Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf eine Weihnachtsgratifikation

 

Leitsatz (redaktionell)

Parallelsache zum Verfahren 10 AZR 69/96, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 611

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 13.12.1995; Aktenzeichen 2 Sa 580/95)

ArbG Elmshorn (Urteil vom 24.05.1995; Aktenzeichen 2e Ca 233/95)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 13. Dezember 1995 – 2 Sa 580/95 – teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 24. Mai 1995 – 2 e Ca 233/95 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.200,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich jeweils aus 600,00 DM ergebenden Nettobetrag seit dem 28. Februar 1994 und dem 10. Februar 1995 zu zahlen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung und der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin ist seit August 1989 bei der Beklagten beschäftigt. In der Vergangenheit zahlte die Beklagte an ihre Mitarbeiter jährlich eine Weihnachtsgratifikation.

Am 4. Dezember 1992 teilte die Beklagte am „Schwarzen Brett” mit:

„Liebe Mitarbeiterinnen, liebe Mitarbeiter!

Wir müssen Ihnen leider die Mitteilung machen, daß in diesem Jahr kein Weihnachtsgeld gezahlt werden kann. Nach reiflicher Überlegung und betriebswirtschaftlicher Prüfung ist die Geschäftsleitung zu dem Ergebnis gekommen, daß aus wirtschaftlichen Gründen eine Zahlung des Weihnachtsgeldes nicht möglich ist.

Zudem würden die Banken aufgrund der angespannten Wirtschaftssituation und der Rezession in der Automobilindustrie auch keine finanziellen Mittel zur Verfügung stellen.

Sollte die wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten Jahren wieder positiver sein, werden wir unseren Mitarbeitern selbstverständlich alle Vergünstigungen, wie gehabt wieder zukommen lassen.”

Auch im Jahr 1993 zahlte die Beklagte keine Weihnachtsgratifikation, gab vielmehr durch einen Aushang vom 14. Dezember 1993 den Mitarbeitern bekannt:

„Weihnachtsgeld 1993

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

im Auftrag der Geschäftsleitung müssen wir Ihnen leider die Mitteilung machen, daß wir in diesem Jahr aus wirtschaftlichen Gründen kein Weihnachtsgeld auszahlen können.

Wir hoffen, daß sich die wirtschaftliche Lage im nächsten Jahr dahingehend entspannt, daß wieder Weihnachtsgeld gezahlt werden kann.”

Die Klägerin verlangte von der Beklagten am 15. Dezember 1994 schriftlich die Zahlung der Weihnachtsgratifikationen für die Jahre 1992 bis 1994 und erhob im Februar 1995 Klage. Sie hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.800,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 28. Februar 1994 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, die Klägerin habe den verschlechternden Arbeitsbedingungen konkludent zugestimmt, weil sie ihre Arbeit widerspruchslos fortgesetzt habe. Unabhängig davon sei ihr Anspruch auch verwirkt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 1.200,00 DM stattgegeben und die weitergehende Klage mit der Begründung abgewiesen, die Ansprüche aus 1992 seien verjährt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Weihnachtsgratifikation für die Jahre 1993 und 1994 in der unstreitigen Höhe von 1.200,00 DM.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, eine betriebliche Übung sei durch die vorbehaltlose dreijährige Zahlung in den Jahren 1989 bis 1991 entstanden. Der Anspruch sei nicht dadurch entfallen, daß die Klägerin nach dem Aushang am „Schwarzen Brett” ihre Tätigkeit im Betrieb widerspruchslos fortgesetzt habe. Besondere Umstände, die einen Verzicht der Klägerin auf ihren Gratifikationsanspruch ergeben könnten, ließen sich dem Vortrag der Parteien nicht entnehmen.

Dem Landesarbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch weitgehend in der Begründung zu folgen.

II. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf die Weihnachtsgratifikation für das Jahr 1993 und 1994, der sich aus einer betrieblichen Übung ergibt.

1. Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Aufgrund einer Willenserklärung, die von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Vergünstigungen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird durch eine mindestens dreimalige vorbehaltlose Gewährung einer Weihnachtsgratifikation, wenn nicht die Umstände des Falles eine andere Auslegung bedingen, eine Verpflichtung des Arbeitgebers aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung begründet, mit der Folge, daß er sich von dieser Verpflichtung nicht mehr durch einseitigen Widerruf wieder lossagen kann (BAG seit Urteil vom 23. April 1963 – 3 AZR 173/62 – AP Nr. 26 zu § 611 BGB Gratifikation).

Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen, die Klägerin habe durch die vorbehaltlose Gewährung der Weihnachtsgratifikation in den Jahren 1989 bis 1991 aufgrund betrieblicher Übung einen Anspruch auf Gewährung einer Gratifikation für die Zukunft und damit auch für die Jahre 1993 und 1994 erworben.

Der Anspruch auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation ist zum Inhalt des Arbeitsvertrages der Klägerin geworden, so daß er auf individualrechtlichem Wege nach den allgemeinen Regeln des Vertragsrechts ohne deren Mitwirkung nicht mehr untergehen konnte (BAGE 23, 213 = AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Übung).

2. Der aus betrieblicher Übung entstandene Anspruch wurde nicht durch eine einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrages beseitigt.

Da eine betriebliche Übung bewirkt, daß die üblich gewordene Vergünstigung als arbeitsvertragliche Leistung vom Arbeitgeber geschuldet wird, ist es auch möglich, diesen vertraglichen Anspruch durch eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abzuändern oder aufzuheben (BAG Urteil vom 17. Dezember 1994 – 10 AZR 285/94 –, n.v.).

Allerdings kann eine Vertragspartei, die in ein bestehendes Vertragsverhältnis einschränkende Bedingungen einführen will, nach der Verkehrssitte nicht schon das bloße Schweigen des Empfängers als Annahme werten. Schweigen allein stellt in der Regel keine Willenserklärung dar, also auch keine Annahme eines Angebots zur Änderung eines bestehenden Vertrages. Wer auf ein Angebot nicht reagiert, stimmt diesem ausweislich § 147 BGB nicht zu. Vor allem in Fällen einer Offerte zwecks nachteiliger Veränderung einer bestehenden Vertragssituation kann nicht ohne weiteres unterstellt werden, daß derjenige, der nicht reagiert, mit dem ihm angesonnenen Nachteil einverstanden ist. Nur unter besonderen Umständen kann Schweigen des Erklärungsempfängers als Zustimmung zu verstehen sein, wenn nämlich der Erklärende nach Treu und Glauben annehmen durfte, der andere Vertragsteil würde der angebotenen Vertragsänderung widersprechen, wenn er ihr nicht zustimmen wolle (BAG Urteil vom 30. Juli 1985 – 3 AZR 405/83 – AP Nr. 13 zu § 65 HGB).

3. Solche Umstände sind vorliegend nicht gegeben. Es erscheint schon fraglich, ob der Aushang der Beklagten vom 4. Dezember 1992 überhaupt ein Angebot an die Arbeitnehmer zur Änderung einer Regelung darstellt. Seinem Wortlaut nach enthält der Aushang nur die schlichte Mitteilung, daß in diesem Jahr kein Weihnachtsgeld gezahlt werden kann und gibt als Begründung dafür wirtschaftliche Gründe an. Allenfalls konnte die Beklagte hoffen, daß die Arbeitnehmer mit Rücksicht auf die dargestellte schwierige wirtschaftliche Lage Verständnis aufbringen und es hinnehmen würden, daß in diesem Jahr – 1992 – kein Weihnachtsgeld gezahlt wird. Dafür kann sprechen, daß nach den beigezogenen Vorakten auch der Parallelverfahren kein Arbeitnehmer vor Anfang 1994 eine Weihnachtsgratifikation auch für das Jahr 1992 verlangt hat.

Der Aushang vom 14. Dezember 1993 für das Jahr 1993 enthält noch weniger ein Angebot der Beklagten zur Änderung der Arbeitsverträge hinsichtlich des Weihnachtsgeldes für die Zukunft oder wenigstens auf einen Verzicht auch für dieses Jahr. Der Aushang stammt nicht einmal von der Beklagten selbst, sondern von einem Angestellten, der „im Auftrag der Geschäftsleitung” schlicht mitteilt, daß auch in diesem Jahr kein Weihnachtsgeld gezahlt werden könne.

Auf die bloße Mitteilung des Schuldners, er werde einen Anspruch nicht erfüllen, muß der Gläubiger nicht ablehnend reagieren. Er kann seinen Anspruch jederzeit geltend machen, solange diesem nicht Ausschluß- oder Verjährungsfristen entgegenstehen. Tut er das nicht, kann der Schuldner daraus nicht herleiten, der Gläubiger habe auf seinen Anspruch verzichtet.

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, daß – wie dargelegt – die Arbeitnehmer und damit auch die Klägerin 1992 möglicherweise auf die Weihnachtsgratifikation verzichtet haben. Allein deswegen konnte die Beklagte nicht erwarten, die Arbeitnehmer würden auch für ein weiteres Jahr oder gar bis zur Besserung der wirtschaftlichen Lage der Beklagten auf die Weihnachtsgratifikation verzichten. Dies um so weniger, als in dem Aushang vom 14. Dezember 1993 von einer Bitte um Verständnis keine Rede sein kann.

Der Anspruch der Klägerin jedenfalls für die noch streitigen Jahre 1993 und 1994 ist nicht verwirkt. Zwar hat die Klägerin erstmals im Dezember 1994 auch die Weihnachtsgratifikation für das Jahr 1993 verlangt, also erst ein Jahr, nachdem der Anspruch an sich fällig war. Die Beklagte konnte deswegen aber noch nicht annehmen, die Klägerin werde den Anspruch nicht mehr geltend machen. Nachdem Anfang 1994 eine Vielzahl der Arbeitnehmer Klage auf Zahlung der Gratifikation erhoben hatten, mußte die Beklagte damit rechnen, daß auch die anderen Arbeitnehmer – unter ihnen die Klägerin – ihren Anspruch geltend machen werden, wenn über diese Klage entschieden war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Hauck, Bepler, Staedtler, N. Schuster

 

Fundstellen

Dokument-Index HI917890

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