Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingruppierung eines englischen Lehrers. Bewährungsaufstieg

 

Leitsatz (amtlich)

  • Haben die Arbeitsvertragsparteien den sog. Nichterfüllererlaß zum Inhalt des Arbeitsvertrages gemacht, in dem sowohl die Ausgangsvergütungsgruppe als auch nach 15-jähriger Dienstzeit ein Bewährungsaufstieg in die höhere Vergütungsgruppe vorgesehen ist, so gehört auch der Bewährungsaufstieg zum Inhalt des Arbeitsvertrages, selbst wenn die Ausgangsvergütungsgruppe zu hoch festgesetzt worden ist.
  • Ein Arbeitgeber handelt rechtsmißbräuchlich, wenn er einen ausländischen Lehrer mehr als 15 Jahre beschäftigt und sich nach Ablauf der Bewährungszeit darauf beruft, daß er ihn bei der Einstellung wegen Fehlens subjektiver Ausbildungsvoraussetzungen zu hoch eingruppiert habe und deswegen ein Bewährungsaufstieg nicht in Betracht komme.
 

Normenkette

BAT § 22 Lehrer, § 23 Lehrer; BGB §§ 133, 157, 242; Runderlaß des Kultusministers Nordrhein-Westfalens über die “Eingruppierung der im Angestelltenverhältnis beschäftigten Lehrkräfte an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 19.05.1993; Aktenzeichen 7 Sa 999/92)

ArbG Köln (Urteil vom 27.05.1992; Aktenzeichen 9 Ca 160/91)

 

Tenor

  • Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 19. Mai 1993 – 7 Sa 999/92 – aufgehoben.
  • Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 27. Mai 1992 – 9 Ca 160/91 – unter Zurückweisung der Berufung im übrigen teilweise abgeändert:

    Es wird festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet ist, den Kläger ab dem 1. September 1990 nach VergGr. Ib BAT zu vergüten und die entsprechenden Nettodifferenzbeträge zwischen VergGr. Ib und VergGr. IIa BAT ab dem 11. Januar 1991 mit 4 % jeweils seit Fälligkeit zu verzinsen.

  • Die Kosten des Rechtsstreits hat das beklagte Land zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im wesentlichen darüber, ob der Kläger Anspruch auf Vergütung aus der VergGr. Ib BAT aufgrund Bewährungsaufstiegs aus der VergGr. IIa BAT hat.

Der Kläger ist britischer Staatsangehöriger und unterrichtet seit dem 1. September 1975 als vollzeitbeschäftigte Lehrkraft im Fach Englisch am S… -Gymnasium in K…. Zuvor war der Kläger von Oktober 1970 bis September 1974 beim englischen Seminar an der Universität zu K… als Lektor beschäftigt. Daneben war er ab 1. Februar und zunächst befristet bis zum 31. Juli 1974 mit fünf Jahreswochenstunden als nebenberufliche Lehrkraft für Englisch am S…-Gymnasium angestellt. Der Kläger verfügt über den Abschluß als “Bachelor of Arts”, den er nach einem dreijährigem Studium am St. John's College der Universität Cambridge für die Fächer Französisch und Deutsch als Fremdsprachen erreichte. Daneben absolvierte er eine einjährige Zusatzausbildung am Institute of Education der Universität London, für die ihm ein “Graduate Certificate in Education” ausgestellt wurde. Im Januar 1971 wurde ihm von der Universität Cambridge der akademische Grad eines “Master of Arts” verliehen. Im Zeitraum 1974 bis 1975 studierte der Kläger an der Universität Reading Linguistik, wofür ihm unter dem 5. Juli 1975 der Titel eines “Master of Arts” zuerkannt wurde.

Die Parteien haben unter dem 26. August 1975 einen schriftlichen Arbeitsvertrag geschlossen, der in § 1 wie folgt lautet:

“Herr H… wird ab 1.9.1975 als Lehrkraft im Angestelltenverhältnis eingestellt. Die Vergütung erfolgt nach den Sätzen des BAT Vergütungsgruppe IIa (Runderlaß des Kultusministers vom 16.7.1974 Z B 1-2-23/6 -628/74 Ziffer 4.2).”

Zuvor waren dem zuständigen Schulkollegium beim Regierungspräsidenten in Düsseldorf sämtliche Ausbildungsnachweise des Klägers mit Schreiben vom 25. Juni 1975 mit der Bitte um Eingruppierung und Festsetzung der Grundvergütung von dem Schulträger über das zuständige Verwaltungsamt vorgelegt worden. Dieses verfügte die entsprechende Eingruppierung des Klägers in die VergGr. IIa BAT. Die Fallgruppe 4.2 des in § 1 des Arbeitsvertrages in Bezug genommenen Runderlasses des Kultusministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 16. Juli 1974 über die Eingruppierung der im Angestelltenverhältnis beschäftigten Lehrer an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen, die die fachlichen und pädagogischen Voraussetzungen zur Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht erfüllen (im folgenden als Nichterfüllererlaß bezeichnet), lautet wie folgt:

Lehrer in der Tätigkeit von Studienräten

VergGr. des BAT

mit abgeschlossenem Studium an einer wissenschaftlichen Hochschule, die aufgrund ihres Studiums die Fähigkeit zum Unterrichten in mindestens zwei Fächern haben und die überwiegend in mindestens einem ihrem Studium entsprechenden Fach unterrichten

IIa

nach mindestens fünfzehnjähriger Bewährung in dieser Tätigkeit und in dieser Vergütungsgruppe

Ib

In der Folgezeit wurde der Kläger wiederholt überprüft und dem Schulkollegium beim Regierungspräsidenten entsprechend unter Angabe des Ausbildungsganges berichtet. Von diesen Berichten wurde dem Kläger jeweils Kenntnis gegeben. Neben seiner eigentlichen Lehrertätigkeit wurde der Kläger ständig zu Abiturprüfungen, Referendarbetreuung und als Vorsitzender der Fachkonferenz Englisch herangezogen. Ab 1. Oktober 1985 wurde er darüber hinaus als Fachberater in die Fachgruppe Englisch mit folgenden Aufgaben berufen:

  • Vorprüfer bei der Auswahl der Abiturprüfungsaufgaben
  • Einsatz bei der Durchführung von Prüfungen
  • Beurteilung von Prüfungsaufgaben
  • Vorbereitung fachaufsichtlicher Materialien zur Sicherung einheitlicher Anforderungen, Beurteilungskriterien und Beurteilungsmaßstäbe
  • Mitarbeit an der curricularen Weiterentwicklung des Faches
  • Vorbereitung und Durchführung fachaufsichtlicher Fortbildungsmaßnahmen
  • Erarbeitung von Vorschlägen für Fortbildungsmaßnahmen im Fach allgemein
  • Fachliche Beratung der Schulen im Auftrag des Fachdezernenten
  • Mithilfe bei der Bearbeitung von Fachbeschwerden
  • Unterstützung des Fachdezernenten bei der Durchführung der dienstlichen Beurteilungen von Lehrern nach Maßgabe der Beurteilungsrichtlinien

Unter dem 24. September 1986 beantragte der Regierungspräsident in Köln beim Kultusministerium des beklagten Landes die Höhergruppierung des Klägers in die VergGr. Ib BAT im Wege des Bewährungsaufstieges. Dieses teilte dem Regierungspräsidenten in Köln mit Erlaß vom 16. Juli 1987 mit, daß der Kläger nach seiner Ansicht über keinen wissenschaftlichen Hochschulabschluß in dem von ihm unterrichteten Fach Englisch verfüge. Der von dem beklagten Land im März 1988 beabsichtigte Ausspruch einer Änderungskündigung unterblieb, weil der Kläger unter Anrechnung seiner Vordienstzeiten bei der Universität K… nicht mehr ordentlich kündbar war.

Mit Schreiben vom 29. März bzw. 14. November 1990 beantragte der Kläger seine Höhergruppierung in die VergGr. Ib BAT, die der Regierungspräsident mit Schreiben vom 28. November 1990 unter Hinweis auf den Erlaß des Kultusministers ablehnte. Mit der am 11. Januar 1991 zugestellten Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Er hat die Auffassung vertreten, er erfülle die Voraussetzungen für eine Höhergruppierung in die VergGr. Ib BAT. Bei Abschluß seines Arbeitsvertrages seien seine in Großbritannien erworbenen Abschlüsse zu Recht einem wissenschaftlichen Hochschulabschluß im Fach Englisch gleichgestellt worden. Seine fachliche Qualifikation befähige ihn unstreitig, in England als Gymnasiallehrer tätig zu sein. Diese Tätigkeit habe er dort in der Zeit von September 1969 bis Juli 1970 auch tatsächlich ausgeübt. Daneben müsse seine Ausbildung nach der landesrechtlichen Umsetzung der EG-Richtlinie vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome im Lehrerbereich durch Ausführungsverordnung vom 21. Mai 1991 (GVBl NW S. 246) als gleichwertig angesehen werden. Schließlich habe er bei der Einstellung darauf vertraut, daß seine Qualifikation gegenüber einem deutschen Hochschulabschluß im Fach Englisch als gleichwertig anerkannt worden sei.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, den Kläger ab dem 1. September 1990 nach VergGr. Ib BAT zu besolden und die entsprechenden Nettodifferenzbeträge zwischen VergGr. Ib BAT und VergGr. IIa BAT ab dem 1. September 1990 mit 4 % seit Fälligkeit zu verzinsen.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land hat zuletzt die Auffassung vertreten, der Kläger habe sich im erforderlichen Zeitraum von 15 Jahren bewährt. Im Arbeitsvertrag sei jedoch lediglich die Zahlung einer Vergütung entsprechend den Sätzen der VergGr. IIa BAT vereinbart worden. Weder der Inhalt des im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Erlasses im Ganzen noch einzelne Bestandteile hieraus seien Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung geworden. In der vorprozessualen Korrespondenz und im erstinstanzlichen Verfahren hatte das beklagte Land noch die Auffassung vertreten, der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen für einen Bewährungsaufstieg nach Fallgruppe 4.2 des Nichterfüllererlasses vom 16. Juli 1974, weil seine im Ausland erworbene Qualifikation nicht einem deutschen Hochschulstudium im Fach Englisch gleichzusetzen sei. Überdies sei die Anerkennung im Ausland erworbener Zeugnisse von einer Entscheidung des Kultusministers abhängig, die erst nach Durchführung eines förmlichen Anerkennungsverfahrens ausgesprochen werden könne. Ein solches Verfahren habe der Kläger aber bisher nicht betrieben.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und im verkündeten Tenor seiner Entscheidung die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen zuletzt gestellten Antrag weiter, während das beklagte Land die Zurückweisung der Revision beantragt.

 

Entscheidungsgründe

A. Die Revision ist im wesentlichen begründet. Der Kläger hat seit dem 1. September 1990 Anspruch auf Vergütung nach der VergGr. Ib BAT.

I. Die Klage ist zulässig. Der Kläger hat eine Eingruppierungsfeststellungsklage erhoben, die im öffentlichen Dienst allgemein üblich ist und gegen deren Zulässigkeit nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Bedenken bestehen (z. B. Senatsurteil vom 19. März 1986 – 4 AZR 470/84 – AP Nr. 114 zu § § 22, 23 BAT 1975).

II. Die Klage ist auch im wesentlichen begründet. Der Kläger kann für seine Tätigkeit als Lehrer im Fach Englisch seit dem 1. September 1990 Vergütung nach der VergGr. Ib BAT verlangen. Seit diesem Zeitpunkt ist der Kläger vom beklagten Land bei der Vergütung so zu stellen, als ob er die Merkmale der Fallgruppe 4.2 erfüllt.

1. Der Anspruch auf Vergütung nach VergGr. Ib BAT ergibt sich nicht schon aus der Anlage 1a zum BAT. Der Kläger ist Lehrkraft im Sinne der Nr. 5 der Vorbemerkungen zu allen VergGr. und aufgrund dieser Tarifnorm von der Vergütungsordnung zum BAT ausgenommen.

2.a) Der Anspruch des Klägers auf Zahlung der Vergütung entsprechend der VergGr. Ib BAT ab dem 1. September 1990 folgt aber aus dem Arbeitsvertrag der Parteien vom 26. August 1975 i.V.m. Fallgruppe 4.2 des dort in Bezug genommenen Nichterfüllererlasses vom 16. Juli 1974. Dessen Inhalt ist durch die Bezeichnung im Arbeitsvertrag zum Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung der Parteien geworden.

In § 1 des Arbeitsvertrages haben die Parteien zwar ausdrücklich nur die Zahlung der Vergütung entsprechend der VergGr. IIa BAT vereinbart. Sie haben sich aber nicht auf die bloße Angabe dieser VergGr. beschränkt, sondern darüber hinaus die Fallgruppe 4.2 des Nichterfüllererlasses als Klammerzusatz in den vertragstext aufgenommen. Damit ist ihr Inhalt zum Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung geworden, was die Auslegung der Vertragsurkunde ergibt.

Unschädlich ist dabei, daß das Landesarbeitsgericht in seiner Entscheidung keine Aussage getroffen hat, ob und ggf. in welcher Form die genannte Fallgruppe im Rahmen des Vertragsverhältnisses der Parteien Anwendung findet. Bei dem schriftlichen Arbeitsvertrag handelt es sich um einen Formularvertrag, der von der Schulverwaltung des beklagten Landes allgemein verwandt worden ist und den der Senat unbeschränkt und selbständig auslegen kann (BAGE 58, 283, 290 = AP Nr. 24 zu §§ 22, 23 BAT Lehrer, m.w.N.). Einer Zurückverweisung an die Vorinstanz bedarf es aus diesem Grund nicht.

Bei der Vertragsauslegung sind nach den Regeln der §§ 133, 157 BGB zunächst die Vorstellungen der Erklärenden zugrunde zu legen. Diese können aber nur insoweit Berücksichtigung finden, als sie in der Erklärung und im Gesamtzusammenhang mit dem Vertragsschluß einen wahrnehmbaren Ausdruck gefunden haben. Dabei kann auch auf die Interessenlage der vertragsschließenden Parteien und die Zwecke des Arbeitsverhältnisses abgestellt werden. Die Auslegung ist so vorzunehmen, wie dies Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern und der Empfänger das Vertragsangebot verstehen konnte (BAG Urteil vom 21. Oktober 1992 – 4 AZR 156/92 – AP Nr. 27 zu § 23a BAT, zu I 3b der Gründe, m.w.N.).

Aus der Anführung einer einzelnen, konkret benannten Bestimmung des Nichterfüllererlasses ergibt sich, daß diese zwischen den Parteien inhaltlich als Vertragsrecht gelten soll. Durch diese Form der Vereinbarung kommt nicht sämtlichen Vorschriften des in Bezug genommenen Erlasses arbeitsrechtliche Bedeutung zu, sondern lediglich dem Inhalt der bezeichneten Fallgruppe. Mit ihr wird die Grundlage kenntlich und zum Gegenstand der Vereinbarung gemacht, auf der das beklagte Land die Vergütung für den Kläger ermittelt hat und während des weiteren Vertragsverhältnisses erbringen will. Die Angabe einer Fallgruppe stellt aber nicht nur eine bloße deklaratorische Bezeichnung der Berechnungsgrundlage für den Vergütungsanspruch dar. Wäre es dem beklagten Land lediglich um eine interne Rechtfertigung der vorgenommenen Zuordnung der Tätigkeit des Klägers gegangen, so hätte dieser Zweck auch durch einen Aktenvermerk erreicht werden können. Hierauf hat es sich aber nicht beschränkt, sondern mit der Bezugnahme auf die Fallgruppe 4.2 diese für den Kläger erkennbar in den Vertragsgegenstand mit einbezogen.

Damit stand aber dem Kläger nach Ablauf einer Bewährungszeit von 15 Jahren ein Vergütungsanspruch entsprechend den Sätzen der VergGr. Ib BAT zu. Im Arbeitsvertrag ist die gesamte Fallgruppe 4.2 und nicht nur deren Abs. 1 in Bezug genommen.

b) Der Anspruch des Klägers auf Vergütung nach VergGr. Ib BAT scheitert nicht daran, daß er über keinen wissenschaftlichen Hochschulabschluß in dem von ihm unterrichteten Fach Englisch verfügt. Hierauf kann sich das beklagte Land nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) aufgrund seines vorangegangenen widersprüchlichen Verhaltens bei Abschluß des Arbeitsvertrages und in der Folgezeit nicht berufen. Es muß sich vielmehr so behandeln lassen, als ob es die Qualifikation als gleichwertig anerkannt hat.

Nach der Senatsrechtsprechung kann in einem Eingruppierungserlaß für die Anerkennung eines im Ausland erworbenen Studienabschlusses ein förmliches Anerkennungsverfahren vorgesehen werden, wie dies in Fallgruppe 9 Satz 2 des Nichterfüllererlasses geschehen ist. Es entspricht billigem Ermessen (§ 315 BGB) und ist sachgerecht, ausländische Studienabschlüsse mit den in Deutschland abgelegten Studienabschlüssen nur dann gleichzusetzen, wenn die Ausbildung im Ausland in etwa gleich ist und zu derselben, für die Höhe der Vergütung maßgeblichen Qualifikation führt. Da dies nicht von vornherein vorausgesetzt werden kann, kann ein Eingruppierungserlaß ein besonderes Überprüfungs- und Feststellungsverfahren vorsehen, das vom zuständigen Kultusministerium wegen seiner besonderen Sachkunde durchgeführt oder veranlaßt werden kann (BAG Urteile vom 21. Juli 1993 – 4 AZR 489/92 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen; vom 25. September 1991 – 4 AZR 33/91 – AP Nr. 14 zu § 2 BeschFG 1985). Dieses Verfahren hat der Kläger bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht nicht beschritten, so daß er nicht die in Fallgruppe 4.2 genannten Voraussetzungen erfüllt, weshalb das beklagte Land die Zahlung der erhöhten Vergütung nach VergGr. Ib BAT abgelehnt hat.

c) Das beklagte Land kann sich aber bezüglich der fachlichen Qualifikation des Klägers nicht auf die im Nichterfüllererlaß genannten Voraussetzungen berufen. Diesem Verhalten steht das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen. Es ist rechtsmißbräuchlich und stellt eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn sich eine am Rechtsverkehr beteiligte Partei mit ihrem früheren Verhalten in Widerspruch setzt und die andere Partei darauf vertrauen konnte, die Partei werde bestimmte tatsächliche Umstände nicht zum Anlaß für ihre Rechtsausübung nehmen. Die zur Ausübung des Rechts berechtigte Partei darf Zweifel über die Rechtslage nicht nach ihrem Belieben ausnutzen, da die Einnahme von Rechtspositionen eine gewisse Beständigkeit voraussetzt (vgl. MünchKomm-Roth, BGB, 3. Aufl., § 242 Rz 350 ff., m.w.N.).

aa) Mit diesen genannten Grundsätzen stünde es im Widerspruch, wenn sich das beklagte Land gegenüber dem vom Kläger geltend gemachten Vergütungsanspruch auf den fehlenden wissenschaftlichen Hochschulabschluß im Fach Englisch berufen könnte.

Das Verhalten des beklagten Landes ist objektiv widersprüchlich, soweit es dem Kläger die Möglichkeit zu einem Bewährungsaufstieg wegen seiner fehlenden formellen Qualifikation verwehrt. Es hat bei dessen Einstellung trotz der seiner Meinung nach fehlenden wissenschaftlichen Ausbildung im Fach Englisch bzw. einer formellen Anerkennungsentscheidung wissentlich die Voraussetzungen einer Vergütung entsprechend der Fallgruppe 4.2 des Nichterfüllererlasses anerkannt. Dann ist es aber nicht nachvollziehbar, wenn dem Kläger dieser bei Vertragsabschluß bereits bekannte Umstand beim Bewährungsaufstieg entgegengehalten wird. Schließlich kann auch nicht übersehen werden, daß das beklagte Land zunächst selbst von einer entsprechenden Anerkennung ausgegangen ist, was aus dem Antrag des für Personalfragen zuständigen Regierungspräsidenten auf Höhergruppierung des Klägers im Jahr 1986 folgt.

bb) Auf der anderen Seite konnte der Kläger aus den für ihn erkennbaren Umständen bei Vertragsabschluß in schutzwürdiger Weise darauf vertrauen, das beklagte Land werde seine bisher in Großbritannien erworbenen Qualifikationen als wissenschaftliches Hochschulstudium im Fach Englisch ansehen. Dies folgt aus der Vergütungsvereinbarung im Arbeitsvertrag. Nach der in Bezug genommenen Fallgruppe 4.2 des Nichterfüllererlasses konnte die VergGr. IIa BAT nur dann vereinbart werden, wenn die Ausbildung des Klägers einem in Deutschland erworbenen Studienabschluß gleichgestellt war. Mit einem Irrtum des beklagten Landes bei der Einstellung brauchte der Kläger nicht zu rechnen. Er hatte, was vom beklagten Land nicht in Abrede gestellt wird, seine Ausbildungsnachweise vollständig zur Verfügung gestellt und die Fragen nach seiner früheren Ausbildung im Personalbogen wahrheitsgemäß beantwortet. Wegen der besonderen Sachkunde der Personalverwaltung des beklagten Landes war für ihn nicht vorhersehbar, daß die Vergütungsvereinbarung im Arbeitsvertrag auf unzutreffender Grundlage erfolgt ist. Dies gilt insbesondere deshalb, weil klar und deutlich ersichtlich war, daß der Kläger über ausländische Hochschulabschlüsse nicht nur in den Fächern Deutsch und Französisch, sondern auch in seiner Muttersprache Englisch verfügte, die nur bei Gleichwertigkeit mit einem in Deutschland absolvierten Hochschulstudium zu einer Vereinbarung der Fallgruppe 4.2 führen konnten. Eines ausdrücklichen Verzichts auf die Anerkennungsentscheidung bedurfte es zur Begründung eines Vertrauenstatbestandes beim Kläger nicht, ebensowenig eines schuldhaften Handelns auf seiten des beklagten Landes. Der Rechtsmißbrauch setzt kein Verschulden des widersprüchlich Handelnden voraus (BGH Urteil vom 3. Februar 1986 – II ZR 54/85 – LM Nr. 279 zu § 242 (Cd) BGB, zu 1c der Gründe, m.w.N. = MDR 1986, 732 f.). Aus dem vom beklagten Land ohne Vorbehalt abgeschlossenen Arbeitsvertrag konnte der Kläger daher schließen, eines förmlichen Anerkennungsverfahrens bedürfe es auch beim Bewährungsaufstieg nicht mehr. Eine unterschiedliche Handhabung bei der Anerkennung der Qualifikation bezogen auf Einstellung und den späteren Bewährungsaufstieg brauchte er nicht in Betracht zu ziehen.

cc) Das Vertrauen des Klägers auf ein gleichförmiges Verhalten seines Arbeitgebers überwiegt aufgrund der dargestellten besonderen Umstände des Einzelfalles die Interessen des beklagten Landes, nur bei Vorliegen der im Nichterfüllererlaß genannten Voraussetzungen eine erhöhte Vergütung entsprechend der VergGr. Ib BAT zu zahlen. Der Kläger hat das Arbeitsverhältnis im Jahr 1975 mit dem ihm erkennbaren Vertragsinhalt aufgenommen und dabei auf die darin eingeräumte Möglichkeit zum Bewährungsaufstieg vertraut. Auch in der Folgezeit hat das beklagte Land das einmal begründete Vertrauen des Klägers in die von ihm vorgenommene Eingruppierung durch die Verwendung in höher zu bewertende Tätigkeiten wie Abnahme von Prüfungen, Gutachten zur Neueinführung von Schulbüchern usw. ständig nicht nur aufrechterhalten, sondern noch verstärkt.

Wegen der fehlenden Vertragsparität besteht für ihn zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch keine Möglichkeit mehr, den abgeschlossenen Vertrag rückgängig zu machen oder nachträglich zu seinen Gunsten zu verändern. Dies rechtfertigt es, dem beklagten Land die Möglichkeit zu versagen, sich auf die formell fehlende Qualifikation des Klägers zu berufen.

3. Der Klage war nach alledem stattzugeben, da das beklagte Land die Bewährung des Klägers in einer 15-jährigen Dienstzeit nicht bestritten hat.

III. Zinsen kann der Kläger lediglich als Prozeßzinsen (§ 291 BGB) ab Rechtshängigkeit verlangen (BAGE 36, 245, 259 f. = AP Nr. 49 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Die Klage war daher wegen eines geringfügigen Zeitraums aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang abzuweisen.

B. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97, 91, 92 Abs. 2 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. h.c. Schaub, Bott, Schneider, Grätz, Kiefer

 

Fundstellen

Haufe-Index 856721

BB 1994, 2500

NZA 1995, 483

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