Entscheidungsstichwort (Thema)

Auflösung einer Tarifvertragspartei

 

Leitsatz (redaktionell)

Mit Auflösung einer Tarifvertragspartei entfällt die Tarifgebundenheit ihrer Mitglieder nach § 3 Abs 1 TVG. An die Stelle der bisherigen Tarifnormen treten jedenfalls nach Ablauf der bisherigen Lohntarife die neuen tariflichen Regelungen (hier: Auflösung des Industrieverbandes und Übertritt zum Handwerk).

 

Normenkette

TVG §§ 2, 4; BGB § 613a; TVG § 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 13.11.1984; Aktenzeichen 6 (2) Sa 394/84)

ArbG Lübeck (Entscheidung vom 15.05.1984; Aktenzeichen 3 Ca 728/84)

 

Tatbestand

Die Kläger, die der IG Metall angehören, sind als gewerbliche Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte war Mitglied des Industrieverbandes Heizung und Lüftung Schleswig-Holstein e. V. Auf die Arbeitsverhältnisse der Kläger fanden der Lohntarifvertrag für die Zentralheizungsindustrie Schleswig-Holstein vom 2. April 1982/19. April 1982, gültig ab 1. Februar 1982 (LohnTV-Industrie) und der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Zentralheizungsindustrie Schleswig-Holstein vom 1. Januar 1979 (MTV-Industrie) kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung.

Der LohnTV-Industrie war mit monatlicher Frist, erstmals zum 31. Januar 1983, kündbar. Der MTV-Industrie konnte mit einer Frist von 3 Monaten, erstmals zum 31. Dezember 1985, gekündigt werden. Die Kläger erhielten nach § 4 MTV-Industrie Mehrarbeitszuschläge für die beiden ersten täglichen Überstunden in Höhe von 25 % des Grundlohns zuzüglich des Akkordausgleichs. Die Akkord-Ausgleichszulage betrug nach § 3 LohnTV-Industrie 10 % des jeweiligen Stundenlohns. Der Berechnung des Urlaubsentgelts und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle war nach § 13 MTV-Industrie der durchschnittliche Stundenverdienst zugrunde zu legen. Dieser war mit Rücksicht auf die überwiegende Akkordarbeit auf 123 % des tariflichen Grundlohns festgesetzt.

Im August 1983 löste sich der Industrieverband Heizung und Lüftung Schleswig-Holstein e. V. durch Mitgliederbeschluß auf. Die Auflösung des Verbandes wurde der IG Metall mit Schreiben vom 9. August 1983 mitgeteilt. Nachdem die Beklagte dem Fachverband Sanitär-Heizung-Klima Schleswig-Holstein beigetreten war, wendete sie ab 1. Januar 1984 den zwischen diesem Fachverband und der IG Metall abgeschlossenen Manteltarifvertrag vom 30. Januar 1979 für die gewerblichen Arbeitnehmer des metallverarbeitenden Handwerks in Schleswig-Holstein (MTV-Handwerk) und den Lohntarifvertrag für das Installateur-, Klempner- und Zentralheizungsbauerhandwerk im Lande Schleswig-Holstein vom 18. März 1982 (LohnTV-Handwerk) an.

Nach § 4 MTV-Handwerk wurde für die beiden ersten täglichen Überstunden ein Zuschlag von 20 % des betrieblich vereinbarten Stundenlohnes gezahlt. Die Akkord-Ausgleichszulage betrug nach der Lohntabelle I des LohnTV-Handwerk 7,5 % des jeweiligen Tariflohnes. Die Berechnung des Urlaubsentgelts und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle erfolgte nach § 10 MTV-Handwerk nach dem durchschnittlichen Stundenverdienst im letzten Kalenderjahr.

Mit ihrer Klage haben sich die Kläger gegen die Anwendung des MTV-Handwerk und des LohnTV-Handwerk ab 1. Januar 1984 durch die Beklagte gewendet. Sie haben die Auffassung vertreten, daß die Beklagte über den 31. Dezember 1983 hinaus die Berechnung der Mehrarbeitszuschläge, der Akkord-Ausgleichszulage, des Urlaubsentgelts und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle nach den für die Kläger günstigeren Tarifverträgen für die Zentralheizungsindustrie vornehmen müsse. Die sich ergebenden Differenzbeträge haben die Kläger für die Monate Januar 1984 bis März 1984 geltend gemacht.

Die Kläger meinen, daß die zwischen dem Industrieverband Heizung und Lüftung Schleswig-Holstein e. V. und der IG Metall abgeschlossenen Tarifverträge mit der Auflösung des Industrieverbandes im August 1983 nicht ihre normative und zwingende Wirkung verloren hätten. Zwar sei die Mitteilung des Auflösungsbeschlusses an die IG Metall mit Schreiben vom 9. August 1983 als Kündigung der bestehenden Tarifverträge anzusehen, da der MTV-Industrie jedoch erst zum 31. Dezember 1985 kündbar gewesen sei, habe er bis zu diesem Zeitpunkt fortbestanden. Die Beklagte habe sich durch ihren Eintritt in den Fachverband Sanitär-Heizung-Klima dieser Tarifbindung nicht entziehen können, da ihr nach § 3 Abs. 3 TVG der Vorrang zukomme.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

an den Kläger zu 1) 32,11 DM brutto

dem Kläger zu 2) 36,09 DM brutto

dem Kläger zu 3) 41,86 DM brutto

dem Kläger zu 4) 306,24 DM brutto

dem Kläger zu 5) 125,55 DM brutto

dem Kläger zu 6) 6,69 DM brutto

dem Kläger zu 7) 61,23 DM brutto

dem Kläger zu 8) 26,79 DM brutto

dem Kläger zu 9) 154,63 DM brutto

dem Kläger zu 1O) 78,76 DM brutto

dem Kläger zu 11) 76,42 DM brutto

dem Kläger zu 12) 3,6O DM brutto

dem Kläger zu 13) 258,66 DM brutto

dem Kläger zu 14) 516,02 DM brutto

dem Kläger zu 15) 13,87 DM brutto

dem Kläger zu 16) 33,9O DM brutto

dem Kläger zu 17) 14,65 DM brutto

dem Kläger zu 18) 28,70 DM brutto

dem Kläger zu 19) 102,60 DM brutto

dem Kläger zu 20) 368,50 DM brutto

dem Kläger zu 21) 1,98 DM brutto

dem Kläger zu 22) 8,40 DM brutto

jeweils nebst 4 % Zinsen seit dem 26. 4. 1984

zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, daß sie zu Recht ab 1. Januar 1984 den MTV-Handwerk und den LohnTV-Handwerk angewendet habe. Mit der Auflösung des Industrieverbandes Heizung und Lüftung hätten die mit der IG Metall abgeschlossenen Tarifverträge ihre Wirksamkeit verloren. Bei der Auflösung einer Tarifvertragspartei gelte auch nicht § 3 Abs. 3 TVG. Auf jeden Fall seien die bestehenden Tarifverträge mit Schreiben des Industrieverbandes an die IG Metall vom 9. August 1983 fristlos gekündigt worden. Nachdem die Beklagte dem Fachverband Sanitär-Heizung-Klima beigetreten sei, hätten kraft beiderseitiger Tarifbindung nur noch die zwischen diesem Fachverband und der IG Metall abgeschlossenen Tarifverträge gegolten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren unter Beschränkung des Zinsanspruchs auf den Nettobetrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Den Klägern stehen die geltend gemachten Ansprüche aus dem Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeiter in der Zentralheizungsindustrie Schleswig-Holstein vom 1. Januar 1979 (MTV-Industrie) in Verbindung mit dem Lohntarifvertrag für die Zentralheizungsindustrie Schleswig-Holstein vom 2. April 1982/19. April 1982 (LohnTV-Industrie) nicht zu. Die Beklagte hat ab 1. Januar 1984 den Lohn der Kläger zutreffend nach dem Manteltarifvertrag vom 30. Januar 1979 für die gewerblichen Arbeitnehmer des metallverarbeitenden Handwerks in Schleswig-Holstein (MTV-Handwerk) in Verbindung mit dem Lohntarifvertrag für das Installateur-, Klempner- und Zentralheizungsbauerhandwerk im Lande Schleswig-Holstein vom 18. März 1982 (LohnTV-Handwerk) berechnet.

Auf die Arbeitsverhältnisse der Parteien fanden ab 1. Januar 1984 der MTV-Handwerk und der LohnTV-Handwerk, die zwischen dem Fachverband Sanitär-Heizung-Klima und der IG Metall abgeschlossen worden waren, unmittelbar und zwingend Anwendung, da die Kläger als Mitglieder der IG Metall und die Beklagte als Mitglied des Fachverbandes Sanitär-Heizung-Klima tarifgebunden waren (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Die Rechtsnormen des MTV-Industrie und des LohnTV-Industrie, die zuvor kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse Anwendung gefunden hatten, galten im Anspruchszeitraum nicht mehr.

Die Frage, welche Rechtswirkungen die Auflösung eines rechtsfähigen Vereins, der zugleich Tarifvertragspartei ist, auf die bestehenden Tarifverträge hat, ist seit langer Zeit umstritten. Der Senat hat, anknüpfend an die Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts (RAG ARS 14, 475, 595) und der dieser folgenden Meinungen in der Literatur, entschieden, daß mit der Auflösung eines rechtsfähigen Vereins, der gleichzeitig Tarifvertragspartei ist, der obligatorische Teil eines Tarifvertrages wegfällt, soweit er den aufgelösten Verein betrifft (BAG Urteil vom 11. November 1970 - 4 AZR 522/69 - AP Nr. 28 zu § 2 TVG mit umfassenden Nachweisen). Diese Auffassung ist in der Literatur auf Kritik gestoßen (Blomeyer, SAE 1972, 109; Lobscheid, AuR 1972, 289, 303; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 33, § 2 Rz 21; Wiedemann, Anm. zu AP Nr. 28 zu § 2 TVG; Däubler/Hege, Tarifvertragsrecht, Rz 492; Säcker, AR-Blattei, D, Tarifvertrag II, II Abschluß, zu Entscheidung Nr. 8).

Der Senat hat in diesem Urteil offengelassen, ob ein Tarifvertrag beschränkt auf seinen normativen Teil bestehen kann. Auch insoweit sind die Meinungen in der Literatur geteilt. Einerseits wird die Auffassung vertreten, daß die Verbandsauflösung auch zur Beendigung des normativen Teils eines Tarifvertrages führt (Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, S. 219 f.; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Aufl. Band II, S. 355; Bobrowski/Gaul, Arbeitsrecht im Betrieb, 7. Aufl., Band II, S. 355; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, TVG, 4. Aufl., § 1 Rz 41; A. Hueck, AR- Blattei, D, Tarifvertrag VIII, Beendigung, IV; ders., Das Recht des Tarifvertrages, S. 79 f.; Reichel, TVG, § 2 Erl. 25; Wagenitz, Die personellen Grenzen der Tarifmacht, S. 91). Diese Ansicht teilt auch der Bundesfinanzhof (BFH Urteil vom 25. Oktober 1963 - VI 68/62 U - AP Nr. 2 zu § 34 a EStG). Demgegenüber vertreten zahlreiche Autoren die Meinung, daß der normative Teil eines Tarifvertrages bei Auflösung einer Tarifvertragspartei bis zur Beendigung durch Fristablauf oder durch außerordentliche bzw. ordentliche Kündigung fortbestehe (Hueck/ Nipperdey, Band II/1, S. 474 f.; Maus, TVG, § 1 Anm. 303; Wiedemann/Stumpf, aaO, § 4 Rz 33, § 2 Rz 21; Wiedemann, Anm. zu AP Nr. 28 zu § 2 TVG; Däubler/Hege, aaO, Rz 492; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, § 3 Rz 30; Frey, RdA 1965, 363 ff.; Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, S. 61, 66; Krischker, Tarifverbandsauflösung und Tarifvertrag, Diss. Köln 1969, S. 65 ff.; Özfirat, Die Folgen von Untergang und Tariffähigkeitsverlust einer Tarifvertragspartei, Diss. Tübingen 1978, S. 143; Herschel, Tariffähigkeit und Tarifmacht, S. 18).

Der Gesetzgeber hat die Rechtsfolgen der Auflösung einer Tarifvertragspartei im Hinblick auf den Fortbestand der von ihr abgeschlossenen Tarifverträge nicht geregelt. § 3 Abs. 3 TVG erfaßt nicht den Fall der Verbandsauflösung, sondern bestimmt nur die Rechtsfolgen beim Wegfall der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG durch die Beendigung der Mitgliedschaft in einer Tarifvertragspartei. Durch die gesetzliche Ausnahmeregelung in § 3 Abs. 3 TVG soll dem Mißbrauch privatrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten begegnet werden. Demgemäß soll die unmittelbare und zwingende Rechtswirkung eines Tarifvertrages, die sich nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG aus der Mitgliedschaft in einer Tarifvertragspartei ergibt, nicht durch eine einseitige Maßnahme wie dem Verbandsaustritt beseitigt werden können (BAG 44, 191, 196 = AP Nr. 3 zu § 3 TVG). Durch die gesetzliche Regelung des § 3 Abs. 3 TVG wird nur die fehlende Verbandsmitgliedschaft ersetzt (vgl. Wiedemann, RdA 1975, 78, 83), sie besagt jedoch nichts darüber, welche Rechtsfolgen für einen Tarifvertrag eintreten, wenn sich eine Tarifvertragspartei auflöst. Der Senat hat schon im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts (RAG ARS 14, 595) darauf hingewiesen, daß insoweit eine Gesetzeslücke bestehe, deren Ausfüllung im Hinblick auf die verschiedenen Regelungsmöglichkeiten nicht Aufgabe der Rechtsprechung, sondern Sache des Gesetzgebers sei (BAG Urteil vom 11. November 1970 - 4 AZR 522/69 - AP Nr. 28 zu § 2 TVG). Eine gesetzliche Vorschrift, die regelt, ob die Normen eines Tarifvertrages nicht über den Zeitpunkt der Verbandsauflösung hinaus oder bis zu seinem Zeitablauf oder bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin unmittelbar und zwingend weitergelten, besteht auch heute nicht.

Der Gesetzgeber hat allerdings in § 613 a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB die Fortgeltung der Rechtsnormen eines Tarifvertrages im Falle des Betriebsüberganges geregelt. Der Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Vorschriften besteht darin, bei einem Betriebsübergang für die Dauer von einem Jahr sicherzustellen, daß ein Arbeitnehmer, auf dessen Arbeitsverhältnis bisher Rechtsnormen eines Tarifvertrages Anwendung fanden, weiter nach den tariflichen Vorschriften behandelt wird, soweit der Tarifvertrag, der bisher auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fand, noch weitergilt. Der Gesetzgeber hat die Weitergeltung der bisherigen tariflichen Vorschriften für das Arbeitsverhältnis in dem Falle ausdrücklich ausgeschlossen, in dem die Arbeitsverhältnisse bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrages geregelt werden. Dies gilt auch insoweit, als die Tarifbindung an einen anderen Tarifvertrag nicht schon beim Betriebsübergang, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt eintritt (BAG Urteil vom 19. März 1986 - 4 AZR 640/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Beim Betriebsübergang hat der Gesetzgeber damit einmal dem sog. Prinzip der Tarifeinheit, das besagt, daß in einem Betrieb im Zweifel nur Tarifverträge einer Branche zur Anwendung kommen sollen (vgl. Wiedemann/Stumpf, aaO, § 4 Rz 75, 164), Vorrang eingeräumt. Zum anderen kommt in den gesetzlichen Vorschriften die Wertung des Gesetzgebers zum Ausdruck, daß ein Arbeitnehmer des Schutzes der bisher für ihn geltenden tariflichen Vorschriften nicht bedarf, wenn er durch neue, für den Betriebserwerber geltende Tarifvorschriften geschützt ist (BAG Urteil vom 19. März 1986 - 4 AZR 640/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt).

Eine solche gesetzliche Regelung besteht aber für den Wegfall einer Tarifvertragspartei nicht. Auszugehen ist deshalb grundsätzlich davon, daß mit dem Wegfall der Tarifvertragspartei auch der Tarifvertrag einem Ende zugeführt werden muß, so lange eine gesetzliche Regelung einer ggf. beschränkten Fortgeltung nicht besteht und auf andere Weise eine Aufhebung des Tarifvertrages nach Fortfall einer Tarifvertragspartei nicht mehr herbeigeführt werden kann. Löst sich eine Tarifvertragspartei auf, so verliert sie die Herrschaft über den Tarifvertrag (Richardi, aaO, S. 219). Die Tarifgebundenheit ihrer Mitglieder entfällt nach § 3 Abs. 1 TVG. Auch wenn die Verbandsauflösung zur Beendigung des Tarifvertrages führt, verlieren dadurch die Arbeitnehmer aber nicht den Schutz der tariflichen Vorschriften. Nach Ablauf des Tarifvertrages gelten seine Rechtsnormen vielmehr nach § 4 Abs. 5 TVG weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden (Wiedemann/Stumpf, aaO, § 4 Rz 188 nehmen dies auch für den Wegfall der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG bei fortbestehendem Tarifvertrag an). Damit ist einerseits wie beim Betriebsübergang durch § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB die Aufrechterhaltung der bisherigen Rechte und Pflichten sichergestellt, zum anderen ist aber auch gewährleistet, daß nicht ein Rechtszustand, der durch den Wegfall einer Tarifvertragspartei unabänderlich geworden ist, für alle Zukunft unabdingbar aufrecht erhalten bleibt (Richardi, aaO, S. 220). Den Arbeitsvertragsparteien wird vielmehr ermöglicht, diesen durch einzelvertragliche Vereinbarung oder eine anderweitige tarifvertragliche Ordnung abzulösen. In beiden Fällen bleiben die Arbeitnehmer ausreichend geschützt.

Ob diese Rechtsfolge aber unmittelbar mit der Auflösung der Tarifvertragspartei eintritt, also stets von einer fristlosen Lösung auszugehen ist, oder ob diese Wirkung erst nach Ablauf des normativen Teils des Tarifvertrages durch Befristung, Mindestbefristung oder Beendigung mit Ablauf einer vorgesehenen Kündigungsfrist eintritt, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Die vom Industrieverband Heizung und Lüftung e. V. mit der IG Metall abgeschlossenen Tarifverträge waren nach dem unstreitigen Sachverhalt vor Beginn des Anspruchszeitraums am 1. Januar 1984 gekündigt worden, so daß an ihre Stelle kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit die zwischen dem Fachverband Sanitär-Heizung-Klima und der IG Metall abgeschlossenen Tarifverträge traten. Die Auflösung des Industrieverbandes Heizung und Lüftung e. V. ist der IG Metall mit Schreiben vom 9. August 1983 mitgeteilt worden. Mit Recht haben die Kläger darin eine Kündigung der bestehenden Tarifverträge gesehen. Zwar handelt es sich insoweit um eine Willenserklärung nichttypischer Art, deren Auslegung grundsätzlich Sache des Tatsachenrichters ist. Die Auslegung kann jedoch dann auch vom Revisionsgericht vorgenommen werden, wenn weitere Tatsachenfeststellungen nicht in Betracht kommen und die Erklärung keine andere Beurteilung durch das Berufungsgericht zuläßt (BAG Urteil vom 21. November 1958 - 1 AZR 107/58 - AP Nr. 11 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 4. März 1961 - 5 AZR 169/60 - AP Nr. 21 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG 10, 122, 127 = AP Nr. 1 zu § 164 HGB). So liegt der Fall hier. Teilt eine Tarifvertragspartei der anderen Tarifvertragspartei ihre Auflösung mit, so läßt diese Mitteilung keinen anderen Schluß zu, als daß eine Beendigung der Rechtsbeziehungen gewollt sei. Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob eine Beendigung der Tarifverträge mit sofortiger Wirkung oder zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin eintreten sollte. Da der LohnTV-Industrie mit monatlicher Frist kündbar war, endete er spätestens zum 30. September 1983 und damit bereits drei Monate vor Beginn des Anspruchszeitraums. Im Nachwirkungszeitraum konnte er nach § 4 Abs. 5 TVG durch den LohnTV-Handwerk abgelöst werden. Damit berechnete sich der von den Klägern ab 1. Januar 1984 geltend gemachte Anspruch auf die Akkord-Ausgleichszulage nicht mehr nach § 3 LohnTV-Industrie, sondern allein nach der Lohntabelle I des LohnTV-Handwerk.

Anstelle der tariflichen Bestimmungen des MTV-Industrie waren im Anspruchszeitraum auch diejenigen des MTV-Handwerk anzuwenden. Zwar war der MTV-Industrie erst zum 31. Dezember 1985 kündbar, jedoch nahmen die von den Klägern herangezogenen Regelungen des MTV-Industrie hinsichtlich der Mehrarbeitszuschläge, des Urlaubsentgelts und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle jeweils auf den tariflichen Grundlohn des LohnTV-Industrie Bezug. Diese tariflichen Bestimmungen wurden daher "inhaltsleer", als der LohnTV-Industrie kraft anderweitiger Tarifbindung durch den LohnTV-Handwerk abgelöst wurde (vgl. BAG Beschluß vom 3. Dezember 1985 - 4 ABR 7/85 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Außerdem steht der Anwendung verschiedener, nicht aufeinander abgestimmter Tarifverträge auf die Rechtsverhältnisse in einem Betrieb das Prinzip der Tarifeinheit entgegen (vgl. Wiedemann/Stumpf, aaO, § 4 Rz 163; Dutti, BB 1968, 1335 ff.). Die "inhaltsleeren" Normen des MTV-Industrie und die nachwirkenden Vorschriften des LohnTV-Industrie wurden demzufolge vor dem Anspruchszeitraum durch die tariflichen Bestimmungen des MTV-Handwerk und des LohnTV-Handwerk, die aufgrund des Eintritts der Beklagten in den Fachverband Sanitär-Heizung-Klima kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit auf die Arbeitsverhältnisse der Kläger Anwendung fanden, ersetzt. Sie konnten nicht mehr als Anspruchsgrundlage für die Klageforderungen dienen. Die Revision war damit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Neumann Dr. Etzel Dr. Freitag

Dr. Börner H. Hamm

 

Fundstellen

BAGE 53, 179-186 (LT1)

BAGE, 179

BB 1987, 403

BB 1987, 403-404 (LT1)

DB 1987, 590-592 (LT)

JR 1987, 176

NZA 1987, 246-248 (LT)

RdA 1987, 63

SAE 1987, 201-203 (LT1)

AP § 3 TVG (LT1), Nr 4

AR-Blattei, ES 1550.3 Nr 4 (LT)

AR-Blattei, Tarifvertrag III Entsch 4 (LT)

Arbeitgeber 1987, 489-489 (LT)

EzA § 2 TVG, Nr 16 (LT1)

JuS 1987, 666-666 (LT1)

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