Entscheidungsstichwort (Thema)

Verspätete Urteilsabsetzung – Unterschriftsersetzung durch Verhinderungsvermerk

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Urteil gilt als nicht mit Gründen versehen (§ 551 Nr. 7 ZPO), wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt und von den Richtern besonders unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben worden sind. Ein Urteil ist in diesem Sinne auch dann unterschrieben, wenn die Unterschrift eines an der Entscheidung beteiligten Richters durch einen Verhinderungsvermerk nach § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO wirksam ersetzt worden ist (Ergänzung zu: BAG Urteil vom 4. August 1993 – 4 AZR 501/92 – BAGE 74, 44 = AP Nr. 22 zu § 551 ZPO).

2. Ein Verhinderungsvermerk, in dem unter Angabe des Verhinderungsgrundes niedergelegt ist, daß der betreffende Richter verhindert ist, ersetzt dessen Unterschrift, wenn er bei Unterschriftsreife der Entscheidung längere Zeit tatsächlich oder rechtlich gehindert war, seine Unterschrift zu leisten. Hierfür reicht es jedenfalls nicht aus, wenn er an einem Tag nicht erreichbar war.

3. Findet sich auf einem Berufungsurteil ein Verhinderungsvermerk, der einen Verhinderungsgrund nennt, der an sich geeignet ist, den Richter im Sinne des § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO an der Unterschriftsleistung zu hindern, hat das Revisionsgericht grundsätzlich nicht nachzuprüfen, ob der betreffende Richter tatsächlich verhindert war. Etwas anderes gilt dann, wenn der Revisionskläger im einzelnen nachvollziehbar darlegt, daß der Vermerk auf willkürlichen und sachfremden Erwägungen oder darauf beruht, daß der Rechtsbegriff der Verhinderung ersichtlich verkannt worden ist.

 

Normenkette

ArbGG § 69; ZPO § 315 Abs. 1 S. 2, § 551 Nr. 7

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 29.04.1997; Aktenzeichen 8 Sa 823/96)

ArbG München (Urteil vom 12.06.1996; Aktenzeichen 16 Ca 16672/95)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 29. April 1997 – 8 Sa 823/96 – aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe des dem Kläger zustehenden Betriebsrentenanspruchs.

Der Kläger war vom 1. Juli 1964 bis zum 31. August 1988 bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte gewährt ihren Mitarbeitern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach Maßgabe einer „Betriebsvereinbarung über eine Versorgungs-Ordnung der B GmbH”. Diese Betriebsvereinbarung ist am 1. Juli 1983 in Kraft getreten und am 29. Juli 1986 mit Wirkung ab dem 1. August 1986 neu gefaßt worden. Unter VI 2.3 der Betriebsvereinbarung heißt es:

„Leistungen vom Versorgungswerk der Presse GmbH und der Versorgungskasse der Deutschen Presse werden insoweit auf die Renten angerechnet, als diese auf Beitragsleistungen der B GmbH beruhen und den Arbeitgeberbeitrag zur Angestelltenversicherung übersteigen.”

In der Vorgängerregelung aus dem Jahre 1977 hieß es insoweit noch:

„Eventuelle Leistungen vom Versorgungswerk der Presse GmbH werden insoweit auf die Rente der Firma angerechnet, als diese auf Beitragsleistungen der B GmbH oder deren Tochtergesellschaften beruhen.”

Der Kläger bezieht seit dem 1. September 1988 gesetzliche Altersrente sowie von der Beklagten eine Betriebsrente von 795,93 DM. Dabei ist die Beklagte von einem monatlichen Betriebsrentenanspruch von 1.305,83 DM brutto ausgegangen, dessen Richtigkeit der Kläger nicht in Frage stellt. Von diesem Betrag hat die Beklagte die vom Kläger auf tarifvertraglicher Grundlage bezogenen Leistungen des Versorgungswerkes der Presse GmbH und der Versorgungskasse der Deutschen Presse abgezogen, soweit sie auf Beiträgen der Beklagten beruhen. Auch dieser Abzugsbetrag von 509,90 DM ist zwischen den Parteien rechnerisch nicht umstritten.

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Beklagte sei nicht befugt, die von ihm aufgrund tarifvertraglicher Bestimmungen bezogenen Versorgungsleistungen auf den betrieblichen Versorgungsanspruch anzurechnen. Der Arbeitgeberbeitrag zur Angestelltenversicherung für den Kläger habe sich zum Zeitpunkt seines Ausscheidens bei der Beklagten auf 532,95 DM monatlich belaufen.

Der Kläger hat beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 29.064,30 DM brutto zzgl. 4 % Zinsen aus der Nettosumme seit Klagezustellung zu zahlen,
  2. die Beklagte ferner zu verurteilen, ab 1. November 1995 monatlich, jeweils fällig zum ersten des Monats, 1.305,83 DM als Ruhestandsbezüge an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat den Standpunkt eingenommen, sie sei nach den Bestimmungen der Betriebsvereinbarung berechtigt, die sonstigen Versorgungsansprüche des Klägers auf dessen Betriebsrentenanspruch anzurechnen.

Während das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hat, hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte in seiner am 29. April 1997 verkündeten Entscheidung im wesentlichen antragsgemäß verurteilt. Das Urteil ist am 29. September 1997 von der Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts ausgefertigt worden. Es trägt die Originalunterschrift des Vorsitzenden der Achten Kammer des Landesarbeitsgerichts sowie unter den maschinenschriftlich vermerkten Nachnamen der ehrenamtlichen Richter den maschinenschriftlichen Vermerk „die beiden ehrenamtlichen Richter sind aus dienstlichen Gründen an der Unterschrift verhindert”. Diesen Vermerk hat der Vorsitzende der Achten Kammer des Landesarbeitsgerichts im Original unterzeichnet.

Mit ihrer Revision erhebt die Beklagte die Rüge aus § 551 Nr. 7 ZPO und strebt im übrigen die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils an. Das Bundesarbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Einholung von dienstlichen Äußerungen der am Urteil des Landesarbeitsgerichts beteiligten Richter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Rechtsstreit muß nach § 565 Abs. 1 ZPO zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden. Das angefochtene Urteil ist i.S.v. § 551 Nr. 7 ZPO, § 72 Abs. 5 ArbGG als nicht mit Gründen versehen zu behandeln. Es leidet deshalb an einem erheblichen Verfahrensmangel.

I. Der absolute Revisionsgrund des § 551 Nr. 7 ZPO besteht auch dann, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht innerhalb von fünf Monaten seit der Verkündung der Entscheidung schriftlich niedergelegt und von den Richtern besonders unterschrieben der Geschäftsstelle vorgelegt worden sind. Diesem Verfahrensmangel muß das Revisionsgericht nachgehen, wenn er innerhalb der Revisionsbegründungsfrist gerügt worden ist (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Beschluß vom 27. April 1993 – GmS-OGB 1/92 – AP Nr. 21 zu § 551 ZPO; BAG Urteil vom 4. August 1993 – 4 AZR 501/92 – BAGE 74, 44 = AP Nr. 22 zu § 551 ZPO).

II. Die Beklagte hat die Rüge des § 551 Nr. 7 ZPO in der rechtzeitig eingegangenen Revisionsbegründung erhoben. Die Rüge ist auch begründet.

1. Dies ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten allerdings nicht bereits daraus, daß das Urteil des Landesarbeitsgerichts nicht innerhalb der am 29. September 1997 abgelaufenen Fünf-Monats-Frist von den beiden ehrenamtlichen Richtern mitunterzeichnet worden ist.

Nach § 69 ArbGG ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts zwar nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist jedoch nach § 64 Abs. 6 ArbGG, § 523 ZPO auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren anzuwenden (Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 3. Aufl., § 69 Rz 7). Deshalb kann eine nach § 69 ArbGG erforderliche Unterschrift auch dadurch ersetzt werden, daß der Vorsitzende unter Angabe des Verhinderungsgrundes vermerkt, daß der betreffende Richter verhindert ist, seine Unterschrift beizufügen. Die auf diese Weise wirksam ersetzte Unterschrift eines oder mehrerer Richter erfüllt das Unterschriftserfordernis des § 315 Abs. 1 ZPO ebenso wie das des § 69 ArbGG. Ein Fall des § 551 Abs. 7 ZPO ist dann nicht gegeben.

2. Die Rüge der Beklagten hat jedoch Erfolg, weil die Unterschriften der ehrenamtlichen Richter nicht bis zum 29. September 1997 wirksam durch Verhinderungsvermerke ersetzt worden sind (vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 315 Rz 6; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 551 Rz 31; Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 315 Rz 1, jeweils m.w.N.).

a) Der Verhinderungsvermerk unter einem Urteil ersetzt auch im Zusammenhang mit § 551 Nr. 7 ZPO wirksam die Unterschrift des verhinderten Richters, wenn er die Tatsache der Verhinderung und deren Grund angibt, ohne daß dabei detaillierte Angaben erforderlich sind (Musielak, ZPO 1999, § 315 Rz 7; Stein/Jonas/Leipold, aaO, § 315 Rz 6; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 3. Aufl., § 69 Rz 8), und der Richter bei Unterschriftsreife des Urteils auch tatsächlich an der Unterschriftsleistung verhindert war.

Findet sich ein Verhinderungsvermerk auf einem Urteil, der einen Verhinderungsgrund nennt, der an sich geeignet ist, den Richter von der Unterschrift abzuhalten (vgl. BGH Urteil vom 21. Mai 1980 – VIII ZR 196/79 – NJW 1980, 1849, 1850; BGH Urteil vom 18. Januar 1983 – 1 StR 757/82 – NJW 1983, 1745), hat das Revisionsgericht grundsätzlich nicht nachzuprüfen, ob der betreffende Richter tatsächlich an der Unterschriftsleistung verhindert war. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Rechtsmittelführer im einzelnen nachvollziehbar darlegt, daß der Verhinderungsvermerk auf willkürlichen und sachfremden Erwägungen beruht. In diesem Fall hat das Revisionsgericht im Wege des Freibeweises zu klären, ob der betreffende Richter tatsächlich verhindert war, also ein Grund für die Ersetzung seiner Unterschrift vorgelegen hat (BGH Urteil vom 18. Januar 1983 – 1 StR 757/82 – aaO). Dasselbe muß gelten, wenn bei unterstellter Richtigkeit des Vorbringens des Rechtsmittelführers aufgrund sonstiger Umstände des Einzelfalles davon ausgegangen werden muß, daß der Rechtsbegriff der Verhinderung verkannt worden ist.

b) Der Vermerk des Vorsitzenden der 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts weist allgemein auf dienstliche Gründe hin, welche die ehrenamtlichen Richter an der Unterschriftsleistung hinderten. Eine solche Begründung ist für einen Berufsrichter ohne weiteres geeignet, den Verhinderungsfall zu belegen (BGH Urteil vom 18. Januar 1983 – 1 StR 757/82 – aaO). Sie reicht auch bei ehrenamtlichen Richtern grundsätzlich aus, obwohl hier nicht ohne weiteres feststeht, auf welchen Dienst sich der Verhinderungsgrund bezieht.

Legt man das Vorbringen der Beklagten zugrunde, hat der Vorsitzende Richter bei seinem Verhinderungsvermerk den Rechtsbegriff der Verhinderung i.S.v. § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO verkannt, indem er die fehlende Erreichbarkeit der ehrenamtlichen Richter am letzten Tag der Fünf-Monats-Frist mit der Verhinderung an der Unterschriftsleistung gleichgestellt hat. Dies ist aber nicht möglich (vgl. BGH Urteil vom 14. November 1978 – 1 StR 448/78 – NJW 1979, 663). Ein Richter ist nur dann im Sinne von § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO an der Unterschriftsleistung verhindert, wenn er auf Dauer oder für längere Zeit tatsächlich oder rechtlich gehindert ist, ein unterschriftsreifes Urteil zu unterzeichnen. Verhinderungsgründe können eine längere Erkrankung des Richters, ein länger andauernder Urlaub oder eine nicht nur kurzfristige berufliche Ortsabwesenheit sein oder auch das zwischenzeitliche Ausscheiden des Richters aus dem Richterdienst.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, daß die ehrenamtlichen Richter nicht i.S.v. § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO an der Unterschriftsleistung verhindert waren. Der Vorsitzende Richter hat das Urteil am 29. September 1997 mit seiner Unterschrift versehen zur Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts gegeben. Beide ehrenamtlichen Richter haben in ihren dienstlichen Äußerungen bekundet, daß sie in der zweiten Septemberhälfte nicht längerfristig ortsabwesend waren. Der Umstand, daß sie am 29. September 1997 für das Landesarbeitsgericht nicht erreichbar waren, bedeutet nicht, daß sie an der Unterschriftsleistung verhindert waren.

3. Da nach alledem bis zum Ablauf der Fünf-Monats-Frist am 29. September 1997 das angefochtene Urteil nicht mit den Unterschriften aller Richter oder deren wirksam ersetzten Unterschriften versehen zur Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts gelangt ist, mußte es nach § 565 ZPO aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.

 

Unterschriften

Reinecke, Kremhelmer, Bepler, Oberhofer, Reissner

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 17.08.1999 durch Kaufhold, Reg.-Obersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 436207

FA 1999, 369

JR 2001, 44

NZA 2000, 54

AP, 0

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