Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang und Konkursausfallgeld

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Sequestration im Rahmen des § 106 KO führt bei einem vom Sequester gebilligten Betriebsübergang nicht zu einer eingeschränkten Anwendung des § 613a Abs 1 Satz 1 BGB.

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 30.01.1989; Aktenzeichen 12 Sa 82/88)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 04.08.1988; Aktenzeichen 7 Ca 81/88)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte als Betriebsübernehmerin für Ansprüche auf Arbeitsentgelt haftet, die auf die klagende Bundesanstalt nach Gewährung von Konkursausfallgeld übergegangen sind.

Der frühere Gesellschafter der Beklagten, der Elektroingenieur und Elektromeister H P, führte seit langen Jahren einen Handwerksbetrieb, der laut Gewerbeanmeldung den Geschäftszweck "Elektroinstallation und Einzelhandel mit Elektrogeräten" verfolgte. Er beschäftigte zuletzt 31 Arbeitnehmer, darunter seine Ehefrau R und seinen Sohn J. Als Betriebsgrundstück diente ihm ein von seiner Ehefrau gemietetes Grundstück. Sämtliche Betriebsmittel waren wegen eines Darlehns von 30.000,-- DM seinen Eltern gemäß Vertrag vom 15. Februar 1983 zur Sicherheit übereignet.

Durch Gesellschaftsvertrag vom 28. April 1987 gründeten H, R und J P die beklagte Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Zu Geschäftsführern wurden H und J P bestellt. Gegenstand der Gesellschaft ist nach § 2 des Gesellschaftsvertrages "der Groß- und Einzelhandel mit Waren und Geräten aller Art sowie deren Installation und die Ausführung von Dienstleistungen elektro- und bautechnischer Art". Vom Stammkapital der Beklagten von ursprünglich 50.000,-- DM übernahmen R P 20.000,-- DM, J P 24.000,-- DM und H P 6000,-- DM.

Am 26. Mai 1987 stellte H P beim Amtsgericht den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über sein Vermögen. Am 29. Mai 1987 wurde die Prozeßbevollmächtigte der Beklagten vom Amtsgericht zum Sequester bestellt.

Am 2. Juni 1987 wurde die Beklagte ins Handelsregister mit folgendem Geschäftszweck eingetragen: "Groß- und Einzelhandel mit Waren und Geräten der Elektrotechnik sowie deren Installation. Die Gesellschaft führt sämtliche handwerklichen Dienstleistungen im Elektrobereich aus."

Im weiteren Verlauf des Jahres 1987 trat die S AG als Gesellschafterin in die Beklagte ein, während H und R P ausschieden.

Anfang Juni 1987 bat H P seine Auftraggeber, laufende und auch künftige Aufträge auf die Beklagte zu übertragen bzw. dieser zu erteilen. Ein maßgeblicher Auftraggeber war die B, für deren Großauftrag H P zahlreiche Arbeitnehmer eingesetzt hatte.

Am 19. Juni 1987 meldete die Beklagte ihr Gewerbe an. Am gleichen Tage erhielt sie von der B den Auftrag zur Fortsetzung der von H P begonnenen Arbeiten, nachdem sie, die Beklagte, sich zur Übernahme der Gewährleistung für die früher von diesem ausgeführten Arbeiten verpflichtet hatte. Unter Mitwirkung des Sequesters wurde bei der Auftragserteilung an die Beklagte mit der B vereinbart, daß zum 30. Juni 1987 bestimmte Teilaufträge fertiggestellt und zugunsten von H P abgerechnet werden sollten. Für die Zeit ab 1. Juli 1987 sollte dagegen zugunsten der Beklagten abgerechnet werden. Da für die Aufträge von der B noch Materialen gekauft werden mußten und H P wegen Zahlungsunfähigkeit nichts mehr erhielt, kaufte die Beklagte diese Materialen noch im Juni 1987 ein.

Mit notariellem Vertrag vom 22. Juni 1987 traten die Eltern von H P ihre Darlehnsforderung an J P ab und übereigneten ihm das Sicherungsgut. H P stimmte dem zu, räumte seinem Sohn den Besitz am Sicherungsgut ein und übergab ihm die Schlüssel zu den Betriebsräumen.

Auf einen Anruf von H P vom 23. Juni 1987 erteilte das Finanzamt der Beklagten noch im Juni 1987 eine Betriebsnummer, die nur auf die Erklärung vergeben wird, daß bereits Arbeitnehmer beschäftigt werden.

Am 30. Juni 1987 teilte der Sequester dem Arbeitsamt die Entlassung aller Mitarbeiter der Firma H P mit (Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1 KSchG) und bat gleichzeitig um rückwirkende Zustimmung zur Entlassung Schwerbehinderter (§ 18 Abs. 1 KSchG). Sämtliche Arbeitsverhältnisse waren zum 30. Juni 1987 mit tariflicher Frist gekündigt worden. Am 30. Juni 1987 stellten die Arbeitnehmer Antrag auf Konkursausfallgeld.

Am 1. Juli 1987 um 10.00 Uhr wurde durch Beschluß des Amtsgerichts das Konkursverfahren über das Vermögen des Elektroingenieurs H P eröffnet und der bisherige Sequester als Konkursverwalter eingesetzt. Die Eröffnung des Konkursverfahrens wurde unter anderem dadurch ermöglicht, daß die Beklagte zur Eröffnung des Konkursverfahrens einen Vorschuß in Höhe von 15.000,-- DM leistete. Noch am 1. Juli 1987 vermietete J P der Beklagten die ihm zustehenden Betriebsmittel gegen einen Mietzins in ungeklärter Höhe.

Die Beklagte führt ihren Betrieb von denselben Betriebsräumen aus wie früher H P. Von dessen zuletzt beschäftigten 29 Arbeitnehmern (ohne J und R P) setzten 24 (Behauptung der Klägerin) oder 20 (Behauptung der Beklagten) die Arbeit im Juni/Juli 1987 ohne Unterbrechung auf den Baustellen fort, auf denen sie ursprünglich für H P gearbeitet hatten.

Mit den Arbeitnehmern, denen H P fristgerecht zum 30. Juni 1987 gekündigt hatte, schloß die Beklagte mit Wirkung ab 1. Juli 1987 neue Arbeitsverträge. Die Arbeitnehmer nahmen am 1. Juli 1987 um 7.00 Uhr morgens die Arbeit auf. Nach Beginn ihrer Betriebstätigkeit verschrottete die Beklagte einzelne der von ihr übernommenen Betriebsmittel und schaffte dafür neue an. Die von ihr weiterbeschäftigten Arbeitnehmer behielten die bisher während ihrer Tätigkeit für H P benutzten Werkzeuge.

Die Klägerin gewährte 31 Arbeitnehmern, darunter auch J P und R P, für die Zeit vom 1. April bis zum 18. Juni 1987 Konkursausfallgeld in der Gesamthöhe von 140.777,43 DM. Diese Summe verlangt sie im vorliegenden Verfahren von der Beklagten.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe den Betrieb durch Rechtsgeschäft mit Wirkung vom 19. Juni 1987 übernommen. Wegen dieses Betriebsübergangs hafte sie ihr für die übergegangenen Lohnansprüche der Arbeitnehmer.

Die Klägerin hat daher beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie

140.777,43 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 10. Februar

1988 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es liege kein rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang vor. Der Betrieb sei von H P stillgelegt worden. Sie habe einen neuen Betrieb eröffnet. Die fehlende Identität ergebe sich aus dem unterschiedlichen Geschäftsgegenstand und einer anderen Betriebsorganisation. Der Werkzeug- und Maschinenbestand sei wesentlich umorganisiert worden. Verblieben seien nur die Büroeinrichtung sowie zwei Werkbänke und zwei große Bohrmaschinen. Der spätere Gemeinschuldner H P habe bis zum 30. Juni 1987 sämtliche Funktionen des Arbeitgebers ausgefüllt, lediglich ab 29. Mai 1987 durch die Anordnung der Sequestration beschränkt. Er habe die Baustellen kontrolliert, Kunden geworben und besucht sowie vor allem die Kalkulation durchgeführt. Nach dem 1. Juli 1987 sei H P bei der Beklagten als Geschäftsführer beschäftigt gewesen. Sein Aufgabenbereich sei lediglich noch die Auftragsbeschaffung und in stark eingeschränktem Maße die Baustellenkontrolle gewesen. Der frühere bauleitende Ingenieur J P verrichte nun bei ihr, der Beklagten, Büroarbeiten, wie Kalkulation und ähnliches. Der Umsatz, den sie in der Zeit der Sequestration getätigt habe, sei auf ausdrückliche Bestellung des Sequesters für den Gewerbebetrieb von H P erfolgt, weil H P selbst von den Lieferanten nichts mehr erhalten habe. Die Fortsetzung der Arbeiten und die Teilabrechnungen bis zum 30. Juni 1987 hätten dazu gedient, Konkursmasse zu bilden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Beklagte haftet der Klägerin nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB für die kraft Gesetzes (§ 141 m AFG) übergegangenen Entgeltforderungen der ehemaligen Arbeitnehmer des Elektroingenieurs H P.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, zwar sei der Betrieb des Einzelunternehmers H P durch Rechtsgeschäft auf die Beklagte übergegangen, diese brauche aber für die Erfüllung rückständiger und auf die Klägerin übergegangener Lohnforderungen der von H P übernommenen Arbeitnehmer nicht zu haften. Der vorliegende Sachverhalt, bei dem der rechtsgeschäftliche Betriebsübergang zwar vor Konkurseröffnung, aber nach der gerichtlichen Anordnung der Sequestration und unter Mitwirkung bzw. Billigung des Sequesters zustande gekommen sei, müsse dem von der Rechtsprechung anerkannten Fall des Haftungsausschlusses bei Betriebsveräußerung durch den Konkursverwalter gleichgesetzt werden. In beiden Fällen sei nämlich eine Sicherung des zu verteilenden Vermögens und eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger in einem gerichtlich kontrollierten, geordneten Verfahren gewährleistet.

Dieses Ergebnis wird von der Revision zu Recht angegriffen.

II. Allerdings ist dem Landesarbeitsgericht darin zu folgen, daß es zwischen H P und der Beklagten zu einem Betriebsübergang im Sinne des § 613 a BGB gekommen ist.

1. Die Beklagte hat den Betrieb des H P übernommen.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der das Landesarbeitsgericht gefolgt ist, gehören zu einem Betrieb im Sinne von § 613 a Abs. 1 BGB die materiellen und die immateriellen Betriebsmittel. Sie machen dann einen Betrieb aus, wenn der neue Inhaber mit ihnen und mit Hilfe der Arbeitnehmer bestimmte arbeitstechnische Zwecke verfolgen kann (BAGE 35, 104, 106 = AP Nr. 24 zu § 613 a BGB, zu 1 der Gründe; BAGE 58, 176, 179 = AP Nr. 71 zu § 613 a BGB, zu I 1 der Gründe). Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn der neue Inhaber den Betrieb mit den übernommenen Betriebsmitteln so fortführen kann, wie es der bisherige Inhaber bei Fortsetzung des Betriebes getan hätte (BAGE 48, 365, 371 = AP Nr. 42 zu § 613 a BGB, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 3. Juli 1986 - 2 AZR 68/85 - AP Nr. 53 zu § 613 a BGB, zu B II 4 der Gründe).

b) Nach den für den Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts führt die Beklagte ihren Betrieb von demselben Grundstück aus, das auch H P als Betriebsgrundstück gedient hat. Sie verwendet dieselbe Büroeinrichtung sowie auch die Betriebsmittel, die H P an seine Eltern zur Sicherheit übereignet hatte und die diese ihm überlassen hatten. Darüber hinaus führte die Beklagte die wesentlichen Aufträge, die von H P begonnen waren, fort und bediente sich hierbei der Mehrzahl der zuvor bei H P beschäftigten Arbeitnehmer. Dieser nahtlose Übergang schließt eine vorherige Stillegung des Betriebes durch H P aus.

Die Stillegung erfordert die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft, die ihre Veranlassung und zugleich ihren sichtbaren Ausdruck darin findet, daß der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, den bisherigen Betriebszweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne aufzugeben (BAGE 58, 176, 180 = AP Nr. 71 zu § 613 a BGB, zu I 2 d der Gründe, m. w. N.). Davon kann hier nicht die Rede sein.

Der Annahme des Überganges eines funktionsfähigen Betriebes steht nicht entgegen, daß die Beklagte nach Aufnahme dieser Betriebstätigkeit einzelne der übernommenen Betriebsmittel verschrottet und durch neue ersetzt hat. Denn für einen Betriebsübergang ist es nicht begriffsnotwendig, daß sämtliche Produktionsmittel und Betriebseinrichtungen übernommen werden; es genügt, wenn nur die wesentlichen und die wichtigsten Mittel dieser Art übernommen werden, soweit sie die Fortsetzung des Betriebes gestatten. Zudem konnte die Übernahme der Betriebsmittel den bisherigen Geschäftszweck (Handel- und Dienstleistung) nicht allein gewährleisten, erforderlich waren dafür vielmehr auch die alten Kundenbeziehungen (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 1978 - 5 AZR 800/76 - AP Nr. 11 zu § 613 a BGB, zu 3 a der Gründe). Im übrigen behielten die Arbeitnehmer ihre für die Arbeit erforderlichen Werkzeuge und konnten damit ihre Tätigkeit ohne Unterbrechung bei den bisherigen Kunden von H P fortsetzen. Ob und aus welchen Gründen die Beklagte neue Betriebsmittel anschaffte, ändert nichts an dem Umstand, daß sie einen funktionsfähigen Betrieb übernahm und diesen auch fortsetzte. Schließlich verfolgten die Firma H P wie auch die Beklagte weitgehend die gleichen arbeitstechnischen Ziele.

2. Der Betriebsübergang erfolgte durch Rechtsgeschäft.

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mietete die Beklagte das Betriebsgrundstück von Frau R P und die Betriebsmittel von J P. Eine vertragliche Regelung zwischen H P und der Beklagten hinsichtlich der Übernahme ist allerdings nicht festgestellt. Dennoch hat die Beklagte den Betrieb durch "Rechtsgeschäft" übernommen. Durch dieses Merkmal wird nämlich nur eine Abgrenzung zur Gesamtrechtsnachfolge getroffen (Senatsurteil vom 6. Februar 1985 - 5 AZR 411/83 - AP Nr. 44 zu § 613 a BGB, zu B I 3 b der Gründe). Demgemäß ist es nicht erforderlich, daß nur ein Rechtsgeschäft über den Übergang des gesamten Betriebes abgeschlossen wird. Vielmehr können auch mehrere Rechtsgeschäfte, auch mit Dritten, die als Sicherungseigentümer (BAGE 48, 376 = AP Nr. 43 zu § 613 a BGB) oder Pächter (Senatsurteil vom 15. November 1978 - 5 AZR 199/77 - AP Nr. 14 zu § 613 a BGB, zu II 1 b der Gründe) über Betriebsmittel bzw. Betriebsgrundstücke verfügen, zum Betriebsübergang führen. Da die Beklagte auch die wesentlichen Aufträge übernahm, spricht alles für einen rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang. Eine rechtsgeschäftliche Absprache zwischen H P und der Beklagten, wovon das Landesarbeitsgericht ausgeht, kann bei dieser Sachlage - insbesondere bei der personellen Verflechtung aller Beteiligten - angenommen werden (vgl. BAGE 48, 345, 350 = AP Nr. 41 zu § 613 a BGB, zu II 2 b der Gründe).

III. Dagegen kann dem Landesarbeitsgericht nicht gefolgt werden, soweit es die Haftung der Beklagten nach § 613 a BGB deshalb verneint, weil diese den Betrieb nach Anordnung der Sequestration über das Vermögen des früheren Betriebsinhabers sowie mit Billigung und Mitwirkung des Sequesters erworben hat. Die Sequestration bleibt für die Frage der Haftung der Beklagten ohne Bedeutung. Damit liegt aber ein Anwendungsfall des § 613 a BGB außerhalb eines Konkursverfahrens vor.

1. Die Rechtsnormen über die Betriebsnachfolge gelten auch für die Betriebsveräußerung im Konkurs (vgl. statt vieler BAGE 55, 228, 234 ff. = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung, zu III 1 der Gründe, m. w. N.; BSGE 59, 107, 111). Allerdings ist § 613 a BGB bei einer Betriebsveräußerung im Rahmen eines Konkursverfahrens insoweit nicht anwendbar, wie diese Vorschrift die Haftung des Betriebserwerbers für bereits entstandene Ansprüche vorsieht. Insoweit haben die Verteilungsgrundsätze des Konkursverfahrens Vorrang (BAGE 43, 13, 17 ff. = AP Nr. 34 zu § 613 a BGB, zu B II 2 der Gründe; BAGE 50, 62, 69 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung, zu B II 3 a der Gründe). Aus den gleichen Erwägungen sind auch § 419 BGB und § 25 HGB im Konkurs nicht anwendbar (vgl. BAGE 32, 326, 334 f. = AP Nr. 18 zu § 613 a BGB, zu II 3 c der Gründe; BGHZ 104, 151, 153, jeweils m. w. N.).

2. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist eine einschränkende Auslegung des § 613 a BGB aber nicht geboten, wenn eine Betriebsveräußerung durch den Sequester oder aufgrund seiner Mitwirkung erfolgt.

Aufgabe des Konkursverwalters ist es, die Vermögensgegenstände des Gemeinschuldners zu verwerten und dabei im Interesse der Gläubiger den höchstmöglichen Erlös zum Zwecke der anschließenden Verteilung zu erzielen. Mit dieser Aufgabe wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Erwerber eines zur Konkursmasse gehörenden Unternehmens nach § 25 Abs. 1 HGB oder nach § 419 BGB haften sollte.

Diese Überlegungen treffen aber auf den Sequester nicht zu. Denn die Funktionen des Konkursverwalters und des Sequesters sind nicht miteinander vergleichbar. So gehört es insbesondere nicht zu den Rechten oder zu den Pflichten des Sequesters, das Vermögen des Schuldners zu veräußern, um auf diese Weise Barmittel zur Verteilung an die Gläubiger zu erhalten. Die Aufgabe des Sequesters beschränkt sich vielmehr ausschließlich auf die Erhaltung und die Sicherung des Schuldnervermögens für den zu dieser Zeit keineswegs feststehenden Fall einer späteren Eröffnung des Konkursverfahrens. Die Sequestration ist nicht als eine Art "Vorkonkurs" und die Stellung des Sequesters ist nicht als diejenige eines "Vorkonkursverwalters" zu verstehen. Infolge der Beschränkung des Sequesters auf vorläufige Sicherungs- und Erhaltungsmaßnahmen ist er grundsätzlich auch nicht zur Veräußerung eines dem Schuldner gehörenden Unternehmens berechtigt. Aus diesen - hier nur zusammengefaßt wiedergegebenen Erwägungen - hat der Bundesgerichtshof beim Erwerb eines Handelsunternehmens aus der Hand des Sequesters die Anwendbarkeit von § 25 Abs. 1 HGB und § 419 BGB grundsätzlich nicht ausgeschlossen (vgl. im einzelnen BGHZ 104, 151, 153 ff., mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Seine Begründung entspricht derjenigen des Bundesarbeitsgerichts zur einschränkenden Auslegung des § 613 a BGB (vgl. nochmals BAGE 32, 326, 333 ff. = AP Nr. 18 zu § 613 a BGB, zu II 3 c der Gründe). Im Hinblick auf die unterschiedlichen Funktionen von Konkursverwalter und Sequester kommt eine einschränkende Auslegung des § 613 a BGB bei Veräußerung durch den Sequester selbst oder bei Veräußerung unter seiner Mitwirkung daher nicht in Betracht. Vielmehr ist diese Bestimmung im vorliegenden Fall uneingeschränkt anzuwenden.

Dieses Ergebnis führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu der von der Klägerin erstrebten Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

Polcyn Dr. Schönherr

 

Fundstellen

Haufe-Index 439808

BAGE 64, 196-204 (LT1)

BAGE, 196

BB 1990, 1491

BB 1990, 1491-1492 (LT1)

DB 1990, 1416 (LT1)

EBE/BAG 1990, 75-77 (LT1)

BetrVG, (5) (LT1)

EWiR 1990, 673 (S)

KTS 1990, 515-518 (LT1)

NZA 1990, 522-523 (LT1)

NZA 1990, 567-568 (LT1)

RdA 1990, 192

WM IV 1990, 1508-1511 (LT1)

WuB, IV A § 419 BGB 2.90 (L)

WuB, IV A § 613 a BGB 1.90 (LT)

WuB, IV D § 25 HGB 1.90 (L)

WuB, VI C § 106 KO 2.90 (L)

ZIP 1990, 662

ZIP 1990, 662-665 (LT1)

AP § 613a BGB (LT1), Nr 85

AR-Blattei, Betriebsinhaberwechsel Entsch 85 (LT1)

AR-Blattei, ES 500 Nr 85 (LT1)

AR-Blattei, ES 970 Nr 81 (LT1)

AR-Blattei, Konkurs Entsch 81 (LT1)

EzA § 613a BGB, Nr 88 (LT1)

MDR 1990, 852-853 (LT1)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge