Entscheidungsstichwort (Thema)

Zusatzversorgung Teilzeitbeschäftigter. Gleichbehandlung

 

Leitsatz (redaktionell)

vgl. auch Urteil vom 21. Januar 1997 – 3 AZR 791/94 –.

 

Normenkette

BetrAVG § 1 Gleichbehandlung, § 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3; SGB IV § 8; EGVtr Art. 119, 177; ZPO §§ 148, 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 23.08.1994; Aktenzeichen 14 Sa 70/94)

ArbG Karlsruhe (Urteil vom 23.03.1994; Aktenzeichen 5 Ca 290/93)

 

Tenor

1. Unter Zurückweisung der Revision im übrigen wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 23. August 1994 – 14 Sa 70/94 – im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es dem Feststellungsantrag für den Zeitraum vom 2. Februar 1976 bis zum 31. Dezember 1976 stattgegeben hat.

2. In diesem Umfang wird das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 23. März 1994 – 5 Ca 290/93 – auf die Berufung der Beklagten unter Zurückweisung im übrigen abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Versorgungsleistungen zu verschaffen, die ihr zustünden, wenn sie auch in der Zeit vom 1. Januar 1977 bis zum 31. März 1991 bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP) versichert gewesen wäre.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/16 und die Beklagte 15/16 zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin für die gesamte Zeit ihrer bisherigen Beschäftigung einen Anspruch auf Zusatzversorgung erworben hat.

Die am 26. Juli 1948 geborene Klägerin ist seit dem 2. Februar 1976 als Arbeiterin bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin, der bisher beklagten Deutschen Bundespost – Postdienst –, in Teilzeitarbeit mit schwankender Wochenarbeitszeit tätig. In der Zeit vom 2. Februar 1976 bis 31. Dezember 1976 handelte es sich im sozialversicherungsrechtlichen Sinne um eine geringfügige Beschäftigung.

Kraft beiderseitiger Tarifbindung findet auf das Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) Anwendung. Nach dessen § 24 sind die Arbeiter bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP) nach Maßgabe des Versorgungstarifvertrags (VersTV) in seiner jeweiligen Fassung zu versichern. Nach § 3 VersTV in der bis zum 31. Dezember 1987 geltenden Fassung waren die unterhälftig beschäftigten Arbeitnehmer von dieser Zusatzversorgung ausgeschlossen und nach der vom 1. Januar 1988 bis zum 31. März 1991 geltenden Fassung die Arbeitnehmer, deren arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit 18 Stunden unterschritt. Mit Wirkung zum 1. April 1991 wurde § 3 VersTV erneut geändert. Nunmehr besteht eine Versicherungspflicht bereits dann, wenn der Arbeitnehmer mehr als geringfügig im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB IV beschäftigt ist. Die Beklagte hielt sich an den Tarifvertrag und versicherte die Klägerin erst ab 1. April 1991 bei der VAP.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der tarifvertragliche Ausschluß von Teilzeitkräften mit kürzerer Arbeitszeit sei unwirksam gewesen. Deshalb stehe ihr auch für die Beschäftigungszeit vom 2. Februar 1976 bis 31. März 1991 die tarifliche Zusatzversorgung zu.

Die Klägerin hat beantragt,

  1. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin hinsichtlich der Versorgungsanwartschaft so zu stellen, wie wenn sie auch im Zeitraum vom 2. Februar 1976 bis 31. März 1991 bei der VAP versichert gewesen wäre,
  2. hilfsweise festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin für diesen Zeitraum auf Kosten der Beklagten in einer der Höhe ihres jeweils bezogenen Arbeitsentgelts entsprechenden Weise bei der VAP nachzuversichern.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Feststellungsklage sowohl für unzulässig als auch für unbegründet gehalten. Die bis zum 31. März 1991 geltende Einschränkung der Zusatzversorgung sei wirksam gewesen. Sie habe nicht gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Zudem sei eine rückwirkende Einbeziehung der bisher ausgeschlossenen Teilzeitkräfte in die Zusatzversorgung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zu vereinbaren. Auch durch Art. 119 EG- Vertrag und die hierzu beschlossene Protokollerklärung werde eine rückwirkende Anwendung des Gleichheitssatzes auf Beschäftigungszeiten vor dem 17. Mai 1990 ausgeschlossen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben dem Hauptantrag stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter, die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nur teilweise begründet. Die Feststellungsklage ist zulässig. Der Klägerin steht der geltend gemachte Verschaffungsanspruch insoweit zu, als sie rentenversicherungsrechtlich mehr als nur geringfügig beschäftigt war.

A. Ebenso wie in den früheren Rechtsstreitigkeiten hat der Senat davon abgesehen, das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerden gegen die Urteile des Senats vom 7. März 1995 (– 3 AZR 321 und 625/94 –, n.v.) auszusetzen. Die Klägerin hat ein Recht darauf, daß die Fachgerichte ihren Anspruch abschließend beurteilen. Dieses Interesse überwiegt gegenüber den Interessen der Beklagten, weitere Prozeßkosten zu ersparen (vgl. BAG Urteil vom 16. Januar 1996 – 3 AZR 767/94 – AP Nr. 222 zu Art. 3 GG, zu A der Gründe; Urteile vom 12. März 1996 – 3 AZR 988, 989 und 990/94 –, n.v., zu A der Gründe). Dasselbe gilt auch, soweit eine Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf Vorabentscheidungsersuchen mehrerer Landesarbeitsgerichte an den Europäischen Gerichtshof in Betracht kommt (BAG Urteile vom 30. Juli 1996 – 3 AZR 399 und 400/95 –, n.v., zu A der Gründe; Urteile vom 24. September 1996 – 3 AZR 652, 676 und 788/95 und 72/96 –, n.v.).

B. Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Verschaffungsanspruch der Klägerin. Das entspricht dem Prozeßziel, das die Klägerin nach den Formulierungen ihres Klageantrags und der Klagebegründung von Anfang an verfolgt hat. Diese Feststellungsklage ist zulässig.

I. Der auf Feststellung eines Verschaffungsanspruchs gerichtete Antrag ist hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der Verschaffungsanspruch soll dem Grunde nach geklärt werden. Der Zeitraum, für den eine Zusatzversorgung verlangt wird, ist genau bezeichnet. Angaben zur Höhe des Versorgungsanspruchs waren nicht nötig. Die Berechnung und Bezifferung der zu erwartenden Versorgungsrente ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits (vgl. BAG Urteile vom 30. Juli 1996 – 3 AZR 399 und 400/95 –, n.v., zu B II der Gründe).

II. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt.

1. Bei dem geltend gemachten Verschaffungsanspruch handelt es sich um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Ein betriebsrentenrechtliches Rechtsverhältnis wird nicht erst mit Eintritt des Versorgungsfalles, sondern bereits mit dem Entstehen einer Versorgungsanwartschaft begründet (BAG Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu A III 1 der Gründe; Urteil vom 27. Februar 1996 – 3 AZR 886/94 – AP Nr. 28 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu A III 1 der Gründe, beide auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

2. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Bestehens eines Verschaffungsanspruchs. Da die Beklagte die geltend gemachten Versorgungsrechte bestreitet, ist das betriebsrentenrechtliche Rechtsverhältnis durch eine tatsächliche Unsicherheit gefährdet. Ein Bedürfnis für eine alsbaldige Klärung besteht. Die Klägerin kann nicht darauf verwiesen werden, erst nach Eintritt des Versorgungsfalles einen zeitraubenden Prozeß gegen ihren Arbeitgeber über Inhalt und Umfang ihrer Versorgungsrechte zu führen. Meinungsverschiedenheiten über Bestand und Ausgestaltung der Versorgungsrechte müssen möglichst vor Eintritt des Versorgungsfalles geklärt werden, damit die Arbeitnehmer frühzeitig bestehende Versorgungslücken schließen können (BAG Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 –, aaO, zu A III 2 a der Gründe; Urteil vom 27. Februar 1996 – 3 AZR 886/94 –, aaO, zu A III 2 der Gründe). Selbst nach Eintritt des Versorgungsfalles ist eine Feststellungsklage aus prozeßwirtschaftlichen Gründen zulässig (BAG Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 –, aaO, zu A III 2 b der Gründe; zuletzt Urteile vom 24. September 1996 – 3 AZR 652, 676, 788/95 –, n.v., zu B II 2 der Gründe). Dies gilt erst recht vor Eintritt des Versorgungsfalles.

C. Die Klage ist jedoch nur teilweise begründet. Die Beklagte hat der Klägerin die Versorgungsleistungen zu verschaffen, die ihr zustünden, wenn sie auch in der Zeit vom 1. Januar 1977 bis 31. März 1991 bei der VAP versichert gewesen wäre. Soweit die Klägerin im rentenversicherungsrechtlichen Sinne nur geringfügig beschäftigt war (2. Februar 1976 bis 31. Dezember 1976), steht ihr kein derartiger Verschaffungsanspruch zu.

I. Für die Beschäftigungszeit vom 1. Januar 1977 bis zum 31. März 1991 folgt der Verschaffungsanspruch der Klägerin aus § 24 TV Arb. Der Versorgungstarifvertrag konnte Teilzeitkräfte, die im Sinne des Rentenversicherungsrechts mehr als geringfügig beschäftigt wurden, nicht aus der Zusatzversorgung ausnehmen. Diese Einschränkung der Versorgungsverpflichtungen ist wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unwirksam. Dafür gibt es keine einleuchtenden Gründe. Dies hat der Senat mehrfach entschieden (vgl. u.a. BAGE 71, 29, 38 ff. = AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B I 3 c der Gründe; Urteil vom 7. März 1995, aaO, zu B II 2 d der Gründe; Urteil vom 16. Januar 1996 – 3 AZR 767/94 – AP Nr. 222 zu Art. 3 GG, zu C der Gründe; Urteil vom 27. Februar 1996 – 3 AZR 886/94 –, aaO, zu B I 1 der Gründe; Urteile vom 12. März 1996 – 3 AZR 988, 989, 990/94 –, n.v., zu C II der Gründe; Urteil vom 18. Juni 1996 – 3 AZR 228/95 –, n.v., zu C II der Gründe; Urteile vom 30. Juli 1996 – 3 AZR 399 und 400/95 –, n.v., zu C I der Gründe; Urteile vom 24. September 1996 – 3 AZR 652, 676/95 und 72/96 –, n.v., zu C II der Gründe). Daran hält der Senat trotz der von der Beklagten erneut vorgebrachten Bedenken fest.

1. Die Gerichte für Arbeitssachen haben Tarifverträge daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen das Grundgesetz oder zwingendes Gesetzesrecht verstoßen (vgl. BAG Urteil vom 7. März 1995, aaO, zu B II 2 a der Gründe mit eingehender Begründung und weiteren Nachweisen). Auch insoweit besteht kein Anlaß, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen.

2. Der Ausschluß der mehr als geringfügig beschäftigten Teilzeitkräfte wurde den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG nicht gerecht.

a) Der Senat hat bereits in seinen früheren Urteilen den Inhalt des Gleichheitssatzes näher beschrieben und darauf hingewiesen, daß es auf die objektive Sach- und Rechtslage ankommt. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz setzt keinen Schuldvorwurf voraus. Davon ist das Bundesverfassungsgericht auch in neuesten Entscheidungen ausgegangen. So hat es im Beschluß vom 7. November 1995 (– 2 BvR 802/90 – NJW 1996, 833, zu B I 2 der Gründe) darauf abgestellt, daß eine bestimmte Auslegung und Rechtsanwendung „objektiv willkürlich” ist.

b) Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie ändert an der Anwendbarkeit des Gleichheitssatzes nichts. Art. 9 Abs. 3 GG räumt den Tarifvertragsparteien keinen unbeschränkten Regelungsspielraum ein. Auch sie müssen zwingendes übergeordnetes Recht beachten, zu dem die Wertentscheidung des Art. 3 Abs. 1 GG gehört. Wie der Senat im Urteil vom 7. März 1995 (aaO, zu B II 2 der Gründe, m.w.N.) betont hat, muß allerdings die Auslegung der Vorschriften, die den Handlungsspielraum der Tarifvertragsparteien einschränken, der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Tarifautonomie Rechnung tragen. Die Tarifvertragsparteien haben eigenverantwortlich die für ihre Regelungen maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse festzustellen und künftige Entwicklungen einzuschätzen. Jedenfalls vertretbare Analysen und Prognosen haben die staatlichen Gerichte hinzunehmen.

Davon zu unterscheiden ist die rechtliche Bewertung der Verhältnisse (vgl. BAG Urteil vom 17. April 1996 – 3 AZR 774/94 –, n.v., zu II 1 a cc der Gründe). Trotz der besonderen Sachkunde der Tarifvertragsparteien und des ausgewogenen Kräfteverhältnisses kann nicht unterstellt werden, daß ihre Regelungen stets den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG entsprechen. Lassen sich für eine tarifvertragliche Unterscheidung unabhängig davon, von welchen tatsächlichen Annahmen die Tarifvertragsparteien ausgingen, keine einleuchtenden Gründe finden, so ist sie offensichtlich unsachlich. Ein derartiger Verstoß liegt beim Ausschluß der mehr als geringfügig beschäftigten Teilzeitkräfte vor. Dies hat der Senat u.a. in den Urteilen vom 7. März 1995 (aaO) und vom 16. Januar 1996 (aaO) eingehend begründet. Hierauf wird Bezug genommen. Neue Gründe, mit denen sich der Senat bisher noch nicht befaßt hat, hat die Beklagte nicht angeführt.

c) Entgegen der Ansicht der Beklagten hat sich der Inhalt des Art. 3 Abs. 1 GG im Laufe der Zeit nicht geändert. Auch weitverbreitete Rechtsansichten müssen dem objektiven Prüfungsmaßstab des Art. 3 Abs. 1 GG standhalten. Neue Rechtserkenntnisse sind – abgesehen von dem auf Ausnahmefälle beschränkten Vertrauensschutz – uneingeschränkt bei der Rechtsanwendung zu berücksichtigen. Von einem Wandel der Rechtserkenntnisse ist ein Wandel der tatsächlichen Verhältnisse zu unterscheiden. Die tatsächlichen Verhältnisse haben sich jedoch nicht entscheidend geändert (BAG Urteil vom 16. Januar 1996 – 3 AZR 767/94 –, aaO). Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es unerheblich, daß die Zahl der Teilzeitbeschäftigten gestiegen ist und sich die Gründe für die Teilzeitarbeit verschoben haben. Die Rechtsfrage, wie die Teilzeitarbeit rechtlich zu ordnen ist, blieb die gleiche.

II. Der Verstoß der tariflichen Regelung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG führt nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Versorgungsregelung, sondern nur zur Unwirksamkeit des Ausnahmetatbestandes, der die Klägerin ausgrenzte. Damit ist die Grundregel des § 24 TV Arb anzuwenden. Sie begründet den geltend gemachten Anspruch.

III. Dem Verschaffungsanspruch der Klägerin steht kein Rückwirkungsverbot entgegen.

1. Ein europarechtlicher Rückwirkungsschutz besteht im vorliegenden Fall nicht. Insoweit wird auf die Ausführungen in den Urteilen vom 7. März 1995 (aaO, zu B IV 3 der Gründe), vom 16. Januar 1996 (aaO, zu C IV 2 der Gründe), vom 12. März 1996 (aaO, jeweils zu C IV 2 der Gründe), vom 18. Juni 1996 (aaO, zu C IV 2 der Gründe), vom 30. Juli 1996 (aaO, jeweils zu C II 1 der Gründe) und vom 24. September 1996 (– 3 AZR 652/95 –, n.v., zu C IV 2 der Gründe) Bezug genommen. Neue Gesichtspunkte, die zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten, hat die Beklagte nicht vorgebracht.

  1. Die Protokollerklärung zu Art. 119 EG-Vertrag spielt keine Rolle. Art. 119 Abs. 1 EG-Vertrag und die hierzu beschlossene Protokollerklärung regeln den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen. Auf das Geschlecht der Arbeitnehmer kommt es aber für die Entscheidung des Senats nicht an. Die unterschiedliche Behandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten ist unabhängig davon unzulässig, ob Frauen und Männer in unterschiedlichem Umfang betroffen sind.
  2. Die Protokollerklärung zu Art. 119 EG-Vertrag enthält auch keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem jede Rückwirkung in allen Fragen der Ungleichbehandlung bei der Entlohnung ausgeschlossen ist. Weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift bieten hierfür Anhaltspunkte. Die Protokollerklärung bezieht sich auf Art. 119 EG-Vertrag, reagiert auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und beschränkt lediglich die rückwirkende Anwendung des Lohngleichheitsgebots für Männer und Frauen, nicht aber die Anwendung nationaler Gleichheitsgebote für andere Personengruppen. Wie der Senat bereits in den Urteilen vom 18. Juni 1996 (aaO, zu C IV 2 der Gründe), vom 30. Juli 1996 (aaO, jeweils zu C II 1 b der Gründe) und vom 24. September 1996 (– 3 AZR 652/95 –, zu C IV 2 der Gründe) ausgeführt hat, ist diese Auslegung derart offenkundig, daß auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Europäischen Gerichtshof selbst kein Raum für einen vernünftigen Zweifel am Auslegungsergebnis bleiben kann. Auch die ergänzenden Ausführungen der Beklagten geben keinen Anlaß, die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob die Protokollerklärung der Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf zurückliegende Zeiten entgegenstehen kann (Art. 177 EG-Vertrag).
  3. Im übrigen hat der Europäische Gerichtshof in seinen Urteilen vom 28. September 1994 (– Rs C-57/93 – Vroege – EAS Art. 119 EG-Vertrag Nr. 32; – Rs C-128/93 – Fisscher – AP Nr. 56 zu Art. 119 EWG-Vertrag) klargestellt, daß das dem Vertrag über die Europäische Union beigefügte Protokoll Nr. 2 zu Art. 119 EG-Vertrag sogar in dessen Anwendungsbereich keine Auswirkungen auf den Anspruch auf Anschluß an ein Betriebsrentensystem hat, um den es der Klägerin auch im vorliegenden Fall geht. Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 24. Oktober 1996 (– Rs C-435/93 – Dietz – DB 1996, 2444) bestätigt.

2. Ebensowenig führt der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Belastungen zu einem Wegfall oder zu einer Einschränkung des Verschaffungsanspruchs.

a) Die Beklagte kann sich nicht auf die frühere Rechtsprechung zur Behandlung von Teilzeitkräften berufen. Eine Änderung der Rechtsprechung kann nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden mit einer Änderung der objektiven Rechtslage durch neue Gesetze. Grundsätzlich muß der Richter seiner Entscheidung die Rechtserkenntnisse zugrunde legen, die er hier und heute gewinnt (vgl. BAG Urteil vom 16. Januar 1996, aaO, zu C IV 1 der Gründe, und Urteil vom 12. März 1996 – 3 AZR 993/94 – AP Nr. 1 zu § 24 TV Arb Bundespost, zu C I 4 der Gründe). Selbst ein schuldloser Rechtsirrtum des Arbeitgebers führt nicht dazu, daß die Gerichte die objektiv rechtswidrige Benachteiligung einer Personengruppe wider besseres Wissen aufrechterhalten müssen (vgl. BAG Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 –, aaO, zu B IV 2 d aa der Gründe).

b) Auch im vorliegenden Fall kann offenbleiben, ob ein Vertrauen auf die bisherige gerichtliche Gesetzesanwendung überhaupt zu schützen ist. Zumindest sind die dem Arbeitgeber entstehenden Belastungen abzuwägen mit den Interessen der Arbeitnehmer an der Beachtung der zentralen Gerechtigkeitsnorm des Art. 3 Abs. 1 GG. Mit den Belastungen, auf die sich die Beklagte im vorliegenden Fall beruft, hat sich der Senat in den Urteilen vom 7. März 1995 (– 3 AZR 583 und 625/94 –, n.v.), vom 16. Januar 1996 (– 3 AZR 632/94 –, n.v., – 3 AZR 766/94 –, n.v., – 3 AZR 767/94 –, aaO, – 3 AZR 768/94 –, n.v., – 3 AZR 769/94 –, n.v., vom 12. März 1996 (– 3 AZR 988, 989, 990, 991, 992/94 –, n.v., – 3 AZR 993/94 –, aaO), vom 18. Juni 1996 (– 3 AZR 153/95 –, n.v.), vom 30. Juli 1996 (– 3 AZR 399 und 400/95 –, n.v.) und vom 24. September 1996 (– 3 AZR 652, 778/95 – und – 3 AZR 72/96 –, n.v.) auseinandergesetzt und sie nicht für unzumutbar angesehen. Daran hält der Senat fest.

Der besonderen Bedeutung des Gleichheitssatzes entspricht es, daß grundsätzlich auch für zurückliegende Zeiträume gleiche Entgelte für gleiche Arbeit zu zahlen sind und nicht ohne sachlichen Grund bestimmte Personengruppen vorübergehend schlechter behandelt werden, selbst wenn der Verstoß gegen den Gleichheitssatz erst nachträglich erkannt wird (vgl. BAG Urteil vom 16. Januar 1996 – 3 AZR 767/94 –, aaO, zu C IV 1 b der Gründe). Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die erforderlichen Aufwendungen von der Beklagten nicht erwirtschaftet werden könnten oder gar die wirtschaftliche Existenz der Beklagten ernstlich in Frage gestellt wäre (BVerfG Beschluß vom 28. September 1992 – 1 BvR 496/87 – AP Nr. 15 zu Art. 20 GG, zu 2 b cc der Gründe). Durch die nachträgliche Einbeziehung der bisher ausgeschlossenen, mehr als geringfügig beschäftigten Teilzeitkräfte ergeben sich zwar für die Beklagte beträchtliche finanzielle Belastungen und ein erheblicher Verwaltungsaufwand. Die voraussichtlichen Mehrkosten müssen jedoch zu den gesamten Kosten in Beziehung gesetzt werden, die der Arbeitgeber für die Zusatzversorgung, die Vergütungen seiner Arbeitnehmer und die Personalverwaltung aufwenden muß. Außerdem ist – wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat – von Bedeutung, daß die Beklagte nicht gezwungen ist, die sich aus der Anwendung des Gleichheitssatzes ergebenden zusätzlichen Versorgungsansprüche mit Hilfe der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost zu erfüllen. Die Beklagte kann die Erfüllung der Ansprüche insoweit selbst übernehmen und dadurch einen sofortigen größeren Kapitalabfluß vermeiden (BAG Urteil vom 24. September 1996 – 3 AZR 652/95 –, n.v., zu C IV 1 der Gründe).

c) Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es unerheblich, daß die Tarifvertragsparteien die mehr als geringfügig Beschäftigten erst ab 1. April 1991 in die Zusatzversorgung einbezogen und von einer weitergehenden rückwirkenden Anwendung des Gleichheitssatzes absahen. Wie bereits ausgeführt, steht die Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien. Die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) ändert nichts daran, daß auch die Tarifvertragsparteien die grundlegende Wertentscheidung des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten haben und sich auch nicht vorübergehend darüber hinwegsetzen können.

IV. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin aber keinen Anspruch auf Verschaffung einer Zusatzversorgung für ihre Beschäftigungszeit vom 2. Februar 1976 bis zum 31. Dezember 1976.

1. Soweit die Tarifvertragsparteien Teilzeitkräfte, die nur geringfügig beschäftigt werden und deshalb nicht der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegen, von der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst ausgenommen haben, verstößt die Einschränkung der Versorgungspflichten nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, sondern ist wirksam (vgl. BAG Urteil vom 27. Februar 1996 – 3 AZR 886/94 – AP Nr. 28 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu B III der Gründe; BAG Urteil vom 12. März 1996 – 3 AZR 993/94 –, aaO, zu C II 1 der Gründe). Dafür gibt es einleuchtende Gründe. Sie ergeben sich aus dem Zweck der vorliegenden Zusatzversorgung. Sie ist als Gesamtversorgung ausgestaltet und entsprechend ihrer Ergänzungsfunktion mit der gesetzlichen Rentenversicherung verzahnt. Da die Gesamtversorgung aufgrund ihrer Zwecksetzung zwangsläufig das gesetzliche Rentenversicherungsrecht mitberücksichtigt, dürfen die Tarifvertragsparteien auf die rentenversicherungsrechtliche Rechtslage abstellen. Sie sind nicht verpflichtet, sozialversicherungsrechtliche Wertentscheidungen durch teilweise Umgestaltung der betrieblichen Altersversorgung zu korrigieren. Soweit die sozialversicherungsrechtlichen Regelungen geringfügige Beschäftigungen von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht ausgenommen haben, enthalten sie keine europarechtlich unzulässige mittelbare Diskriminierung der Frauen; denn sie sind zur Erreichung sozialpolitischer Ziele erforderlich, die objektiv nichts mit einer Diskriminierung wegen des Geschlechts zu tun haben (vgl. EuGH Urteil vom 14. Dezember 1995 – Rs C-317/93 – Nolte – EuGHE I 1995, 4625 = AP Nr. 1 zu EWG-Richtlinie 79/7).

2. Der Entgeltcharakter der betrieblichen Altersversorgung führt zu keinem anderen Ergebnis (vgl. BAG Urteil vom 27. Februar 1996 – 3 AZR 886/94 –, aaO, zu B III 3 b bb (3) der Gründe). Entgeltcharakter ist nicht gleichbedeutend mit Proportionalität. Gegenleistung für die im aktiven Arbeitsverhältnis erbrachte Arbeitsleistung und Betriebstreue ist nicht eine bestimmte Zusatzrente, sondern die Verbesserung der wirtschaftlichen Existenzsicherung im Alter auf ein bestimmtes über die gesetzliche Grundsicherung hinausgehendes Niveau. Dieser Leistungszweck ist nicht erreichbar, wenn der Arbeitnehmer während der Beschäftigung keine gesetzliche Rente erdient (vgl. BAG Urteil vom 12. März 1996 – 3 AZR 993/94 –, aaO, zu C II 1 der Gründe).

3. Unerheblich ist es, daß die tarifvertraglichen Versorgungsregelungen bis zum 31. März 1991 nicht auf die Geringfügigkeit der Beschäftigung im rentenversicherungsrechtlichen Sinne abstellten, sondern auch umfangreichere Teilzeitbeschäftigungen mit einer Arbeitszeit bis zu 18 Wochenstunden von der Zusatzversorgung ausnahmen. Die Unwirksamkeitsfolge ist bei Tarifnormen unter Berücksichtigung des zum Ausdruck gebrachten Regelungszweckes auf das rechtlich Gebotene zu begrenzen. Dem Sinn und Zweck der von den Tarifvertragsparteien geschaffenen Zusatzversorgung entspricht es, den Ausschluß der Teilzeitkräfte insoweit aufrechtzuerhalten, als sie im rentenversicherungsrechtlichen Sinne geringfügig beschäftigt wurden. Diese Einschränkung trägt dem objektiven Regelungsziel Rechnung und wurde von den Tarifvertragsparteien mit Wirkung zum 1. April 1991 auch ausdrücklich vereinbart. Eine weitergehende Unwirksamkeitsfolge, die zu einer teilweisen Umgestaltung der Zusatzversorgung führen würde, wäre mit der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) nicht zu vereinbaren.

D. Die Kosten des Rechtsstreits sind nach §§ 97, 92 Abs. 1 ZPO verhältnismäßig zu teilen.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Michels, Köhne

 

Fundstellen

Dokument-Index HI951859

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