Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit eines allgemeinen Feststellungsantrags

 

Normenkette

ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 07.04.1993; Aktenzeichen 5 Sa 56/92)

ArbG Hamburg (Urteil vom 03.06.1992; Aktenzeichen 9 Ca 343/91)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 7. April 1993 – 5 Sa 56/92 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 3. Juni 1992 – 9 Ca 343/91 – geändert:

Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage, ob auf das Arbeitsverhältnis, das zwischen ihnen bestanden hat, der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) in der jeweils geltenden Fassung Anwendung fand.

Die Klägerin ist ausgebildete Krankenschwester und studiert Agrarwissenschaften. Zur Finanzierung ihres Studiums arbeitete die Klägerin vom 1. Januar 1987 bis zum November 1991 als stundenweise beschäftigte Krankenschwester im Bereitschaftsdienst des Allgemeinen Krankenhauses S.. Der „Rahmen-Arbeitsvertrag” vom 29. Dezember 1986 lautet auszugsweise:

㤠1

(1) Der Arbeitnehmer wird vom 01.01.1987 an nebenberuflich als stundenweise beschäftigte Krankenschwester im Bereitschaftsdienst beschäftigt.

(2) Der Arbeitnehmer wird bei Bedarf zur Ableistung jeweils eines Bereitschaftsdienstes abgerufen, dessen Dauer der Arbeitgeber bestimmt. Für jeweils einen Bereitschaftsdienst oder an mehreren unmittelbar aufeinander folgenden Tagen abzuleistende Bereitschaftsdienste wird jeweils ein Arbeitsverhältnis begründet. Ein Anspruch auf regelmäßige Beschäftigung wird durch diesen Vertrag nicht begründet.

(3) Die Inanspruchnahme als Krankenschwester im Bereitschaftsdienst darf 19 Stunden je Woche nicht überschreiten.

§ 2

(1) Das Arbeitsverhältnis ist nach § 3 Buchstabe q) Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) vom Geltungsbereich dieses Tarifvertrages ausgenommen.

(2) Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach den „Richtlinien über die Arbeitsbedingungen der stundenweise beschäftigten Angestellten (Richtlinien-Angestellte)” in der jeweils geltenden Fassung.

§ 4

(1) Der Arbeitnehmer erhält entsprechend den von ihm tatsächlich geleisteten Bereitschaftsdienststunden eine Vergütung, die sich nach Nr. 6 Abschn. B Abs. 2 und 3 SR 2 a zum BAT in der jeweils geltenden Fassung berechnet und zum 15. eines jeden Monats nachträglich auf ein vom Arbeitnehmer zu bezeichnendes Konto gezahlt wird.

Bei der Vergütungsberechnung ist grundsätzlich von den tariflich zu bewertenden Aufgaben auszugehen. Hierfür ist die Überstundenvergütung der VergGr. Kr. V BAT zugrunde zu legen.

(2) Bei einer durch Krankheit oder Unfall verursachten Arbeitsunfähigkeit wird die Vergütung für die Krankheitstage, für die ein Arbeitsverhältnis besteht oder durch vorherige Vereinbarung für die Zukunft begründet worden ist, nach den gesetzlichen Vorschriften (§ 616 Abs. 2 BGB) weitergezahlt.

(3) Erholungsurlaub unter Fortzahlung der Vergütung wird nach den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes gewährt, und zwar für jeden vollen ununterbrochenen Beschäftigungsmonat mit einem Zwölftel des Jahresurlaubs.

(4) Mit der Vergütung sind alle sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden sonstigen Ansprüche gegen den Arbeitgeber abgegolten.

(5) Kinderzuschlag und Zuwendung werden nicht gewahrt.

§ 5

(1) Das Arbeitsverhältnis endet mit Ablauf des Tages, an dem der Bereitschaftsdienst bzw. bei mehreren der letzte Bereitschaftsdienst (§ 1 Abs. 2) beendet ist, ohne daß es einer Kündigung bedarf.

(2) Der Rahmen-Arbeitsvertrag kann von beiden Seiten mit einer Frist von 6 Wochen zum Quartal (§ 622 BGB) gekündigt werden.

§ 6

Nebenabrede: Der Arbeitnehmer wird der Bereitschaftsdienststufe – C – im Sinne der Nr. 6 Abschn. B Abs. 2 SR 2 a BAT zugewiesen.

§ 8

Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.”

Nach den Behauptungen der Klägerin wurde der „Rahmen-Arbeitsvertrag” zum 31. Oktober 1993 aufgehoben.

Die „Richtlinien-Angestellte” sehen in Abweichung vom BAT und von der Tarifvereinbarung zwischen der ÖTV und der Beklagten vom 26. April 1990 u.a. kein zusätzliches Urlaubsgeld, keine Sonderzuwendungen und keine Wege- und Rüstzeitenpauschale vor.

Die Klägerin war in der Zeit vom 1. bis 30. April 1990 und vom 1. August bis zum 15. September 1990 jeweils vollzeitig als Urlaubsvertretung aufgrund befristeter Arbeitsverträge beschäftigt. In den beiden befristeten Arbeitsverträgen vereinbarten die Parteien die Anwendung des BAT auf das Arbeitsverhältnis.

Auf die Arbeitsverhältnisse der bei der Beklagten beschäftigten anderen Krankenschwestern und -pfleger findet, wenn sich dies nicht schon aus der Organisationszugehörigkeit ergibt, kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der BAT Anwendung, soweit die Arbeitsverhältnisse von diesem Tarifvertrag erfaßt sind.

Mit Schreiben vom 22. August 1990, 29. September 1990 und 15. Juli 1991 machte die Klägerin jeweils für die Vergangenheit Ansprüche auf Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Wege- und Rüstzeitenpauschale nach dem BAT geltend.

Die Klägerin hat die Rechtsauffassung vertreten, daß auf ihr Arbeitsverhältnis insgesamt der BAT Anwendung gefunden habe. Im Jahr 1990 habe sie unter Einbeziehung der Beschäftigungszeiten vom 1. bis zum 30. April 1990 und vom 1. August bis 15. September 1990 durchschnittlich mehr als 19 Stunden gearbeitet, so daß sie mit ihrer Arbeitsleistung die Voraussetzungen des § 3 q BAT a.F. erfüllt habe. Im übrigen sei der Ausschluß ihres Arbeitsverhältnisses aus dem Geltungsbereich des BAT nach § 3 q BAT in der bis zum 31. März 1991 geltenden Fassung und nach diesem Zeitpunkt durch die Regelung des § 3 n BAT in der ab dem 1. April 1991 geltenden Fassung unwirksam. Beide Vorschriften verstießen gegen § 2 Abs. 1 BeschFG, weil sie Teilzeitbeschäftigte benachteiligten. Die genannten Bestimmungen verletzten auch das in Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag und der EG-Richtlinie 76/206/EWG enthaltene Verbot der mittelbaren Diskriminierung. Die genannten Bestimmungen beträfen überwiegend Frauen, auch wenn sie geschlechtsneutral formuliert seien. Mit ihrer Klageschrift hatte die Klägerin zunächst bezifferte Zahlungsanträge hinsichtlich Urlaubs, Urlaubsgeldes, Zuwendung und Wege- und Rüstzeitenpauschale angekündigt, ferner den Antrag,

6. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Urlaub nach dem BAT zu gewähren, Urlaubsgeld gem. Tarifvertrag über ein Urlaubsgeld für Angestellte zu gewähren, die Zuwendung nach dem Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte zu gewähren sowie Wege- und Rüstzeitenpauschale gem. der Vereinbarung zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Gewerkschaft ÖTV Hamburg vom 26.04.1990 über die pauschalierte Abgeltung der Wege- und Rüstzeiten zu gewähren.

Nach Rücknahme der Anträge zu 1.–5. hat sie vor dem Arbeitsgericht schließlich nur noch folgenden Antrag gestellt:

Es wird festgestellt, daß auf das Arbeitsverhältnis der Parteien durchgängig der Bundes-Angestelltentarifvertrag in der jeweils geltenden Fassung Anwendung findet und fand.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Rechtsauffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin sei gem. § 3 q BAT in der bis zum 31. März 1991 geltenden Fassung vom Anwendungsbereich des BAT ausgeschlossen gewesen. Hierzu hat sie behauptet, die Arbeitszeit der Klägerin habe 18 Stunden nicht überschritten. Die Addition der im Rahmen des Bereitschaftsdienstes und der während der Vertragsverhältnisse nach dem BAT geleisteten Arbeitsstunden entbehre einer rechtlichen Grundlage. Die Zeit des Bereitschaftsdienstes sei keine Arbeitszeit, weil sie nur zur Vergütungsberechnung anteilig als Arbeitszeit gewertet und darüber hinausgehende Arbeitsstunden mit einer Überstundenvergütung vergütet würden. Das Arbeitsverhältnis sei auch gem. § 3 n BAT in der ab dem 1. April 1991 geltenden Fassung vom Anwendungsbereich des BAT ausgeschlossen. § 3 q BAT a.F. und § 3 n BAT n.F. seien wirksam. Für den Ausschluß des Arbeitsverhältnisses nach § 3 n BAT liege ein sachlicher Grund vor, weil es sich dabei um eine Nebenbeschäftigung handele, die neben der durch das Studium vorgegebenen Hauptbeschäftigung wahrgenommen worden sei.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten war erfolglos. Mit der Revision verfolgt sie ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Klage ist unzulässig. Es fehlt am Rechtsschutzbedürfnis.

1. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, daß das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

Gegenstand einer Feststellungsklage können auch einzelne Ansprüche oder Verpflichtungen aus einem Rechtsverhältnis oder der Umfang einer Leistungspflicht sein (Senatsurteil vom 19. Juni 1985 – 5 AZR 57/84 – AP Nr. 11 zu § 4 BAT).

2. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Feststellungsklage grundsätzlich unzulässig, wenn eine Leistungsklage gleichen oder im wesentlichen gleichen Inhalts erhoben werden kann. Das ergibt sich aus der fehlenden Vollstreckbarkeit des Feststellungsurteils. Es ist in aller Regel prozeßwirtschaftlich sinnvoller, sogleich eine Leistungsklage zu erheben (BAGE 11, 312, 314 = AP Nr. 83 zu § 611 BGB Urlaubs recht).

3. Davon hat die Rechtsprechung aber Ausnahmen zugelassen, und zwar überwiegend ebenfalls aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit.

a) So ist die Feststellungsklage trotz möglicher Leistungsklage dann zulässig, wenn die Parteien im wesentlichen nur über ein Element des Zahlungsanspruchs streiten, die Leistungsklage schwierige Berechnungen erfordern würde, und ein Feststellungsurteil zu einer abschließenden Klärung des Streits führt (BAG Urteil vom 8. Mai 1984 – 3 AZR 68/82 – AP Nr. 20 zu § 7 BetrAVG; BAGE 59, 73, 82 f. = AP Nr. 33 zu § 242 BGB Betriebliche Übung = EzA § 242 BGB Betriebliche Übung Nr. 24). Es wäre prozeßwirtschaftlich nicht sinnvoll, bei schwierigen Berechnungen den Rechtsstreit mit einem zusätzlichen Zahlenwerk zu belasten, an deren Lösung die Parteien (zunächst) kein Interesse haben.

b) Auch sonst ist die Feststellungsklage neben der Leistungsklage zulässig, wenn erstere zu einer abschließenden oder doch sinnvollen Entscheidung der Streitigkeiten führt (BAGE 67, 35 = AP Nr. 4 zu § 4 BPersVG; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 256 Rz 87 ff.).

c) Aus denselben Gründen hat das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung die Klagen von Beschäftigten, daß zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestehe, für zulässig erklärt, und zwar auch dann, wenn im Laufe des Statusprozesses bereits erkennbar wird, daß später über einzelne Arbeitsbedingungen gestritten wird (Senatsurteil vom 22. Juni 1977 – 5 AZR 753/75 – AP Nr. 22 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Urteil vom 20. Juli 1994 – 5 AZR 169/93 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Die Rechtsprechung verlangt also vom Kläger nicht, alle denkbaren Streitpunkte zum Gegenstand seines Feststellungsbegehrens zu machen. Der Statusprozeß soll nicht mit Streitpunkten belastet werden, die sich nur bei Bejahung des Arbeitnehmerstatus stellen und die regelmäßig ohne gerichtliche Inanspruchnahme geklärt werden.

4. Weiter sieht die Rechtsprechung eine Feststellungsklage dann für zulässig an, wenn sie sich gegen eine öffentlich-rechtliche Körperschaft richtet. Maßgebend dafür ist die Erwartung, daß diese einem gegen sie ergangenen Feststellungsurteil nachkommen und die sich daraus ergebenden Leistungsansprüche erfüllen wird (BAGE 11, 312, 317 = AP Nr. 83 zu § 611 BGB Urlaubsrecht, zu IV der Gründe; Senatsurteil vom 27. Juli 1988 – 5 AZR 244/87 – AP Nr. 83 zu § 242 BGB Gleichbehandlung).

Das bedeutet jedoch nicht, daß gegen öffentlich-rechtliche Körperschaften gerichtete Feststellungsklagen schrankenlos zulässig sind. Vielmehr sind auch in diesem Bereich Feststellungsklagen nur dann zulässig, wenn zu erwarten ist, daß durch das Feststellungsurteil der Streit zwischen den Parteien endgültig beigelegt wird. Aus dem Grundsatz der Prozeßwirtschaftlichkeit kann folgen, daß der Kläger unter mehreren möglichen Feststellungsklagen die weitestgehende zu wählen hat, damit Folgeprozesse vermieden werden (vgl. Grunsky, Anm. zu AP Nr. 47 zu § 256 ZPO; Schumann, Anm. AP Nr. 46 zu § 256 ZPO). Es besteht auch kein Bedürfnis dafür, einen weniger weitgehenden Feststellungsantrag dann zuzulassen, wenn die Erhebung eines weitergehenden Antrags, z.B. die Bezifferung, dem Kläger ohne weiteres möglich ist, also keine komplizierten Berechnungen erfordert.

5. So liegen die Dinge hier. Die Klägerin hat ursprünglich auch bezifferte Leistungsanträge angekündigt. Sie hat damit gezeigt, daß ihr die Bezifferung ohne weiteres möglich war. Der Feststellungsantrag zu 6) stellte sich zum damaligen Zeitpunkt als Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO dar. Lange nach ihrem letzten Einsatz bei der Beklagten hat die Klägerin die bezifferten Leistungsanträge zurückgenommen und statt des Feststellungsantrages zu 6) einen sehr viel weiter gefaßten Feststellungsantrag gestellt, in dem im übrigen die Tarifvereinbarung vom 26. April 1990 über die pauschalierte Abgeltung der Wege- und Rüstzeiten keine Erwähnung mehr fand. Gründe, die dieses Vorgehen als notwendig oder auch nur als sinnvoll erscheinen lassen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Zwar kann das Rechtsschutzbedürfnis für eine bestimmte Feststellungsklage ausnahmsweise auch dann zu bejahen sein, wenn der Kläger seine Leistungsklage auf Anraten des Gerichts umstellt und statt dessen einen Feststellungsantrag stellt (Urteil vom 15. Februar 1990 – 6 AZR 366/88 – AP Nr. 17 zu § 17 BAT). Aber auch dafür gibt es keine Anhaltspunkte.

Damit erweist sich der Feststellungsantrag als unzulässig, so daß die Klage abzuweisen war.

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Reinecke, Horst Kraft, Müller

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1083551

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