsgericht hat seit dem Urteil vom 2. Oktober 1974 (- 5 AZR 504/73 - BAGE 26, 301 = AP Nr. 1 zu § 613 a BGB) in ständiger Rechtsprechung dem Arbeitnehmer das Recht eingeräumt, bei einem Wechsel des Betriebsinhabers dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebsnachfolger nach § 613 a BGB zu widersprechen. Diese restriktive, verfassungskonforme Auslegung des § 613 a BGB beruht stichwortartig zusammengefaßt auf folgenden Gründen: Kein aufgezwungener Schuldnerwechsel (analog § 415 Abs. 1 Satz 1 BGB); kein "Verkauf" des Arbeitnehmers gegen seinen Willen (Art. 1 und 2 GG); Grundrecht auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 12 GG); höchstpersönlicher Charakter der Dienstleistung; Möglichkeit des Verzichts auf arbeitsrechtlichen Bestandsschutz; Entstehungsgeschichte des § 613 a BGB. In der Literatur hat diese Rechtsprechung teilweise Zustimmung gefunden (vgl. u. a. MünchKomm-Schaub, BGB, 2. Aufl., § 613 a Rz 41; Palandt/Putzo, BGB, 52. Aufl., § 613 a Rz 15; Staudinger/Richardi, BGB, 12. Aufl., § 613 a Rz 121; KR-Wolf, 3. Aufl., § 613 a BGB Rz 61; Knorr/Bichlmeier/Kremhelmer, Kündigungsrecht, 3. Aufl., 2. Kapitel, Rz 23; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 66) und teilweise Kritik erfahren (vgl. die umfangreichen Nachweise bei Moll, AnwBl 1991, 296, Fn 119). Mit dieser Kritik hat sich das Bundesarbeitsgericht in mehreren Entscheidungen auseinandergesetzt und an seiner Rechtsprechung festgehalten (Urteil vom 21. Juli 1977 - 3 AZR 703/75 - AP Nr. 8 zu § 613 a BGB; Urteil vom 17. November 1977 - 5 AZR 618/76 - AP Nr. 10 zu § 613 a BGB; Urteil vom 6. Februar 1980 - 5 AZR 275/78 - AP Nr. 21 zu § 613 a BGB; BAGE 45, 140 = AP Nr. 37 zu § 613 a BGB; BAGE 53, 251 = AP Nr. 55 zu § 613 a BGB; BAGE 61, 369 = AP Nr. 81 zu § 613 a BGB; Beschluß vom 21. Mai 1992 - 2 AZR 449/91 - AP Nr. 96 zu § 613 a BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen). Die Beklagte hat keine zusätzlichen rechtlichen Gesichtspunkte aufgezeigt, die zu einer erneuten Überprüfung dieser gefestigten Rechtsprechung Anlaß geben.

IV. Entgegen der Ansicht der Beklagten verstößt es nicht gegen Art. 3 Abs. 1 der EG-Richtlinie 77/187/EWG vom 14. Februar 1977 (ABl. EG L 61/S. 26 bis 28), dem Arbeitnehmer gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber ein Widerspruchsrecht einzuräumen.

Im Urteil vom 16. Dezember 1992 (- C 132/91 -, - C 138/91 - und - C 139/91 -, ArbuR 1993, 59 = BB 1993, 860 ff. = DB 1993, 230 ff. = NZA 1993, 169 ff. = SAE 1993, 214 ff. = EzA § 613 a BGB Nr. 105) hat der Europäische Gerichtshof entschieden, daß Art. 3 Abs. 1 der EG-Richtlinie 77/187/EWG es einem Arbeitnehmer, der im Zeitpunkt des Übergangs im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie beim Veräußerer beschäftigt sei, nicht verwehre, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber zu widersprechen. Die Richtlinie verpflichte die Mitgliedstaaten jedoch nicht, die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber für den Fall vorzusehen, daß ein Arbeitnehmer sich frei dafür entscheide, das Arbeitsverhältnis nicht mit dem Erwerber fortzusetzen. Die Richtlinie stehe dem aber auch nicht entgegen. Es sei Sache der Mitgliedstaaten zu bestimmen, was in einem solchen Fall mit dem Arbeitsverhältnis zum Veräußerer geschehe. Die Bedeutung der nationalen Rechtsvorschriften sei nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unter Berücksichtigung der Auslegung zu beurteilen, die die nationalen Gerichte diesen Vorschriften geben. Damit hat der Europäische Gerichtshof die gegen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erhobenen Bedenken, soweit sie auf die EG-Richtlinie 77/187/EWG gestützt wurden, ausgeräumt. Demgemäß hat auch der Senat bereits im Urteil vom 7. April 1993 (- 2 AZR 449/91 B - zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt) an der bisherigen Rechtsauffassung zur Existenz eines Widerspruchsrechts des Arbeitnehmers beim Betriebsübergang (§ 613 a BGB) festgehalten.

V. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht den Widerspruch des Klägers aber als verspätet angesehen.

1. Das Widerspruchsrecht kann zwar in der Regel nur bis zu dem Zeitpunkt ausgeübt werden, zu dem der Betrieb auf den neuen Inhaber übergeht (BAG Urteil vom 17. November 1977 - 5 AZR 618/76 - AP Nr. 10 zu § 613 a BGB, zu I 1 a der Gründe). Dies setzt jedoch voraus, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig von dem bevorstehenden Betriebsübergang unterrichtet (BAGE 45, 140, 144 f. = AP Nr. 37 zu § 613 a BGB, zu III 1 der Gründe; BAGE 53, 251, 264 = AP Nr. 55 zu § 613 a BGB, zu II 3 a der Gründe). Da die Beklagte dies unterließ, konnte der Kläger noch nach Betriebsübergang widersprechen.

2. Der Kläger hat jedoch, wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, sein Widerspruchsrecht nicht rechtzeitig ausgeübt.

a) Die Frist für eine nach Betriebsübergang noch mögliche Ausübung des Widerspruchsrechts beginnt jedenfalls im Regelfall mit der ausreichenden Unterrichtung des Arbeitnehmers über den Betriebsinhaberwechsel, ohne daß es einer Fristsetzung durch den Betriebsveräußerer oder Betriebserwerber bedarf. Der Arbeitnehmer, der durch einseitige Willenserklärung das nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB begründete Arbeitsverhältnis zum Betriebserwerber ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist lösen und gleichzeitig das Arbeitsverhältnis zum Betriebsveräußerer wiederherstellen kann, muß sich auch ohne Fristsetzung durch den Betriebsveräußerer oder Betriebserwerber darüber im klaren sein, daß sowohl dem Betriebsveräußerer als auch dem Betriebserwerber an einer zügigen Klärung der Rechtsbeziehungen gelegen ist und dementsprechend das Recht, die nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB eingetretenen Rechtsfolgen wieder zu beseitigen, rasch ausgeübt werden muß. Die Kurzarbeit des Klägers mit null Arbeitsstunden ließ das Klärungsbedürfnis des Betriebsveräußerers und des Betriebserwerbers nicht entfallen.

Diese Lösung entspricht der gesetzlichen Regelung in § 569 a BGB. Auch in den Fällen des § 569 a BGB kann der Übergang eines Rechtsverhältnisses durch einseitige Willenserklärung nachträglich und rückwirkend verhindert werden. Nach § 569 a Abs. 1 und 2 BGB tritt in ein Mietverhältnis über Wohnraum, in dem der Mieter mit seinem Ehegatten oder einem anderen Familienangehörigen einen gemeinsamen Hausstand führt, mit dem Tod des Mieters der Ehegatte oder andere Familienangehörige ein, d. h. ebenso wie bei § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB wird zunächst ein Rechtsverhältnis mit einem neuen Vertragspartner begründet. § 569 a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 3 BGB räumt dem Ehegatten bzw. anderen Familienangehörigen das Recht ein, binnen eines Monats, nachdem sie von dem Tode des Mieters Kenntnis erlangt haben, dem Vermieter gegenüber zu erklären, daß sie das Mietverhältnis nicht fortsetzen wollen. Dies hat zur Folge, daß ihr Eintritt in das Mietverhältnis als nicht erfolgt gilt. Der Vermieter muß dem Mieter keine Erklärungsfrist setzen. Für den Beginn der Frist nach § 569 a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 3 BGB kommt es ebenso wie bei einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach § 626 BGB oder bei der Anfechtung einer Willenserklärung ausschließlich auf den Kenntnisstand des Erklärungsberechtigten an.

Da ein Widerspruch nach Betriebsübergang einer Erklärung nach § 569 a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 3 BGB und - im Verhältnis zum Betriebserwerber - einer außerordentlichen Kündigung ähnelt, ist es nicht notwendig, daß der Betriebsveräußerer oder der Betriebserwerber dem widerspruchsberechtigten Arbeitnehmer eine Erklärungsfrist setzen. Vielmehr reicht es aus, daß der Betriebsveräußerer oder der Betriebserwerber den Arbeitnehmer durch entsprechende Informationen über den Betriebsübergang in die Lage versetzen, sich vor der Entscheidung über die Ausübung oder Nichtausübung des Widerspruchsrechts näher zu erkundigen und Rat einzuholen (vgl. hierzu BAG Urteil vom 17. November 1977 - 5 AZR 618/76 - AP Nr. 10 zu § 613 a BGB, zu I 2 a der Gründe).

b) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, daß der Kläger spätestens in der Betriebsversammlung vom 2. Mai 1991 ausreichend über den Betriebsübergang unterrichtet wurde, enthält keinen Rechtsfehler und ist auch von der Revision nicht angegriffen worden.

Anläßlich der Betriebsversammlung vom 2. Mai 1991 hat die St KG den Kläger davon in Kenntnis gesetzt, daß sie mit sofortiger Wirkung den "Betrieb 8" der Beklagten übernommen habe. Die St KG wies auch darauf hin, daß sie dem fachlichen Geltungsbereich des Tarifwerks des Betonsteingewerbes Nord-Ost-Deutschland unterfalle. Damit hat sie dem Kläger die für weitere Erkundigungen erforderlichen Grundlagen verschafft. Er konnte unschwer feststellen, welche Rechtsfolgen der Betriebsübergang für ihn nach § 613 a BGB haben werde. Falls die Beklagte beabsichtigt haben sollte, einen Teil der Pflichten, in die sie nach § 613 a BGB eintrat, nicht zu erfüllen, ist dies rechtlich ohne Bedeutung und für den Inhalt der Informationspflicht unerheblich. Da der Kläger am 2. Mai 1991 ausreichend unterrichtet war, ist dieser Tag für den Beginn der ihm einzuräumenden Erklärungsfrist maßgebend.

c) Der Kläger widersprach jedoch erst mit Schreiben vom 30. Mai 1991, das der Beklagten am 31. Mai 1991 zuging, dem Betriebsübergang. Eine Erklärungsfrist von mehr als vier Wochen kann dem Kläger indessen nicht zugebilligt werden.

aa) In der Literatur ist umstritten, welche Erklärungsfrist in der Regel angemessen ist. Schmalenberg (NZA 1989 Beilage 3 S. 14, 25) nimmt an, der Arbeitnehmer müsse dem Übergang des Arbeitsverhältnisses "unverzüglich" widersprechen, wenn nicht schon in der Unterrichtung eine angemessene Frist gesetzt worden sei. Teilweise wird eine Frist von zwei Wochen (vgl. u. a. Gaul, ZfA 1990, 87, 92; Gaul, Der Betriebsübergang, 2. Aufl., S. 227; Knorr/Bichlmeier/Kremhelmer, Kündigungsrecht, 3. Aufl., 2. Kapitel, Rz 23; Moll, AnwBl 1991, 282, 297; Pietzko, Der Tatbestand des § 613 a BGB, S. 288; Pothmeyer, ZfA 1989, 239, 258), teilweise eine Frist von drei Wochen (vgl. u. a. Erman/Hanau, BGB, 9. Aufl., § 613 a Rz 56; RGRK-Ascheid, BGB, 12. Aufl., § 613 a Rz 167; KR-Wolf, 3. Aufl., § 613 a BGB Rz 63; Bauer, Unternehmensveräußerung und Arbeitsrecht, S. 56; Borngräber, Arbeitsverhältnis bei Betriebsübergang, S. 121; Birk, Anm. II 1 zu AP Nr. 10 zu § 613 a BGB) und teilweise eine Frist von vier Wochen bzw. einem Monat für in der Regel angemessen erachtet (vgl. u. a. Staudinger/Richardi, BGB, 12. Aufl., § 613 a Rz 127; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, S. 71; Oberhofer, BetrR 1983, 573, 577; Timm, BB 1981, 984; Tschöpe, Rechtsfolgen eines arbeitnehmerseitigen Widerspruchsrechts beim Betriebsinhaberwechsel, S. 37). Das Bundesarbeitsgericht hat bislang noch nicht präzisiert, welche Erklärungsfrist dem widerspruchsberechtigten Arbeitnehmer einzuräumen ist.

bb) Wenn der Arbeitnehmer noch nach Betriebsübergang widersprechen kann und weder der Betriebsveräußerer noch der Betriebserwerber ihm eine Erklärungsfrist gesetzt haben, muß er unverzüglich nach ausreichender Unterrichtung über den Betriebsinhaberwechsel sein Widerspruchsrecht ausüben. Mit diesem Gestaltungsrecht kann der Arbeitnehmer den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber rückgängig machen, ohne daß dafür sachliche Gründe vorliegen müssen (BAGE 45, 140, 143 = AP Nr. 37 zu § 613 a BGB, zu II 3 der Gründe). Insbesondere hängt es, anders als die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder Drohung, von keinem dem Arbeitgeber zuzurechnenden Fehlverhalten ab. Da das Interesse des Vertragspartners an baldiger Klärung der Rechtslage nicht geringer ist als bei einer Anfechtung wegen Irrtums oder falscher Übermittlung einer Willenserklärung, hat der Arbeitnehmer auch hier ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB) von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch zu machen. Ob es vorliegend schon hieran fehlt, braucht nicht abschließend geklärt zu werden.

cc) Jedenfalls muß der Arbeitnehmer den Widerspruch spätestens innerhalb von drei Wochen nach ausreichender Unterrichtung erklären.

(1) Eine grundsätzliche Höchstfrist von zwei Wochen erscheint trotz der Regelung des § 626 Abs. 2 BGB als zu kurz. Die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt erst mit der vollständigen Kenntnis der für den wichtigen Grund maßgeblichen Tatsachen. Dagegen beginnt die Überlegungsfrist des Arbeitnehmers für die Ausübung des Widerspruchsrechts bereits mit einer Unterrichtung, die ihm weitere Erkundigungen ermöglicht, und nicht erst mit dem Abschluß dieser Erkundigungen, d. h. der Arbeitnehmer muß sich innerhalb der ihm zugebilligten Frist - soweit notwendig - ergänzende Informationen beschaffen.

(2) Dagegen ist eine Höchstfrist von vier Wochen bzw. einem Monat zu lang. Der besondere Kündigungsschutz nach § 15, § 21 Abs. 1 SchwbG greift zwar nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch dann ein, wenn der Schwerbehinderte innerhalb einer Regelfrist von einem Monat seine bereits festgestellte oder beantragte Schwerbehinderteneigenschaft mitteilt (BAGE 30, 141 = AP Nr. 3 zu § 12 SchwbG; BAGE 39, 59 = AP Nr. 4 zu § 18 SchwbG). Die für diese Regelfrist maßgeblichen Gründe sind aber auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Für den Widerspruch des Arbeitnehmers fehlt eine dem § 18 Abs. 1 (früher: § 15 Abs. 1) SchwbG entsprechende Regelung. § 18 Abs. 1 SchwbG mutet es dem Arbeitgeber wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit schwerbehinderter Arbeitnehmer zu, einen Monat lang die Ungewißheit hinzunehmen, ob er das Arbeitsverhältnis eines schwerbehinderten Arbeitnehmers kündigen kann. Auch die sonstigen Argumente, die sich aus der gesetzlichen Ausgestaltung des besonderen Kündigungsschutzes für Schwerbehinderte ergeben, passen für das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers bei einem rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang nicht. Ebensowenig läßt sich eine Erklärungsfrist von einem Monat auf § 569 a BGB oder auf § 70 VVG stützen. Die Sach- und Interessenlage ist insoweit nicht vergleichbar, insbesondere ist bei § 569 a BGB und § 70 VVG das Interesse des vom Gestaltungsrecht betroffenen Vertragspartners an einer baldigen Klärung geringer: § 569 a BGB befaßt sich mit dem Eintritt von Familienangehörigen in ein Mietverhältnis über Wohnraum nach dem Tode des Mieters; § 70 VVG regelt das Erlöschen des Kündigungsrechts, das nach Veräußerung der versicherten Sache durch den Versicherungsnehmer sowohl dem Versicherer als auch dem Erwerber zusteht.

(3) Da der Arbeitnehmer bei einem Widerspruch gegen den Betriebsübergang ebenso wie bei einer gegen eine Beendigungs- oder Änderungskündigung gerichteten Kündigungsschutzklage sein bisheriges Arbeitsverhältnis erhalten will, ist es systemgerecht, bei der Bemessung der Regelfrist für den Widerspruch an die im Kündigungsschutzrecht maßgebliche Dreiwochenfrist (§§ 4, 13 KSchG) anzuknüpfen. Auch § 2 KSchG spricht für eine Höchstfrist von drei Wochen. Bei einer Änderungskündigung kann das Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter geänderten Arbeitsbedingungen vom Arbeitnehmer unter dem Vorbehalt angenommen werden, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist. Dieser Vorbehalt, durch den die bisherigen Arbeitsbedingungen aufrechterhalten werden sollen, muß spätestens innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Änderungskündigung erklärt werden. Ein überzeugender Grund, dem Arbeitnehmer eine längere Frist als für die Kündigungsschutzklage oder für die Erklärung des Vorbehalts nach einer Änderungskündigung einzuräumen, besteht in der Regel nicht. Nach einem Betriebsübergang ist das schutzwürdige Interesse der betroffenen Arbeitgeber an einer raschen Klärung der Rechtslage nicht geringer als nach einer Kündigung, sondern größer. Bei einer Kündigungsschutzklage geht es um die Feststellung, ob die Kündigung des Arbeitgebers wirksam ist, also vom Arbeitgeber zu vertretende Mängel aufweist. Dagegen dient das dem Arbeitnehmer zustehende Widerspruchsrecht, das den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber rückgängig macht, nicht dem Schutz vor einem rechtsfehlerhaften Handeln des Arbeitgebers. Dieses Gestaltungsrecht kann der Arbeitnehmer ausüben, selbst wenn er hierfür keine sachlichen Gründe hat (BAGE 45, 140, 143 = AP Nr. 37 zu § 613 a BGB, zu II 3 der Gründe). Vom Arbeitnehmer ist dementsprechend zu verlangen, daß er sich bei einem Widerspruch nach Betriebsübergang zumindest ebenso rasch entscheidet wie bei einer Beendigungs- oder Änderungskündigung.

d) Im vorliegenden Fall hat der Kläger zumindest die Höchstfrist von drei Wochen nicht eingehalten, obwohl er als Betriebsjustitiar und Diplom-Jurist eine juristische Vorbildung hat und ihm seit dem Frühjahr 1991 bekannt war, daß die Beklagte mit der St KG Verkaufsverhandlungen führte. Da er sich in Kurzarbeit mit null Arbeitsstunden befand, hatte er überdurchschnittlich Zeit, sich zusätzliche Informationen zu beschaffen. Er wußte seit dem 2. Mai 1991, daß die St KG unter den Geltungsbereich eines anderen Tarifwerks als die Beklagte fiel. Trotzdem sah er die einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen erst am 20. Mai 1991 in der Personalabteilung der St KG ein und ließ sich alsdann bis zur Ausübung des Widerspruchsrechts wiederum mehr als 10 Tage Zeit. Einleuchtende Gründe für diese Verzögerungen hat der Kläger nicht genannt. Besondere Gründe, die es rechtfertigen könnten, dem Kläger ausnahmsweise eine längere Erklärungsfrist als insgesamt drei Wochen zuzubilligen, sind nicht ersichtlich. Er hat damit die Höchstfrist von drei Wochen, die am 23. Mai 1991 endete (§ 188 Abs. 2 in Verbindung mit § 187 Abs. 1 BGB), versäumt.

Nach Ablauf der Erklärungsfrist erlischt das Widerspruchsrecht ebenso wie das Anfechtungsrecht nach §§ 119 ff. BGB, das Recht zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nach § 626 BGB oder das Recht des Ehegatten oder anderer Familienangehöriger eines verstorbenen Mieters, dem Vermieter gegenüber zu erklären, das Mietverhältnis nicht nach § 569 a BGB fortsetzen zu wollen (vgl. auch KR-Wolf, 3. Aufl., § 613 a BGB Rz 63).

VI. Da der Widerspruch ohnehin verspätet und deshalb unbeachtlich ist, spielt es keine Rolle, ob er an den richtigen Adressaten gerichtet war (vgl. dazu Urteil des Senats vom 22. April 1993 - 2 AZR 50/92 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

Bitter Schliemann Kremhelmer

Thelen Dr. Kirchner

 

Fundstellen

BB 1994, 1861

BB 1994, 1861-1862 (LT1)

BB 1994, 363

DB 1994, 941-943 (LT1)

NJW 1994, 2170

NJW 1994, 2170-2172 (LT)

AiB 1994, 428-429 (LT1)

BetrR 1994, 66-67 (LT1)

BetrVG, (18) (LT1)

ARST 1994, 63-65 (LT1)

EWiR 1994, 341 (S)

NZA 1994, 357

NZA 1994, 357-359 (LT1)

ZIP 1994, 391

ZIP 1994, 391-394 (LT1)

AP § 613a BGB (LT1), Nr 102

AR-Blattei, ES 500 Nr 96 (LT1)

AuA 1994, 303

EzA-SD 1994, Nr 4, 12-14 (LT1)

EzA § 613a BGB, Nr 112 (LT1)

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