Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindung oder Umgestaltung der Versorgung; Invaliditätsversorgung; Aufhebungsvertrag; Abfindungsverbot; Umgestaltung der Versorgung; zeitratierliche Kürzung; Berechnung des Zeitwertfaktors; Aussetzung des Verfahrens; Berufungsbegründungsfrist; Umdeutung einer selbständigen Berufung in eine Anschlußberufung; Aufhebungsvertrag; Betriebliche Altersversorgung; Prozeßrecht

 

Leitsatz (amtlich)

  • Das Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG ist nicht anwendbar, wenn die betriebliche Altersversorgung lediglich umgestaltet wird und die neuen Versorgungsleistungen wirtschaftlich gleichwertig sind. Dabei kommt es auf den durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt der getroffenen Vereinbarungen an.
  • § 3 BetrAVG führt nur zur Aufrechterhaltung der bei Abschluß des Abfindungsvertrages bereits bestehenden Versorgungsanwartschaften.
 

Orientierungssatz

  • Die Arbeitsvertragsparteien können ohne Verletzung des Abfindungsverbotes vereinbaren, daß eine Invaliditätsversorgung durch eine entsprechend höhere Altersversorgung abgelöst wird. Ob eine Abfindungsvereinbarung oder eine inhaltliche Umgestaltung der Versorgungszusage vorliegt, ist durch Auslegung der getroffenen Vereinbarungen zu ermitteln. Bei einer bloßen Umgestaltung erfolgt weder eine Zahlung vor Eintritt des Versorgungsfalles noch ein entschädigungsloser Verzicht auf Versorgungsrechte.
  • § 3 BetrAVG sichert die bereits bestehenden Versorgungsanwartschaften, dient aber nicht deren Erhöhung.
  • Wenn Versorgungsberechtigte trotz der erhaltenen Abfindung nach Eintritt des Versorgungsfalles die abgefundene Betriebsrente verlangen, verstößt dies nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), sondern entspricht dem Schutzzweck des § 3 BetrAVG.
  • Beim Zeitwertfaktor nach § 2 Abs. 1 BetrAVG kommt es auf die gesamte Beschäftigungszeit seit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses an. Eine für die Höhe der Vollrente geltende, dem Arbeitnehmer ungünstigere Berechnungsformel kann nicht auf den Zeitwertfaktor des § 2 Abs. 1 BetrAVG übertragen werden (§ 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG).
  • Ist der Rechtsstreit während des Laufs der nach § 66 Abs. 1 ArbGG verlängerten Berufungsbegründungsfrist nach § 246 Abs. 1 ZPO ausgesetzt worden, so kann der Vorsitzende nach Aufnahme des Verfahrens die Berufungsbegründungsfrist, die nach § 249 Abs. 1 ZPO “von neuem” zu laufen beginnt, wiederum einmal auf Antrag verlängern.
  • Die bloße Mitteilung eines Rechtsanwalts, sein Mandant sei verstorben, ist nicht als Aussetzungsantrag auszulegen.
  • Eine nicht rechtzeitig begründete selbständige Berufung kann in eine unselbständige Anschlußberufung umgedeutet werden.
 

Normenkette

BetrAVG § 3 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 17 Abs. 3 S. 3; BGB §§ 133-134, 140, 242, 812 Abs. 1 S. 1, § 814; ZPO § 239 Abs. 1, § 246 Abs. 1-2, § 249 Abs. 1, §§ 250, 717 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Nürnberg (Urteil vom 13.12.2000; Aktenzeichen 4 Sa 919/99)

ArbG Weiden (Urteil vom 27.10.1999; Aktenzeichen 1 Ca 286/99)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 13. Dezember 2000 – 4 Sa 919/99 – unter Zurückweisung der Revision im übrigen insoweit aufgehoben, als die Klage in Höhe weiterer 49,67 DM monatlich abgewiesen worden ist und die Kläger auf die erstinstanzlich erhobene Widerklage hin zur Rückzahlung weiterer 248,35 DM und auf die zweitinstanzlich erhobene Widerklage hin zur Rückzahlung weiterer 695,38 DM verurteilt worden sind.
  • Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Weiden vom 27. Oktober 1999 – 1 Ca 286/99 – wie folgt abgeändert:

    Die Klage wird in Höhe weiterer 1.345,83 DM (für den Zeitraum November 1998 bis Januar 1999) nebst 4 % Zinsen aus 448,61 DM seit 1. Dezember 1998, aus 448,61 DM seit 1. Januar 1999 und aus 448,61 DM seit 1. Februar 1999 abgewiesen.

    Die Klage wird weiterhin abgewiesen, soweit die Beklagte verurteilt wurde, beginnend mit dem 1. März 1999 bis zum 1. Januar 2000 (für den Zeitraum Februar 1999 bis Dezember 1999) 448,61 DM an jedem 1. des Monats nebst 4 % Zinsen seit diesem Tage zu bezahlen.

    Auf die in 1. Instanz erhobene Widerklage werden die Kläger als Gesamtschuldner verurteilt, an die Beklagte weitere 2.243,05 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit 29. März 1999 zu zahlen.

    Auf die in 2. Instanz erhobene Widerklage werden die Kläger als Gesamtschuldner verurteilt, an die Beklagte 6.280,54 DM nebst 4 % Zinsen seit 18. April 2000 zu zahlen.

    Im übrigen wird die in 2. Instanz erhobene Widerklage abgewiesen.

  • Die weitergehende Berufung der Beklagten und die Berufung der Kläger werden zurückgewiesen.
  • Die Kosten der Revision haben die Kläger als Gesamtschuldner zu tragen.

    Von den bis zur Stellung der Anträge in der Berufungsverhandlung entstandenen Kosten des 2. Rechtszugs haben die Kläger als Gesamtschuldner 1/4 und die Beklagte 3/4 zu tragen. Von den übrigen Kosten des 2. Rechtszugs haben die Kläger als Gesamtschuldner 1/5 und die Beklagte 4/5 zu tragen.

    Von den Kosten des 1. Rechtszugs haben die Kläger als Gesamtschuldner 1/3 und die Beklagte 2/3 zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine betriebliche Invaliditätsversorgung und die von der Beklagten im Wege der Widerklage geltend gemachten Rückzahlungsansprüche.

Die nunmehrigen Kläger sind die Erben des am 17. Juni 1943 geborenen und am 15. Dezember 1999 verstorbenen G. Er war vom 9. April 1959 bis zum 31. Januar 1998 bei der Beklagten beschäftigt. Sie hatte sich in der Versorgungszusage vom 16. April 1982 zur Zahlung der in ihrer Pensionsordnung geregelten Betriebsrente verpflichtet. § 10 der Pensionsordnung wurde jedoch durch folgende Bestimmung ersetzt:

“Als Alterspension, vorgezogene Alterspension oder Invalidenpension erhalten Sie nach vollendetem 5. Dienstjahr 9 v. H. des pensionsfähigen Einkommens. Bis zum vollendetem 35. Dienstjahr steigt der Pensionsanspruch mit jedem weiteren vollen Dienstjahr um 0,9 v. H.

Der dann erreichte Satz von 36 v. H. bleibt bestehen. “

Die Berechnungsvorschriften der Pensionsordnung lauten auszugsweise:

“ § 4

Anrechenbare Dienstzeit

  • Als Dienstzeit für die Pensionsberechnung gilt diejenige Zeit, die der Mitarbeiter nach Vollendung seines 25. Lebensjahres ununterbrochen im Unternehmen tätig gewesen ist, soweit diese Zeit nicht Ausbildungszeit oder befristete Aushilfstätigkeit war.

§ 13

Unverfallbare Anwartschaft bei vorzeitigem Ausscheiden

  • Die Höhe des unverfallbar werdenden Pensionsanspruhs errechnet sich nach den Bestimmungen von § 2 des Gesetzes über die Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung; d. h. die Höhe der Pension entspricht dem Teil der mit Vollendung des 65. Lebensjahres zustehenden Leistungen, der sich aus dem Verhältnis der Dauer der Betriebszugehörigkeit zu der Zeit vom Beginn der Betriebszugehörigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres ergibt.
  • …”

Die Beklagte, die eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses anstrebte, teilte Herrn G mit Schreiben vom 28. Mai 1997 mit:

“…

Lassen Sie mich noch einmal darlegen, daß die finanzielle Regelung, die Ihnen angeboten wurde, 3 Perioden umfaßt:

- 32 Monate der ‘Arbeitslosigkeit’ mit Bezug von Arbeitslosenunterstützung. Diese in Verbindung mit der Auffüllung durch D auf 85 % Ihres letzten Nettoeinkommens gestattet Ihnen zweifellos die Beibehaltung Ihres gewohnten Lebensstils, von dem Freizeitgewinn ganz abgesehen. Die Hochrechnung der Differenz von 154 TDM netto auf 193 TDM brutto unter Berücksichtigung eines Freibetrags von 30 TDM und des halben Steuersatzes für den Restbetrag ist sicher zwischen uns nicht strittig. Die Einbindung weiterer Entgeltkomponenten in die Abfindung ist nur bedingt in Verbindung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu sehen. Sie dient im wesentlichen der Verbesserung Ihrer steuerlichen Situation – verglichen mit der normalen Bruttoauszahlung – und verschafft Ihnen dadurch einen Vorteil von ca. 8 TDM. Ihrem Wunsch auf Aufstockung der Tantieme und des Zuschusses zur Direktversicherung wird D entgegenkommen und somit einen weiteren Beitrag zur Alterssicherung leisten. Bezüglich des Jubiläumsgelds ist zu bemerken, daß dieses vorzeitig und ohne Rechtsanspruch in dem Fall gezahlt wird, daß das Arbeitsverhältnis vor dem errechneten Jubiläumstag im Jahre 1999 endet.

Das Abfindungsangebot für diese Periode hat damit folgenden Umfang:

- Für die 33 Monate der Zeit bis zur Fälligkeit des vorgezogenen Altersruhegelds im Normalfall haben wir Ihnen angeboten, Sie so zu behandeln, als sei der Rentenfall bereits eingetreten und als hätten Sie bereits Anspruch auf die volle Firmenpension von max. 4.302 DM. Auf Ihre Frage hatte ich Ihnen zugesagt, daß eine Erwerbsunfähigkeitsrente der BfA, die Ihnen in dieser Zeit evtl. gewährt wird, auf diese Zahlung nicht angerechnet werden soll. Zu keinem Zeitpunkt konnte davon die Rede sein, daß D in dieser Periode quasi zweimal Rente zahlen wird. Dies wäre in Verbindung mit der BfA-Rente sicher auch völlig unmaßstäblich. Realistischerweise kann man davon ausgehen – und jüngste Erfahrungen aus dem LA-Kreis beweisen dies – daß selbst in etwas höherem Alter durchaus noch Chancen bestehen, berufliche Kenntnisse und Know how anderweitig zu verwerten und daraus Einkommen zu erzielen. Aber auch die Erlangung einer EU-Rente ist wahrscheinlich bereits in Ihre Überlegungen eingegangen.

Eine laufende Rentenzahlung durch D in dieser Zeit verbietet sich aus steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Gründen. Deswegen ist es am günstigsten, die Zahlungen als Einmalbetrag in die Abfindung einzubinden. Sie kommen dabei zusätzlich in den Genuß, vorzeitig über das Geld zu verfügen und daraus Zinsvorteile zu schöpfen. D ist darüber hinaus bereit, den Basisbetrag auf 4.500 DM zu erhöhen, so daß sich die o.a. Abfindungssumme um 148.500 DM auf 387.000 DM erhöhen würde.

- Mit Vollendung des 60. Lebensjahrs (dies bedarf wegen der möglichen vorzeitigen EU-Rente nochmals einer eindeutigen Vereinbarung) erhalten Sie dann von D die vorgezogene Altersrente. Bei der Berechnung verzichtet D auf das Recht, versicherungsmathematische Abschläge vorzunehmen oder gar bei Ausstellung einer Unverfallbarkeitsbescheinigung ratierlich vorzugehen. Ferner kommen wir Ihnen in der Höhe der Pension insofern noch entgegen, daß wir die zwischenzeitliche Gehaltsentwicklung mitberücksichtigen. Es besteht somit die Bereitschaft, vertraglich Ihren Pensionsanspruch mit 4.500 DM/Monat festzusetzen, der später nach den Vorschriften des Betriebsrentengesetzes dynamisiert wird.

…”

Daraufhin kam es zum Abschluß des Vertrages vom 29. Mai 1997. Darin sagte die Beklagte im Zusammenhang mit ihrer betriebsbedingten Kündigung zum 31. Januar 1998 als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Bruttoabfindung in Höhe von 391.500 DM und die Freistellung von der Arbeitspflicht für die Zeit vom 1. Oktober 1997 bis zum 31. Januar 1998 unter Weiterzahlung des Gehalts zu. Nr. 3 dieses Vertrages enthält folgende betriebsrentenrechtliche Vereinbarungen:

“ Bei Eintritt der vorgezogenen gesetzlichen Altersrente mit Vollendung des 60. Lebensjahres erhalten Sie als Firmenpension monatlich brutto DM 4.500,-- (in Worten: viertausendfünfhundert Deutsche Mark).

Die künftige Überprüfung der Firmenpension ist in den Bestimmungen des Betriebsrentengesetzes geregelt.

Falls vor dem 60. Lebensjahr eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente durch den Rentenversicherungsträger gewährt wird, führt dies in Abänderung des § 8 Abs. 1 der einzelvertraglichen Pensionszusage vom 01.09.76 nicht zum Anspruch auf eine betriebliche Invalidenpension.”

Mit Bescheid vom 17. September 1998 wurde Herrn G rückwirkend ab 1. Juni 1998 die gesetzliche Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt. Als er mit Schreiben vom 29. September 1998 von der Beklagten die betriebliche Invaliditätsrente verlangte, zahlte sie ihm für die Monate Juni bis einschließlich Oktober 1998 insgesamt 22.500,00 DM (= 5x 4.500,00 DM). Mit Schreiben vom 16. November 1998 stellte sie die Zahlungen ab 1. November 1998 ein und forderte die bereits überwiesenen Beträge von ihm zurück. Im Februar 1999 hat er Klage erhoben. Am 15. Dezember 1999 ist er verstorben.

Die nunmehrigen Kläger als seine Erben haben die Auffassung vertreten, Herrn G habe eine Invaliditätsrente von monatlich 4.302,00 DM zugestanden. Der Ausschluß der Invaliditätsversorgung in Nr. 3 des Vertrages vom 29. Mai 1997 verstoße gegen § 3 BetrAVG. Herr G habe 38 Dienstjahre und damit die höchstmögliche Betriebsrente erreicht. Sie belaufe sich auf 36 % des pensionsfähigen Einkommens von 11.950,00 DM. Auch die vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegenden Dienstjahre seien zu berücksichtigen. Die in § 13 Abs. 3 der Pensionsordnung vorgesehene ratierliche Kürzung bei vorzeitigem Ausscheiden müsse nach den getroffenen Vereinbarungen unterbleiben. Die Beklagte könne nicht die Rückzahlung der für die Monate Juni bis Oktober 1998 gezahlten Invaliditätsrenten verlangen. Einem Rückzahlungsanspruch stehe zumindest § 814 BGB entgegen. Die Beklagte könne auch nicht einen Teil der Abfindung zurückfordern. Denn lediglich der Verzicht auf die Invaliditätsversorgung sei unwirksam. § 817 Satz 2 BGB schließe eine Rückforderung des für den Wegfall der Invaliditätsversorgung gezahlten Teils der Abfindung aus. Die Kläger haben zuletzt sinngemäß beantragt,

  • die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger insgesamt 60.228,00 DM für die Zeit von November 1998 bis einschließlich Dezember 1999 nebst 4 % Zinsen aus jeweils 4.302,00 DM seit 1. Dezember 1998, 1. Januar 1999, 1. Februar 1999, 1. März 1999, 1. April 1999, 1. Mai 1999, 1. Juni 1999, 1. Juli 1999, 1. August 1999, 1. September 1999, 1. Oktober 1999, 1. November 1999, 1. Dezember 1999 und 1. Januar 2000 zu zahlen,
  • die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte hat sinngemäß beantragt,

  • die Klage abzuweisen,
  • die Kläger und Widerbeklagten zu verurteilen, an die Beklagten und Widerkläger insgesamt 22.500,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 29. März 1999 und weitere 46.676,70 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 18. April 2000 zu zahlen,
  • hilfsweise: die Kläger und Widerbeklagten zu verurteilen, der Beklagten und Widerklägerin von der gewährten Abfindung 53.879,63 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 18. April 2000 zurückzuzahlen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch auf Invaliditätsversorgung habe nach Nr. 3 des Vertrages vom 29. Mai 1997 nicht bestanden. Die in dieser Vereinbarung enthaltene Änderung der Versorgungszusage habe nicht gegen § 3 BetrAVG verstoßen. Die Kläger müßten die für die Monate Juni bis Oktober 1998 irrtümlich gewährten Invaliditätsrenten zurückzahlen. Die Rückforderung sei nicht nach § 814 BGB ausgeschlossen. Außerdem müßten die Kläger das zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem arbeitsgerichtlichen Urteil Geleistete – 46.676,70 DM – erstatten. Im übrigen sei die Klageforderung nicht richtig berechnet. Dementsprechend sei die Widerklageforderung zumindest teilweise begründet. Da nach § 4 der Pensionsordnung die Dienstzeit erst nach Vollendung des 25. Lebensjahres zähle, sei nur eine Dienstzeit von 29 Jahren zu berücksichtigen. Die Invaliditätsrente des Herrn G hätte sich ohne sein vorheriges Ausscheiden allenfalls auf 11.950,00 DM x 30,6 % = 3.656,70 DM monatlich belaufen. Wegen des vorzeitigen Ausscheidens sei diese Invaliditätsrente zeitratierlich im Verhältnis der 38 erreichten Beschäftigungsjahre zu den 49 erreichbaren Beschäftigungsjahren, also um 77,55 % auf 2.835,77 DM zu kürzen. Dies ergebe für die 19 Monate von Juni 1998 bis Dezember 1999 einen Gesamtbetrag von 53.879,63 DM. Falls die Beklagte in dieser Höhe zur Zahlung von Invaliditätsrente verpflichtet sei, könne sie insoweit die geleistete Abfindung zurückverlangen. Eine etwaige Nichtigkeit des in Nr. 3 des Vertrages vom 29. Mai 1997 enthaltenen Verzichts auf Invaliditätsversorgung erfasse auch die vereinbarte Abfindungshöhe. Eine Teilnichtigkeit widerspreche dem unmißverständlich zum Ausdruck gebrachten Willen der Vertragspartner. Bereits durch die Abfindung sei Herr G so gestellt worden, als habe er von seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres eine Betriebsrente bezogen.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 10.002,15 DM für die Monate November 1998 bis einschließlich Januar 1999 und von monatlich 3.334,05 DM für die Zeit danach verurteilt. Der Widerklage auf Rückzahlung der bereits gewährten 22.500,00 DM hat es in Höhe von 5.829,75 DM stattgegeben. Im übrigen sind Klage und Widerklage abgewiesen worden. Beide Parteien haben Berufung eingelegt und den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt, als Herr G Invaliditätsrente für die Zeit ab Januar 2000 eingeklagt hatte. Die Berufung der Kläger ist erfolglos gewesen. Auf die Berufung der Beklagten ist das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert worden. Den Klägern ist nur noch eine Betriebsrente in Höhe von 2.835,77 DM monatlich zugesprochen worden. Als Widerbeklagte sind die Kläger verurteilt wurden, an die Beklagte weitere 2.491,40 DM von den für Juni bis einschließlich Oktober 1998 bereits gezahlten Invaliditätsrenten und außerdem 6.975,92 DM von den für November 1998 bis Dezember 1999 zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleisteten 46.676,70 DM zurückzuzahlen. Die hilfsweise Widerklage der Beklagten auf Rückzahlung eines Teils der Abfindung hat das Landesarbeitsgericht abgewiesen. Die Kläger möchten mit ihrer Revision erreichen, daß ihrer Klage in vollem Umfang stattgegeben und die Widerklage in vollem Umfang abgewiesen wird.

 

Entscheidungsgründe

Da die Beklagte keine Revision eingelegt hat, ist bereits durch das Berufungsurteil rechtskräftig entschieden, daß die Kläger die ihnen vom Landesarbeitsgericht zuerkannten Rentenansprüche haben und der Beklagten die vom Landesarbeitsgericht abgewiesenen Widerklageforderungen nicht zustehen. Im Revisionsverfahren sind lediglich die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche auf eine höhere Invaliditätsrente und die der Beklagten zugesprochenen Rückzahlungsansprüche anhängig. Die Revision der Kläger ist insoweit begründet, als dem Berufungsgericht bei der zeitratierlichen Kürzung nach § 2 Abs. 1 BetrAVG ein Berechnungsfehler unterlaufen ist. Entsprechend fällt auch die Rückzahlungspflicht der Kläger etwas geringer aus.

  • Soweit das Berufungsurteil angegriffen ist, unterliegt es einer Sachprüfung. Sowohl die Berufung der Kläger als auch die Berufung der Beklagten sind zulässig gewesen.

    • Die Beklagte hat ihre Berufung fristgerecht eingelegt und begründet. Ihre Berufungsbegründungsfrist war durch Beschluß des Landesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 1999 bis zum 19. Januar 2000 verlängert worden. Am 15. Dezember 1999 verstarb Herr G. Auf Antrag der Beklagtenvertreter vom 17. Januar 2000 hat das Landesarbeitsgericht mit Beschluß vom 17. Januar 2000 die Aussetzung des Verfahrens nach § 246 Abs. 1 ZPO angeordnet. Mit der Aussetzung hat der Lauf der Berufungsbegründungsfrist aufgehört (§ 249 Abs. 1 ZPO). Die Aussetzung des Verfahrens dauert nach § 246 Abs. 2 iVm. § 239 Abs. 1 ZPO bis zur Aufnahme des Verfahrens durch die Rechtsnachfolger. Die Aufnahme eines ausgesetzten Verfahrens erfolgt nach § 250 ZPO durch Zustellung eines bei Gericht einzureichenden Schriftsatzes. Die Kläger als Erben des Herrn G haben mit Schriftsatz vom 17. Februar 2000, der Beklagten zugestellt am 23. Februar 2000, das Verfahren aufgenommen. Da mit der Zustellung dieses Schriftsatzes die Berufungsbegründungsfrist nach § 249 Abs. 1 ZPO “von neuem” zu laufen begonnen hatte, stand der Beklagten wieder die volle Berufungsbegründungsfrist einschließlich der gesetzlichen Verlängerungsmöglichkeit zur Verfügung. Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung hat die Berufungsbegründungsfrist einen Monat betragen. Sie konnte nach § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG aF (= § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG nF) vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden. Mit Beschluß vom 14. März 2000 ist die Berufungsbegründungsfrist der Beklagten auf ihren Antrag vom 13. März 2000 bis einschließlich 25. April 2000 verlängert worden. Diese Fristverlängerung ist zu Recht erfolgt. Beim Verlängerungsantrag vom 13. März 2000 hat es sich bezogen auf die neue Berufungsbegründungsfrist um den ersten gehandelt. Der Verlängerungsantrag der Beklagten vom 14. Dezember 1999 hat keine Rolle mehr gespielt. Er hatte sich auf die frühere Berufungsbegründungsfrist bezogen. Die Berufungsbegründung der Beklagten ist am 17. April 2000 und damit rechtzeitig beim Landesarbeitsgericht eingegangen.
    • Die Kläger haben eine zulässige Anschlußberufung eingelegt. Unerheblich ist es, daß sie die Begründungsfrist für eine selbständige Berufung nicht eingehalten haben.

      • Das Urteil des Arbeitsgerichts ist Herrn G am 29. Oktober 1999 zugestellt worden. Seine Berufung ist fristgerecht am 26. November 1999 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Sie ist jedoch nicht innerhalb der Einmonatsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG aF begründet worden. Die Berufungsbegründungsfrist hat nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG aF iVm. § 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO aF mit der Einlegung der Berufung begonnen und am 27. Dezember 1999 geendet. Da Herr G durch Prozeßbevollmächtigte vertreten war, ist nach § 246 Abs. 1 ZPO durch seinen Tod keine Unterbrechung des Verfahrens eingetreten. Die bloße Mitteilung der Klägervertreter vom 21. Dezember 1999, ihr Mandant sei verstorben, ist nicht als Aussetzungsantrag auszulegen (vgl. BGH 3. März 1993 – XII ZR 243/92 – VersR 1993, 1375 f., zu II 2 der Gründe). Als das Verfahren auf Antrag des Beklagtenvertreters mit Beschluß vom 17. Januar 2000 ausgesetzt worden ist, war die Berufungsbegründungsfrist des Klägers bereits abgelaufen. Da der Aussetzungsbeschluß keine Rückwirkung hat (vgl. BGH 9. März 1987 – II ZB 10/86 – NJW 1987, 2379 f., zu II der Gründe), ist er für eine bereits vor seinem Erlaß abgelaufene Frist ohne Bedeutung.
      • Eine nicht rechtzeitig begründete selbständige Berufung kann jedoch in eine unselbständige Anschlußberufung umgedeutet werden. § 140 BGB ist auch im Verfahrensrecht analog anwendbar (vgl. ua. BGH 6. Mai 1987 – IVb ZR 51/86 – BGHZ 100, 383, 387). In aller Regel entspricht es dem mutmaßlichen Parteiwillen, eine unzulässige Hauptberufung oder eine unzulässige selbständige Anschlußberufung als zulässige unselbständige Anschlußberufung aufrechtzuerhalten (BGH 27. April 1995 – VII ZR 218/94 – NJW 1995, 2362 f., zu I 2 der Gründe). Ein anders zu beurteilender Ausnahmefall liegt nicht vor. Der Berufungsbegründung vom 17. Februar 2000 ist zu entnehmen, daß die Kläger auf jeden Fall Berufung einlegen wollten. Ihren zum Ausdruck gebrachten Interessen und Vorstellungen entspricht es, die mit Schriftsatz vom 24. November 1999 eingelegte, unzulässig gewordene eigenständige Berufung als zulässige unselbständige Anschlußberufung zu retten. Der Schriftsatz der Kläger vom 17. Februar 2000 entspricht den nach § 522 a ZPO aF an eine zulässige Anschlußberufung zu stellenden Anforderungen. In der nachträglichen Begründung ist eine Wiederholung der Berufung zu sehen (BAG 6. September 1994 – 9 AZR 92/93 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 50 = EzA BUrlG § 11 Nr. 34, zu I 1c der Gründe).
  • Die Ansprüche des Herrn G auf Invaliditätsrente für die Monate November 1998 bis einschließlich Dezember 1999 sind nach §§ 1922, 2032 BGB auf die Kläger als seine Erben übergegangen. Nach der Versorgungszusage der Beklagten vom 16. April 1982 besteht ein Anspruch auf Invaliditätsrente. Der in Nr. 3 des Vertrages vom 29. Mai 1997 vereinbarte Ausschluß der Invaliditätsversorgung bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres ist nach § 134 BGB iVm. § 3 Abs. 1 BetrAVG unwirksam.

      • Unter den sachlichen Geltungsbereich des § 3 BetrAVG fallen auch Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Verrechnung künftiger Rentenansprüche mit einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes (BAG 24. März 1998 – 3 AZR 800/96 – BAGE 88, 212, 214 f.; 21. März 2000 – 3 AZR 127/99 – AP BetrAVG § 3 Nr. 9 = EzA BetrAVG § 3 Nr. 6, zu II 1 der Gründe). Das betriebsrentenrechtliche Abfindungsverbot will sicherstellen, daß den Versorgungsberechtigten die zugesagte Betriebsrente bei Eintritt des Versorgungsfalles auch tatsächlich zur Verfügung steht (vgl. ua. Andresen/Förster/Rößler/Rühmann Arbeitsrecht der betrieblichen Altersversorgung Stand 1. August 1999 Teil 10D Rn. 2; Blomeyer/Otto BetrAVG 2. Aufl. § 3 Rn. 2; Höfer BetrAVG Stand August 2001 § 3 Rn. 2073; Griebeling Betriebliche Altersversorgung Rn. 422). Die Arbeitnehmer sollen davon abgehalten werden, die vor Eintritt des Versorgungsfalles ausgezahlte Geldsumme für die Vermögensbildung oder den Konsum statt für die vorgesehene Versorgung zu verwenden. Nach dem Normzweck kommt es nicht auf die formale Ausgestaltung an. Entscheidend ist, ob im wirtschaftlichen Ergebnis eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft abgefunden wird. Nach diesen Kriterien ist in der vereinbarten Entschädigung von 391.500,00 DM eine Abfindung für die bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres zugesagte Invaliditätsversorgung enthalten.
      • Abfindungen und die ebenfalls von § 3 BetrAVG erfaßten Teilverzichte sind von Umgestaltungen der zugesagten Versorgung abzugrenzen. Das Abfindungsverbot ist nicht anwendbar, wenn die Versorgung lediglich inhaltlich verändert wird und die neuen Versorgungsleistungen wirtschaftlich gleichwertig sind. Bei der bloßen Umgestaltung erfolgt weder eine Zahlung vor Eintritt des Versorgungsfalles noch ein entschädigungsloser Verzicht auf Versorgungsrechte. Die Arbeitsvertragsparteien können anläßlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Verletzung des Abfindungsverbotes vereinbaren, daß eine Invaliditätsversorgung durch eine entsprechend höhere Altersversorgung abgelöst wird. Ob eine Abfindungsvereinbarung oder eine inhaltliche Veränderung der Versorgungszusage vorliegt, ist durch Auslegung der getroffenen Vereinbarungen zu ermitteln. Im vorliegenden Fall sollte nach dem Willen der Vertragspartner der Wegfall der Invaliditätsversorgung bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres nicht durch eine Erhöhung der Altersrente, sondern durch einen Teil der vereinbarten Entschädigung ausgeglichen werden.

        • Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Ein übereinstimmender Wille der Vertragspartner ist auch dann maßgebend, wenn er in der Vertragsurkunde keinen oder nur unzulänglichen Ausdruck fand (ständige Rechtsprechung, vgl. ua. BAG 22. Oktober 1969 – 3 AZR 53/69 – BAGE 22, 169, 174; BGH 20. November 1997 – IX ZR 152/96 – NJW 1998, 746, 747, zu II 2 der Gründe mwN). Im schriftlichen Vertrag vom 29. Mai 1997 ist die Gegenleistung für den Wegfall der Invaliditätsversorgung nicht ausdrücklich genannt. Grundlage dieses Vertrages ist das Schreiben der Beklagten vom 28. Mai 1997. Darin sind sowohl der Zweck und die Berechnung der vereinbarten Zahlungen als auch die Gründe für den Wegfall der Invaliditätsversorgung im einzelnen erläutert. Danach sind etwaige Ansprüche auf Invaliditätsversorgung bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres ausschließlich durch die vereinbarte Entschädigung abgegolten.
        • Ohne die Ergänzung der Versorgungszusage durch Nr. 3 Satz 1 des Vertrages vom 29. Mai 1997 wäre auf Grund der Veränderungssperre des § 13 Abs. 3 der Pensionsordnung iVm. § 2 Abs. 5 BetrAVG das pensionsfähige Gehalt bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses die maßgebliche Bemessungsgrundlage geblieben. Außerdem hätte der Versorgungsberechtigte nach § 13 Abs. 3 der Pensionsordnung iVm. § 2 Abs. 1 BetrAVG eine zeitratierliche Kürzung der Betriebsrente hinnehmen müssen. Diese betriebsrentenrechtlichen Nachteile des vorzeitigen Ausscheidens sollten weitgehend vermieden und damit ein Anreiz zur einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschaffen werden. Die Beklagte verzichtete bei der ab Vollendung des 60. Lebensjahres zu zahlenden vorgezogenen Altersrente auf die zeitratierliche Kürzung und erhöhte den Pensionsanspruch auf monatlich 4.500,00 DM. Im vorletzten Absatz des Schreibens vom 28. Mai 1997 wird hierzu ausgeführt, daß mit dieser Anhebung die zwischenzeitliche Gehaltsentwicklung zwischen dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis und der Vollendung des 60. Lebensjahres berücksichtigt wird. Mit dem Wegfall der Invaliditätsversorgung bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres haben diese Verbesserungen nichts zu tun.
        • Auf S 2 Abs. 2 des Schreibens vom 28. Mai 1997 ist die finanzielle Abwicklung für die Zeit nach Auslaufen der “Arbeitslosenunterstützung” bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres dargestellt. In diesen 33 Monaten sollte Herr G so behandelt werden, als sei der Rentenfall bereits eingetreten. Die Rente wurde ebenso wie nach dem vollendeten 60. Lebensjahr mit 4.500,00 DM monatlich angesetzt. Von einer laufenden Rentenzahlung wurde jedoch “aus steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Gründen” abgesehen. Stattdessen wurde die Abfindung um 33x 4.500,00 DM = 148.500,00 DM erhöht. Die laufenden Rentenzahlungen wurden “als Einmalbetrag in die Abfindung einbezogen”. Da die Beklagte für die Zeit bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres nicht “quasi zweimal Rente zahlen” wollte, sollte Herr G neben der erhöhten Abfindung keine Invaliditätsversorgung bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres erhalten. Dies bedeutet im Ergebnis, daß die bis zum 60. Lebensjahr entstehenden Ansprüche auf Invaliditätsrente kapitalisiert wurden. Das Kapital floß Herrn G schon vor Eintritt der Invalidität zu. Er war nicht gehindert, das Geld für andere Zwecke als die Invaliditätsversorgung zu verwenden. Laut Schreiben vom 28. Mai 1997 sollte er “in den Genuß kommen, vorzeitig über das Geld zu verfügen”. Gerade dies will § 3 BetrAVG verhindern.
        • Unerheblich ist es, daß die Abfindungsvereinbarung nur den Versorgungsfall Invalidität und die bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres entstehenden Betriebsrentenansprüche betrifft. § 3 BetrAVG verbietet nach seinem Wortlaut und Schutzzweck nicht nur die vollständige Abfindung aller Versorgungsrechte, sondern auch Teilabfindungen (BAG 17. Oktober 2000 – 3 AZR 7/00 – AP BetrAVG § 3 Nr. 10 = EzA BetrAVG § 3 Nr. 7, zu B II 2b dd der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Von diesem Grundsatz weicht die Ausnahmeregelung des seit dem 1. Januar 1999 geltenden § 3 Abs. 1 Satz 4 BetrAVG ab. Nach dieser Vorschrift kann dem Arbeitnehmer für den Teil einer Anwartschaft, der während eines Insolvenzverfahrens erdient worden ist, ohne seine Zustimmung eine einmalige Abfindung gewährt werden, wenn die Betriebstätigkeit vollständig eingestellt und das Unternehmen liquidiert wird. Eine vergleichbare Sach- und Interessenlage liegt nicht vor.
      • Wenn Versorgungsberechtigte trotz der erhaltenen Abfindung nach Eintritt des Versorgungsfalles die abgefundene Betriebsrente verlangen, verstößt dies nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), sondern entspricht dem Schutzzweck des § 3 BetrAVG. Allenfalls kommen Bereicherungsansprüche des Arbeitgebers in Betracht. Das Landesarbeitsgericht hat den von der Beklagten durch Widerklage hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung eines Teils der Abfindung abgewiesen. Da die Beklagte keine Revision eingelegt hat, ist dieser Widerklageantrag nicht mehr anhängig.
    • Den Klägern steht eine monatliche Invaliditätsrente in Höhe von 2.885,44 DM zu, während das Landesarbeitsgericht ihnen 2.835,77 DM zugesprochen hat. Der Unverfallbarkeitsfaktor ist etwas höher als im Berufungsurteil angenommen. Im übrigen hat das Landesarbeitsgericht die Invaliditätsrente richtig berechnet.

      • § 3 BetrAVG führt nur zur Aufrechterhaltung der bei Abschluß des Abfindungsvertrages bereits bestehenden Versorgungsanwartschaften, nicht aber zu deren Erhöhung. Bei Abschluß des Vertrages vom 29. Mai 1997 stand Herrn G eine Anwartschaft auf Invaliditätsversorgung zu, deren Höhe sich nach der Versorgungszusage vom 16. April 1982 und den übernommenen Regelungen der Pensionsordnung richtete. § 13 Abs. 3 der Pensionsordnung enthält keine eigenständigen Berechnungsvorschriften für die unverfallbaren Anwartschaften bei vorzeitigem Ausscheiden, sondern verweist auf § 2 BetrAVG. Nach § 2 Abs. 1 BetrAVG ist zunächst die Invaliditätsrente zu ermitteln, die dem Versorgungsberechtigten ohne sein vorzeitiges Ausscheiden zugestanden hätte. Dabei ist die Veränderungssperre des § 2 Abs. 5 BetrAVG zu berücksichtigen. Die so errechnete Vollrente ist zeitanteilig zu kürzen, und zwar im Verhältnis der beim Ausscheiden tatsächlich erreichten Betriebszugehörigkeit zu der bis zum 65. Lebensjahr erreichbaren Betriebszugehörigkeit.
      • Die volle Rente des Klägers belief sich nach der Versorgungszusage vom 16. April 1982 iVm. der Pensionsordnung der Beklagten unter Berücksichtigung der Veränderungssperre des § 2 Abs. 5 BetrAVG auf 3.656,70 DM.

        • Nach § 10 der Pensionsordnung hängt der für die Versorgungsleistungen maßgebliche Prozentsatz von den bei Eintritt des Versorgungsfalles erreichten Dienstzeiten ab. Die Versorgungszusage vom 16. April 1982 verbesserte lediglich die Prozentsätze, hielt jedoch ansonsten an dem in der Pensionsordnung geregelten Versorgungssystem fest. Die Formulierungen in § 10 der Pensionsordnung und in der einzelvertraglichen Modifizierung durch die Versorgungszusage vom 16. April 1982 stimmen abgesehen vom Prozentsatz wörtlich überein. Auch § 10 der Pensionsordnung spricht von “Dienstjahr”. Eine Definition des Begriffs Dienstjahr fehlt in § 10 der Pensionsordnung. Aus der Regelungssystematik der Pensionsordnung ergibt sich, daß mit Dienstjahren die anrechnungsfähige Dienstzeit gemeint ist.

          Nach § 2 Abs. 2 der Pensionsordnung richtet sich die Höhe der Versorgungsleistungen nach der anrechnungsfähigen Dienstzeit (§ 4) und dem pensionsfähigen Einkommen. Auf diesen beiden Berechnungsgrundlagen bauen sowohl § 10 der Pensionsordnung als auch die Versorgungszusage vom 16. April 1982 auf. Ohne Einschränkung bestimmt § 4 der Pensionsordnung, daß als “Dienstzeit für die Pensionsberechnung” diejenige Zeit gilt, die der Mitarbeiter nach Vollendung seines 25. Lebensjahres ununterbrochen im Unternehmen tätig gewesen ist. Eine davon abweichende Regelung enthält die Versorgungszusage vom 16. April 1982 nicht.

        • Herr G vollendete am 17. Juni 1968 das 25. Lebensjahr. Der Versorgungsfall Invalidität trat am 1. Juni 1998 ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte er das 29. Dienstjahr vollendet. Nach § 10 der Pensionsordnung idF der Versorgungszusage vom 16. April 1982 zählen nur volle Dienstjahre. Für die ersten 5 Dienstjahre sind 9 %, für jedes weitere Dienstjahr 0,9 % anzusetzen. Dies ergibt einen Satz von 9 % + 21,6 % (= 24x 0,9 %) = 30,6 %. Das pensionsfähige Einkommen des Herrn G betrug bei seinem Ausscheiden unstreitig 11.950,00 DM monatlich. Seine Vollrente belief sich demnach auf monatlich 3.656,70 DM.
      • Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Vollrente zeitratierlich nach § 2 Abs. 1 BetrAVG zu kürzen. Da § 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG den Versorgungsberechtigten einen betriebsrentenrechtlichen Mindeststandard sichert, kann zwar zugunsten der Versorgungsberechtigten von § 2 BetrAVG abgewichen werden. Dies ist aber weder in der Pensionsordnung noch in der Versorgungszusage vom 16. April 1982 geschehen. Im Gegenteil: § 13 Abs. 3 der Pensionsordnung verweist ausdrücklich auf § 2 BetrAVG.

        Für die Invaliditätsversorgung spielt es auch keine Rolle, daß die Beklagte im Vertrag vom 29. Mai 1997 Herrn G ab Vollendung seines 60. Lebensjahres eine monatliche Betriebsrente von 4.500,00 DM versprach und dabei sowohl auf eine zeitratierliche Kürzung verzichtete als auch die Nachteile der Veränderungssperre teilweise ausglich. Diese vertraglichen Verbesserungen beziehen sich ausschließlich auf die vorgezogene Altersrente ab Vollendung des 60. Lebensjahres. Etwaige Ansprüche auf betriebliche Invaliditätsversorgung bis zum 60. Lebensjahr sollten nicht erhöht werden, sondern nach Nr. 3 des Vertrages vom 29. Mai 1997 sogar völlig wegfallen. Weder dem Schutzzweck des § 3 BetrAVG noch dem im Vertrag vom 29. Mai 1997 zum Ausdruck gebrachten Willen der Vertragsparteien entsprach es, die Beklagte zu einer höheren Invaliditätsrente zu verpflichten als in der Versorgungszusage, der Pensionsordnung und dem Betriebsrentengesetz vorgesehen.

      • Bei der erreichbaren Betriebszugehörigkeit ist nach § 13 Abs. 3 der Pensions-ordnung iVm. § 2 Abs. 1 BetrAVG nicht auf den Eintritt der Invalidität, sondern auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abzustellen. Im Vertrag vom 29. Mai 1997 vereinbarten die Parteien keine vor dem 65. Lebensjahr liegende feste Altersgrenze. Das Arbeitsverhältnis wurde bereits vor Eintritt des Versorgungsfalles beendet. Eine weitere Betriebstreue wurde dementsprechend nicht mehr erwartet. Die feste Altersgrenze legt jedoch den Zeitpunkt fest, bis zu dem das Arbeitsverhältnis fortbestehen soll. Aus diesem Grunde kann die feste Altersgrenze aus Anlaß einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Versorgungsfalles nicht mehr herabgesetzt werden (BAG 14. Dezember 1999 – 3 AZR 684/98 – AP BetrAVG § 7 Nr. 97 = EzA BetrAVG § 7 Nr. 63, zu II 2 der Gründe). Dies hindert zwar die Arbeitsvertragsparteien nicht, auf die in § 2 BetrAVG vorgesehene Kürzung ganz oder teilweise zu verzichten. Eine derartige Verbesserung der laufenden Invaliditätsversorgung bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres enthält aber der Vertrag vom 29. Mai 1997 nicht.
      • Beim Zeitwertfaktor nach § 2 Abs. 1 BetrAVG kommt es auf die gesamte Beschäftigungszeit seit Beginn des Arbeitsverhältnisses an. Davon kann nicht zuun-gunsten des Versorgungsberechtigten abgewichen werden (§ 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG). Dementsprechend darf bei der Ermittlung des Zeitwertfaktors die Betriebszugehörigkeit vor einem bestimmten Lebensjahr nicht unberücksichtigt bleiben. Die Berechnungsformel für die Höhe der Vollrente kann auf den Zeitwertfaktor nicht übertragen werden. Dies ist in der Pensionsordnung der Beklagten auch nicht geschehen, denn sie verweist ohne Einschränkung auf § 2 Abs. 1 BetrAVG.
      • Das Landesarbeitsgericht hat ebenso wie die Beklagte nur volle Jahre der Betriebszugehörigkeit berücksichtigt und sowohl bei der tatsächlich erreichten als auch bei der erreichbaren Betriebszugehörigkeit abgerundet. Bei der tatsächlich erreichten Betriebszugehörigkeit blieben fast zehn Monate, bei der erreichbaren Betriebszugehörigkeit knapp zwei Monate unberücksichtigt. Eine derartige Berechnung ist mit § 2 Abs. 1 BetrAVG nicht zu vereinbaren. Sie führt zu einer deutlichen Verringerung des Zeitwertfaktors. Der Senat hat nur eine monatsweise mit unwesentlichen Ungenauigkeiten verbundene Berechnung des Zeitwertfaktors gebilligt (BAG 22. Februar 1983 – 3 AZR 546/80 – BAGE 41, 414, 419). Bei der genauesten, tageweisen Berechnung ergibt sich ein Unverfallbarkeitsfaktor von 0,7890838. Davon ausgehend beläuft sich die zeitratierlich gekürzte monatliche Invaliditätsrente auf 3.656,70 DM x 0,7890838 = 2.885,44 DM. Die Differenz zu der vom Landesarbeitsgericht zugesprochenen Invaliditätsrente von 2.835,77 DM beträgt monatlich 49,67 DM. Die Nachzahlungsverpflichtung der Beklagten für die Monate November 1998 bis Dezember 1999 erhöht sich um insgesamt 695,38 DM (= 14x 49,67 DM).
  • Der Beklagten stehen die mit der noch anhängigen Widerklage geltend gemachten Rückzahlungsansprüche dem Grunde nach zu. Sie fallen wegen des höheren Betriebsrentenanspruchs der Kläger geringer aus als vom Landesarbeitsgericht angenommen. Die Kläger haften nach § 2058 BGB als Gesamtschuldner.

    • Soweit die Beklagte Herrn G für die Monate Juni bis Oktober 1998 eine höhere Invaliditätsrente zahlte, als ihm zustand, hat sie einen Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB. Zu Recht haben die Vorinstanzen angenommen, daß § 814 BGB diesem Anspruch nicht entgegensteht. Die Kläger haben nicht nachgewiesen, daß die Beklagte bei den Rentenzahlungen wußte, nicht zur Leistung verpflichtet zu sein.

      Herr G hatte für die Monate Juni bis Oktober 1998 einen Anspruch auf Invaliditätsrente in Höhe von 5x 2.885,44 DM = 14.427,20 DM. In Höhe von 22.500 DM – 14.427,20 DM = 8.072,80 DM war er ungerechtfertigt bereichert. Das Landesarbeitsgericht hat der Beklagten ein Bereicherungsanspruch in Höhe von insgesamt 8.321,15 DM zuerkannt (= 5.829,75 DM durch Aufrechterhaltung des erstinstanzlichen Urteils + 2.491,40 DM durch weitere Verurteilung im Berufungsurteil). Bei richtiger Berechnung des Zeitwertfaktors verringert sich der Bereicherungsanspruch um 248,35 DM.

    • Soweit das arbeitsgerichtliche Urteil aufgehoben worden ist, sind die Kläger nach § 62 Abs. 2 ArbGG iVm. § 717 Abs. 2 ZPO zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den die Beklagte durch die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gemachten Leistungen erlitten hat. Die Beklagte zahlte zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem vorläufig vollstreckbaren Urteil des Arbeitsgerichts für die Monate November 1998 bis einschließlich Dezember 1999 insgesamt 46.676,70 DM. Die Versorgungsansprüche beliefen sich jedoch nur auf 40.396,16 DM (= 14x 2.885,44 DM). Die Beklagten haben demnach einen Schadenersatzanspruch in Höhe von 6.280,54 DM. Das Landesarbeitsgericht hat den Schaden um 695,38 DM zu hoch angesetzt (= 6.975,92 DM – 6.280,54 DM).
  • Die Kostenentscheidung beruht auf § 91a, § 92 Abs. 1 und 2 Alt. 1, § 97 Abs. 1, § 100 ZPO. Die unterschiedlichen Quoten tragen den jeweiligen Klage- und Rechtsmittelanträgen Rechnung.
 

Unterschriften

Reinecke, Kremhelmer, Breinlinger, Furchtbar, Platow

 

Fundstellen

BB 2002, 2508

DB 2002, 2333

FA 2002, 325

SAE 2002, 298

AP, 0

EzA-SD 2002, 21

EzA

PERSONAL 2003, 59

AUR 2002, 397

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