Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Verdienstsicherung für ältere Arbeitnehmer

 

Leitsatz (amtlich)

§ 9 Nr. 1 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Metallindustrie in Hamburg und Umgebung sowie Schleswig-Holstein schützt ältere Arbeitnehmer davor, daß sie durch altersbedingte Leistungsabnahme Verdiensteinbußen erleiden. Diese Verdienstsicherung ist nicht von der künftigen Entwicklung der Löhne abgekoppelt und festgeschrieben. Auch die verdienstgesicherten Arbeitnehmer müssen eine allgemeine Absenkung der Prämienobergrenze gegen sich gelten lassen (im Anschluß an das Urteil des Senats vom 7. Februar 1995 – 3 AZR 402/94 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt).

 

Normenkette

TVG § 4 Verdienstsicherung, § 1 Tarifverträge: Metallindustrie; Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Metallindustrie in Hamburg und Umgebung sowie Schleswig-Holstein § 9

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 22.04.1994; Aktenzeichen 5 Sa 2/94)

ArbG Kiel (Urteil vom 04.11.1993; Aktenzeichen 2d Ca 1900/93)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, wie sich eine Herabsetzung der Prämienobergrenze durch die Betriebspartner auf die tarifvertragliche Verdienstsicherung des Klägers ausgewirkt hat.

Der am 27. September 1931 geborene Kläger ist seit dem 3. August 1959 bei der Beklagten als Werker beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis sind die Tarifverträge der Metallindustrie für den Raum Hamburg und Schleswig-Holstein anzuwenden. § 9 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Metallindustrie in Hamburg und Umgebung sowie Schleswig-Holstein (MTV), gültig ab 1. April 1990, enthält u.a. folgende Regelungen:

“§ 9

Verdienstsicherung für ältere Arbeitnehmer

  • Gewerbliche Arbeitnehmer

    • Anspruchsvoraussetzungen

      Arbeitnehmer, die im 55. Lebensjahr stehen oder älter sind und dem Betrieb oder dem Unternehmen mindestens 5 Jahre angehören, haben eine Verdienstsicherung nach folgenden Bestimmungen:

    • Berechnungsgrundsatz

      Für die nachfolgenden Bestimmungen gelten bei der Berechnung des Durchschnittsverdienstes die jeweiligen gültigen Bestimmungen des Manteltarifvertrages.

      Bei tariflichen Lohnerhöhungen im Berechnungszeitraum ist vom erhöhten Verdienst auszugehen. Zukünftige Tariflohnerhöhungen sind entsprechend zu berücksichtigen.

    • Zeitlohnarbeiter

      Zeitlohnarbeiter haben einen Anspruch auf ihren Durchschnittsstundenverdienst, errechnet aus den letzten 12 abgerechneten Kalendermonaten.

    • Leistungslohnarbeiter

      • Akkordlohnarbeiter

        Bei Umstellung auf den Entlohnungsgrundsatz Zeitlohn, wird der Verdienst nach 1.2 berechnet mit der Maßgabe, daß der durchschnittliche Zeitgrad der letzten 36 abgerechneten Kalendermonate zugrunde gelegt wird.

        Bei Weiterbeschäftigung im Akkordlohn richtet sich der Verdienst nach dem persönlich erbrachten Zeitgrad, jedoch mindestens nach dem durchschnittlichen Zeitgrad gemäß Absatz 1.

      • Sonstige Leistungslohnarbeiter

        Bei sonstigen Leistungslohnarbeitern ist 1.4.1 entsprechend anzuwenden.

  • …”

Der Kläger ist in die Tätigkeitsgruppe IV des Lohnrahmentarifvertrages (LRTV) eingruppiert. Er war bis zur Vollendung des 54. Lebensjahres im Prämienlohn beschäftigt. In der Protokollnotiz vom 10. Juli 1980 zur Prämienvereinbarung hatten die Geschäftsleitung und der Betriebsrat festgelegt, “daß der Prämienhöchstbetrag 168 % des entsprechenden Tariflohnes beträgt”. Dabei gingen die Betriebspartner davon aus, daß innerhalb des Prämienbereichs bei korrekten Prämienleistungsdaten ein Durchschnittsverdienst von 144 bis 150 % des Tariflohnes zu erwarten sei. Sie unterstrichen in dieser Protokollnotiz ausdrücklich, “daß nur wenige Arbeitnehmer und nur zeitweise den Maximallohn von 168 % bei ordnungsgemäßen Prämiendaten erreichen können”. Der Kläger erzielte in den letzten 36 abgerechneten Kalendermonaten vor Erreichen seines 55. Lebensjahres einen Durchschnittsverdienst von 158,3 % des Tariflohnes.

Zunächst erhielt der verdienstgesicherte Kläger 158,3 % des jeweiligen Tariflohnes. Die Prämienobergrenze wurde aber durch die Protokollnotiz vom 22. Dezember 1992 geändert, die wie folgt lautet:

“Bei Festlegung der Prämienobergrenze in Höhe von 168 % waren Geschäftsleitung und Betriebsrat davon ausgegangen,

daß nur wenige Arbeitnehmer und nur zeitweise den Maximallohn von 168 % bei ordnungsgemäßen Prämiendaten erreichen können.

Der tatsächlichen Entwicklung, daß ca. 110 Mitarbeiter von ca. 300 zwischen 150 und 168 % abrechnen und davon 60 sogar zwischen 160 und 168 %, fehlt jeglicher reale Leistungsbezug.

GF und BR haben deshalb am 27.11.92 beschlossen, die Prämienobergrenze auf 155 % festzulegen. Für die Einführung wurden eine Zeitspanne von 6 Monaten und folgende Stufen vereinbart:

Nov. 92 

168 %

Dez. 92

163 %

Jan. 93

160 %

Feb. 93

158 %

März 93

156 %

Apr. 93

155 %

In besonderen Härtefällen ist zu prüfen, ob innerhalb o.g. Zeitspanne weitere Übergangshilfen gegeben werden können.”

Diese Stufenregelung wurde beim Kläger um weitere zwei Monate hinausgeschoben. Im April 1993 erhielt er noch eine Prämienvergütung von 158 % und im Mai 1993 von 156 % seines Tariflohnes. Erst ab Juni 1993 wurde sie auf 155 % abgesenkt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, nach dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Nr. 1 MTV stünde ihm aufgrund der tariflichen Verdienstsicherung eine Prämienvergütung in Höhe von 158,3 % seines jeweiligen Tariflohnes zu. Im Tarifvertrag fehlten Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Verdienstsicherung. In die tariflichen Rechte des Klägers hätten die Betriebspartner nicht mehr durch eine Absenkung der Prämienobergrenze eingreifen können.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Monate April bis einschließlich Juli 1993 271,63 DM brutto nebst 4 v.H. Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 30. August 1993 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Wortlaut des § 9 Nr. 1 MTV stehe einer engen Auslegung nicht entgegen. Vor allem aus dem Sinn und Zweck der tariflichen Verdienstsicherung ergebe sich, daß altersbedingt leistungsgeminderte Arbeitnehmer den nicht leistungsgeminderten Arbeitnehmern lediglich gleichgestellt werden sollten. Vergütungen, die ohnehin nicht mehr erreicht werden könnten, stünden auch den verdienstgesicherten Arbeitnehmern nicht zu.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte hat den verdienstgesicherten Kläger richtig entlohnt. Nach § 9 Nr. 1 MTV steht ihm keine höhere Vergütung zu. Die Absenkung der Prämienobergrenze ist auch im Rahmen der Verdienstsicherung zu berücksichtigen.

1. Entgegen der Ansicht des Klägers läßt sich dem Wortlaut des § 9 Nr. 1 MTV nicht entnehmen, daß bei einer allgemeinen Absenkung der Prämienobergrenze ältere, verdienstgesicherte Arbeitnehmer besser gestellt werden müssen als die übrigen Arbeitnehmer.

a) § 9 Nr. 1.4.2 MTV enthält für die Leistungslohnarbeiter keine eigenständige Regelung, sondern verweist insoweit auf die Vorschriften des § 9 Nr. 1.4.1 MTV für Akkordlohnarbeiter. Nach § 9 Nr. 1.4.1 Abs. 1 MTV wird bei der Verdienstsicherung der durchschnittliche Zeitgrad zugrunde gelegt, den der einzelne Arbeitnehmer in den letzten 36 abgerechneten Kalendermonaten erreicht hatte. Bei Leistungslohnarbeitern bedeutet die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift, daß es auf den im maßgeblichen Bezugszeitraum erzielten durchschnittlichen individuellen Leistungsgrad ankommt und ein Absinken des Leistungsgrades nach Eintritt der Verdienstsicherung unberücksichtigt bleibt. § 9 Nr. 1.4.1 und 1.4.2 MTV regelt nur, wie der maßgebliche Zeit- bzw. Leistungsgrad zu ermitteln ist. Die übrigen Berechnungsfaktoren, insbesondere allgemeine Prämienobergrenzen werden nicht angesprochen.

b) Der Kläger übersieht außerdem, daß der Wortlaut des ganzen Tarifvertrages zu berücksichtigen ist und auch die Überschriften zum Wortlaut gehören. Mit der Überschrift des § 9 “Verdienstsicherung für ältere Arbeitnehmer” wird der Inhalt und Zweck der Vorschrift schlagwortartig umschrieben. Die Verdienstsicherung des § 9 MTV dient dazu, ältere Arbeitnehmer davor zu schützen, daß sie durch altersbedingte Leistungsabnahme Verdiensteinbußen erleiden (Urteil des Senats vom 7. Februar 1995 – 3 AZR 402/94 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt, zu II 2b der Gründe, das sich ebenfalls mit § 9 Nr. 1 MTV befaßt hat). Eine Besserstellung älterer Arbeitnehmer bei der allgemeinen Absenkung von Prämienobergrenzen würde über das Ziel der Verdienstsicherung hinausgehen, die geschützten Arbeitnehmer so zu stellen, als wären sie nicht leistungsgemindert.

2. § 9 Nr. 1 MTV hat den in der Vergangenheit erzielten Verdienst älterer Arbeitnehmer nicht von der künftigen Entwicklung abgekoppelt und festgeschrieben. Vielmehr ist die Verdienstsicherung dynamisiert. Bei der Berechnung des Durchschnittsverdienstes sind die jeweils gültigen Bestimmungen des Manteltarifvertrages anzuwenden (§ 9 Nr. 1.2 Abs. 1 MTV). Zukünftige Tariflohnerhöhungen sind zu berücksichtigen (§ 9 Nr. 1.2 Abs. 2 Satz 2 MTV).

Die Einführung und Absenkung von Prämienobergrenzen ist zwar in § 9 Nr. 1 MTV nicht ausdrücklich angesprochen. Dies war aber auch unnötig. Insoweit hat § 9 Nr. 1 MTV nicht in die arbeitsvertraglichen Beziehungen eingegriffen. Dem Arbeitgeber bleibt es unbenommen, durch Ausübung der bestehenden arbeitsrechtlichen Gestaltungsmittel die Grundlagen für die Berechnung des Arbeitsverdienstes allgemein zu verändern. Der Tarifsystematik und dem Regelungszweck entspricht es, diese Änderungen auch im Rahmen der Verdienstsicherung zu berücksichtigen.

3. Zu Recht hat es das Landesarbeitsgericht für unerheblich angesehen, daß Inhalt und Zweck der Verdienstsicherung in anderen Tarifverträgen deutlicher zum Ausdruck gebracht worden sind. Andere Tarifverträge können selbst dann nicht ohne weiteres zur Auslegung herangezogen werden, wenn sie von denselben Tarifvertragsparteien abgeschlossen worden sind und ähnliche Regelungen enthalten (BAG Urteil vom 31. Oktober 1984 – 4 AZR 604/82 – AP Nr. 3 zu § 42 TVAL II). Dies gilt erst recht für Regelungswerke verschiedener Tarifvertragsparteien.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Kremhelmer, Mikosch, Dr. Offergeld, Köhne

 

Fundstellen

Haufe-Index 870824

BB 1996, 57

NZA 1996, 153

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