Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung einer Kassiererin

 

Normenkette

BGB §§ 611, 276-277; ZPO §§ 559, 308

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 10.01.1991; Aktenzeichen 7 Sa 79/90)

ArbG Hamburg (Urteil vom 04.07.1990; Aktenzeichen 24 Ca 152/90)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 10. Januar 1991 – 7 Sa 79/90 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revision nur noch darüber, ob die Klägerin der Beklagten einen Schaden in Höhe von 631,97 DM zu zwei Dritteln zu ersetzen hat.

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Teilzeitbeschäftigte im Bereich Kasse/Information tätig. Der Bruttomonatsverdienst beträgt rd. DM 1.500,–. Die Beklagte vertreibt im Einzelhandel Geräte und Artikel der Phonoindustrie, Elektrohaushaltsgeräte, Foto-, Videogeräte und Computer sowie Zubehör und Betriebsartikel. Der Betrieb ist im Supermarktstil organisiert. Der Kunde bedient sich überwiegend selbst und sucht dann den zentralen Kassenbereich vor dem Ausgang auf. Die Klägerin kassiert an einer Computer-Kasse. Hierbei werden die Artikelnummern einschließlich der Preise durch einen Scanner eingelesen. Bei Sonderangeboten werden Artikelnummer und Preis per Hand eingetippt.

Im Februar 1990 hatte die Klägerin bei einem Kunden vier durch Scanner einzulesende Artikel und ein Sonderangebot einzugeben. Das Sonderangebot betraf einen Fisher Videorecorder zum Preise von 750,– DM. Die übrigen Kasseneingaben bezogen sich auf zwei Kleinartikel zu 6,95 DM und 7,95 DM und zwei größere technische Geräte zu 399,– DM und 599,– DM. Die Klägerin gab als Preis des Sonderangebotes statt 750,– DM lediglich 7,50 DM ein. Sie erhielt von dem Käufer 2.000,– DM und gab Wechselgeld auf einen Rechnungsbetrag von DM 1.020,40 DM heraus.

Die Parteien sind sich darüber einig, daß der durch die falsche Eingabe entstandene Schaden der Beklagten 631,97 DM beträgt. Die Beklagte war ursprünglich von einem Betrag von 720,45 DM ausgegangen. Die Beklagte behielt von März bis Juni 1990, soweit in der Revision noch erheblich, insgesamt 600,– DM netto vom Gehalt der Klägerin ein.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe für den entstandenen Schaden nicht einzustehen. Sie hat vorgetragen, die Arbeit an der Kasse sei mit beträchtlichem Druck verbunden. Sie müsse binnen weniger Minuten nicht unerhebliche Buchungs- und Wechselvorgänge abwickeln, ohne daß es Kontrollmechanismen zur Schadensverhütung gebe. Da sie nicht als Kassiererin, sondern lediglich als Mitarbeiterin im Bereich Kasse/Information eingestellt worden sei, sei eine Haftung für sie nicht zumutbar. Das gelte umso mehr, als ihr hinsichtlich des Buchungsfehlers nur ein geringes Verschulden vorzuwerfen sei.

Die Klägerin hat beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an sie DM 600, zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 4. Juli 1990 zu zahlen,
  2. festzustellen, daß sie der Beklagten nicht zum Schadenersatz in Höhe weiterer DM 120,45 verpflichtet ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin treffe ein erhebliches Verschulden. Ihr hätte die erhebliche Diskrepanz zwischen dem gebuchten Preis und dem üblichen Handelswert eines Videorecorders auffallen müssen. Das werde noch dadurch verdeutlicht, daß der Käufer erkennbar bereit gewesen sei, die volle Summe zu zahlen, indem er 2.000,– DM zur Bezahlung der gekauften Produkte, die von der Klägerin mit 1.020,40 DM gebont worden seien, hingegeben habe. Ihr Kassensystem sei insgesamt nicht auf Geschwindigkeit, sondern auf Sicherheit angelegt. Der Anteil manuell einzugebender Sonderpreise betrage weniger als 1 % der Buchungsvorgänge und könne daher sorgfältig vorgenommen werden.

Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 178,79 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 4. Juli 1990 zu zahlen. Es hat weiter festgestellt, die Klägerin sei nicht zum Ersatz weiterer 120,45 DM verpflichtet. Gegen dieses Urteil hat nur die Klägerin Revision eingelegt, mit der sie den Zahlungsanspruch weiter verfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe den Schaden zu zwei Dritteln zu tragen. Ihre Gehaltsforderung sei daher in Höhe von 421,31 DM durch Aufrechnung der Beklagten gemäß § 389 BGB erloschen. Die Beklagte schulde der Klägerin noch 178,69 DM und könne keine weitergehenden Ansprüche geltend machen. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung ausgeführt, die Klägerin habe den Schaden zwar nicht in Ausübung einer gefahrgeneigten Tätigkeit verursacht. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die Haftung der Arbeitnehmer bei gefahrgeneigter Tätigkeit seien aber auf alle betrieblichen Tätigkeiten anzuwenden. Der Klägerin sei mittlere Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Es erscheine angemessen, daß die Klägerin den Schaden zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3 trage.

II.1. Nach § 559 Abs. 1 ZPO unterliegen der Prüfung des Revisionsgerichts nur die von den Parteien gestellten Anträge. Es ist daher nur zu prüfen, ob die Klägerin mit Erfolg die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer 421,31 DM begehren kann. Da die Beklagte keine Anschlußrevision eingelegt hat, steht rechtskräftig fest, daß sie einen Betrag in Höhe von 178,69 DM an die Klägerin zu zahlen hat und daß ihr kein weiterer Anspruch aus dem Schadensereignis zusteht.

2. Die Klägerin kann nach §§ 559, 308 ZPO nicht schlechter gestellt werden, als sie durch die Entscheidung des Berufungsgerichts gestellt worden ist. Soweit das Berufungsgericht entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angenommen hat, die bei schadensgeneigter Arbeit von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze seien auch auf Fälle einer nicht schadensgeneigten Tätigkeit anzuwenden, hat es der Klägerin eine gegenüber der bisherigen Rechtsprechung günstigere Rechtsposition eingeräumt. Der Senat kann nur prüfen, ob im Falle der Annahme einer gefahrgeneigten Arbeit die vom Berufungsgericht ermittelte Schadensquote gerechtfertigt ist. Der Streitfall erfordert angesichts dieser prozessualen Situation keine Entscheidung zu der Frage, ob die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung auch für nicht gefahrgeneigte Arbeiten gelten, die durch den Betrieb veranlaßt sind und aufgrund des Arbeitsverhältnisses geleistet werden (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 12. Oktober 1989 – 8 AZR 741/87 – AP Nr. 98 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, daß Haftungserleichterungen auch bei nicht gefahrgeneigter Arbeit eingreifen, führt dies im konkreten Fall zu keiner der Klägerin günstigeren Entscheidung.

3. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten unter Zugrundelegung dieser Prämisse der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

a) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe den Schaden fahrlässig (§ 276 Abs. 1 BGB), aber nicht grobfahrlässig (§ 277 BGB) verursacht, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Begriff des Verschuldens und der der einzelnen Arten des Verschuldens, wie einfache oder grobe Fahrlässigkeit, sind Rechtsbegriffe (vgl. BGHZ 10, 14, 16 und 10, 69, 74). Die Feststellung ihrer Voraussetzungen liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet, wobei dem Tatrichter ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum zusteht. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob der Tatrichter von den richtigen rechtlichen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist und Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (ständige Rechtsprechung; vgl. BAG Urteile vom 13. März 1968 – 1 AZR 362/67 – und vom 7. Juli 1970 – 1 AZR 505/69 – AP Nr. 42 und 58 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; BAGE 23, 151 = AP Nr. 63 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Dieser eingeschränkten Nachprüfung halten die Ausführungen des Berufungsgerichts stand.

b) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, eine die volle Haftung der Klägerin begründende grobe Fahrlässigkeit im Sinne einer offensichtlichen Sorgfaltswidrigkeit, die sich schlichtweg nicht entschuldigen lasse, liege nicht vor. Es gehöre zu den originären Pflichten einer Kassiererin, korrekt den Preis einzugeben und die Daten zu kontrollieren. Die Verletzung dieser Pflicht begründe den Haftungstatbestand, belege jedoch nicht den Vorwurf grober Fahrlässigkeit. Ein schwerer Schuldvorwurf lasse sich ebenso nicht aus der Diskrepanz zwischen dem Handelswert eines Videorecorders und dem eingegebenen Preis folgern. Es sei zu berücksichtigen, daß der Gesamtbetrag der Rechnung über 1.000,– DM gelegen habe. Nach einer schlichten Plausibilitätskontrolle habe der Preis des Geräts folglich auch korrekt erfaßt worden sein können. An dieser Bewertung ändere sich nichts dadurch, daß der Kassiervorgang noch vier weitere Buchungen umfaßt habe. Da die Preise dieser Artikel per Scanner eingelesen worden seien, sei für die Klägerin deren Anteil am Rechnungsbetrag nicht ohne weiteres ersichtlich gewesen. Ebenfalls nicht von ausschlaggebender Bedeutung sei, daß der Kunde zur Begleichung der Rechnung 2.000,– DM gegeben habe. In Großmärkten, wie sie die Beklagte betreibe, sei es nicht ungewöhnlich, daß Kunden größere Scheine auch dann zur Begleichung der Rechnung geben, wenn der Rechnungsbetrag dies nicht erfordere. Eine zu einem gänzlichen Haftungsausschluß führende leichteste Fahrlässigkeit liege ebenfalls nicht vor. Von einem nicht ins Gewicht fallenden Pflichtenverstoß sei nicht auszugehen. Dabei sei zu berücksichtigen, daß die Fehlbuchung morgens gegen 10.22 Uhr erfolgt sei. Da Arbeitsbeginn erst um 9.30 Uhr gewesen sei, habe noch ein höheres Maß an Konzentration verlangt werden können.

c) Die von der Revision hiergegen erhobenen Rügen sind nicht begründet.

Das Landesarbeitsgericht hat Beweislastregeln nicht verkannt. Es ist zutreffend, daß die Beklagte die Beweislast für das Vorliegen einer mittleren Fahrlässigkeit trifft. Hiervon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat zu Recht darauf abgestellt, daß die Klägerin schon der ihr obliegenden Pflicht zu einem substantiierten Bestreiten nicht nachgekommen ist. Es hat dazu ausgeführt, der Sachvortrag der Klägerin habe substantiierte Darlegungen über ein erhöhtes Kundenaufkommen oder sonstige, einen Zeitdruck am 21. Februar 1990 konkret begründende Umstände vermissen lassen. Aus dein Kassenstreifen allein sei nicht zu ersehen, mit welcher Geschwindigkeit sie habe arbeiten müssen. Schließlich sei der Umstand, daß die Klägerin mehrfach zwischen der Eingabe per Hand und der per Lesestift habe wechseln müssen, nicht geeignet, eine besondere Belastungssituation anzunehmen. Die Klägerin habe nicht vorgetragen, in welchem Umfang sie in dem Zeitraum von 9.30 Uhr bis 10.22 Uhr den Eingabemodus habe wechseln müssen. Ein solcher Vertrag wäre ihr möglich und zumutbar gewesen.

d) Das Landesarbeitsgericht hat weiter ohne Rechts fehler angenommen, die Klägerin habe bei dem festgestellten Verschuldensgrad für den der Beklagten entstandenen Schaden zu zwei Dritteln einzustehen. Die Verteilung der Verantwortlichkeit für einen entstandenen Schaden im Rahmen des § 254 BGB ist in erster Linie Sache tatrichterlicher Würdigung. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob die Tatsachengerichte alle Unterlagen ordnungsgemäß festgestellt, bei der Abwägung verwertet und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen haben (BAGE 54, 47; 57, 55 = AP Nr. 92, 93 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Dies gilt auch, wenn im Rahmen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs dem Verschulden des Arbeitnehmers gegenüber das Betriebsrisiko des Arbeitgebers entsprechend § 254 BGB zu berücksichtigen ist.

Bei Beachtung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs ist es nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht angenommen hat, die Klägerin hafte der Beklagten zu zwei Dritteln. Das Landesarbeitsgericht hat dazu ausgeführt, hinsichtlich der zu Lasten der Beklagten in die Abwägung einzustellenden Betriebsgefahr falle ins Gewicht, daß sie durch die Betriebsorganisation den Verkaufsvorgang praktisch vollständig auf die Kassiererinnen umwälze. Zu Lasten der Klägerin falle ins Gewicht, daß die manuelle Eingabe nur im Ausnahmefall zu leisten sei. Hierbei könne von der Klägerin ein höheres Sorgfaltsmaß verlangt werden als bei bloßen Routinevorgängen.

Die Angriffe der Revision hiergegen rechtfertigen keine andere rechtliche Würdigung. Soweit die Revision meint, bei der Quotierung des Schadens hätte die Tatsache Berücksichtigung finden müssen, daß der Verdienst der Klägerin in einem deutlichen Mißverhältnis zum Schadensrisiko stehe, übersieht sie, daß das Berufungsgericht das Schadensrisiko bei der Ermittlung der Haftungsquote zu Lasten der Beklagten berücksichtigt hat. Es hat ausgeführt, hinsichtlich der zu Lasten der Beklagten in die Abwägung einzustellenden Betriebsgefahr falle ins Gewicht, daß sie durch die Betriebsorganisation den Verkaufsvorgang praktisch vollständig auf die Kassiererinnen abwälze. Dieser Umstand sei nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, weil in dem Betrieb Güter mit zum Teil ganz erheblichen Werten umgesetzt werden. Die Beklagte verzichte darauf, Rechnungsbeträge durch eine Kontrolle am Ausgang nochmals nachvollziehen zu lassen. Daß die überwiegende Zahl der Buchungen automatisiert einzugeben sei, kompensiere dieses Risiko nicht vollständig. Es befreie die Kassiererin von der Handeingabe bei Sonderangeboten gar nicht und bei regulären Artikeln nur dann, wenn das „Scanning” einwandfrei funktioniere. Daß das Berufungsgericht dieses in die Abwägung einbezogene Schadensrisiko nicht ausdrücklich in Relation zum Verdienst der Klägerin gesetzt hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn ein grobes Mißverhältnis zwischen dem entstandenen Schaden und dem Verdienst der Klägerin (DM 1.500,– brutto) liegt erkennbar nicht vor.

 

Unterschriften

Michels-Holl, Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Harnack, Hickler

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073520

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