Entscheidungsstichwort (Thema)

Prämie für einen Verbesserungsvorschlag

 

Normenkette

MTV für die chemische Industrie § 17; TVG § 4; BGB § 271

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 16.02.1993; Aktenzeichen 7 Sa 1079/92)

ArbG Darmstadt (Urteil vom 27.02.1992; Aktenzeichen 7 Ca 474/91)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 16. Februar 1993 – 7 Sa 1079/92 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Prämie für einen Verbesserungsvorschlag.

Der Kläger war von 1967 bis zum 31. Dezember 1990 bei der Beklagten als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien waren kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit die Tarifverträge der chemischen Industrie anzuwenden. In § 17 des Manteltarifvertrages für die chemische Industrie (MTV-Chemie) ist u.a. folgendes bestimmt:

„2. Die Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis müssen innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung ausgeschlossen. Das gilt nicht, wenn die Berufung auf die Ausschlußfrist wegen des Vorliegens besonderer Umstände eine unzulässige Rechtsausübung ist.

3. Im Falle des Ausscheidens müssen die Ansprüche beider Seiten spätestens einen Monat nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht werden.

4. Wird ein Anspruch erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig, muß er spätestens einen Monat nach Fälligkeit geltend gemacht werden.

5. Die genannten Ausschlußfristen gelten nicht für beiderseitige Schadensersatzansprüche sowie für beiderseitige nachwirkende Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis.”

Die Beklagte hat mit ihrem Betriebsrat am 25. November 1958 eine Betriebsvereinbarung für das betriebliche Vorschlagswesen abgeschlossen. Darin heißt es u.a.:

„…

Ein Verbesserungsvorschlag ist die Beschreibung einer organisatorischen, technischen oder wirtschaftlichen Verbesserung, die an die Stelle eines bisherigen Zustands treten soll.

Für Verbesserungsvorschläge, die durchführbar sind und nach Mitteilung des zuständigen Hauptleiters durchgeführt werden, wird eine einmalige Prämie nach der folgenden Prämientabelle vergütet:

Gehaltsgruppe V. 8 % der Ersparnis des ersten Jahres.”

Der Kläger schlug der Geschäftsleitung der Beklagten am 9. Dezember 1982 vor, alle sieben Niederlassungen der Beklagten in Deutschland aufzulösen. Die Beklagte lehnte den Vorschlag am 10. März 1983 als nicht praktikabel ab.

Der Kläger erfuhr durch die Lektüre der Hauszeitschrift der Beklagten vom 18. Mai 1989 von deren Plänen, zur Straffung der Betriebsorganisation sämtliche Niederlassungen in Deutschland zu schließen. Dadurch sollte eine jährliche Ersparnis von 10 Millionen DM eintreten. Die Vorstellungen wurden noch im Jahre 1989 umgesetzt.

Der Kläger versuchte zunächst Mitte 1989 und dann um die Jahreswende 1989/1990 vergeblich, in Gesprächen mit Vertretern der Beklagten eine Prämie für seinen nach seiner Auffassung nunmehr verwirklichten Verbesserungsvorschlag zu erhalten. Er schied aufgrund einer Frühpensionierungsregelung zum Jahresende 1990 aus dem Arbeitsverhältnis aus. In der Vereinbarung der Parteien vom 29. Juni 1990 heißt es u.a.:

„Es besteht Übereinstimmung darüber, daß mit Abschluß dieser Frühpensionierungsvereinbarung alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung abgegolten sind.”

Der Kläger verlangte mit einem der Beklagten am 5. Februar 1991 zugegangenen Schreiben von der Beklagten erstmals schriftlich die Zahlung einer Prämie von 800.000,00 DM. Die Beklagte lehnte ab. Daraufhin hat der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 800.000,00 DM nebst 9 % Zinsen seit dem 21. Februar 1991 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, die Schließung der Niederlassungen im Jahr 1989 beruhten auf wirtschaftlichen Zwängen infolge des Gesundheitsreformgesetzes. Auch habe die breite Einführung eines direkten Dialogs per EDV zwischen dem Außendienst und der Zentrale in den Jahren nach 1982 die Auflösung der Niederlassungen ermöglicht. Die Beklagte hat gemeint, ein Anspruch des Klägers sei wegen verspäteter Geltendmachung verfallen. Ihm stehe auch die Erklärung aus der Frühpensionierungsvereinbarung entgegen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.

I. Die Klage kann nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und mit der vorliegenden Begründung nicht abgewiesen werden.

1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß die geltend gemachte Forderung des Klägers auf Zahlung einer Prämie ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis i. S. des § 17 MTV-Chemie ist. Wenn Tarifvertragsparteien in der Verfallvorschrift keine Einschränkungen formulieren, fallen unter den Begriff „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” alle vertraglichen und gesetzlichen Ansprüche, die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsstellung gegeneinander haben (BAG Urteil vom 21. Februar 1990 – 5 AZR 169/89 – AP Nr. 3 zu § 179 VVG; BAGE 43, 339, 345 = AP Nr. 37 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche, zu 2 a der Gründe, jeweils m.w.N.). Anspruchsgrundlage für die Forderung des Klägers ist allein die im Betrieb der Beklagten geltende Betriebsvereinbarung. Sie gilt nur für Arbeitnehmer der Beklagten. Damit handelt es sich um einen arbeitsrechtlichen Anspruch, zumal der Vorschlag des Klägers keine selbständige schöpferische Leistung i. S. gewerblicher Schutzrechte und auch kein technischer Verbesserungsvorschlag i. S. des Arbeitnehmerserfindungsgesetzes war. Ohne das bestehende Arbeitsverhältnis der Parteien hätte der Kläger weder seinen Vorschlag entwickeln können noch wäre ein Vergütungsanspruch ohne die durch den Arbeitsvertrag begründete Rechtsstellung des Klägers denkbar.

Es ist nicht ersichtlich, daß die Tarifvertragsparteien Ansprüche für Verbesserungsvorschläge vom Anwendungsbereich der tariflichen Ausschlußfristen ausnehmen wollen. Das mag für atypische vertragliche Ansprüche in Betracht kommen (BAG Urteil vom 21. Juni 1979 – 3 AZR 855/78 – AP Nr. 4 zu § 9 ArbNErfG), nicht aber für den vom Kläger geltend gemachten Prämienanspruch für einen Verbesserungsvorschlag. Das Landesarbeitsgericht hat ungerügt festgestellt, daß es in der chemischen Industrie weithin üblich ist, in Betriebsvereinbarungen Regelungen über Verbesserungsvorschläge zu treffen, die auch eine Vergütungsbestimmung enthalten. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch ist also nicht atypisch. Wenn die Tarifvertragsparteien ihn vom Geltungsbereich der Ausschlußfristen hätten ausnehmen wollen, hätten sie ihn in der Ausnahmebestimmung des § 17 Nr. 5 MTV-Chemie erwähnt.

2. Zu Unrecht ist allerdings das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß der Anspruch des Klägers spätestens am 31. Dezember 1989 fällig geworden ist.

a) Das Landesarbeitsgericht hat übersehen, daß die Betriebsvereinbarung eine Zeitbestimmung für die Leistung i. S. des § 271 Abs. 1 und Abs. 2 BGB enthält, wonach es nicht auf den Zeitpunkt der Durchführung eines Verbesserungsvorschlags allein ankommt. Die Fälligkeitsabrede ist in der Vorschrift über die Höhe der Vergütung enthalten, in der es u.a. heißt:

„8 % der Ersparnis des ersten Jahres”.

Wenn ein Arbeitnehmer für einen Verbesserungsvorschlag einen bestimmten Prozentsatz der Ersparnis des ersten Jahres erhalten soll, wird denknotwendig vorausgesetzt, daß der Schuldner der Forderung die Daten eines Jahres sammeln und auswerten darf, bevor der Gläubiger den Anspruch geltend machen kann. Vor Ablauf des Jahres steht nicht einmal fest, ob überhaupt eine Ersparnis eingetreten und damit ein Anspruch entstanden ist. Jedenfalls kann die Forderung vor dieser Zeit nicht einmal annähernd der Höhe nach bestimmt werden. Die Fälligkeit i. S. des § 17 MTV-Chemie liegt daher zu einer Zeit nach Ablauf eines Jahres, gerechnet von der Schließung der letzten Niederlassung.

b) Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ist ungeklärt, wie der Begriff des ersten Jahres zu verstehen ist. Das Landesarbeitsgericht ist bei der Bestimmung des Fälligkeitszeitpunktes ohne weiteres vom Ende eines Kalenderjahres ausgegangen. Das ist denkbar, aber angesichts der wirtschaftlichen Gegebenheiten in einem Unternehmen nicht zwingend. Die Betriebspartner können mit dem Begriff „erstes Jahr” ebenso das auf die Einführung der Verbesserung nachfolgende Geschäftsjahr gemeint haben. Das ist sogar naheliegend, weil Daten der Art, wie sie für die Ermittlung einer Ersparnis benötigt werden, regelmäßig im Rythmus eines Geschäftsjahres erfaßt und ermittelt werden. So bedarf der Begriff einer genaueren Untersuchung, die das Landesarbeitsgericht nachzuholen hat. Dazu gehört auch die Feststellung der konkreten Daten über die Schließung der einzelnen Niederlassungen, die jedenfalls von Bedeutung sind, wenn das erste Zeitjahr ab Schließung der letzten Niederlassung maßgeblich sein sollte. Kommt es hingegen auf das Geschäftsjahr an, so ist dessen Lage festzustellen. Ist das Kalenderjahr mit dem Geschäftsjahr der Beklagten identisch, hätte der Kläger mit seinem Schreiben vom 1. Februar 1991 seinen Anspruch rechtzeitig nach § 17 Nr. 2 MTV-Chemie geltend gemacht. Er hätte die Ausschlußfrist dieser Vorschrift nur versäumt, wenn das Geschäftsjahr der Beklagten mit dem Kalenderjahr nicht identisch ist und die Niederlassungen der Beklagten vor Beginn eines Geschäftsjahres 1989/1990 geschlossen worden wären.

3. Das Landesarbeitsgericht wird ferner zu beachten haben, daß der Anspruch des Klägers nach § 17 Nr. 3 und 4 MTV-Chemie verfallen sein könnte, wenn der Fälligkeitszeitpunkt vor dem 5. Januar 1991 liegt. Das wäre dann der Fall, wenn für dessen Bestimmung nur der Ablauf des Kalenderjahres 1990 maßgebend sein soll, nicht aber auch die Auswertung der Daten des Jahres 1990 über die Ersparnisse z.B. in einer Handels- oder in einer Steuerbilanz. Auch insoweit bedarf die Norm der Betriebsvereinbarung einer Auslegung, wozu weiterer Vortrag der Parteien über die frühere Handhabung bei der Ermittlung von Ersparnisdaten hilfreich sein könnte.

II. Ein etwaiger Anspruch des Klägers ist auch nicht wegen der Ausgleichsklausel in der Frühpensionierungsvereinbarung der Parteien untergegangen. Soweit die Parteien mit der umfassenden Formulierung, daß mit Abschluß der Frühpensionierungsvereinbarung alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung abgegolten seien, auch einen Prämienanspruch nach der Betriebsvereinbarung über Verbesserungsvorschläge erfassen wollten, ist die Vereinbarung wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 4 Satz 2 und 3 BetrVG unwirksam. Der Zustimmung des Betriebsrates bedarf es, wenn der Arbeitnehmer über eine auf einer Betriebsvereinbarungsnorm beruhenden Forderung einen Erlaßvertrag schließt oder in der Form der Ausgleichsquittung ein negatives Schuldanerkenntnis abgibt (Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 77 Rz 20). § 77 Abs. 4 Satz 2 und 3 BetrVG gestatten lediglich einen sog. Tatsachenvergleich, mit dem Meinungsverschiedenheiten über die tatsächlichen Voraussetzungen von Ansprüchen aus Betriebsvereinbarungen ausgeräumt werden. Die Abgeltungsvereinbarung der Parteien in der Frühpensionierungsregelung enthält keinerlei Hinweis, daß die Vereinbarung nur diesen Inhalt haben sollte.

III. Das Landesarbeitsgericht hat es bisher versäumt, Feststellungen zum Vorbringen der Parteien zur Ursächlichkeit des Verbesserungsvorschlags des Klägers und der Schließung der Niederlassung seitens der Beklagten zu treffen und den Sachverhalt zu würdigen. Das wird es nachzuholen haben, wenn es zu dem Ergebnis kommen sollte, der Kläger habe die Ausschlußfristen des § 17 MTV-Chemie eingehalten. Der Senat vermag nach dem bisherigen Sach- und Streitstand dazu keine konkreten Hinweise zu geben. Von Bedeutung könnten die Einzelheiten der Beurteilung durch den Bewertungsausschuß und ggf. durch die in der Betriebsvereinbarung vorgesehenen Gutachter sein. Desweiteren könnte Tatsachenvortrag für die Möglichkeiten EDV-gestützter Aufgabenbewältigung im Jahr 1982 und im Jahr 1989 den Sachverhalt klären. Letztlich wird das Landesarbeitsgericht zu bedenken haben, daß der Kläger seiner prozessualen Darlegungsverpflichtung nachgekommen ist, als er Vorschlag und Durchführung des Vorschlags seitens der Beklagten mit zeitlicher Verzögerung vorgetragen hat. Nunmehr ist es Aufgabe der Beklagten, anderweite, nicht mit dem Vorschlag des Klägers in Verbindung stehende Ursachen für die Entscheidung, die Niederlassungen zu schließen, darzulegen und ggf. zu beweisen.

 

Unterschriften

Leinemann, Düwell, Dörner, Gaber, Ott

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073572

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