Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifgeltung nach Betriebsübergang

 

Leitsatz (redaktionell)

Nach Betriebsübergang gilt der neue, für den Übernehmer gültige Tarifvertrag auch dann unter Verdrängung des bisherigen Tarifvertrages, wenn die Tarifbindung an den neuen Tarifvertrag erst Monate nach dem Betriebsübergang entsteht.

 

Orientierungssatz

Ablösung des Einzelhandelstarifvertrages durch den Tarifvertrag für die Bekleidungsindustrie vom Zeitpunkt der Tarifbindung an den neuen Tarifvertrag.

 

Normenkette

TVG § 1; BGB § 613a

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 03.07.1984; Aktenzeichen 11 Sa 509/84)

ArbG Duisburg (Entscheidung vom 01.02.1984; Aktenzeichen 3 Ca 1966/83)

 

Tatbestand

Die Klägerin war ab 6. September 1971 bei der Firma D als Näherin in der Musterei beschäftigt. Diese Firma wurde zum 30. Juni 1976 in die Firma B GmbH umgewandelt. Die B GmbH betrieb ein Einzelhandelsunternehmen und gehörte dem Einzelhandelsverband Nordrhein e.V. an. Mit Wirkung vom 1. Mai 1983 übernahm die Beklagte, die der Wirtschaftsvereinigung Bekleidungsindustrie Nordrhein e.V. als Mitglied angehört, die Musterei der B GmbH gemäß § 613 a BGB. Dies wurde der Klägerin mit Schreiben vom 27. Mai 1983 mitgeteilt, das auf einem Firmenbogen der Firma B GmbH verfaßt und von Siegfried R unterzeichnet ist, der sowohl Geschäftsführer der Firma B GmbH als auch Geschäftsführer der Beklagten ist. In diesem Schreiben heißt es:

"Sehr geehrte Frau S ,

die Gesellschaft der B

GmbH sowie der M GmbH haben

per Gesellschafterbeschluß vom 24. März

1983 festgelegt, daß die Musterei an die

M GmbH gemäß § 613 a BGB

übergehen soll. Das bedeutet, daß mit Wir-

kung 1. Mai 1983 die M GmbH

in alle Rechte und Pflichten Ihres Anstel-

lungsvertrages eintritt.

Ihre bisher erworbenen Rechte, z. B. durch

langjährige Firmenzugehörigkeit, bleiben im

vollen Umfang bestehen.

Ihr direkter Vorgesetzter wird der Betriebs-

leiter, Herr P , sein. Geschäftsführer

der M GmbH sind Frau D

und Herr R ."

Die Klägerin war bis 30. Juni 1983 Mitglied der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen. Seit 1. Juli 1983 gehört sie als Mitglied der Gewerkschaft Textil und Bekleidung an.

Die Klägerin wurde von der Rechtsvorgängerin der Beklagten nach dem Lohntarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein- Westfalen in die Lohngruppe III Lohnstaffel c) eingestuft und bezog zuletzt bei einem Tariflohn von DM 2.345,-- brutto ein übertarifliches Entgelt von DM 2.367,-- brutto. Diesen Betrag zahlte die Beklagte nach dem Betriebsübergang an die Klägerin weiter.

Mit Schreiben vom 1. Juli 1983 setzte die Beklagte den Lohn der Klägerin neu fest. In dem Schreiben heißt es:

"FESTSETZUNG DES LOHNES FÜR GEWERBLICHE ARBEIT-

NEHMER

Frau Renate S

(Name des Arbeitnehmers)

Für die Arbeitsbedingungen gelten die jeweili-

gen Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und

Arbeitsordnungen der Betriebsstätte, in wel-

cher der Arbeitnehmer eingesetzt wird. Diese

Verträge sind für beide Teile bindend und kön-

nen zusammen mit den einschlägigen Bestimmun-

gen im Lohnbüro/am Schwarzen Brett eingesehen

werden.

Aufgrund dieser Bestimmungen werden Sie ab

1. Juli 1983 in die Lohngruppe V eingestuft.

Ihr Lohn ab diesem Zeitpunkt berechnet sich

wie folgt:

1. Tariflohn DM 1.669,45

2. Übertarifliche Zulage DM 697,55

...

-----------

Monatslohn DM 2.367,--

===========

Die übertarifliche Zulage nach Ziff. 2 ist

eine freiwillige Leistung der Firma. Sie kann

jederzeit nach freiem Ermessen widerrufen

oder angerechnet werden.

...

Eine Änderung dieser Eingruppierung bzw. ei-

ner Lohnfestsetzung bedarf der Schriftform.

M GmbH

D straße 4,

D ,

den 1.7.1983

(Ort, Datum) (Firma)"

In der Zeit vom 25. Juli bis 20. August 1983 nahm die Klägerin ihren im März beantragten Jahresurlaub. Hierfür erhielt sie von der Beklagten ein tarifliches Urlaubsgeld nach dem Urlaubsgeldabkommen für die kaufmännischen und technischen Angestellten der nordrheinischen Bekleidungsindustrie in Höhe von DM 471,-- brutto.

Die Klägerin macht mit der Klage geltend, daß auf das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten nach wie vor die Vorschriften der Tarifverträge für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen anwendbar seien und sie demgemäß auch Urlaubsgeld nach diesen tariflichen Regelungen beanspruchen könne. Hierzu hat sie vorgetragen, der Betriebsübergang vom 1. Mai 1983 auf die Beklagte habe bewirkt, daß die Tarifnormen für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen kraft Gesetzes Inhalt ihres Arbeitsvertrags mit der Beklagten geworden seien. Darüber hinaus habe die Beklagte durch das Schreiben vom 27. Mai 1983 auch einzelvertraglich den Bestand der von der Klägerin erworbenen Rechte zugesichert. Bei dem Schreiben der Beklagten vom 1. Juli 1983 handele es sich um eine unzulässige Teilkündigung. Infolge der Aufteilung in Tariflohn und übertarifliche Zulage sei der bisherige Tariflohn der Klägerin nicht mehr als Mindestlohn garantiert, sondern könne in Höhe der von der Beklagten ausgewiesenen übertariflichen Zulage von dieser jederzeit widerrufen oder bei Tariflohnerhöhungen angerechnet werden. Eine solche Vertragsänderung hätte die Beklagte einseitig nur durch eine Änderungskündigung vornehmen dürfen. Ferner stehe der Klägerin nach der tariflichen Regelung des Einzelhandels für 1983 ein Urlaubsgeld in Höhe von DM 955,-- brutto zu, so daß die Beklagte noch DM 484,-- nachzuzahlen habe.

Die Klägerin hat demgemäß beantragt,

1. festzustellen, daß die Teilkündigung

vom 1. Juli 1983 rechtsunwirksam ist,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die

Klägerin DM 484,-- brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, seit dem Betriebsübergang am 1. Mai 1983 richteten sich die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nach den für die Beklagte geltenden Tarifverträgen der Bekleidungsindustrie, da die Beklagte an diese Tarifverträge gebunden sei. Auf eine beiderseitige Tarifbindung komme es insoweit nicht an. Das Schreiben vom 1. Juli 1983 habe ausschließlich deklaratorischen Charakter und sei keine Teilkündigung. Urlaubsgeld nach den tariflichen Regelungen für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen könne die Klägerin selbst dann nicht verlangen, wenn man für die Anwendung der für die Beklagte geltenden Tarifverträge für die Bekleidungsindustrie beiderseitige Tarifbindung verlange. Denn aufgrund des Eintritts der Klägerin in die Gewerkschaft Textil und Bekleidung bestehe seit 1. Juli 1983 beiderseitige Tarifbindung. Den Urlaub habe die Klägerin erst nach dem 1. Juli 1983 angetreten, so daß sich der Anspruch auf Urlaubsgeld nach den tariflichen Vorschriften für die Bekleidungsindustrie richte. Eine einzelvertragliche Zusicherung, daß der Klägerin über die Rechtsfolgen des § 613 a BGB hinaus Rechte nach den Tarifverträgen für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen erhalten blieben, könne in dem Schreiben vom 27. Mai 1983 nicht gesehen werden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis mit Recht abgewiesen. Der Feststellungsantrag ist unbegründet, weil in dem Schreiben der Beklagten vom 1. Juli 1983 weder eine Teilkündigung noch eine sonstige rechtsgeschäftliche Willenserklärung zu erblicken ist. Auch der Zahlungsantrag der Klägerin ist unbegründet, weil sie von der Beklagten kein restliches Urlaubsgeld in Höhe von DM 484,-- brutto für 1983 verlangen kann. Denn der Anspruch der Klägerin auf Urlaubsgeld richtet sich nicht nach den Tarifverträgen für den Einzelhandel, sondern nach den Tarifverträgen für die Bekleidungsindustrie für den Tarifbereich Nordrhein.

Der Feststellungsantrag der Klägerin ist zulässig, bedarf allerdings der Auslegung. Die Klägerin hat die Feststellung beantragt, daß die Teilkündigung vom 1. Juli 1983 rechtsunwirksam ist. Hierzu hat sie in der Klageschrift ausgeführt, das Rechtsschutzinteresse für den Feststellungsantrag liege darin, daß die Beklagte nach der inhaltlichen Abänderung des Lohns jederzeit von den vertraglichen Vereinbarungen bzw. von der Lohngarantie als Mindestlohn abrücken könne. Damit will die Klägerin ersichtlich erreichen, daß die Beklagte an den bisherigen tariflichen Vorschriften und vertraglichen Vereinbarungen, insbesondere auch an dem Anstellungsvertrag vom 26. August 1971, festgehalten wird. Demgemäß ist der Klageantrag nach dem gesamten Klagevorbringen der Klägerin dahin auszulegen, daß sie die Feststellung begehrt, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch das auf Änderung der Arbeitsbedingungen gerichtete Schreiben der Beklagten vom 1. Juli 1983 nicht abgeändert worden.

Für diesen Klageantrag besteht entgegen der Auffassung der Beklagten auch ein Rechtsschutzinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO). Es ist zwar nicht ersichtlich und von der Klägerin - auch nach Befragen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - nicht vorgetragen, welche weiteren Ansprüche aus früheren vertraglichen Vereinbarungen oder auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren tariflichen Bestimmungen der Klägerin noch zustehen könnten. Der von ihr geltend gemachte Anspruch auf höheres Urlaubsgeld nach den tariflichen Vorschriften für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen stünde ihr aber auch noch für die Zukunft zu, wenn nach dem Betriebsübergang auf die Beklagte keine Rechtsänderung eingetreten und auch durch das Schreiben vom 1. Juli 1983 nicht herbeigeführt worden wäre. Dies rechtfertigt es, für den Feststellungsantrag ein Rechtsschutzinteresse zu bejahen.

Der Feststellungsantrag ist jedoch unbegründet, da in dem Schreiben der Beklagten vom 1. Juli 1983 keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung liegt, so daß dieses Schreiben überhaupt nicht auf eine Änderung der Arbeitsbedingungen gerichtet ist. Bei dem Schreiben der Beklagten handelt es sich um ein formularmäßiges Schreiben, dessen Inhalt als typischer Erklärungssachverhalt vom Senat selbständig und unbeschränkt ausgelegt werden kann (vgl. BAG 37, 245, 254 = AP Nr. 2 zu § 42 SchwbG mit weiteren Nachweisen). Dieses Schreiben enthält die Überschrift "Festsetzung des Lohnes für gewerbliche Arbeitnehmer" und darunter (ohne Anrede) den Namen der Klägerin. Danach heißt es:

"Für die Arbeitsbedingungen gelten die jewei-

ligen Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen

und Arbeitsordnungen der Betriebsstätte, in

welcher der Arbeitnehmer eingesetzt wird.

Diese Verträge sind für beide Teile bindend

und können zusammen mit den einschlägigen

Bestimmungen im Lohnbüro/am Schwarzen Brett

eingesehen werden."

In Übereinstimmung mit dem Landesarbeitsgericht kann in diesen Ausführungen nur eine Information der Klägerin über die für sie geltenden Arbeitsbedingungen gesehen werden. Das Schreiben gibt die Rechtsauffassung der Beklagten über die geltende Rechtslage wieder. Es enthält aber keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Beklagte mit diesem Schreiben eine Änderung der Rechtslage herbeiführen wollte. Vielmehr geht die Beklagte ersichtlich davon aus, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen bereits durch die einschlägigen Bestimmungen eingetreten ist. Anders ist die Formulierung "diese Verträge sind für beide Teile bindend" nicht zu verstehen. Auch Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagte mit dem Schreiben der Klägerin ein Angebot auf entsprechende Änderung des Arbeitsvertrags machen wollte, lassen sich dem Schreiben nicht entnehmen. Aus der Überschrift "Festsetzung des Lohnes für gewerbliche Arbeitnehmer" läßt sich entnehmen, daß die Beklagte mit dem Schreiben nur den Lohn aufgrund der geltenden Rechtslage festsetzen wollte. Damit ist das Schreiben vom 1. Juli 1983 überhaupt nicht darauf gerichtet, die Arbeitsbedingungen der Klägerin abzuändern.

Der Zahlungsantrag der Klägerin ist unbegründet, da ihr für 1983 kein Urlaubsgeld nach dem Tarifvertrag über Sonderzahlungen für den Einzelhandel für das Land Nordrhein-Westfalen vom 31. März 1980 zusteht. Eine Tarifbindung der Beklagten an diesen Tarifvertrag besteht nicht, da die Beklagte nicht Mitglied eines der tarifschließenden Einzelhandelsverbände ist und auch keinen Einzelhandel betreibt. Die Beklagte ist vielmehr Mitglied der Wirtschaftsvereinigung Bekleidungsindustrie Nordrhein e.V. und daher nur an Tarifverträge für den nordrheinischen Teil des Landes Nordrhein-Westfalen für die Bekleidungsindustrie gebunden. Demgemäß hat sie der Klägerin nach dem Urlaubsgeldabkommen für die Angestellten der Bekleidungsindustrie Urlaubsgeld gewährt.

Die Beklagte ist auch nicht nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB verpflichtet, der Klägerin für 1983 Urlaubsgeld nach den tariflichen Vorschriften für den Einzelhandel für das Land Nordrhein- Westfalen zu gewähren. Nach dieser gesetzlichen Vorschrift werden zwar Rechtsnormen eines Tarifvertrags, die die Rechte und Pflichten aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsveräußerer regelten, Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer. Diese Rechtsfolge tritt aber nicht ein, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags geregelt werden (§ 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB). Letzteres trifft vorliegend jedenfalls für die Zeit ab 1. Juli 1983 und damit auch für die Urlaubszeit der Klägerin zu, da seit diesem Zeitpunkt kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit die Tarifverträge für die Bekleidungsindustrie im Tarifbereich Nordrhein auf das Arbeitsverhältnis der Parteien mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung finden (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG).

Selbst wenn mit dem Betriebsübergang auf die Beklagte ab 1. Mai 1983 zunächst gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB die tariflichen Vorschriften für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen Inhalt des Arbeitsverhältnisses der Parteien wurden, weil die einseitige Tarifbindung des Arbeitgebers für die Anwendung des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB nicht ausreichte, was vorliegend dahingestellt bleiben kann, ist die Rechtsfolge des § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB mit dem Eintritt der beiderseitigen Tarifbindung an die Tarifverträge für die Bekleidungsindustrie Nordrhein wieder außer Kraft getreten. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des § 613 a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB. Diese gesetzlichen Vorschriften wollen bei einem Betriebsübergang für die Dauer von einem Jahr sicherstellen, daß ein Arbeitnehmer, auf dessen Arbeitsverhältnis bisher Rechtsnormen eines Tarifvertrags Anwendung fanden, weiter nach den tariflichen Vorschriften behandelt wird, soweit der Tarifvertrag, der bisher auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fand, noch weitergilt. Der Gesetzgeber hat aber die Weitergeltung der bisherigen tariflichen Vorschriften für das Arbeitsverhältnis in dem Fall ausdrücklich ausgeschlossen, in dem die Arbeitsverhältnisse bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags geregelt werden. Damit räumt der Gesetzgeber insoweit dem sogenannten Prinzip der Tarifeinheit Vorrang ein, das u.a. besagt, daß für jeden Betrieb im allgemeinen nur ein Tarifvertrag in Betracht kommt (vgl. Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl. 1977, § 4 Rz 162). Ferner kommt darin die Wertung des Gesetzgebers zum Ausdruck, daß ein Arbeitnehmer des Schutzes der bisher für ihn geltenden tariflichen Vorschriften nicht mehr bedarf, wenn er durch neue, für den Betriebserwerber geltende Tarifvorschriften geschützt ist. Nach diesem Schutzzweck ist es unerheblich, ob die neuen tariflichen Vorschriften, die für den Betriebserwerber gelten, bereits beim Betriebsübergang vorlagen und damit von vornherein die Anwendung des § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB ausschlossen, oder erst einige Zeit nach dem Betriebsübergang Anwendung finden und demgemäß erst von diesem Zeitpunkt an die Weitergeltung bisheriger tariflicher Vorschriften nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB ausschließen. Auch im letzteren Fall ist es nach dem insoweit vom Gesetzgeber gewollten Prinzip der Tarifeinheit geboten, die bisherigen tariflichen Vorschriften nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht mehr anzuwenden, sondern nur noch nach den neuen, für den Betriebserwerber geltenden tariflichen Vorschriften zu verfahren. Damit findet insoweit nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes das sonst geltende tarifliche Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 TVG) keine Anwendung, so daß auch bisherige günstigere tarifliche Regelungen, die nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer wurden, abgelöst werden und nicht mehr Inhalt des Arbeitsverhältnisses sind (in diesem Sinne auch: Seiter, AR-Blattei, Betriebsinhaberwechsel I, Abschnitt B VIII 6 a und b aa). Der Gesetzgeber sieht die Arbeitnehmer durch die für den Betriebserwerber geltenden Tarifvorschriften als ausreichend geschützt an.

Für diese Auslegung spricht auch, daß die Geltung der bisher für den Arbeitnehmer geltenden tariflichen Bestimmungen bei fehlender Tarifgebundenheit des Betriebserwerbers und des Arbeitnehmers nach dem Betriebsübergang durch nachträgliche einzelvertragliche Vereinbarung der für den Betriebserwerber einschlägigen tariflichen Regelungen beseitigt werden kann (§ 613 a Abs. 1 Satz 4 BGB). Umso mehr muß dies bei einer nachträglich eintretenden beiderseitigen Tarifbindung an neue Tarifverträge gelten, weil die beiderseitige Tarifbindung wegen ihrer unmittelbaren und zwingenden Wirkung dem Arbeitnehmer größeren Schutz bietet als die bloße vertragliche Vereinbarung tariflicher Vorschriften.

Ein einzelvertraglicher Anspruch der Klägerin auf Urlaubsgeld nach den Vorschriften der Tarifverträge für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen aufgrund des Schreibens vom 27. Mai 1983 besteht nicht, wobei zugunsten der Klägerin unterstellt werden kann, daß das Schreiben auch im Namen der Beklagten abgegeben wurde, weil der Unterzeichner des Schreibens auch Geschäftsführer der Beklagten ist. Es handelt sich insoweit um ein individuelles Schreiben, so daß die Auslegung durch das Landesarbeitsgericht nur daraufhin zu überprüfen ist, ob Verstöße gegen allgemeine Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze vorliegen oder wesentliche Umstände außer acht gelassen worden sind (vgl. BAG Urteil vom 18. Juni 1980 - 4 AZR 463/78 -, AP Nr. 68 zu § 4 TVG Ausschlußfristen mit weiteren Nachweisen). Hierfür sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Wenn das Landesarbeitsgericht durch die Bezugnahme auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts meint, aus dem Schreiben ergebe sich nur, daß die Beklagte entsprechend den gesetzlichen Übernahmeregelungen nach § 613 a BGB in die Rechte und Pflichten des Arbeitsverhältnisses eintreten wollte, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und im übrigen sogar naheliegend. Es heißt in dem Schreiben der Beklagten insoweit ausdrücklich, der Übergang aus § 613 a BGB bedeute, daß mit Wirkung vom 1. Mai 1983 die Beklagte in alle Rechte und Pflichten des Anstellungsvertrags eintrete. Der anschließende Hinweis, daß die bisher erworbenen Rechte, z. B. durch langjährige Firmenzugehörigkeit, im vollen Umfange bestehen bleiben, ist ersichtlich nur eine Erläuterung des vorangehenden Satzes. Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagte damit über die gesetzlichen Vorschriften hinaus der Klägerin die Erhaltung von Rechten zusichern wollte, sind nicht ersichtlich. Verfahrensrügen werden insoweit von der Revision nicht erhoben.

Entgegen der Auffassung der Klägerin steht ihr Anspruch auf Urlaubsgeld nach dem Tarifvertrag über Sonderzahlungen für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen auch nicht deshalb zu, weil ihr der am 25. Juli 1983 angetretene Urlaub bereits im März 1983 bewilligt wurde und damals noch die Vorschriften der Tarifverträge für den Einzelhandel auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fanden. Denn für den Anspruch auf Urlaubsgeld kommt es allein auf die am ersten Tage der Fälligkeit geltenden Anspruchsgrundlagen an, da das Urlaubsgeld erst von diesem Tage an verlangt und eingeklagt werden kann. Nach § 2 des Tarifvertrags über Sonderzahlungen für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen ist das Urlaubsgeld auf Verlangen des Arbeitnehmers vor Antritt des Urlaubs auszuzahlen und wird damit erst zu diesem Zeitpunkt fällig. Bei Antritt des Urlaubs der Klägerin am 25. Juli 1983 galten aber die Tarifverträge für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen für das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mehr.

Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

Dr. Neumann Dr. Feller Dr. Etzel

Dr. Bermel Scheerer

 

Fundstellen

Haufe-Index 439557

BAGE 51, 274-282 (LT)

BAGE, 274

DB 1986, 1575-1576 (LT1)

NJW 1987, 94

NZA 1986, 687-688 (LT1, ST1)

RdA 1986, 272

SAE 1987, 140-142 (LT1)

ZIP 1986, 933

ZIP 1986, 933-936 (LT1)

AP § 613a BGB (LT), Nr 49

EzA § 613a BGB, Nr 51 (LT1)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge