Orientierungssatz

(Betriebsbedingte Massenkündigung

Parallelsache zu BAG Urteil vom 14.08.1986, 2 AZR 616/85.

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 21.05.1985; Aktenzeichen 7 (5) Sa 1992/84)

ArbG Bochum (Entscheidung vom 26.10.1984; Aktenzeichen 1 Ca 234/84)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 27. März 1984 beendet worden ist.

Der Beklagte ist Konkursverwalter über das Vermögen der Gemeinschuldnerin. Die Gemeinschuldnerin betrieb in B und in H eine Gesenkschmiede und Flanschenfabrik.

Der am 1. Januar 1934 geborene, verheiratete und vier Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 11. Juli 1977 als Ofenmann im Werk H tätig. Schon im Jahre 1983 geriet die Gemeinschuldnerin in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Das Amtsgericht eröffnete durch Beschluß vom 21. Februar 1984 (34 b N 33/84) das Anschlußkonkursverfahren, nachdem das gerichtliche Vergleichsverfahren gescheitert war.

Da der Beklagte nicht imstande war, die von der Konkurseröffnung betroffenen 791 Arbeitnehmer zu entlohnen, stellte er sofort sämtliche Arbeitnehmer mit Ausnahme der in der Buchhaltung und in der Personalabteilung Beschäftigten von der Arbeitspflicht frei. Am 23. Februar 1984 teilte der Beklagte dem Betriebsrat mit, er beabsichtige, alle Arbeitsverhältnisse zu kündigen. Zur Begründung gab er an, er habe kein Geld, um die Löhne zu zahlen und werde auf jeden Fall die Produktion zum 30. Juni 1984 endgültig einstellen. Nach einem Fernschreiben der I AG vom 23. Februar 1984 mit dem Inhalt, 4.000 Mitarbeiter seien ohne Beschäftigung, wenn die Produktion der Gemeinschuldnerin nicht umgehend wieder aufgenommen werde, fand am 24. Februar 1984 im Wirtschaftsministerium in Düsseldorf unter Beteiligung des Wirtschaftsministers und der kreditgebenden Banken, Vertretern einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft aus Ha und den Betriebsratsvorsitzenden ein Gespräch statt, aufgrund dessen dem Beklagten noch am 24. Februar 1984 ohne vorherige Information des Kreditausschusses des Landtages durch den Wirtschaftsminister ein landesverbürgter Kredit in Höhe von 9 Mio. DM zur Verfügung gestellt wurde. Dieser Kredit diente der Finanzierung der fortführenden Produktion in den Teilbetriebsbereichen Gesenkschmiede, Preß- und Hohlkörperbereich bis zum 30. Juni 1984. In den Betrieben B und H sollten die vorhandenen Aufträge und möglichst viele der noch eingehenden Aufträge an Spezialflanschen bis zum 30. Juni 1984 ausgeführt werden. Die Laufzeit des Kredites war bis zum 30. Juni 1984 begrenzt. Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte verpflichtet, den Kredit in voller Höhe zurückzuzahlen. Gleichzeitig wurde ihm aufgegeben, die Produktion bereits am 27. Februar 1984 wieder aufzunehmen. In dem Betrieb B konnte dieser Termin eingehalten werden. Im Betrieb H wurde am 29. Februar 1984 die Produktion wieder aufgenommen. Entsprechend der Vereinbarung vom 24. Februar 1984 im Wirtschaftsministerium widerrief der Beklagte gegenüber rund 300 Arbeitnehmern die Freistellung von der Arbeitsverpflichtung. Die einzelnen Arbeitnehmer waren vom Betriebsleiter in Zusammenarbeit mit den zuständigen Meistern benannt worden. Der Beklagte leitete das Anhörungsverfahren des Betriebsrats zu den Kündigungen für die gesamte Belegschaft am 29. Februar 1984 ein, indem er in der Betriebsratssitzung vom selben Tage dem Betriebsrat eine Liste aller zu kündigenden Arbeitnehmer überreichte. Der Betriebsrat bat um eine Liste, in der die weiterhin freigestellten Arbeitnehmer vermerkt waren. Er verzichtete in jener Sitzung auf die angebotene Erörterung einer jeden einzelnen Kündigung mit den dazu gehörigen Daten. Die Frist zur Stellungnahme des Betriebsrats wurde übereinstimmend auf zwei Wochen, bis zum 14. März 1984, verlängert, weil der Betriebsrat sich außerstande sah, die Massenkündigung in der vom Gesetz vorgesehenen Frist zu erörtern. Mit Schreiben vom 2. März 1984, beim Betriebsrat eingegangen am 5. März, übersandte der Beklagte die erbetene geänderte Liste für die vor dem 30. Juni 1984 zu kündigenden Arbeitnehmer und bat unter Hinweis auf die verlängerte Frist um Stellungnahme bis zum 14. März 1984. Am 6. März 1984 wies der Beklagte den Betriebsrat noch einmal ausdrücklich darauf hin, er müsse alle Mitarbeiter entlassen, also auch diejenigen, die zur Konkursabwicklung bzw. teilweisen Fortführung der Produktion eingesetzt seien. Die Kündigung dieser Mitarbeiter solle zum 30. Juni 1984 erfolgen, sofern nicht eine längere Kündigungsfrist dieser Absicht entgegenstehen würde. Am 16. März 1984 widersprach der Betriebsrat der Kündigung, weil der Beklagte ihn seiner Meinung nach nicht ordnungsgemäß zur Massenentlassung gemäß § 17 Abs. 2 KSchG sowie zur Einzelkündigung gemäß § 102 BetrVG angehört hatte. Am 23. März 1984 sprach der Beklagte die ersten Kündigungen zum 9. April 1984 aus. Das Arbeitsverhältnis zum Kläger kündigte er am 27. März zum 30. April 1984. Am 22. März 1984 hatte der Beklagte unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats die Massenentlassung dem Landesarbeitsamt angezeigt und um Abkürzung der Sperrfrist bei den vorgesehenen Entlassungen gebeten. Nach dieser Massenentlassungsanzeige waren

93 Entlassungen zum 09. April,

59 Entlassungen zum 30. April,

69 Entlassungen zum 31. Mai,

441 Entlassungen zum 30. Juni,

69 Entlassungen zum 30. September,

14 Entlassungen zum 31. Dezember und

17 Entlassungen zum 31. März 1985

vorgesehen.

Zur Begründung für die Entlassungen gab der Beklagte an:

"Das Amtsgericht Essen hat durch Beschluß vom 21. Feb-

ruar 1984 zu dem Aktenzeichen 34 b N 33/84 über das

Vermögen der Firma M GmbH das Anschlußkon-

kursverfahren eröffnet. Der Unterzeichner wurde zum

Konkursverwalter bestellt. Aufgrund eines landesver-

bürgten Kredites kann ich das Unternehmen mit geringe-

rer Mitarbeiterzahl noch bis zum 30. Juni 1984 weiter-

führen. Danach wird die Betriebsschließung erfolgen.

Ich muß daher alle Arbeitsverhältnisse kündigen."

Die Anzeige hat der Beklagte nicht persönlich unterschrieben. Die Unterschrift erfolgte durch eine andere Person mit dem Hinweis "im Auftrage". Das Landesarbeitsamt hat mit Bescheid vom 30. April 1984 die Sperrfrist für die ersten 93 Entlassungen auf den 22. April 1984, für weitere 59 Entlassungen auf den 30. April und für 69 Entlassungen auf den 31. Mai 1984 festgesetzt.

Die Zahl der beschäftigten Mitarbeiter veränderte sich bis zum 30. Juni fortlaufend. Die am 24. Februar vereinbarte Personalstärke wurde schnell auf 330 Mitarbeiter angehoben. Sie stieg im Verlaufe der Zeit bis auf 450 Arbeitnehmer. Der Grund für die Anhebung der Beschäftigtenzahl lag darin, daß am 5. März 1984 das Elektrostahlwerk wieder in Betrieb genommen werden mußte und in Kenntnis der bevorstehenden Betriebsstillegung Aufträge erteilt wurden, die normalerweise erst zu einem späteren Zeitpunkt eingegangen wären. Die Produktion lief am 30. Juni 1984 planmäßig aus. Lediglich im Versand wurde noch kurzfristig weitergearbeitet. Der landesverbürgte Kredit wurde nicht verlängert. Eine Auffanggesellschaft konnte nicht gegründet werden. Am 25. April hielt der Gläubigerausschuß ausdrücklich fest, daß die Produktion am 30. Juni 1984 beendet werde.

Mit der am 16. April 1984 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewehrt. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Beklagte habe den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß informiert. Entgegen den gesetzlichen Anforderungen habe er dem Betriebsrat nicht die Gründe für seine persönliche Entlassung vor dem 30. Juni 1984 mitgeteilt. Entgegen den Andeutungen des Beklagten habe der Betriebsrat auch nicht auf die Einzelanhörung verzichtet. Das sei rechtlich gar nicht möglich. Außerdem sei die Kündigung wegen Verstoßes gegen die §§ 17 ff. KSchG unwirksam. Der Beklagte habe es versäumt, seine persönliche Entlassung dem Arbeitsamt anzuzeigen. Er habe darüber hinaus § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG nicht beachtet. Im übrigen würden auch dringende betriebliche Erfordernisse seiner Weiterbeschäftigung nicht entgegenstehen. Sein Arbeitsplatz sei entgegen den Andeutungen des Beklagten nicht weggefallen. Selbst bei einem Produktionsende am 30. Juni sei das Bedürfnis für seinen Einsatz nicht entfallen, denn er hätte Abwicklungsarbeiten durchführen können. Die Kündigung sei auch deshalb unwirksam, weil der Beklagte weder dem Betriebsrat die Gründe mitgeteilt habe, die ihn zur Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer veranlaßt habe, noch in irgendeiner Form eine soziale Auswahl getroffen habe. Dazu sei er aber verpflichtet gewesen, da er Arbeitnehmer zu unterschiedlichen Zeitpunkten entlassen habe. Er habe willkürlich stärkere Arbeitnehmer weiterbeschäftigt. Daraus folge, daß er nicht verpflichtet sei, von sich aus darzulegen, welcher im Betrieb verbliebene Arbeitnehmer sozial stärker sei als er selbst. Er habe als Pressenmann, Automatenbohrer, Automatendreher, als Schleifer, als Grubenmann und Hammerschmied sowie an der Säge weiterarbeiten können.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch

die Kündigung der Beklagten vom 27. März 1984

zum 30. April 1984 nicht beendet worden ist.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe den Betriebsrat gleichzeitig zur Massenentlassung und Einzelkündigung informiert. Der Massenentlassungsanzeige habe er die für ihn unverständliche Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt. Dem Betriebsrat habe er alle gewünschten Listen zur Verfügung gestellt. Am 29. Februar sei er bereit gewesen, mit dem Betriebsrat die Kündigung aller Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der notwendigen Daten zu erörtern. Darauf habe der Betriebsrat verzichtet. Diesem sei bekannt gewesen, daß der Produktionsbetrieb ab sofort teilweise eingestellt worden sei. Die am 29. Februar gegenüber dem 22. Februar veränderte Situation sei umfassend berücksichtigt worden. Er habe dem Betriebsrat in aller Klarheit deutlich gemacht, daß er die Produktion nur befristet bis zum 30. Juni mit einer beschränkten Anzahl von Arbeitnehmern fortführe, nach dem 30. Juni nichts produziere und die Arbeitnehmer zum frühestmöglichen Zeitpunkt entlasse. Der Kläger übersehe, daß er damit als Kündigungsgrund die Stillegung der Produktion aufgezeigt habe, durch die sämtliche Arbeitsplätze weggefallen seien. Er verkenne auch, daß nach dem 30. Juni nicht mehr produziert worden sei. Seit Mitte Mai 1984 seien auch keine neuen Aufträge mehr hereingeholt worden, da er die Rückzahlung des landesverbürgten Kredites nicht habe gefährden dürfen. Alle Aufträge seien bis Ende Juni erledigt worden. Er, der Beklagte, habe aus finanziellen Gründen die Produktion von Anfang an nicht über den 30. Juni 1984 fortführen können. Eine soziale Auswahl habe er nicht treffen können, aber auch nicht treffen müssen. Nach den Verhandlungen im Wirtschaftsministerium habe er unter dem öffentlichen Druck in größter Eile die Wiederaufnahme der Produktion in der beschriebenen eingeschränkten Form planen müssen. Dafür habe er den in Frage kommenden Mitarbeitern die vorher ausgesprochene Freistellung widerrufen müssen. Die notwendige Auswahl der erforderlichen Arbeitnehmer sei von der Betriebsleitung und von den Meistern vorgenommen worden. Neben Gesichtspunkten der Qualifikation seien auch soziale Gesichtspunkte berücksichtigt worden. Er habe überwiegend bei denjenigen Mitarbeitern die Freistellung widerrufen, die aufgrund ihrer Sozialdaten eine längere Kündigungsfrist aufwiesen. Eine Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger habe nicht bestanden. Sein Arbeitsplatz sei ersatzlos weggefallen. Der Einsatz an einem anderen Arbeitsplatz sei nicht möglich gewesen.

Durch Urteil vom 26. Oktober 1984 hat das Arbeitsgericht festgestellt, daß die Kündigung des Beklagten vom 27. März 1984 das Arbeitsverhältnis des Klägers erst zum 30. Juni 1984 beendet habe. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, die Kündigung zum 30. April sei unwirksam, da der Beklagte den Betriebsrat zu dieser Kündigung nicht ordnungsgemäß gehört habe. Die unwirksame Kündigung zum 30. April sei aber gemäß § 140 BGB in eine wirksame Kündigung zum 30. Juni 1984 umzudeuten gewesen.

Das Landesarbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen, sowie die Anschlußberufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Begehren weiter, festzustellen, daß durch die Kündigung vom 27. März 1984 das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden ist, während der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Beklagte habe mit der Massenentlassungsanzeige vom 22. März 1984 seine Pflicht aus § 17 Abs. 1 KSchG erfüllt. Er habe auch den Betriebsrat rechtzeitig in dem in § 17 Abs. 2 KSchG vorgesehenen Umfang unterrichtet. Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß der Betriebsrat Listen erhalten habe, in denen die in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer erfaßt gewesen seien und aus denen hervorgegangen sei, welche Arbeitnehmer zu welchem Zeitpunkt entlassen werden sollten und die außerdem die Sozialdaten aller aufgeführten Arbeitnehmer enthalten hätten. Als Grund für die Entlassungen habe der Beklagte die Betriebsstillegung zum 30. Juni 1984 und die Einschränkung der Produktion bis zu diesem Zeitpunkt angegeben. Der Beklagte habe die Massenentlassungsanzeige zwar nicht selber unterschrieben, jedoch zeige ein Unterschriftsvergleich, daß der vom Beklagten bevollmächtigte Rechtsanwalt N die Massenentlassung unterschrieben habe, die dann auch zu den entsprechenden Bescheiden des Arbeitsamtes geführt habe.

Der Beklagte habe auch nicht gegen § 102 Abs. 1 und 2 BetrVG verstoßen. Die Kündigung sei ferner nicht sozial ungerechtfertigt. Der Beklagte sei zur Anpassung der Belegschaft an die vorhandene Beschäftigungsmöglichkeit berechtigt gewesen. Die Kalkulation habe auf dem landesverbürgten Kredit von 9 Mio. DM aufbauen müssen, da andere Mittel für die Bezahlung der Produktion nicht vorhanden gewesen seien. Bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer habe sich der Beklagte in einer Zwangslage befunden, die einer Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten entgegen gestanden habe (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Der Beklagte habe nämlich auf öffentlichen Druck hin im Interesse der Automobilindustrie die eingestellte Produktion innerhalb von drei Tagen wieder aufnehmen müssen. Unter Berücksichtigung dessen, daß diese vorübergehende, eingeschränkte Produktion bis zum 30. Juni 1984 nur dazu gedient habe, Engpässe in anderen Bereichen der Wirtschaft zu vermeiden, habe der Beklagte so schnell wie möglich die Arbeitnehmer aussuchen müssen, deren Qualifikation am ehesten die Lösung der außergewöhnlichen Aufgabe gewährleistet habe.

B. Der Senat ist den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis gefolgt.

I. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, auch der Konkursverwalter sei verpflichtet, dem Arbeitsamt Anzeige zu erstatten, wenn er in einem Betrieb mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 innerhalb von 30 Tagen entläßt (§ 17 Abs. 1 KSchG). Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht auch angenommen, der Beklagte habe seine Pflichten aus § 17 KSchG erfüllt.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. u.a. BAG 25, 430, 433 = AP Nr. 1 zu § 17 KSchG 1969 und BAG Urteil vom 2. Februar 1984 - 2 AZR 392/82 - nicht veröffentlicht, zu C I 3 der Gründe) ist die einzelne vom Arbeitgeber erklärte Kündigung dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber eine Massenentlassung nicht oder nicht wirksam anzeigt und der gekündigte Arbeitnehmer - wie vorliegend - sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung wegen Verstoßes gegen § 17 KSchG beruft.

2. Unstreitig hat der Beklagte am 22. März 1984 dem Arbeitsamt angezeigt, daß er beabsichtige, von den 762 Arbeitnehmern der G-Werke in H zum 9. April 93, zum 30. April 59 und zum 31. Mai 66 Arbeitnehmer zu entlassen.

a) Die Massenentlassungsanzeige hat den Sinn, die Arbeitsverwaltung in die Lage zu versetzen, sich rechtzeitig auf zu erwartende Entlassungen größeren Umfangs einzustellen und Maßnahmen zu treffen, sei es mit dem Ziel, die Entlassungen zu vermeiden, sei es, neue Arbeitsplätze nachzuweisen und so längere Arbeitslosigkeit der Betroffenen zu vermeiden (BAG 25, 430, 435 = AP, aaO, zu II 2 a der Gründe; Weller, Arbeitslosigkeit und Arbeitsrecht, 1969, S. 164; KR-Gröninger, 2. Aufl., § 17 KSchG Rz 7, 8; Herschel/Löwisch, KSchG, § 17 Rz 2; Hueck, KSchG, 10. Aufl., Vorbemerkung 4 zu §§ 17 ff.).

b) Die Anzeige nach § 17 KSchG hat den Entlassungen vorauszugehen. Soweit der Kläger rügt, der Beklagte habe die Anzeige nicht v o r den Massenentlassungen erstattet, verkennt er den Begriff der Entlassung. Entlassung im Sinne von § 17 KSchG ist nämlich nicht die Kündigung, sondern die aufgrund der arbeitgeberseitigen Kündigung erfolgende tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses (BAG, aaO).

3. Nach § 17 Abs. 2 KSchG hat der Arbeitgeber, der beabsichtigt, anzeigepflichtige Entlassungen vorzunehmen, den Betriebsrat rechtzeitig über die Gründe für die Entlassungen, die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer und den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, schriftlich zu unterrichten, sowie weitere zweckdienliche Auskünfte zu erteilen. Die Folge eines Verstoßes gegen diese Unterrichtungspflicht ist zwar in § 17 Abs. 2 KSchG nicht geregelt, ergibt sich aber aus § 17 Abs. 3 KSchG: Danach ist die Anzeige trotz fehlender Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats wirksam, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, daß er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige unterrichtet hat. Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht unterrichtet, kann er dies auch nicht glaubhaft machen, dementsprechend sind die Anzeige und die auf ihr beruhenden Entlassungen unwirksam, wenn sich der Arbeitnehmer auf den Fehler beruft (ArbG Hamm Urteil vom 21. Januar 1982 - 4 Ca 2046/81 - DB 1982, 1992; KR-Gröninger, aaO, § 17 KSchG Rz 63; Hueck, aaO, § 17 Rz 28 mit zahlreichen Nachweisen; Weller, aaO, S. 166 ff. für die alte Rechtslage). Das Berufungsgericht hat aufgrund seiner Beweisaufnahme festgestellt, der Beklagte habe dem Betriebsrat vor der Massenentlassungsanzeige die Zahl der zu entlassenden Mitarbeiter, die Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum der Entlassungen sowie die Gründe der Entlassung schriftlich mitgeteilt. Unstreitig hat der Beklagte der Massenentlassungsanzeige auch die Stellungnahme des Betriebsrats vom 16. März 1984 beigefügt (§ 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG).

4. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, der Beklagte habe die Massenentlassung o r d n u n g s g e m ä ß angezeigt. Nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG hat die Anzeige Angaben über den Namen des Arbeitgebers, den Sitz und die Art des Betriebes, die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Gründe für die Entlassungen und den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, zu enthalten.

Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß in der Anzeige die Zahl der regelmäßig Beschäftigten, der Entlassungsplan mit der Zahl und dem Zeitpunkt der beabsichtigten Entlassung sowie der Entlassungsgrund mitgeteilt wird. Diese Feststellungen hat der Kläger mit einer Prozeßrüge nicht angegriffen, so daß der Senat an sie gebunden ist (§ 561 ZPO). Unstreitig enthält die Massenentlassungsanzeige auch Angaben über den Namen des Arbeitgebers, den Sitz und die Art des Betriebes.

a) Zu Unrecht rügt der Kläger, das Berufungsgericht habe verkannt, daß der Beklagte die G r ü n d e für die Entlassungen nicht ordnungsgemäß mitgeteilt habe. Der notwendige Inhalt des Anzeige ergibt sich aus dem arbeitsmarktpolitischen Zweck: Die Anzeige soll die Arbeitsverwaltung in die Lage versetzen, vorausschauende Arbeitsvermittlung und Arbeitsberatung sowie Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsaufnahme einzuleiten. Dagegen muß die Begründung keine Einzelangaben über die zu entlassenden Personen enthalten. Der Schutz des einzelnen Arbeitnehmers gehört nicht zum Zweck des Verfahrens bei Massenentlassungen. Dementsprechend werden die arbeitsmarktrelevanten Daten über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit des zu entlassenden Beschäftigten gemäß § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG nicht personen-, sondern gruppenbezogen angegeben. Das Landesarbeitsgericht hat daher zu Recht ausgeführt, es reiche zur Begründung der Massenentlassung aus, wenn der Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die etappenweise Betriebsstillegung, mit einem entsprechenden Zeitplan mitgeteilt werde, während es auf den individuellen Kündigungsgrund nicht ankomme.

b) Schon aus dem Vorhergehenden folgt, daß der Kläger zu Unrecht die Auffassung vertritt, die Grundsätze für die Anhörung des Betriebsrats zur Einzelkündigung gemäß § 102 BetrVG müßten auch für die Begründung der Entlassung analog angewendet werden. Die Revision übersieht noch einen weiteren Unterschied zwischen Massenentlassung und Einzelkündigung: Im Gegensatz zum Betriebsrat haben nämlich Arbeitsamt und Massenentlassungsausschuß gemäß § 20 Abs. 1 KSchG den ihren Entscheidungen zugrunde zu legenden Sachverhalt unabhängig vom Inhalt der Massenentlassungsanzeige von Amts wegen zu ermitteln (§§ 20, 21 SGB X).

Vorliegend hat der Beklagte in der Anzeige vom 22. März 1984 mitgeteilt, er könne aufgrund eines landesverbürgten Kredits das Unternehmen mit geringerer Mitarbeiterzahl noch bis zum 30. Juni 1984 weiterführen, danach werde der Betrieb geschlossen und er müsse alle Arbeitsverhältnisse kündigen. Dieser Begründung konnte die Arbeitsverwaltung entnehmen, daß sämtliche Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin aus betriebsbedingten Gründen entlassen werden sollten, außerdem waren ihr die jeweiligen Entlassungstermine mit Angaben über Geschlecht, getrennt nach gewerblichen Arbeitnehmern, Angestellten und Auszubildenden mit Hinweisen über die Anzahl von Schwerbehinderten bzw. ihnen gleichgestellten, ausländischen und älteren Arbeitnehmern mitgeteilt worden. Aufgrund dieser Angaben konnte die Arbeitsverwaltung mit der Arbeitsberatung und Arbeitsvermittlung beginnen.

5. Auch die Verfahrensrüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe gegen § 286 ZPO verstoßen, in dem es unterstellt habe, der Beklagte habe bereits vor der Anzeige nach § 17 KSchG zwei Anzeigen nach § 8 AFG an das Arbeitsamt erstattet, ist unbegründet. Insoweit handelt es sich nämlich um einen unstreitigen Sachverhalt: In der in der Massenentlassungsanzeige unter Ziffer 41 enthaltenen Begründung zum Antrag auf Abkürzung der Entlassungssperre hat der Beklagte auf zwei Anzeigen nach § 8 AFG vom Mai 1983 und Januar 1984 verwiesen. Der Kläger hat in den Tatsacheninstanzen nicht bestritten, daß die Gemeinschuldnerin diese beiden Anzeigen erstattet hat. Diese Tatsache gilt also gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.

Abgesehen davon übersieht die Revision auch, daß die Mitteilung nach § 8 AFG nicht Voraussetzung für eine wirksame Massenentlassungsanzeige ist. Nach § 8 AFG hat der Arbeitgeber dem Präsidenten des Landesarbeitsamts unverzüglich mitzuteilen, wenn erkennbare Veränderungen des Betriebes innerhalb der nächsten zwölf Monate voraussichtlich dazu führen, daß Arbeitnehmer in der in § 17 Abs. 1 KSchG bezeichneten Zahl entlassen oder auf eine andere Tätigkeit umgesetzt werden. Die Rechtsfolgen einer unterlassenen Anzeige nach § 8 AFG ergeben sich aus § 8 Abs. 3 AFG, wonach der Arbeitgeber, der die Mitteilung nach Abs. 1 vorsätzlich oder grob fahrlässig unterläßt, der Bundesanstalt die Aufwendungen zu erstatten hat, die ihr durch die Umschulung der entlassenen oder auf eine andere Tätigkeit umgesetzten Arbeitnehmer für die Dauer von sechs Monaten entstehen.

6. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Massenentlassungsanzeige vom 22. März 1984 schließlich auch nicht deshalb unwirksam, weil sie nicht vom Beklagten selbst unterschrieben worden ist.

Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, der Arbeitgeber müsse grundsätzlich eigenhändig die Anzeige gemäß § 126 Abs. 1 BGB unterschreiben, er könne sich dabei jedoch auch durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Möglichkeit, sich im Verfahren einer Massenentlassungsanzeige vertreten zu lassen, ergibt sich aus den entsprechend anzuwendenden Regelungen in § 13 SGB X; nach dieser Vorschrift kann sich ein Beteiligter im Sinne des § 11 SGB X, also auch der Antragsteller, durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Bei rechtsgeschäftlicher Stellvertretung aufgrund einer Vollmachterteilung sowie bei Vertretung ohne Vertretungsmacht gelten im Verwaltungsverfahren die §§ 164 ff. BGB bzw. §§ 177 ff. BGB entsprechend (vgl. Hauck/Haines/Nehls, SGB X 1, 2, § 13 Rz 4; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., § 35 II a 3 und II e 1).

Vorliegend hat nach Auffassung des Berufungsgerichts Rechtsanwalt N die Massenentlassungsanzeige im Auftrag des Beklagten unterschrieben, was sich aus einem Vergleich der Unterschrift unter der Massenentlassungsanzeige mit denen der eidesstattlichen Versicherung des Rechtsanwalts N vom 18. Januar und 31. Januar 1985 ergebe.

Die hiergegen vom Kläger erhobene Prozeßrüge, das Berufungsgericht habe gegen § 286 ZPO verstoßen, da es über die Frage, wer die Anzeige unterschrieben hat, ein Schriftsachverständigengutachten hätte einholen müssen und nicht dargelegt habe, woraus es seine eigene Sachkunde herleite, ist erfolglos. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts beruht nämlich nicht auf dem gerügten Gesetzesverstoß.

Hatte der für den Beklagten gegenüber dem Arbeitsamt handelnde Vertreter keine Vollmachtsurkunde mit der Anzeige vorgelegt, so ist die Anzeige als einseitiges Rechtsgeschäft dennoch wirksam gewesen, da die Arbeitsverwaltung die Anzeige nicht unverzüglich wegen fehlender Vollmachtsurkunde zurückgewiesen (§ 174 BGB), sondern ausweislich des Bescheids vom 30. April 1984 anerkannt hat. Sollte für den Beklagten allerdings bei der Massenentlassung eine Person ohne Vertretungsmacht gehandelt haben, so wäre dies vom Beklagten durch sein Erscheinen vor dem Massenentlassungsausschuß zur Anhörung gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 KSchG genehmigt worden (§ 180 Satz 2, § 177 Abs. 1 BGB), nachdem die Arbeitsverwaltung die behauptete Vertretungsmacht nicht beanstandet hatte.

II. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Kündigung auch nicht wegen Verletzung von § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam.

1. Das Landesarbeitsgericht ist bei seiner Entscheidung von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen, wonach der Arbeitgeber dem Betriebsrat schriftlich oder mündlich die für ihn maßgebenden Gründe für die beabsichtigte Kündigung mitzuteilen hat. Hierzu zählen Angaben zur Person des betroffenen Arbeitnehmers, zur Art und zum Zeitpunkt der Kündigung sowie die Mitteilung der Tatsachen, die nach Auffassung des Arbeitgebers die Kündigung rechtfertigen. Der für die Kündigung maßgebliche Sachverhalt ist so genau zu beschreiben, daß der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über eine eigene Stellungnahme schlüssig zu werden (vgl. hierzu Senatsurteil vom 27. Juni 1985 - 2 AZR 412/84 - ZIP 1986, 325, zu II 1 a der Gründe m.w.N., auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

2. Der Beklagte hat dem Betriebsrat Angaben zur Person des Klägers und zur Art und zum Zeitpunkt der Kündigung gemacht. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren in den dem Betriebsrat zuletzt überreichten Listen alle persönlichen Daten des Klägers enthalten und zwar dessen Eintrittsdatum bei der Gemeinschuldnerin, der frühere Arbeitsplatz und die ausgeübte Tätigkeit, sein Alter sowie sein Familienstand; ferner war in der Liste der beabsichtigte Kündigungstermin und die für den Kläger geltende Kündigungsfrist und damit die Art der Kündigung eingetragen. Durch die Kennzeichnung in den Listen, nämlich die Streichung der noch für die Produktion benötigten gewerblichen Arbeitnehmer, hat der Beklagte dem Betriebsrat mitgeteilt, daß die weiter freigestellten Mitarbeiter, darunter der Kläger, bereits vor dem 30. Juni 1984 entlassen werden sollten.

Der Beklagte hat dem Betriebsrat auch die Tatsachen mitgeteilt, aus denen sich die dringenden betrieblichen Erfordernisse für die Kündigung des Klägers ergeben sollen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Beklagte in der Betriebsratssitzung vom 29. Februar 1984 erklärt, daß er nur noch 300 Mitarbeiter für die befristete Produktion bis zum 30. Juni 1984 im Werk H benötige. Er hat dem Betriebsrat Listen überlassen, in denen die jeweiligen Arbeitnehmer nach Abteilungsbereichen getrennt unter Angabe des Arbeitsplatzes und der ausgeübten Tätigkeit aufgeführt sind. Durch entsprechende Kennzeichnung ergibt sich aus den Listen auch, welche Arbeitnehmer noch zur weiteren Produktion benötigt wurden und welchen bereits vorher gekündigt werden sollte. Der Beklagte hat den Betriebsrat also auch über die Auswirkung der Personaleinschränkung auf die Arbeitsplätze der betroffenen Arbeitnehmer informiert. Das Landesarbeitsgericht hat daher zutreffend angenommen, der Betriebsrat habe der ihm vom Beklagten überreichten Liste entnehmen können, wie sich die Fortführung der Produktion mit geringerem Personalbestand für den Kläger und die anderen im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer auswirkte, wieviele Arbeitnehmer welche Einsatzart in den einzelnen Abteilungen zur Aufrechterhaltung der Produktion benötigt wurden und wem gekündigt werden sollte.

3. Zu den "Gründen für die Kündigung" im Sinne von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gehören auch die Umstände, die nach Auffassung des Arbeitgebers für die Auswahl des zu Kündigenden im Sinne von § 1 Abs. 3 KSchG maßgebend sind.

Nach dem Urteil vom 6. Juli 1978 (BAG 30, 370 = AP Nr. 16 zu § 102 BetrVG 1972) muß der Arbeitgeber die für ihn maßgebenden Auswahlgesichtspunkte dem Betriebsrat allerdings nur dann mitteilen, wenn dieser dies in der Frist des § 102 Abs. 2 BetrVG verlangt. Mit der Entscheidung vom 29. März 1984 (BAG 45, 277, 287 = AP Nr. 31 zu § 102 BetrVG 1972) hat der Senat diese Rechtsprechung aufgegeben. Nunmehr hat der Arbeitgeber den Betriebsrat von vornherein - auch ohne entsprechende Aufforderung - über die Gründe zu informieren, die ihn zur Auswahl des betroffenen Arbeitnehmers veranlaßt haben (BAG 45, 277, 287). Gleichzeitig hat der Senat in diesem Urteil ausgeführt, daß aus Gründen des Vertrauensschutzes seine in dieser Entscheidung aufgestellten Grundsätze zu § 102 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BetrVG nicht auf solche Kündigungen angewandt werden können, die in der Vergangenheit ausgesprochen wurden.

Da die streitbefangene Kündigung vom 27. März 1984 vor der Verkündung des Urteils vom 29. März 1984 ausgesprochen worden ist, sind die in dem Urteil vom 6. Juli 1978 (aaO) entwickelten Grundsätze bei der Entscheidungsfindung anzuwenden. Dementsprechend hat der Beklagte vorliegend die Auswahlgesichtspunkte nicht mitteilen müssen. Er hat nämlich das Anhörungsverfahren am 29. Februar 1984 eingeleitet und auf Bitten des Betriebsrats dessen Äußerungsfrist auf zwei Wochen, d.h. bis zum 14. März 1984, verlängert. Innerhalb dieser Frist hat der Betriebsrat die Mitteilung der Auswahlgesichtspunkte nicht verlangt, sondern den Beklagten erst im verspäteten Widerspruchsschreiben vom 16. März 1984. Zu diesem Zeitpunkt war das Anhörungsverfahren bereits abgeschlossen.

III. Auch die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts bezüglich der Sozialwidrigkeit der Kündigung halten im Ergebnis der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

1. a) Bei der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentliche Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung: vgl. BAG 42, 151, 157 m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser eingeschränkten Überprüfungsmöglichkeit hält das angefochtene Urteil der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

b) Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, der in der Arbeitgeberstellung des Gemeinschuldners eintretende Konkursverwalter habe die Bestimmungen des Kündigungsschutzrechts zu beachten (BAG Urteil vom 16. September 1982 - 2 AZR 271/80 - AP Nr. 4 zu § 22 KO, zu B I der Gründe) und weder die Eröffnung des Konkursverfahrens noch die Konkursgründe der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung seien ein außerbetrieblicher Grund für eine mit dringenden betrieblichen Erfordernissen begründete Kündigung, weil diese Umstände sich nicht unmittelbar auf die Arbeitsplätze auswirken (Hillebrecht, ZIP 1985, 257, 258; BAG Urteil vom 16. September 1982, aaO, zu B II 2 der Gründe).

Die finanzielle Lage eines Unternehmens kann jedoch für den Unternehmer, und damit auch für den Konkursverwalter, Anlaß sein, Maßnahmen auf technischem, organisatorischem und wirtschaftlichem Gebiet durchzuführen, die Auswirkungen auf Arbeitsplätze haben. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, von Anfang an sei eine Auffanggesellschaft mit einer Belegschaftsstärke von etwa 300 Mitarbeitern angestrebt worden. Nach der Zusage des landesverbürgten Kredits widerrief der Beklagte gegenüber etwa 300 Arbeitnehmern die Freistellung, um die kurzfristig eingestellte Produktion wieder aufzunehmen. Aufgrund der zweckgebundenen Kreditgewährung wurde die Produktion in den Teilbereichen Gesenkschmiede, Press- und Hohlkörper wieder aufgenommen, außerdem sollten vorhandene und neue Aufträge an Spezialflanschen bis 30. Juni 1984 ausgeführt werden. Dagegen sollte das Elektrostahlwerk nicht mehr betrieben werden. Das Landesarbeitsgericht hat diese vom Beklagten getroffene Maßnahme zutreffend als Teilbetriebsschließung bzw. Betriebseinschränkung bezeichnet, die als Unternehmerentscheidung von den Gerichten für Arbeitssachen nicht auf ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen ist.

2. Aufgrund dieser Unternehmerentscheidung sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch Beschäftigungsmöglichkeiten für Ofenmänner, zu denen der Kläger gehört, weggefallen. Hieran ist der Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO gebunden. Etwaige Verfahrensrügen hat der Kläger insoweit nicht erhoben.

3. Die Kündigung des Klägers war auch nicht durch andere Maßnahmen des Beklagten zu verhindern.

Das Landesarbeitsgericht hat hinsichtlich einer anderweitigen Beschäftigung des Klägers in für das Revisionsgericht bindender Weise festgestellt (§ 561 Abs. 2 ZPO), der Beklagte habe für den Kläger nicht nur vorübergehend, sondern auch auf Dauer keine Einsatzmöglichkeit mehr gehabt. Auch hiergegen hat der Kläger keine Verfahrensrügen erhoben.

4. Auch die Ausführungen zur sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG im angefochtenen Urteil halten der revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

a) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß auch der Konkursverwalter beim Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen eine soziale Auswahl durchzuführen hat (Senatsurteil vom 16. September 1982, aaO, zu B I 2 a der Gründe). Ferner hat das Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung die Auffassung des Senats zugrunde gelegt, auch bei Massenkündigungen und bei etappenweise erfolgender Betriebsstillegung müsse eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten durchgeführt werden (BAG 47, 80 = AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl sowie Senatsurteil vom 25. April 1985 - 2 AZR 140/84 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 35). Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch darauf verwiesen, daß nach der Entscheidung des Senats vom 24. März 1983 (BAG 42, 151, 167 = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu V 2 d der Gründe) § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG schon dann eine Ausnahme von dem Grundsatz zuläßt, daß bei Kündigungen soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, wenn die Weiterbeschäftigung eines bestimmten Arbeitnehmers erforderlich ist. Das Berufungsgericht hat den Senat richtig dahin interpretiert, daß nunmehr erheblich geringere Anforderungen an die Berücksichtigung der betrieblichen Bedürfnisse i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG gestellt werden, als dies nach der früheren Rechtsprechung der Fall gewesen ist. Allerdings hat der Senat in der Entscheidung vom 24. März 1983 betont, reine Nützlichkeitserwägungen würden einer sozialen Auswahl nicht entgegenstehen.

b) Das Berufungsgericht hat die in der Entscheidung vom 24. März 1983 entwickelten Grundsätze allerdings nicht rechtsfehlerfrei angewendet. Seine Ausführungen, § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG entbinde den Beklagten wegen der besonderen Umstände des vorliegenden Falles (atypische Zwangslage) von einer Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten, weil die befristet weiter zu beschäftigenden Arbeitnehmer nach ihrer Qualifikation und Flexibilität auszusuchen gewesen seien, wird bereits dem von dem Beklagten tatsächlich ausgeübten Auswahlverfahren nicht gerecht: Soweit der Beklagte Arbeitnehmer weiterbeschäftigt hat, die qualifizierter und vielseitiger einsetzbar waren als die entlassenen Arbeitnehmer, waren sie schon deshalb nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen, weil sie nicht vergleichbar waren. Soweit der Beklagte aber nach seinem eigenen Vortrag bis zur Stillegung auch Arbeitnehmer weiter eingesetzt hat, die unstreitig nach Qualifikation und Flexibilität, mit den vorher entlassenen Arbeitnehmern vergleichbar sind, steht entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts der Berücksichtigung dieser Arbeitnehmer bei der sozialen Auswahl nichts entgegen. Dazu durfte der Beklagte im Kündigungsschutzverfahren Auswahlerwägungen nachschieben, weil der Betriebsrat vor Abschluß des Anhörungsverfahrens keine Angaben verlangt hatte (vgl. dazu unter B II 3). Die teils unrichtige (bei vergleichbaren Arbeitnehmern), teil unsystematische (bei fehlender Vergleichbarkeit) Würdigung des Berufungsgerichts beruht darauf, daß es entgegen der Rechtsprechung des Senats Massenkündigungen trotz des richtigen Ansatzes im Ergebnis doch auf die im Rahmen der sozialen Auswahl notwendige Einzelprüfung der jeweiligen individuellen Kündigungssachverhalte verzichtet und rechtsfehlerhaft dem Beklagten betriebliche Interessen zugebilligt hat, die einer Sozialauswahl überhaupt entgegen stehen sollen.

c) Das angefochtene Urteil war aber im Ergebnis zu bestätigen, weil der Kläger schon nicht substantiiert vorgetragen hat, welcher v e r g l e i c h b a r e Arbeitnehmer, dem nicht zu demselben Zeitpunkt gekündigt worden ist, weniger schutzbedürftig sein soll als der Kläger. In diesem Sinne vergleichbar sind nur Arbeitnehmer, deren Funktion auch von dem Arbeitnehmer wahrgenommen werden konnte, dessen "Arbeitsplatz" weggefallen ist. Dies richtet sich in erster Linie nach der ausgeübten Tätigkeit. Arbeitnehmer, die gleichartige Arbeitsplätze haben, sind also ohne weiteres austauschbar. Es reicht aber auch aus, wenn der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist, aufgrund seiner Fähigkeiten und betrieblichen Erfahrungen in der Lage ist, die für den bestehenbleibenden Arbeitsplatz geforderte Tätigkeit auszuüben (Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 1 Rz 217). Soweit der Kläger dargelegt hat, er könne als Pressenmann, Automatenbohrer, Automatendreher, an der Säge, als Schleifer und als Grubenmann sowie als Hammerschmied verwendet werden, ist sein Vortrag zur Vergleichbarkeit nicht substantiiert genug. Der Senat hat in der Entscheidung vom 25. April 1985 (aaO) ausgeführt, die tarifliche Eingruppierung könne für die Frage, ob Arbeitnehmer austauschbar seien, in engen Grenzen herangezogen werden. Bei ausgesprochenen Hilfstätigkeiten komme der identischen Eingruppierung ein ausreichender Indizwert zu. Der Kläger hat die Eingruppierung der anderen, angeblich vergleichbaren Tätigkeiten nicht angegeben. Der Kläger hat auch nicht substantiiert zu dem Vortrag des Beklagten Stellung genommen, der Kläger habe für die Beschäftigung als Automatenbohrer eine Anlernzeit von vier Wochen, als Automatendreher von sechs Wochen, als Säger von zwei Wochen, als Schleifer und Grubenmann von einer Woche, als Hammerschmied sogar eine Anlernzeit von einem Jahre benötigt. Der Senat hat zwar in der Entscheidung vom 25. April 1985 (aaO) ausgeführt, eine kurze Einarbeitungszeit stehe der Vergleichbarkeit nicht entgegen. Was unter einer kurzen Einarbeitungszeit zu verstehen ist, richtet sich aber a u c h nach der Dauer der noch vorgesehenen Tätigkeit. Wenn bei einem stillzulegenden Betrieb die Produktion - wie vorliegend - nur noch für drei Monate fortgeführt werden soll, ist eine Einarbeitungszeit von einer oder zwei Wochen nicht mehr kurz. Der Kläger hat deshalb schon nicht schlüssig vorgetragen, daß er die Tätigkeit von v e r g l e i c h b a r e n Arbeitnehmern hätte übernehmen können, die weniger schutzbedürftig gewesen sind.

Soweit der Kläger behauptet, der Kläger sei mit den an der Presse beschäftigten Arbeitnehmern Kl, Sch und Klaus K vergleichbar und Herr K sei ledig und habe keine Unterhaltsverpflichtungen, während der Kläger für seine Ehefrau und vier Kinder zu sorgen habe, hat dem der Beklagte entgegengehalten, der Kläger sei nur als Pressenhelfer beschäftigt gewesen. Er sei mit den drei vorgenannten Arbeitnehmern nicht vergleichbar, da diese eigenständig Artikel einrichten, Pressen einstellen, Preßfelder beseitigen, Maßkorrekturen vornehmen und ihre Werkzeuge selbst hätten zusammenstellen können. Aus diesem Grunde seien sie von dem Beklagten weiter für die befristete Produktion benötigt worden. Gerade diese Tätigkeiten hätte nämlich der Kläger nicht ausführen können. Da der Kläger diesen Vortrag des Beklagten nicht bestritten hat, ist von ihm auszugehen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß im vorliegenden Falle das Ziel der befristeten Produktion die schnelle, vorübergehende Bedienung der Automobilindustrie mit Spezialflanschen gewesen ist und hierfür nur ein Betrag von 9 Mio. DM zur Verfügung gestanden hat, sind strengere Anforderungen an die Vergleichbarkeit zu stellen als in normalen Fällen, in denen es um eine Weiterarbeit auf unbestimmte Zeit geht. Dementsprechend hat aufgrund des unbestrittenen Vortrags der Beklagten der Senat entschieden, daß vorliegend der Kläger mit den Arbeitnehmern Kl, Sch und K nicht vergleichbar war.

Schließlich ist die Kündigung auch nicht deshalb unwirksam, weil der Beklagte dem Kläger nicht eine Liste mit allen Beschäftigten des Betriebs übergeben hat, in der alle Arbeitnehmer mit den einschlägigen Sozialdaten aufgeführt sind. Eine Verpflichtung zur Überlassung einer solchen Liste gibt es nach § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz KSchG nicht, wie der Senat bereits im Urteil vom 29. März 1984 entschieden hat (BAG 45, 277).

C. Dementsprechend war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

Hillebrecht Dr. Weller Ascheid

Baerbaum Nipperdey

 

Fundstellen

Haufe-Index 438176

RzK, I 8b Nr 8 (ST1-3)

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