Entscheidungsstichwort (Thema)

Zustimmung zur ordentlichen Kündigung eines Schwerbehinderten

 

Leitsatz (redaktionell)

Die ordentliche Kündigung eines Schwerbehinderten kann wirksam erst nach Zustellung des Zustimmungsbescheides der Hauptfürsorgestelle an den Arbeitgeber erklärt werden.

 

Orientierungssatz

Hinweise des Senats: "Siehe auch Urteil des Senats vom 15. November 1990 - 2 AZR 255/90 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen."

 

Normenkette

SchwbG § 18

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 29.01.1991; Aktenzeichen 5 Sa 1314/90)

ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 08.08.1990; Aktenzeichen 5 Ca 45/90)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der am 25. Februar 1952 geborene Kläger war seit dem 1. Oktober 1978 als Systemanalytiker bei der Beklagten beschäftigt. Sein monatliches Bruttogehalt betrug zuletzt 7.200,-- DM. Der Kläger wurde 1984 wegen insulinpflichtiger Diabetes mellitus als Schwerbehinderter anerkannt; der Grad der Behinderung beträgt 50 %.

Zwischen den Parteien waren seit 1989 aus unterschiedlichen Anlässen zahlreiche Arbeitsgerichtsverfahren anhängig. Unter anderem ging es um eine Abmahnung, ein Hausverbot, um die Weiterbeschäftigung, um eine außerordentliche Kündigung vom 8. August 1989 und um Gehaltsansprüche. Nach einer vom Kläger vorgelegten Aufstellung wurden einschließlich des vorliegenden Rechtsstreits 17 Urteilsverfahren und sieben Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung geführt.

Mit Schreiben vom 23. Juni 1989 beantragte die Beklagte die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur ordentlichen, mit Schreiben vom 28. Juli 1989 zusätzlich die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses. Die Hauptfürsorgestelle versagte beiden Anträgen ihre Zustimmung. Auf den Widerspruch der Beklagten gab der Widerspruchsausschuß beiden Anträgen statt, nachdem er am 19. Dezember 1989 mündlich darüber verhandelt und die Parteien angehört hatte. Von der Erteilung der Zustimmung erfuhr die Beklagte telefonisch unmittelbar nach dem 19. Dezember 1989. Mit Schreiben vom 22. Dezember 1989, dem Kläger zugegangen am 4. Januar 1990, sprach die Beklagte daraufhin eine außerordentliche Kündigung aus. Die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte Erfolg. Die Kündigung wurde durch Urteil des Arbeitsgerichts für unwirksam befunden, die Berufung der Beklagten durch inzwischen rechtskräftiges Urteil des Landesarbeitsgerichts zurückgewiesen (5 Sa 1134/90 LAG Frankfurt am Main).

Am 30. Januar 1990 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus denselben Gründen erneut außerordentlich fristlos, nachdem ihr das Protokoll der Sitzung des Widerspruchsausschusses vom 19. Dezember 1989 zugegangen war. Auch hiergegen erhob der Kläger mit Erfolg Kündigungsschutzklage; das Verfahren ist gleichfalls rechtskräftig zugunsten des Klägers abgeschlossen (5 Sa 1313/90 LAG Frankfurt am Main).

Mit Schreiben vom 31. Januar 1990 sprach die Beklagte sodann eine ordentliche Kündigung "fristgerecht zum nächst möglichen Termin" aus. Hiergegen hat der Kläger am 6. Februar 1990 die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben.

Am 5. Februar 1990 wurde der Beklagten der Widerspruchsbescheid mit Begründung förmlich zugestellt. Am selben Tage kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut außerordentlich und hilfsweise ordentlich. Auch gegen diese Kündigungen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Die außerordentliche Kündigung ist inzwischen gleichfalls rechtskräftig für unwirksam befunden. In dem die ordentliche Kündigung vom 5. Februar 1990 betreffenden Kündigungsschutzverfahren hat das Arbeitsgericht Darmstadt das Verfahren durch Beschluß vom 8. August 1990 ausgesetzt bis zur Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über die zwischenzeitlich erhobene Anfechtungsklage des Klägers gegen den Zustimmungsbescheid des Widerspruchsausschusses (beigezogenes Verfahren 5 Ca 64/90 Arbeitsgericht Darmstadt).

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die ordentliche Kündigung mit Schreiben vom 31. Januar 1990 sei schon deshalb unwirksam, weil sie vor Zustellung des Bescheides des Widerspruchsausschusses an die Beklagte erfolgt sei. Auf die vor Ausspruch der Kündigung erfolgte Zusendung des Sitzungsprotokolls komme es ebensowenig an wie auf die mündliche Mitteilung. Der die Beklagte zum Kündigungsausspruch berechtigende Verwaltungsakt sei erst mit der förmlichen Zustellung des Bescheides bekanntgegeben worden. Im übrigen sei die Kündigung sozialwidrig.

Der Kläger hat weiterhin Arbeitsentgelt für die Zeit vom 1. bis 5. Februar 1990 aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges geltend gemacht.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, eine förmliche Zustellung des Zustimmungsbescheides sei für die Wirksamkeit der Kündigung nicht erforderlich. Ein Verwaltungsakt werde durch Bekanntgabe wirksam. Nach der mündlichen Information, jedenfalls aber nach der Übersendung des Sitzungsprotokolls sei sie daher zum Ausspruch der Kündigung berechtigt gewesen.

Die Beklagte hat weiter die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Sie hat die Kündigung auf in der Person des Klägers liegende verhaltensbedingte Gründe gestützt. Die ersten Auseinandersetzungen gingen bis in das Jahr 1986 zurück und hielten seither mit deutlich zunehmender Tendenz an. Der Kläger habe mehrfach innerhalb des Betriebes im wesentlichen aufgrund des ausgeübten Drucks durch andere Mitarbeiter umgesetzt werden müssen. Es seien mit dem Kläger jeweils eingehende Erörterungen geführt worden, bei denen er sich stets einsichtig gezeigt habe, um jedoch sofort anschließend spitzfindige Briefe zu schreiben oder Klagen zu erheben.

Da der Kläger sich zunehmend mit seiner Einzelkämpferrolle im Betrieb beschäftigt habe, habe seine Arbeitsleistung seit 1987 rapide nachgelassen. Die am 8. August 1989 gegen den Personalleiter - unstreitig - erhobene erfolglose Strafanzeige wegen Prozeßbetruges rechtfertige allein die ausgesprochene Kündigung. Sie zeige die Hemmungslosigkeit, mit der der Kläger versuche, vermeintlich berechtigte Interessen durchzusetzen. Mit dieser völlig unberechtigten Maßnahme habe er ihr Ansehen als Unternehmerin in Mißkredit gebracht. Eine von gegenseitiger Achtung getragene Zusammenarbeit mit dem Kläger sei nicht mehr möglich. Die Beklagte hat daher hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses beantragt.

Der Kläger hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten. Sie seien nicht hinreichend konkretisiert. Eine der Versetzungen zum Beispiel sei darauf zurückzuführen gewesen, daß er krankheitsbedingt nur noch eingeschränkt reisefähig sei. Gegen die behaupteten Minderleistungen spreche schon, daß er noch im Januar 1989 eine Gehaltserhöhung von 400,-- DM erhalten habe. Die Beklagte habe ihn insoweit auch nicht wirksam abgemahnt.

Soweit ihm eine angebliche Prozeßwut vorgehalten werde, zeigten die Ergebnisse der einzelnen Verfahren, daß die Prozesse keineswegs so unsinnig gewesen sein könnten, wie die Beklagte glauben machen wolle.

Der Auflösungsantrag sei unbegründet. Auf Gründe, die der Arbeitgeber treuwidrig selbst herbeigeführt habe, um die Auflösung zu erreichen, könne er sich nicht berufen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage insgesamt stattgegeben und den Auflösungsantrag der Beklagten abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

A. Die Revision ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Arbeitsentgelt aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges für die Zeit vom 1. bis 5. Februar 1990 richtet.

1. Die Beklagte hat in der Revisionsbegründung ohne Einschränkung den Antrag gestellt, die Klage abzuweisen. Damit ist auch die Leistungsklage einbezogen. Zur Begründung ihres Antrages insoweit hat die Beklagte aber nichts vorgetragen. Bezieht sich die Revision auf mehrere Ansprüche im prozessualen Sinn, so muß zu jedem Anspruch eine ausreichende Revisionsbegründung gegeben werden; soweit sie fehlt, ist die Revision unzulässig (BAG Urteil vom 16. Juni 1976 - 3 AZR 1/75 - AP Nr. 27 zu § 72 ArbGG 1953 Streitwertrevision).

2. Dieser Fall ist hier gegeben. Es handelt sich bei Kündigungsschutzklage und Leistungsklage um selbständige Streitgegenstände. Sie stehen nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis insoweit, als bei Abweisung der Kündigungsschutzklage ohne weiteres auch der Anspruch aus Annahmeverzug für die hier streitige Zeit vom 1. bis 5. Februar 1990 entfiele. Die angegriffene Kündigung ist eine ordentliche Kündigung, die das Arbeitsverhältnis frühestens zu einem jedenfalls nach dem 5. Februar 1990 liegenden Zeitpunkt auflösen könnte. Der Anspruch aus § 615 BGB für die davor liegende Zeit bliebe also bei Abweisung der Klage unberührt. Eine Abhängigkeit bestand allenfalls von den über die außerordentlichen Kündigungen mit Schreiben vom 22. Dezember 1989/31. Januar 1990 geführten Kündigungsschutzverfahren, welche inzwischen rechtskräftig zugunsten des Klägers abgeschlossen sind. Diese Kündigungen haben mithin nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor dem 5. Februar 1990 geführt.

Die Revision hätte also hinsichtlich des Leistungsantrags gesondert begründet werden müssen. Da dies nicht geschehen ist, ist sie insoweit unzulässig.

B. Die Revision ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung richtet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:

Die Kündigung sei unwirksam, da sie nicht habe vor förmlicher Zustellung des Bescheides des Widerspruchsausschusses ausgesprochen werden können. Die telefonische Bekanntgabe der Entscheidung genüge ebensowenig wie die Übersendung des Protokolls der Sitzungsniederschrift. Da es sich sowohl bei dem Bescheid der Hauptfürsorgestelle wie auch bei dem Bescheid des Widerspruchsausschusses um Verwaltungsakte handele, seien die Grundsätze des Verwaltungsrechts anwendbar. Für die Kündigungsmöglichkeit entscheidend sei die Zustellung an den Arbeitgeber. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 43 Verwaltungsverfahrensgesetz, wonach ein Verwaltungsakt mit seiner Bekanntgabe wirksam werde. Diese Vorschrift lasse offen, daß durch Rechtsvorschriften bestimmte Formen der Bekanntgabe vorgeschrieben sein könnten und regele nur die Bekanntgabe für die Fälle, in denen dies nicht der Fall sei. Für die Entscheidung des Widerspruchsausschusses sei aber nach § 73 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung ausdrücklich die Zustellung als die Form der Bekanntgabe bestimmt. Erst mit ihr beginne die äußere und frühestens die innere Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes.

II. Diese Ausführungen halten der Überprüfung stand. Die Revision rügt zu Unrecht Verletzung materiellen Rechts.

1. Der Kläger ist anerkannter Schwerbehinderter i.S. von § 1 SchwbG; Vorliegen und Grad der Behinderung sind gem. § 4 SchwbG festgestellt. Die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses bedurfte gem. § 15 SchwbG der vorherigen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle. Die Zustimmung zu einer - hier allein streitbefangenen - ordentlichen Kündigung liegt vor. Der Widerspruchsausschuß hat den den Antrag der Beklagten zurückweisenden Bescheid der Hauptfürsorgestelle auf Widerspruch der Beklagten mit seiner auf die Sitzung vom 19. Dezember 1989 ergangenen Entscheidung aufgehoben und die Zustimmung erteilt.

2. Die in der Revision allein streitige Frage ist, ob für die mit Schreiben vom 31. Januar 1990 ausgesprochene ordentliche Kündigung die Kündigungssperre des § 15 SchwbG schon aufgehoben war. Dies hat das Landesarbeitsgericht zu Recht verneint.

Gem. § 18 Abs. 1 SchwbG soll die Hauptfürsorgestelle die Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung, falls erforderlich aufgrund mündlicher Verhandlung, innerhalb eines Monats vom Tage des Eingangs des Antrags an treffen. Die Entscheidung ist gem. § 18 Abs. 2 Satz 1 SchwbG dem Arbeitgeber und dem Schwerbehinderten zuzustellen. Erteilt die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur Kündigung, kann der Arbeitgeber gem. § 18 Abs. 3 SchwbG die Kündigung nur innerhalb eines Monats nach Zustellung erklären. Wortlaut, systematischer Zusammenhang und Zweck dieser Vorschrift als für die Auslegung eines Gesetzes maßgebliche Kriterien (BAGE 13, 240, 243 ff. = AP Nr.1 zu § 10 JugArbSchutzG, zu B I 1 der Gründe) ergeben, daß erst nach förmlicher Zustellung der Zustimmung die Kündigung ausgesprochen werden kann. Dies gilt auch für den hier gegebenen Sonderfall, daß die Zustimmung erst im Widerspruchsverfahren erteilt wird.

a) Bei der Zustimmung handelt es sich um einen Verwaltungsakt, und zwar einen sog. privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt mit Doppelwirkung (BAGE 38, 42, 46 = AP Nr. 1 zu § 15 SchwbG, zu I 2 a der Gründe; Wilrodt/Neumann, SchwbG, 7. Aufl., § 15 Rz 77). Die Wirksamkeit der Zustimmung richtet sich daher nach verwaltungsrechtlichen Grundsätzen. Maßgeblich sind hier die Bestimmungen des SGB X.

aa) Gem. § 39 SGB X wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekanntgegeben wird. Der Begriff der Bekanntgabe ist ein Oberbegriff. Verwaltungsakte können mündlich, schriftlich oder in anderer Weise bekanntgegeben werden. § 37 SGB X trifft nähere Bestimmungen zur Bekanntgabe, regelt aber nicht, welche Form der Bekanntgabe die Behörde jeweils zu wählen hat. Die Wahl liegt also grundsätzlich im Ermessen der Behörde. Anders ist es, wenn spezialgesetzlich eine bestimmte Form der Bekanntgabe vorgeschrieben ist, etwa die Zustellung. Dann ist diese Form zu wahren (vgl. zum Ganzen: Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/von Wulffen, SGB X, 2. Aufl., § 37 Anm. 2 und 3; Stelkens/Bonk/Leonhard, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl., § 41 Rz 13). Der vorliegend einschlägige § 37 Abs. 5 SGB X regelt ausdrücklich, daß Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Zustellung unberührt bleiben.

bb) Da § 18 Abs. 2 SchwbG die Zustellung des Verwaltungsaktes "Zustimmung" vorschreibt, liegt insoweit eine besondere Regelung der Bekanntgabe vor. Die Zustimmung wird daher erst mit förmlicher Zustellung wirksam (Dörner, SchwbG, Stand 30. Juni 1991, § 18 Anm. IV; Gröninger/Thomas, SchwbG, Stand Dezember 1986, § 18 Rz 14; Jung/Cramer, SchwbG, 3. Aufl., § 18 Rz 6; Wilrodt/Neumann, aaO, § 18 Rz 7; s. auch BAGE 38, 42, 46 = AP, aaO).

b) aa) Im Ergebnis nichts anderes gilt dann, wenn wie im vorliegenden Fall die zunächst versagte Zustimmung erst auf den Widerspruch des Arbeitgebers hin durch den Widerspruchsausschuß erteilt wird. Für das Widerspruchsverfahren gelten die Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung, § 40 SchwbG. Gem. § 73 Abs. 3 VwGO ist der Widerspruchsbescheid zu begründen, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und zuzustellen. Auch der Widerspruchsbescheid wird also erst mit der Zustellung wirksam (Kopp, VwGO, 8. Aufl., § 73 Rz 22). Die Zustellung hat auch dann zu erfolgen, wenn der Verwaltungsakt verkündet oder sonst mündlich eröffnet oder bekanntgegeben wurde (Eyermann/Fröhler, VwGO, 9. Aufl., § 73 Rz 10). Die Zustellung ist nach Maßgabe des § 56 VwGO vorzunehmen, und zwar gem. § 56 Abs. 2 VwGO nach den Bestimmungen des Verwaltungszustellungsgesetzes des Bundes, nicht nach Landesrecht (Eyermann/Fröhler, aaO; Kopp, aaO, jeweils m.w.N.).

bb) Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht die Anwendung des § 72 VwGO verneint, wonach eine ausdrückliche Zustellung eines Abhilfebescheides der den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen habenden Behörde nicht vorgeschrieben ist. Es liegt kein Abhilfebescheid vor. Abhelfen hätte nur die zur Erteilung der Erstentscheidung zuständige Stelle können. Hier hat jedoch der Widerspruchsausschuß der Hauptfürsorgestelle entschieden.

cc) Das Erfordernis der Zustellung des die Zustimmung enthaltenden Widerspruchsbescheides ergibt sich also schon aus § 73 Abs. 3 VwGO.

c) aa) Die förmliche Zustellung des Widerspruchsbescheides an die Beklagte erfolgte unstreitig erst am 5. Februar 1990. Zuvor war der Beklagten lediglich das Ergebnis der Verhandlung unmittelbar nach dem 19. Dezember 1989 mündlich mitgeteilt und am 30. Januar 1990 oder unmittelbar zuvor die Ausfertigung einer Sitzungsniederschrift zugesandt worden. Beides stellt keine Zustellung nach §§ 73 Abs. 3, 56 Abs. 2 VwGO i.V. mit den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes dar. Gem. § 2 Verwaltungszustellungsgesetz besteht die Zustellung in der Übergabe eines Schriftstückes in Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigter Abschrift oder in dem Vorlegen der Urschrift. Zugestellt wird durch die Post (§§ 3, 4) oder durch die Behörde (§§ 5, 6). Weder der eine noch der andere Weg war vor dem 5. Februar 1990 beschritten worden.

bb) Nichts anderes würde übrigens gelten, wenn man allein von § 18 Abs. 2 SchwbG ausginge. Die Zustellung erfolgte dann nach § 65 SGB X nach Landesrecht. Nach dem hier maßgeblichen Verwaltungszustellungsgesetz für das Land Hessen vom 14. Februar 1957 (GVBl. 1957, S. 9) gelten die §§ 2 bis 17 des Bundesverwaltungszustellungsgesetzes entsprechend, § 1 Abs. 1 HessVwZG.

cc) Eine nach § 18 Abs. 2 SchwbG und hier auch nach § 73 Abs. 3 VwGO erforderliche wirksame Zustellung lag also vor dem 5. Februar 1990 nicht vor. Sie fehlte damit noch bei Zugang des Kündigungsschreibens vom 31. Januar 1990. Der genaue Tag des Zugangs ist zwar aus den Akten nicht ersichtlich. Er muß aber spätestens am 3. Februar 1990 erfolgt sein, da die vom Kläger selbst verfaßte Klageschrift - beim Arbeitsgericht am 6. Februar eingegangen - dieses Datum trägt. Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 SchwbG waren also bei Zugang der Kündigung nicht erfüllt.

d) § 18 Abs. 2 SchwbG besagt allerdings allein noch nichts über die Frage, wann die Kündigung ausgesprochen werden kann (Senatsentscheidung vom 15. November 1990 - 2 AZR 255/90 - unter III 2 b bb der Gründe). Dieser Zeitpunkt ergibt sich aus § 18 Abs. 3 SchwbG. Erteilt die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur Kündigung, kann der Arbeitgeber die Kündigung nur innerhalb eines Monats nach Zustellung erklären.

aa) Bereits der Wortlaut dieser Bestimmung legt das Erfordernis einer Zustellung vor Ausspruch der Kündigung nahe. Wenn die Kündigung nur innerhalb eines Monats nach der Zustellung erklärt werden kann, muß diese an sich vorher erfolgt sein. Hätte der Gesetzgeber die Monatsfrist in dem Sinne verstanden wissen wollen, daß die Kündigung ab der Entscheidung der Hauptfürsorgestelle - unabhängig von deren Zustellung -, längstens aber nur bis einen Monat nach bewirkter Zustellung, erfolgen könne, hätte dies bereits sprachlich deutlicher gefaßt werden müssen.

bb) Eine solche Auslegung entspräche entgegen der Auffassung der Revision aber auch nicht dem aus dem systematischen Zusammenhang erkennbar werdenden Sinn und Zweck der gesetzlichen Bestimmung. Der sachliche Regelungsgehalt des § 18 Abs. 3 SchwbG besteht in einer zeitlich auf einen Monat beschränkten Aufhebung der gesetzlichen Kündigungssperre. Der Arbeitgeber erhält eine begrenzte Erlaubnis, die beabsichtigte ordentliche Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer zu erklären (so schon BAGE 38, 42, 46 = AP Nr. 1 zu § 15 SchwbG, zu I 2 a der Gründe, zu dem mit § 18 Abs. 3 SchwbG inhaltsgleichen § 15 Abs. 3 SchwbG a.F.). Die Einführung der Monatsfrist des § 15 Abs. 3 SchwbG a.F. (= § 18 Abs. 3 n.F.) verfolgte den Zweck, im Interesse des Schwerbehinderten einen äußersten Termin zu bestimmen, nach welchem er mit einer Kündigung, der die Hauptfürsorgestelle zugestimmt hatte, nicht mehr zu rechnen braucht (s. Ausschußbericht BT-Drucks. 7/1515 zu Nr. 20 S. 11). Auch diese gesetzgeberische Intention spricht für eine zeitlich genau - also auch nach vorne - begrenzte Aufhebung der Kündigungssperre.

cc) Dies wird deutlich auch aus dem systematischen Zusammenhang der Absätze 1, 2 und 3 des § 18 SchwbG und der dort jeweils verwandten Begriffe. Nach § 18 Abs. 1 SchwbG ist die Entscheidung zu "treffen". Nach § 18 Abs. 2 SchwbG ist die Entscheidung "zuzustellen". Nach § 18 Abs. 3 SchwbG wiederum kann die Kündigung im Falle der "Erteilung" der Zustimmung nur innerhalb eines Monats nach "Zustellung" erklärt werden. Maßgeblich für den Beginn der zeitlich begrenzten Kündigungserlaubnis soll also weder der Zeitpunkt des Treffens der Entscheidung noch derjenige der Erteilung der Zustimmung, sondern derjenige der Zustellung sein.

dd) Diese Auslegung ist auch aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit geboten. Der Zeitpunkt der förmlichen Zustellung ist ohne Schwierigkeiten feststellbar, dementsprechend auch der Zeitpunkt des Fristablaufs.

ee) Sie deckt sich schließlich auch mit den verwaltungsrechtlichen Grundsätzen, wonach die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes "Zustimmung" erst mit der Zustellung anzunehmen ist (s. B II 2 a - c der Gründe).

e) Nach der am Wortlaut, dem systematischen Zusammenhang sowie dem erkennbaren Sinn und Zweck orientierten sachgerechten Auslegung des § 18 SchwbG kann demnach die ordentliche Kündigung wirksam erst ausgesprochen werden nach förmlicher Zustellung des Zustimmungsbescheides jedenfalls an den Arbeitgeber. Dies entspricht auch der ganz herrschenden Meinung (Dörner, aaO, § 18 Anm. IV; Gröninger/Thomas, aaO, § 18 Rz 5; Jung/Cramer, aaO, § 18 Rz 4; KR-Etzel, 3. Aufl., §§ 15 - 20 SchwbG Rz 127, 128 und Rz 98; Neubert/Becke, SchwbG, 2. Aufl., § 18 Rz 6; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 179 II 4, S. 1186 f.; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 5. Aufl., Rz 923, 924; Wiegand/Hohmann-Dennhard, SchwbG, Stand April 1988, § 18 Rz 11; Weber, SchwbG, Stand April 1991, § 18 Anm. 5; Wilrodt/Neumann, aaO, § 18 Rz 8; als selbstverständlich offenbar angesehen auch in BAGE 38, 42, 46 = AP Nr. 1 zu § 15 SchwbG, zu I 2 a der Gründe; die vom Landesarbeitsgericht angezogene Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein vom 22. Februar 1985 - 3 Sa 136/84 - NZA 1985, 534, betrifft die außerordentliche Kündigung).

f) Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise auch dann, wenn die Zustimmung erst im Rechtsmittelverfahren gegen eine ablehnende Entscheidung der Hauptfürsorgestelle erfolgt. Die Frist des § 18 Abs. 3 SchwbG beginnt in diesem Fall erst mit Zustellung der Rechtsmittelentscheidung, in der die Zustimmung ausgesprochen wird (KR-Etzel, aaO, §§ 15 - 20 SchwbG Rz 127; Wilrodt/Neumann, aaO, § 18 Rz 5).

g) Zu dieser Auslegung nicht im Widerspruch steht die zur außerordentlichen Kündigung ergangene Senatsentscheidung vom 15. November 1990 - 2 AZR 255/90 -. Stimmt die Hauptfürsorgestelle der außerordentlichen Kündigung eines Schwerbehinderten zu, so kann danach der Arbeitgeber die Kündigung zumindest dann nach § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 erklären, wenn die Hauptfürsorgestelle ihm ihre Entscheidung innerhalb der Zweiwochenfrist des § 21 Abs. 3 SchwbG 1986 mündlich oder fernmündlich bekanntgegeben hat.

aa) Diese Entscheidung ist bestimmt durch die Besonderheiten der Regelung des § 21 SchwbG. Die Bestimmungen des § 18 SchwbG kommen im Rahmen des § 21 nur insoweit zur Anwendung, als § 21 SchwbG nicht abweichende Regelungen enthält, § 21 Abs. 1 SchwbG. Wie der Senat (aaO) ausgeführt hat, ergibt sich aus § 21 SchwbG 1986 nicht nur für den Ausschluß der Zustimmungsfiktion in Absatz 3, sondern auch für die Zulässigkeit des Ausspruchs der Kündigung in Absatz 5 im Sinne des Absatz 1 etwas "Abweichendes" von den Bestimmungen über die ordentliche Kündigung. § 18 SchwbG 1986 unterscheidet in Absatz 1 bis 3 zwischen dem "Treffen" der Entscheidung und ihrer Verlautbarung in Form der Zustellung. Er enthält aber in Absatz 3 für den Fall der Erteilung der Zustimmung eine besondere Regelung, indem er vorschreibt, daß der Arbeitgeber in diesem Fall die Kündigung nur innerhalb eines Monats nach der Zustellung erklären kann. Demgegenüber sieht § 21 SchwbG 1986 keine besondere Regelung vor für die Verlautbarung der "zu treffenden" Entscheidung. Aus der Vorschrift des § 18 Abs. 2 SchwbG 1986 ergibt sich nichts Gegenteiliges. Danach ist "die Entscheidung" - und damit die positive wie die negative - zuzustellen. Diese Vorschrift sagt aber noch nichts darüber, wann der Arbeitgeber im Fall der positiven Entscheidung über seinen Antrag kündigen darf und muß. Dies ist vielmehr erst in § 21 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 SchwbG 1986 geregelt. Die Vorschrift des § 18 Abs. 2 SchwbG 1986 gilt zwar nach § 21 Abs. 1 SchwbG 1986 auch für die außerordentliche Kündigung, da insoweit § 21 SchwbG 1986 hiervon nichts "Abweichendes" enthält. Wohl aber enthält § 21 SchwbG 1986 in Absatz 5 für die Frage der Zulässigkeit der außer ordentlichen Kündigung nach Erteilung der Zustimmung eine von § 18 Abs. 3 SchwbG 1986 abweichende Regelung.

bb) Der Senat hat (aaO) weiter auf Sinn und Zweck der Sonderregelung des § 21 SchwbG hingewiesen, die ersichtlich der Beschleunigung des Zustimmungsverfahrens im Interesse des Arbeitgebers dienten. Diesem Gesetzeszweck widerspräche es, im Falle der positiven Entscheidung über den Antrag für die Zulässigkeit der Kündigung noch die Zustellung der Entscheidung an den Arbeitgeber zu fordern; dem könne auch nicht entgegengehalten werden, die Entscheidung sei nach § 18 Abs. 2 SchwbG vor der Zustellung noch nicht wirksam, denn im Rahmen des § 21 SchwbG sei sie wirksam, wenn sie im Sinne des Absatzes 3 "getroffen" sei und nach Absatz 5 sei die Kündigung zulässig, wenn die Erteilung der Zustimmung nach Absatz 3 wirksam sei.

cc) § 18 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 SchwbG stimmen mit § 21 Abs. 3 und Abs. 5 SchwbG insoweit gerade nicht überein. Wie dargelegt, verwendet zwar auch § 18 SchwbG die Begriffe "treffen", "erteilen" und "zustellen". § 18 Abs. 3 SchwbG knüpft aber die Zulässigkeit der Kündigung eindeutig an die Zustellung der Zustimmung und nicht an den Zeitpunkt an, in dem sie getroffen oder erteilt wird.

dd) Ein Bedürfnis an einem beschleunigten Zustimmungsverfahren hat der Arbeitgeber sicherlich auch bei der ordentlichen Kündigung. Es mag nicht zwingend sein, bei außerordentlicher und ordentlicher Kündigung für die Zulässigkeit des Kündigungsausspruches an verschiedene Zeitpunkte anzuknüpfen. Angesichts der eindeutigen gesetzgeberischen Vorgaben ist aber eine Angleichung nicht möglich. Im übrigen sind die Zustimmungsverfahren bei ordentlicher und außerordentlicher Kündigung sowohl verfahrensrechtlich wie auch nach den materiellrechtlichen Voraussetzungen gänzlich unterschiedlich ausgestaltet. Die Tatsache unterschiedlicher Zeitpunkte für den Ausspruch der Kündigung ist deshalb eher hinzunehmen.

h) Das Landesarbeitsgericht hat also zu Recht die Kündigung für unwirksam befunden, weil die nach § 15 SchwbG erforderliche vorherige Zustimmung der Hauptfürsorgestelle noch nicht vorlag im Sinne des § 18 Abs. 3 SchwbG.

C. Die Revision ist demnach insgesamt mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

Hillebrecht Triebfürst Dr. Rost

Thieß Nipperdey

 

Fundstellen

Haufe-Index 437783

BAGE 68, 333-344 (LT1)

BAGE, 333

BB 1992, 1069

BB 1992, 1069-1071 (LT1)

DB 1992, 844-846 (LT1)

BuW 1992, 208 (K)

EBE/BAG 1992, 27-30 (LT1)

AiB 1992, 485 (LT1)

ARST 1992, 133-135 (LT1)

ARST 1992, 169-171 (LT1)

JR 1992, 440

JR 1992, 440 (S)

NZA 1992, 503

NZA 1992, 503-505 (LT1)

RzK, IV 8b Nr 5 (LT1)

SAE 1993, 295-299 (LT1)

ZAP, EN-Nr 394/92 (S)

AP § 18 SchwbG 1986 (LT1), Nr 1

AR-Blattei, ES 1440 Nr 108 (LT1)

EzA § 18 SchwbG, Nr 2 (LT1)

EzBAT § 53 BAT Schwerbehinderte, Nr 15 (LT1)

MDR 1992, 684-685 (ST)

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