Entscheidungsstichwort (Thema)

Einigungsvertrag. mangelnde persönliche Eignung

 

Leitsatz (amtlich)

  • Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 zum Einigungsvertrag (fortan Abs. 4 Ziff. 1) stellt eine eigenständige Regelung dar. Daneben sind die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 2 KSchG nicht zu prüfen.
  • Die persönliche Eignung gemäß Abs. 4 Ziff. 1 setzt voraus, daß der Arbeitnehmer sich durch sein gesamtes persönliches Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung i. S. des Grundgesetzes bekennen muß. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Kindern und Jugendlichen glaubwürdig die Grundwerte der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland vermitteln.
  • Wer über einen längeren Zeitraum jedenfalls hauptamtlich ein Parteiamt der SED innehatte, das mit Leitungs-, Kontrollund Aufsichtsfunktionen verbunden war, erweckt deshalb Zweifel, ob er die Grundwerte der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland glaubwürdig vermitteln kann. Zur Begründung des Zweifels sind weitere Störungen des Arbeitsverhältnisses nicht erforderlich.
  • Es ist jedoch zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Kündigung die Zweifel noch bestehen. Dies wäre nicht der Fall, wenn sich aus dem Verhalten des Arbeitnehmers vor oder nach dem 3. Oktober 1990 ergibt, daß er zu den Werten des Grundgesetzes steht.
 

Normenkette

Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1

 

Verfahrensgang

BezirksG Dresden (Urteil vom 21.05.1992; Aktenzeichen 2 Sa 123/91)

KreisG Hoyerswerda (Urteil vom 09.10.1991; Aktenzeichen 36 Ca 234/91)

 

Tenor

  • Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Bezirksgerichts Dresden vom 21. Mai 1992 – 2 Sa 123/91 – aufgehoben.
  • Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Chemnitz zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung des Beklagten vom 28. Mai 1991.

Der 1941 geborene Kläger schloß nach Abschluß seiner Ausbildung an der Humboldt Universität Berlin am 11. Juli 1964 mit dem Rat des Kreises H… einen Arbeitsvertrag, wonach er ab 1. August 1964 die Tätigkeit als Lehrer in der Oberschule IX H… aufnahm. 1973/74 besuchte er die Kreisparteischule der SED. Von 1974 bis 1979 hatte er die nebenamtliche Funktion des Parteisekretärs der 19. POS H…. 1979/80 absolvierte der Kläger die Bezirksparteischule der SED. Von 1980 bis 1981 war er Direktor der 6. POS in H…. Er schied danach aus dem Schuldienst aus und war von 1982 bis 1989 hauptamtlicher Leiter der Kreisparteischule der SED in H….

Seit 1987 bemühte er sich um ein Ausscheiden aus der Kreisparteischule und um eine Rückkehr in den Schuldienst. Ab 1. Januar 1990 wurde er wieder als Lehrer für Kunst und Geschichte beschäftigt.

Durch Schreiben vom 28. Mai 1991 des Oberschulamtes Dresden und des Schulamtes H… wurde das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. August 1991 gekündigt.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Er hat vorgetragen, der Beklagte habe lediglich pauschal behauptet, es bestünden erhebliche Zweifel, ihn im Schuldienst weiter zu beschäftigen. Anzeichen für verfassungsfeindliche Tätigkeiten seien nicht dargelegt worden. Daß er überzeugter Anhänger der SED und für diese Partei hauptamtlich tätig gewesen sei, stehe einer Eignung als Lehrer nicht entgegen. Es spreche nichts dafür, daß er die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht beachten werde.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

  • festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Mai 1991 mit Ablauf des 31. August 1991 nicht sein Ende gefunden habe,
  • die Beklagte im Falle des Obsiegens zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens als Lehrer weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat geltend gemacht, der Kläger sei als Lehrer ungeeignet. Seine mangelnde persönliche Eignung ergebe sich aus seiner individuellen beruflichen Lebensgeschichte. Er sei im Rahmen einer konsequenten Parteikarriere zu Leitungspositionen bis zum Leiter der Kreisparteischule gelangt. Zu einer solchen Parteifunktionärslaufbahn sei er nicht gezwungen worden. Es sei nicht davon auszugehen, daß der Kläger glaubhaft für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten werde.

Das Kreisgericht hat die Klage abgewiesen. Das Bezirksgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten, deren Zurückweisung der Kläger beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Rechtsstreit an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

A. Das Bezirksgericht hat ausgeführt, der Kernbereich des Kündigungsgrundes der persönlichen Nichteignung entspreche demjenigen der personenbedingten Kündigung. Bei personenbedingten Kündigungen nach § 1 KSchG wegen politischer Aktivitäten könnten Zweifel an der Verfassungstreue nur anhand konkreter, das Arbeitsverhältnis störender Umstände festgestellt werden. Ein früheres parteipolitisches Engagement eines Lehrers allein bedeute nicht, daß keine Glaubwürdigkeit bei der Vermittlung von Grundwerten und Grundprinzipien bestehe. Für die glaubwürdige Haltung des Klägers spreche insbesondere die von ihm bereits 1987 in die Wege geleitete Aufgabe seiner seit 1982 ausgeübten Stellung als Leiter der Kreisparteischule.

B. I. 1. Das angefochtene Urteil ist wegen Verletzung einer Rechtsnorm aufzuheben. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen der Wirksamkeit der Kündigung nicht ausschließlich unter Zugrundelegung von Art. 20, Anl. I Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 ziff. 1 Einigungsvertrag (fortan: Abs. 4 Ziff. 1) geprüft. Der Normgehalt des Abs. 4 Ziff. 1 ist vom begrifflichen Gehalt her genauer als der des § 1 Abs. 2 KSchG. Dennoch hat das Bezirksgericht seiner Prüfung auch § 1 KSchG zugrundegelegt. Die rechtliche Prüfung in dem angefochtenen Urteil vermischt dabei beide Tatbestände, ohne daß noch nachvollziehbar wäre, ob das Gericht nun Abs. 4 Ziff. 1 oder § 1 Abs. 2 KSchG anwendet.

2. Das Bezirksgericht weicht mit seiner Auffassung ab von der Rechtsprechung des Senats. Dieser hat am 24. September 1992 (– 8 AZR 557/91 – zur Veröffentlichung vorgesehen) entschieden, daß Abs. 4 in seinem Regelungsbereich § 1 Abs. 2 KSchG ersetzt. Die Auslegung des Abs. 4 ergibt sich aus dem Wortsinn und einer interessengerechten Wertung der Vorschrift. Durch die positive Formulierung, die Kündigung sei auch zulässig, kommt zum Ausdruck, daß bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 4 bereits sachliche Gründe für eine ordentliche Kündigung gegeben sind. Die in Ziff. 1 bis 3 genannten Gründe des Absatzes 4 sind solche, die auch einem der Tatbestände des § 1 Abs. 2 KSchG zugeordnet werden könnten. Die Voraussetzungen sind jedoch bei Abs. 4 Ziff. 1 nicht mit denen von § 1 KSchG identisch. Die Regelung des Abs. 4 wäre überflüssig, wenn neben einer auf Abs. 4 gestützten Kündigung noch § 1 KSchG anzuwenden wäre.

II. Nach Abs. 4 Ziff. 1 ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder fachlicher Qualifikation oder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht.

Bei der fachlichen Qualifikation kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer über entsprechende arbeitsplatzbezogene Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt (BAG Urteil vom 25. Februar 1993 – 8 AZR 246/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Entscheidend ist in der Regel nicht die formale Vor- oder Ausbildung des betroffenen Arbeitnehmers. Der Beklagte hat keine ausreichenden Tatsachen vorgetragen, aus denen geschlossen werden könnte, dem Kläger ermangele es an einer fachlichen Qualifikation. Der Hinweis, wegen der Unterbrechung der Lehrtätigkeit sei er methodisch nicht mehr zur Unterrichtserteilung geeignet, ist im Hinblick auf seine Beurteilung unsubstantiiert. Der Kläger verfügt über eine ordnungsgemäße Ausbildung als Lehrer und unterrichtet, ohne daß Beanstandungen in fachlicher oder methodischer Hinsicht zutage getreten wären.

III. 1. Die mangelnde persönliche Eignung i. S. von Abs. 4 Ziff. 1 ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft. Sie ist getrennt von der Qualifikation zu prüfen. Sie kann entweder aufgrund der bisherigen Lebensführung fehlen oder sich aus der Art und Weise des Verhaltens des Arbeitnehmers ergeben. Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 liegt eine andere Interessenlage zugrunde als der bei § 1 Abs. 2 KSchG. Deshalb können Erwägungen zu § 1 Abs. 2 KSchG nicht unbesehen auf Abs. 4 Ziff. 1 übertragen werden. Bei § 1 Abs. 2 KSchG ist davon auszugehen, daß der Arbeitgeber oder sein Rechtsvorgänger, an dessen Entscheidungen er gebunden ist, einen Arbeitnehmer eingestellt hat, weil er ihn für geeignet gehalten hat. Eine Kündigung ist im Regelfalle daher angezeigt, wenn der für geeignet befundene Arbeitnehmer durch konkrete Störungen des Vertragsverhältnisses seine Ungeeignetheit im nachhinein offenbart. Durch die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 wird dem öffentlichen Arbeitgeber im übergeordneten staatlichen Interesse ermöglicht, einen übernommenen Arbeitnehmer selbst auf seine Eignung überprüfen zu können, weil er von einem Arbeitgeber eingestellt worden ist, der rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht verpflichtet war. Abs. 4 Ziff. 1 erlaubt deshalb eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 zwingt den öffentlichen Arbeitgeber bei von ihm darzulegenden Zweifeln an der Eignung nicht, die notwendige rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers in jedem Falle zunächst zu “erproben”.

2. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennt (§ 8 Abs. 1 Satz 2 BAT). Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten.

Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern und Jugendlichen glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln (BAGE 28, 62 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 2 GG). Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 2. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG).

3. Ein Lehrer in der ehemaligen DDR ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Das gilt auch für solche Personen, die leitende Positionen im Schulwesen – und nicht in der Partei – innehatten, soweit sie ihr Amt sachbezogen und nicht überwiegend im Sinne der SED ausgeübt haben. Die Aufgaben des Lehrers waren u. a. im Gesetz für das einheitliche sozialistische Bildungssystem vom 25. Februar 1965 (GBl-DDR I S. 83) festgelegt. In der Einleitung zu diesem Gesetz waren die Ziele der Deutschen Demokratischen Republik genannt. Diese richteten sich eindeutig gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Wäre der Gesetzgeber bei Lehrern wegen ihrer Einbindung in die ehemaligen Staatsziele der DDR von einer generellen Ungeeignetheit ausgegangen, hätte es nahegelegen, die Rechtsverhältnisse dieser Lehrer als beendet zu normieren. Da dies nicht geschehen ist, ist zu folgern, daß die auf fehlende Eignung gestützte Kündigung weitere Tatsachen erfordert als die frühere Bindung dieser Personen an rechtsstaatswidrige Vorgaben.

Eine mangelnde persönliche Eignung liegt bei einem Lehrer dann vor, wenn er diesen staatlichen Vorgaben nicht bloß gefolgt ist, sondern wenn er sie in seine persönliche Überzeugung durch aktives Tun übernommen hat. Das ist jedenfalls bei solchen Arbeitnehmern anzunehmen, die sich in der Vergangenheit dadurch in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert haben, daß sie in der SED aktiv in hauptamtlichen Parteiämtern mitgewirkt haben. Wer durch eine intensive Parteiarbeit die Ziele der SED, die die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik ablehnte und bekämpfte, förderte, weist auf, daß er persönlich nicht geeignet ist, als Lehrer die Grundwerte des Grundgesetzes glaubwürdig zu vermitteln (so richtig LAG Chemnitz Urteil vom 9. September 1992 – 2 Sa 6/92 Dresden – BB 1992, 2220 LS; LAG Berlin Urteil vom 23. Juni 1992 – 14 Sa 24/92 – BB 1993/142 LS; LAG Berlin Urteil vom 23. September 1992 – 13 Sa 61/92 –).

4. Dennoch ist auch in diesen Fällen eine Einzelfallprüfung erforderlich, ob die Nichteignung noch zum Zeitpunkt der Kündigung besteht. Maßgebliche Kriterien können auch hier sein die Dauer der früheren aktiven SED-Tätigkeit, die dabei bekleidete Stellung innerhalb der SED und der Zeitpunkt sowie die Umstände einer Beendigung der aktiven Parteitätigkeit vor dem Zusammenbruch der früheren DDR. Ebenso kann der betroffene Arbeitnehmer konkrete Umstände aufzeigen, aus denen geschlossen werden kann, daß er nunmehr zu den Werten des Grundgesetzes steht. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen nachprüfbaren Tatsachen entweder nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren anderen Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist.

IV. Das Landesarbeitsgericht wird bei seiner erneuten Entscheidung diese Grundsätze zu beachten haben. Der Kläger hat Gelegenheit, sich auf die Rechtsauffassung des Senats einzustellen.

 

Unterschriften

Michels-Holl, Dr. Ascheid, Morsch, Brückmann

zugleich für den wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschriftsleistung verhinderten Richter

Dr. Müller-Glöge

 

Fundstellen

Haufe-Index 845846

BAGE, 361

BB 1993, 728

NZA 1994, 120

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