Entscheidungsstichwort (Thema)

Überbrückungsgeld nach dem Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen des NDR. soziale Schutzbedürftigkeit

 

Orientierungssatz

1. Der sechsmonatige Referenzzeitraum für die soziale Schutzbedürftigkeit nach Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. des Tarifvertrags für arbeitnehmerähnliche Personen des NDR vom 1. Juli 1996 (TV 1996) endet mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses.

2. Ziff. 2.2 des Tarifvertrags über den Urlaub für arbeitnehmerähnliche Personen des NDR vom 30. September 1977 (TV Urlaub) macht den Urlaubsanspruch von einer schriftlichen Anzeige der arbeitnehmerähnlichen Person abhängig.

 

Normenkette

BUrlG § 7; TVG § 12a; Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen des NDR vom 1. Juli 1996 (TV 1996) Ziff. 1; Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen des NDR vom 1. Juli 1996 (TV 1996) Ziff. 2; Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen des NDR vom 1. Juli 1996 (TV 1996) Ziff. 3; Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen des NDR vom 1. Juli 1996 (TV 1996) Ziff. 5; Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen des NDR vom 1. Juli 1996 (TV 1996) Ziff. 6; Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen des NDR vom 1. Juli 1996 (TV 1996) Ziff. 13; Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen des NDR vom 30. September 1977 (TV 1977) Ziff. 3; Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen des NDR vom 30. September 1977 (TV 1977) Ziff. 5

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 17.12.2007; Aktenzeichen 4 Sa 57/05)

ArbG Hamburg (Teilurteil vom 27.11.2002; Aktenzeichen 11 Ca 62/02)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 17. Dezember 2007 – 4 Sa 57/05 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Rz. 1

 Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin nach dem Ende ihrer Tätigkeit als Gebührenbeauftragte Anspruch auf Übergangsgeld aus einem Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen hat.

Rz. 2

 Die Klägerin ist seit 1988 Mitglied der IG Medien, nun der Gewerkschaft ver.di. Sie war seit 1. September 1987 als Rundfunkgebührenbeauftragte für die beklagte Rundfunkanstalt tätig. Die Klägerin arbeitete nicht unter eigener Firma und beschäftigte kein eigenes Personal. Das Vertragsverhältnis der Parteien wurde von der Beklagten mit Schreiben vom 19. März 1999 zum 30. April 1999 gekündigt.

Rz. 3

 Die Beklagte ist an einen von ihr, der IG Medien, Druck und Papier, Publizistik und Kunst, der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) und dem Deutschen Journalisten-Verband geschlossenen Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen vom 1. Juli 1996 (TV 1996) gebunden. In ihm heißt es in Auszügen:

“1. Geltungsbereich

1.1 Dieser Tarifvertrag gilt für die beim NDR beschäftigten arbeitnehmerähnlichen Personen im Sinn des § 12a TVG,

2. Wirtschaftliche Abhängigkeit im Sinne von § 12a TVG

Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters ist gegeben, wenn sie/er entweder beim NDR (einschließlich Tochtergesellschaften) oder bei ihm und anderen Rundfunkanstalten, die zur Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) gehören oder bei DeutschlandRadio, mehr als die Hälfte ihrer/seiner erwerbsmäßigen Gesamtentgelte (brutto und ohne gesonderte Unkostenerstattung) in den letzten sechs Monaten vor Geltendmachung eines Anspruchs aus diesem Tarifvertrag oder seinen Durchführungs-Tarifverträgen bezogen hat. Sofern eine Mitarbeiterin/ein Mitarbeiter künstlerische, schriftstellerische oder journalistische Leistungen erbringt oder an der Erbringung, insbesondere der technischen Gestaltung, solcher Leistungen unmittelbar mitwirkt, genügt statt der Hälfte ein Drittel der genannten Entgelte.

3. Soziale Schutzbedürftigkeit im Sinne des § 12a TVG

3.1 Die soziale Schutzbedürftigkeit der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters ist gegeben, wenn sie/er in dem Erwerbszeitraum von sechs Monaten mindestens an 42 Tagen (einschließlich Urlaubstage) für den NDR, für andere ARD-Anstalten oder für DeutschlandRadio aufgrund vertraglicher Verpflichtungen tätig war und ihre/seine erwerbsmäßigen Gesamteinkünfte in dem Kalenderjahr vor der Antragstellung nicht mehr als 180.000,- DM betragen haben. …

5. Beginn und Dauer der Arbeitnehmerähnlichkeit

Das arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis mit dem NDR beginnt mit dem Eintritt der Voraussetzungen nach den Ziffern 2 und 3, ohne daß es im Einzelfall einer ausdrücklichen Erklärung oder Feststellung bedarf.

6. Bestandsschutz

6.1 Eine Mitarbeiterin/ein Mitarbeiter erlangt sozialen Bestandsschutz nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen, wenn sie/er in den zwei Kalenderjahren, die dem Antrag auf Zahlung eines Übergangsgeldes vorausgegangen sind, wiederkehrend, d. h. an durchschnittlich mindestens 72 Tagen je Kalenderjahr (unter Einbezug der Zeiten bezahlten Urlaubs) für den NDR tätig war und ihre/seine erwerbsmäßigen Gesamteinkünfte im Sinn von Ziffer 3.1 in diesen Jahren sowie im Jahr der Anspruchstellung jeweils nicht mehr als 180.000 DM betragen haben. …

6.2 Eine Mitarbeiterin/ein Mitarbeiter hat unter der Voraussetzung, daß die Bedingungen nach Ziffer 6.1 erfüllt sind, Bestandsschutz, wenn der NDR die Beschäftigung beendet oder deren Umfang dauerhaft wesentlich verringert. Soweit die Beendigung oder wesentliche Verringerung beabsichtigt ist, wird der NDR diese Entscheidung der Mitarbeiterin/dem Mitarbeiter schriftlich mitteilen.

Nach insgesamt drei Jahren wiederkehrender Tätigkeit bleiben einzelne Beschäftigungsjahre mit geringerer Tätigkeit als 72 Tagen oder höheren Gesamteinkünften im Sinn von Ziffer 3.1 als DM 180.000,- unberücksichtigt, wenn die Anzahl solcher Jahre höchstens ein Drittel der sich so ergebenden Gesamttätigkeitsdauer ausmacht und nicht zwei solche Jahre unmittelbar aufeinander folgen.

6.3 Bei festgestellter Beendigung oder wesentlicher Verringerung der Beschäftigung gemäß Ziffer 6.2 erhält die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter ein Übergangsgeld.

Das Übergangsgeld wird in monatlichen Beträgen gezahlt. Die Höhe der monatlichen Beträge entspricht einem Zwölftel des Jahresdurchschnittshonorars nach Ziffer 6.2 Satz 3 und 4 unter Anrechnung der Honorare aus laufender Tätigkeit sowie für zeitlich und fachlich zumutbare Aufträge, die die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter in diesem Zeitraum abgelehnt hat. Die Anzahl der monatlichen Zahlungen richtet sich nach der Gesamtdauer der zusammenhängenden wiederkehrenden Tätigkeit der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters. Ihr/ihm stehen

– bei einer Gesamtdauer von mehr als zwei aber weniger als fünf Jahren drei monatliche Beträge,

– bei einer Gesamtdauer von mindestens fünf und bis zu acht Jahren fünf monatliche Beträge sowie

– bei einer Gesamtdauer von mehr als acht Jahren für jedes volle Beschäftigungsjahr ein weiterer monatlicher Betrag

zu.

13. Ausschlußfrist

Ansprüche auf Übergangsgeld nach Ziffer 6 dieses Tarifvertrages müssen spätestens bis zum 31. März des jeweiligen Folgejahres schriftlich geltend gemacht werden. Werden sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht geltend gemacht, so können Ansprüche nicht mehr darauf gestützt werden, daß im vorausgegangenen Kalenderjahr eine Beschäftigung nicht oder nur in einem wesentlich verringerten Umfang (Ziffer 6.2) erfolgt ist.

…”

Rz. 4

 Der Einführungstarifvertrag des TV 1996 vom 1. Juli 1996 lautet:

“1. Der Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen vom 30. September 1977 erhält mit Wirkung vom 01. Juli 1996 die in der Anlage beigefügte Fassung.

2. Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Tarifvertrages geltenden Regelungen des Tarifvertrages für arbeitnehmerähnliche Personen in der Fassung vom 30. September 1977 gelten für solche arbeitnehmerähnliche Personen, die vor dem 01. Juli 1996 unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fielen, weiter, sofern sie günstiger sind als die nach dem 01. Juli 1996 nach den Regelungen des neu gefaßten Tarifvertrages erworbenen Ansprüche.”

Rz. 5

 In Ziff. 3.1 des Tarifvertrags vom 30. September 1977 (TV 1977) war geregelt:

“Die soziale Schutzbedürftigkeit des Mitarbeiters ist gegeben, wenn er in dem Erwerbszeitraum von sechs Monaten mindestens an 42 Tagen (einschließlich Urlaubstage) für den NDR oder für andere ARD-Anstalten aufgrund vertraglicher Verpflichtungen tätig war und seine Vergütungen in diesem Zeitraum nicht mehr als DM 70.000,- betragen haben.”

Rz. 6

 Ziffer 3.1 TV 1977 wurde mit Blick auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 2. Oktober 1990 (– 4 AZR 106/90 – BAGE 66, 95) geändert. Die übrigen Regelungen des Geltungsbereichs entsprachen im Wesentlichen dem TV 1996. Der TV 1977 kannte kein Übergangsgeld. Er enthielt in Ziff. 5.2 Beendigungsfristen und eine Bestandsschutzgarantie:

“5.2 Beabsichtigt der NDR die Tätigkeit des Mitarbeiters zu beenden oder auf Dauer um mindestens 50 % zu vermindern, so muß der NDR ihm dieses vorher schriftlich mitteilen, wenn der Mitarbeiter mindestens 1 Jahr für den NDR wiederkehrend tätig war und im laufenden oder vorangegangenen Kalenderjahr einen vollen Jahresurlaubsanspruch gegen den NDR berechtigt geltend gemacht hatte. Die Frist beträgt einen Monat; sie verlängert sich auf 2 Monate nach einem weiteren Jahr, in dem der Mitarbeiter für den NDR wiederkehrend tätig war (Beschäftigungsjahr), 3 Monate nach 5 Beschäftigungsjahren, 12 Monate nach mehr als 10 Beschäftigungsjahren.

Ist ein Beschäftigter wiederkehrend mindestens 25 Jahre für den NDR tätig gewesen oder hat er das 55. Lebensjahr vollendet und ist er seit mindestens 15 Jahren wiederkehrend für den NDR beschäftigt gewesen, so kann seine Tätigkeit beim NDR nur aus einem wichtigen Grund im Sinne von § 626 BGB beendet werden.

…”

Rz. 7

 Die Klägerin erzielte in den Jahren 1994 bis 2000 keine höheren Gesamteinkünfte als 180.000,00 DM jährlich. Sie war in den Jahren vor der Kündigung des Vertragsverhältnisses zum Ende des Monats April 1999 teilweise arbeitsunfähig erkrankt. Die Klägerin machte hierfür jedenfalls in der Zeit vom 1. November 1998 bis 30. April 1999 keine Ansprüche auf Zuschüsse der Beklagten zu den Leistungen der Krankenversicherung nach Ziff. 1.1 des von der Beklagten, der Rundfunk-Fernseh-Film-Union, der DAG und dem Deutschen Journalisten-Verband geschlossenen Tarifvertrags über Zahlungen im Krankheitsfall für arbeitnehmerähnliche Personen vom 5. März 1980 (TV Krankheitsfall) geltend.

Rz. 8

 Die Klägerin wurde vom 21. bis 31. Dezember 1998 nicht für die Beklagte tätig. Sie zeigte für diese Zeit keinen Urlaub an und erhielt keine Urlaubsvergütung. Der von der Beklagten, der Rundfunk-Fernseh-Film-Union, der DAG und dem Deutschen Journalisten-Verband geschlossene Tarifvertrag über den Urlaub für arbeitnehmerähnliche Personen vom 30. September 1977 (TV Urlaub) lautet auszugsweise:

“2 Urlaubsdauer

2.1 Der Jahresurlaub beträgt 25 Arbeitstage, für Mitarbeiter nach Vollendung des 40. Lebensjahres 27 Arbeitstage.

2.2 Der Urlaub ist spätestens vier Wochen vor Urlaubsantritt unter Angabe der beabsichtigten Urlaubszeit dem NDR schriftlich anzuzeigen.

3 Urlaubsvergütung

3.1 Der Mitarbeiter erhält vom NDR unverzüglich nach Anzeige eine Urlaubsvergütung für die Urlaubstage, die ihm nach Ziffer 2.1 dieses Tarifvertrages zustehen. …”

Rz. 9

 Nach der Kündigung erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage und berief sich auf den Bestand eines Arbeitsverhältnisses. Das Arbeitsgericht Hamburg wies die Klage mit rechtskräftigem Urteil vom 15. Dezember 1999 (– 9 Ca 157/99 –) ab. Die Klägerin sei keine Arbeitnehmerin.

Rz. 10

 Durch Telefax vom 29. März 2000 machte die Klägerin bei der Beklagten ein Übergangsgeld von 32.666,85 DM (= 16.702,30 Euro) geltend. Im Jahr vor der Geltendmachung hatte sie keine höheren Gesamteinkünfte als 180.000,00 DM erzielt.

Rz. 11

 Die Klägerin hat behauptet, sie sei vom 1. November bis 31. Dezember 1998 an 19 Tagen im Außendienst für die Beklagte tätig gewesen. Am 13. November 1998, 7. Dezember 1998 und 15. Dezember 1998 habe sie in ihrem Büro für die Beklagte gearbeitet. Für die von ihr besuchte Jahrestagung des Beauftragtendienstes der Beklagten am 17. und 18. Dezember 1998 habe Anwesenheitspflicht bestanden. Vom 21. bis 31. Dezember 1998 habe sie auf Betreiben der Beklagten, wie jedes Jahr üblich, den restlichen Jahresurlaub von acht Tagen genommen. In der Zeit vom 1. Januar bis 30. April 1999 seien sieben Tage im Außendienst und zwei Bürotage zu berücksichtigen. Am 21. April 1999 habe sie einen dienstlichen Termin bei der Beklagten wahrgenommen.

Rz. 12

 Die Klägerin meint, sie sei sozial schutzbedürftig iSd. TV 1996 und könne daher Übergangsgeld beanspruchen. Soziale Schutzbedürftigkeit trete ein, sobald der Beauftragte erstmals in einem Zeitraum von sechs Monaten aufgrund vertraglicher Verpflichtungen an 42 Tagen für die Beklagte tätig geworden sei. Büroarbeiten hätten zu ihrer vertraglichen Verpflichtung gehört.

Rz. 13

 Die Klägerin hat – soweit für die Revision von Interesse – beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 32.666,85 DM = 16.702,30 Euro nebst 8,2 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Rz. 14

 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, für die soziale Schutzbedürftigkeit sei auf die letzten sechs Monate vor der Geltendmachung der Forderung – hier die Zeit vom 29. September 1999 bis 29. März 2000 – abzustellen.

Rz. 15

 Das Arbeitsgericht hat die Beklagte durch Teilurteil verurteilt, an die Klägerin das geltend gemachte Übergangsgeld nebst Zinsen zu zahlen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Auf die Revision der Beklagten hat der Senat das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Senat hat im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin unterfalle als Gebührenbeauftragte dem persönlichen Geltungsbereich des TV 1996. Sie sei wirtschaftlich abhängig iSv. Ziff. 2 TV 1996 gewesen. Im Rahmen der sozialen Schutzbedürftigkeit stehe fest, dass die Klägerin vor dem Ende ihres Vertragsverhältnisses Gesamteinkünfte von nicht mehr als 180.000,00 DM bezogen habe. Unklar sei jedoch, ob sie an mindestens 42 Tagen einschließlich der Urlaubstage aufgrund vertraglicher Verpflichtungen für die Beklagte tätig geworden sei.

Rz. 16

 Das Landesarbeitsgericht hat das Teilurteil des Arbeitsgerichts auf die Zurückverweisung abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Teilurteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 17

 A. Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von Übergangsgeld aus Ziff. 6.3 TV 1996.

Rz. 18

 I. Die Aufhebung des Berufungsurteils durch die Senatsentscheidung im ersten Rechtsgang beruht darauf, dass nach den damaligen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts unklar war, ob die Klägerin für die Beklagte an mindestens 42 Tagen – einschließlich der Urlaubstage – im Erwerbszeitraum tätig war (Senat 15. Februar 2005 – 9 AZR 51/04 – zu II 2b der Gründe, BAGE 113, 343). Inzwischen steht schon aufgrund des Vortrags der Klägerin fest, dass sie diesem Kriterium der sozialen Schutzbedürftigkeit nach Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1996 nicht genügt. Der Senat braucht deshalb nicht darüber zu befinden, ob die Klägerin die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung eines Übergangsgeldes erfüllt.

Rz. 19

 II. Der Anspruch auf das tarifvertragliche Übergangsgeld aus Ziff. 6.3 TV 1996 setzt ua. die soziale Schutzbedürftigkeit iSv. § 12a TVG voraus. Diese ist nach Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1996 gegeben, wenn die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter in dem Erwerbszeitraum von sechs Monaten mindestens an 42 Tagen einschließlich der Urlaubstage für den NDR oder eine der anderen in der Tarifbestimmung genannten Rundfunkanstalten tätig war. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass sie diese Voraussetzungen erfüllte. Sie war im maßgeblichen Zeitraum nicht sozial schutzbedürftig im Tarifsinn.

Rz. 20

 1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Erwerbszeitraum iSv. Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1996 der Sechsmonatszeitraum vom 1. November 1998 bis 30. April 1999 ist.

Rz. 21

 a) Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1996 ist hinsichtlich des 42-Tages-Zeitraums inhaltsgleich mit Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1977. Die Klägerin kann aus dem TV 1977 keine weitergehenden Rechte ableiten als aus dem TV 1996.

Rz. 22

 b) Der normative Teil eines Tarifvertrags ist grundsätzlich nach den für Gesetze geltenden Regeln auszulegen. Auszugehen ist vom Tarifwortlaut. Auf dieser Grundlage ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu ermitteln, soweit er sich in den tariflichen Regelungen niedergeschlagen hat. Der tarifliche Zusammenhang kann Aufschluss über den von den Tarifvertragsparteien verfolgten Zweck geben. Auch auf die Entstehungsgeschichte und die Tarifpraxis kann zurückgegriffen werden. Praktikabilität und Sinn des Auslegungsergebnisses sind im Auge zu behalten. Im Zweifel ist die Auslegung vorzugswürdig, die der tariflichen Regelung Geltung verschafft (st. Rspr., vgl. nur Senat 17. Februar 2009 – 9 AZR 611/07 – Rn. 27 f.).

Rz. 23

 c) Das Landesarbeitsgericht hat hinsichtlich der zeitlichen Lage des sechsmonatigen Referenzzeitraums für die soziale Schutzbedürftigkeit nach Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1996 gemessen an diesen Grundsätzen zutreffend auf die letzten sechs Monate vor dem Ende des Vertragsverhältnisses vom 1. November 1998 bis 30. April 1999 abgestellt. Auf den Beginn des Vertragsverhältnisses oder die Geltendmachung der Ansprüche kommt es für den Beginn des Sechsmonatszeitraums nicht an.

Rz. 24

 aa) Der vorrangig zu berücksichtigende Wortlaut der Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1996 nennt keine bestimmten Zeitpunkte, zu denen der sechsmonatige Erwerbszeitraum beginnt oder endet. Nach dem Wortlaut der Regelung ist die soziale Schutzbedürftigkeit des Mitarbeiters jedoch an die Tätigkeit “in dem Erwerbszeitraum von sechs Monaten” gebunden. Die Tarifbestimmung lässt also nicht “einen Erwerbszeitraum” genügen. Sie lässt soziale Schutzbedürftigkeit auch nicht schon dann eintreten, sobald der Mitarbeiter “erstmals” in einem Erwerbszeitraum von sechs Monaten mindestens an 42 Tagen (einschließlich der Urlaubstage) für den NDR oder eine der bezeichneten anderen Anstalten aufgrund vertraglicher Verpflichtungen tätig war. Die Tarifnorm stellt vielmehr auf den für den einzelnen Anspruch maßgeblichen Referenzzeitraum ab.

Rz. 25

 bb) Der Zusammenhang mit Ziff. 5 TV 1996 führt zu keinem anderen Ergebnis. Danach beginnt das arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis mit dem NDR mit dem Eintritt der Voraussetzungen nach den Ziff. 2 und 3, ohne dass es im Einzelfall einer ausdrücklichen Erklärung oder Feststellung bedarf. Die Regelung betont die Tarifautomatik. Das arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis besteht unabhängig von konstitutiven Akten, wenn der Mitarbeiter wirtschaftlich abhängig und sozial schutzbedürftig ist. Soziale Schutzbedürftigkeit tritt in diesem Sinn ein, wenn der Mitarbeiter in dem vorangegangenen Erwerbszeitraum von sechs Monaten an 42 Tagen für die Beklagte oder eine der anderen genannten Rundfunkanstalten aufgrund vertraglicher Verpflichtungen tätig war.

Rz. 26

 cc) Bezugspunkt für das Ende des Sechsmonatszeitraums im Fall der Geltendmachung von Übergangsgeld nach Ziff. 6 TV 1996 ist die Beendigung des Vertragsverhältnisses, die hier am 30. April 1999 eintrat. Dieser Endzeitpunkt folgt aus dem Tarifzusammenhang und -zweck sowie aus der Tarifgeschichte.

Rz. 27

 (1) Der Zusammenhang von Ziff. 3.1 mit Ziff. 2 TV 1996 steht einem Ende des Erwerbszeitraums mit Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht entgegen.

Rz. 28

 (a) Ziff. 2 Satz 1 TV 1996 knüpft für die wirtschaftliche Abhängigkeit iSv. § 12a TVG an die letzten sechs Monate vor Geltendmachung eines Anspruchs aus dem TV 1996 an. Ziff. 3.1 Satz 1 2. Alt. TV 1996 stellt für die erwerbsmäßigen Gesamteinkünfte auf das Kalenderjahr vor der Antragstellung ab.

Rz. 29

 (b) Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1996 enthält im Unterschied zu Ziff. 2 Satz 1 TV 1996 nicht den Bezugspunkt der Geltendmachung des Anspruchs und abweichend von Ziff. 3 Satz 1 2. Alt. TV 1996 nicht den Referenzzeitraum eines Kalenderjahres vor der Antragstellung. Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1996 ist vielmehr im Zusammenspiel mit Ziff. 6.3 Abs. 1 1. Alt. TV 1996 zu lesen. Der Anspruch auf Übergangsgeld setzt in dieser Alternative die festgestellte Beendigung (des Vertragsverhältnisses) voraus. Das lässt erkennen, dass die Tarifvertragsparteien den Erwerbszeitraum für die soziale Schutzbedürftigkeit im Rahmen des Bestandsschutzes durch einen Anspruch auf Übergangsgeld zeitlich am Ende des Vertragsverhältnisses nach einem Rückblick auf die letzten sechs Monate ausrichten wollen. Der Erwerbszeitraum soll mit Beendigung des Vertragsverhältnisses enden.

Rz. 30

 (c) Auf eine Bindung der tätigkeitsbezogenen Komponente der sozialen Schutzbedürftigkeit in Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1996 und des Anspruchs auf Übergangsgeld aus Ziff. 6.3 Abs. 1 TV 1996 an das Vertragsende und nicht an die Geltendmachung des Anspruchs deutet ferner hin, dass der Tariftext die Geltendmachung des Anspruchs auf Übergangsgeld in Ziff. 13 Satz 1 TV 1996 für die Wahrung einer Ausschlussfrist ausdrücklich erwähnt. Hätte schon der Erwerbszeitraum innerhalb der sozialen Schutzbedürftigkeit von der Geltendmachung des Anspruchs abhängig gemacht werden sollen, wäre angesichts des Tarifzusammenhangs eine ausdrückliche Regelung in Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1996 zu erwarten gewesen.

Rz. 31

 (2) Für dieses Auslegungsergebnis spricht der Zweck der Regelung in Ziff. 6.3 Abs. 1 iVm. Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1996. Für das erste Kriterium der sozialen Schutzbedürftigkeit ist die Tätigkeitsbindung an die Beklagte entscheidend. Der Mitarbeiter soll in einem bestimmten Zeitraum ein konkretes Mindestmaß an Tätigkeiten für die Beklagte oder eine der anderen bezeichneten Rundfunkanstalten erbracht haben. Das setzt den Fortbestand des Vertragsverhältnisses voraus, lässt einen Bezug auf einen späteren Zeitpunkt nach Beendigung der vertraglichen Bindung deshalb sinnvollerweise nicht zu. Für die wirtschaftliche Abhängigkeit in Ziff. 2 Satz 1 TV 1996 und die 180.000,00-DM-Grenze in Ziff. 3.1 Satz 1 2. Alt. TV 1996 besteht dagegen kein Tätigkeits-, sondern ein Vergütungsbezug, in den auch andere Vertragspartner einbezogen sind. Eine Bindung der Einkommensgrößen an die vom Mitarbeiter zu beeinflussende Geltendmachung oder Antragstellung ist damit sinnvoll, während der Mitarbeiter seine Tätigkeit nur im Verhältnis zur Beklagten oder zu den anderen genannten Rundfunkanstalten entfalten kann.

Rz. 32

 (3) Die Tarifgeschichte bestätigt dieses Auslegungsergebnis. Der durch den TV 1996 abgelöste TV 1977 knüpfte für die wirtschaftliche Abhängigkeit und die Einkommensgrenze im Rahmen der sozialen Schutzbedürftigkeit ebenfalls an die Geltendmachung des Anspruchs und die Antragstellung an. Er kannte jedoch noch kein Übergangsgeld, sondern gewährleistete ein gewisses Maß an Bestandsschutz durch Beendigungsfristen und eine Bestandsschutzgarantie. Die auf der Vertragsdauer aufbauenden früheren Fristenregelungen bezogen sich notwendig auf das Ende des Vertragsverhältnisses. Sie schoben die Beendigung zeitlich hinaus. Das Übergangsgeld der Ziff. 6.3 Abs. 1 TV 1996 hat eine ähnliche Funktion. Es verlängert zwar nicht den Bestand des Vertragsverhältnisses. Es soll eine erwartete Tätigkeitslosigkeit aber wirtschaftlich überbrücken (vgl. Senat 16. Dezember 2008 – 9 AZR 985/07 – Rn. 57). Das Übergangsgeld dient der Wiedereingliederung in das Erwerbsleben durch Überbrückung eines begrenzten Zeitraums (vgl. BAG 18. Mai 2006 – 6 AZR 631/05 – Rn. 12, BAGE 118, 196). Für beide Bestandsschutzansprüche besteht daher eine enge Bindung an die Beendigung des Vertragsverhältnisses.

Rz. 33

 2. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, die Klägerin habe in der Zeit vom 1. November 1998 bis 30. April 1999 nicht an 42 Tagen einschließlich der Urlaubstage Tätigkeiten aufgrund ihrer vertraglichen Verpflichtungen für die Beklagte oder eine der in Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1996 genannten Rundfunkanstalten erbracht.

Rz. 34

 a) Der Senat kann offenlassen, ob die sog. Bürotage in den 42-Tages-Zeitraum einzubeziehen sind und welcher Tätigkeitsumfang an den einzelnen Tagen erbracht werden muss. Es kann zudem auf sich beruhen, ob die Beklagte den Vortrag der Klägerin zu den Außendiensttagen und den weiteren dienstlichen Terminen hinreichend bestritten hat.

Rz. 35

 b) Das Vorbringen der Klägerin lässt bereits nicht den Schluss darauf zu, dass sie in der Zeit vom 1. November 1998 bis 30. April 1999 mindestens an 42 Tagen einschließlich der Urlaubstage für die Beklagte oder eine der in Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1996 bezeichneten Rundfunkanstalten aufgrund vertraglicher Verpflichtungen tätig war. Nach den Darlegungen der Klägerin errechnen sich allenfalls 34 Tage, die zu berücksichtigen sind. Die Klägerin war damit nicht sozial schutzbedürftig im Tarifsinn.

Rz. 36

 aa) Die Klägerin befand sich in der Zeit vom 21. bis 31. Dezember 1998 nicht acht Tage in Urlaub iSv. Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1996.

Rz. 37

 (1) Ziff. 2.2 TV Urlaub verlangt eine schriftliche Anzeige spätestens vier Wochen vor Urlaubsantritt unter Angabe der beabsichtigten Urlaubszeit gegenüber der Beklagten. Wegen der grundsätzlichen Zeitsouveränität arbeitnehmerähnlicher Personen setzt Ziff. 2.2 TV Urlaub abweichend von § 7 Abs. 1 BUrlG keine Gewährung des Urlaubs durch den Dienstgeber voraus. Ziff. 2.2 TV Urlaub macht den Anspruch vielmehr von einer schriftlichen Anzeige der arbeitnehmerähnlichen Person abhängig.

Rz. 38

 (2) Dieser Anzeigepflicht genügte die Klägerin nach ihrem eigenen Vorbringen nicht. Für die Beklagte bestand deswegen keine Vergütungspflicht aus Ziff. 3.1 Satz 1 TV Urlaub. Sie vergütete die acht Tage unstreitig nicht.

Rz. 39

 (3) Eine Urlaubsanzeige der Klägerin war nicht entbehrlich. Da sie keine Arbeitnehmerin der Beklagten war, war sie nicht an feste Arbeitszeiten gebunden. Sie konnte frei entscheiden, für welche Zeiten sie Urlaub in Anspruch nehmen wollte. Sie war insbesondere nicht darauf angewiesen, dass die Beklagte ihr Urlaub gewährte. Die Beklagte konnte Urlaubszeiten deshalb nur durch eine Urlaubsanzeige von anderen Zeiten unterscheiden, in denen die Klägerin nicht für sie tätig wurde. Hinzu kommt, dass es nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin nicht ausgeschlossen gewesen wäre, in der Zeit vom 21. bis 31. Dezember 1998 Bürotätigkeiten zu versehen und auf diese Weise Außendienstkontakte zu vermeiden.

Rz. 40

 bb) Der Senat braucht nicht darüber zu entscheiden, ob Ziff. 3.1 Satz 1 1. Alt. TV 1996 eine unbewusste Regelungslücke enthält (vgl. zu dem Umgang mit Tariflücken zB BAG 25. Februar 2009 – 4 AZR 964/07 – Rn. 19 ff.). Die Vorschrift bezieht Krankheitstage, für die die Beklagte nach Ziff. 1.1 TV Krankheitsfall Zuschüsse zu den Leistungen der Krankenversicherung zu leisten hat, nicht in den 42-Tages-Zeitraum ein. Die Klägerin hat sich jedoch selbst nicht darauf berufen, dass in den Erwerbszeitraum vom 1. November 1998 bis 30. April 1999 zuschusspflichtige Krankheitstage gefallen seien.

Rz. 41

 B. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Düwell, Krasshöfer, Gallner, Hintloglou, Furche

 

Fundstellen

NZA 2009, 1375

ZTR 2009, 589

AP 2013

EzA-SD 2009, 16

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge