Entscheidungsstichwort (Thema)

Gleichbehandlung von Männern und Frauen - Begründung des Arbeitsverhältnisses

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach § 611a Abs 2 BGB kann nur ein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens entstehen. Dies steht jedoch einem Schadenersatzanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht entgegen.

2. Die Entschädigung hat grundsätzlich der Arbeitsvergütung für einen Monat zu entsprechen. Sie kann aber bei Anwendung der vom Bundesgerichtshof (zB BGH Urteil vom 22. Januar 1985 - VI ZR 28/83 - NJW 1985, 1617) bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vertretenen Abwägungsgrundsätze im Betrag abweichen oder ganz entfallen.

 

Normenkette

EWGRL 207/76; EWGVtr Art. 5; BGB § 847; KSchG §§ 9-10; AZO § 19; SeemG § 65; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2; BGB §§ 611b, 611a; BetrVG § 113; BGB § 823 Abs. 1; EWGVtr Art. 189 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Entscheidung vom 11.02.1987; Aktenzeichen 7 Sa 56/86)

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 05.03.1986; Aktenzeichen 23 Ca 304/85)

 

Tatbestand

Der Beklagte betreibt ein Tierheim. Im April 1985 schrieb er durch Aushang in den Betriebsräumen die Stelle einer "Ersatzkraft für den Spätdienst der Tierannahme und Bewachung" aus. Nach der Ausschreibung sollte der Spätdienst im Wechsel mit zwei anderen Mitarbeitern werktags bis 22.00 Uhr und sonntags bis 21.00 Uhr geleistet werden. Im Mai 1985 suchte der Beklagte für dieselbe Stelle in einer Zeitungsanzeige einen "zuverlässigen Mitarbeiter". Um den 20. April 1985 bewarb die Klägerin sich schriftlich. Mitte Mai 1985 teilte der Geschäftsführer des Beklagten der Klägerin fernmündlich mit, ihre Einstellung komme nicht in Betracht. Der Beklagte sandte der Kläger die Bewerbungsunterlagen ohne weitere Begründung zurück.

Die Klägerin hat von dem Beklagten Schadenersatz in Höhe von mindestens sechs Monatslöhnen (6 x 832,64 DM) sowie Ersatz der Bewerbungskosten verlangt, die allerdings nur noch in Höhe von 0,15 DM (Kosten für einen Briefumschlag) im Streit sind. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie sei bei der Entscheidung über die Einstellung wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden.

Mit der am 2. September 1985 zugestellten Klage hat die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie

Schadenersatz zu zahlen, dessen Höhe in das

Ermessen des Gerichts gestellt wird, der aber

4.995,85 DM nicht unterschreiten sollte.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg, soweit das Landesarbeitsgericht den Beklagten verurteilt hat, an die Klägerin mehr als 832,64 DM zu zahlen. Im übrigen ist die Revision unbegründet.

A. Die Klägerin hat gegen den Beklagten nach § 823 Abs. 1, § 847 in Verbindung mit § 31 BGB einen Anspruch auf Entschädigung in Höhe eines Monatsverdienstes, den sie in dem Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten erzielt hätte. Der Geschäftsführer des Beklagten hat die Klägerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt.

I. Der Beklagte hat die Klägerin im Bewerbungsverfahren für die Spätdienststelle im Tierheim wegen ihres Geschlechts benachteiligt. Darin lag eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin. Dies hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler angenommen.

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Stellenausschreibung in der Zeitung habe nicht den Anforderungen entsprochen, die nach § 611 b BGB an eine geschlechtsneutrale Ausschreibung zu stellen seien; der Geschäftsführer des Beklagten habe gegenüber dem damaligen Betriebsratsvorsitzenden geäußert, Frauen kämen wegen der Gefährlichkeit der Bewachungstätigkeit für die Stelle nicht in Betracht; der Klägerin habe der Geschäftsführer gesagt, sie komme nicht in Frage, weil die Einstellung einer Frau nicht vorgesehen sei. Der Senat hat von diesen Tatsachen auszugehen; der Beklagte hat die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht mit Verfahrensrügen angegriffen.

2. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht aus dem Verhalten des Beklagten geschlossen, daß die Klägerin wegen ihres Geschlechts benachteiligt wurde.

Nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe rechtfertigten die unterschiedliche Behandlung nicht; auch war das männliche Geschlecht nicht unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit (§ 611 a Abs. 1 BGB).

a) Auf die Bestimmungen der Arbeitszeitordnung konnte der Beklagte sich nicht berufen.

Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß das Nacht- und Sonntagsarbeitsverbot für Frauen nach § 19 Abs. 1 AZO ein sachlicher Unterscheidungsgrund im Sinne des § 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB sein kann (vgl. MünchKomm-Söllner, BGB, 2. Aufl., § 611 a Rz 15 m. w. N.). Es hat aber den Betrieb des Beklagten als mehrschichtigen Betrieb im Sinne des § 19 Abs. 2 AZO angesehen, in dem Arbeitnehmerinnen bis 23.00 Uhr beschäftigt werden dürfen. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht dies begründet hat, lassen erkennen, daß es den Rechtsbegriff des mehrschichtigen Betriebs (vgl. Denecke/Neumann, AZO, 10. Aufl., § 19 Rz 10) nicht verkannt und den Vortrag des Beklagten, mit dem dieser die Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 AZO in Abrede gestellt hat, zu Recht nicht hat ausreichen lassen.

b) Für die ausgeschriebene Tätigkeit war das männliche Geschlecht nicht unverzichtbare Voraussetzung. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß nur in Ausnahmefällen ein bestimmtes Geschlecht für einen bestimmten Arbeitsplatz unverzichtbar ist, zum Beispiel bei einer männlichen Schauspielrolle oder, wenn die geschuldete Arbeitsleistung in der Aufsicht über weibliche Gefangene besteht (vgl. Begründung der Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren, BT-Drucks. 8/3317, S. 9).

Der Beklagte hat keine Tatsachen dafür vorgetragen, daß für die zu besetzende Stelle das männliche Geschlecht unverzichtbar war. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Eignung für den Spätdienst in der Tierannahme und Bewachung ergebe sich weniger aus dem Geschlecht als vielmehr aus den physischen und psychischen Voraussetzungen des Bewerbers oder der Bewerberin; der persönliche Eindruck in einem Vorstellungsgespräch sei entscheidend. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

II. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß in der geschlechtsspezifischen Benachteiligung eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin lag.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfaßt das Recht des einzelnen auf Achtung seiner Menschenwürde und Entfaltung der individuellen Persönlichkeit (BGHZ 13, 334). Im Arbeitsleben hat jeder Arbeitnehmer ein Recht, nach sachangemessenen Maßstäben beurteilt zu werden. Ein Arbeitgeber, der bei der Auswahl zu Unrecht auf das Geschlecht abstellt, beeinträchtigt die Entfaltungsmöglichkeiten der Bewerber, die dem gesuchten Geschlecht nicht angehören. Darin liegt eine Herabwürdigung der beruflichen Fähigkeiten der ausgeschlossenen Bewerber. Sie werden bei der Bewerbung um Einstellung daran gehindert, die erstrebte Berufstätigkeit aufzunehmen und damit ihre individuelle Persönlichkeit zu entfalten, indem ihnen die chancengleiche Teilnahme an einem Auswahlverfahren von vornherein verweigert wird. In der Benachteiligung eines Menschen aufgrund seines Geschlechts liegt zugleich eine Verletzung seiner Würde als Person (Dix, Gleichberechtigung durch Gesetz, 1984, S. 333; Eisemann, ArbuR 1988, 225, 231). Die Benachteiligung wegen des Geschlechts beim Zugang zu einem Arbeitsverhältnis verstößt somit nicht nur gegen die Verfassungsbestimmung des Art. 3 Abs. 2 GG, sondern auch gegen die des Art. 2 Abs. 1 GG und des Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. Zuleeg, RdA 1984, 325, 331). Geschlechtsbezogene Diskriminierung verletzt regelmäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht, dessen Inhalt für den Zugang zum Arbeitsverhältnis durch § 611 a Abs. 1 BGB konkretisiert wird (Bertelsmann/Pfarr, DB 1984, 1297, 1300).

III. Der Beklagte hat auch schuldhaft gehandelt.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Beklagte habe zumindest fahrlässig die Klägerin im Bewerbungsverfahren wegen ihres Geschlechts nicht berücksichtigt. Dadurch, daß der Geschäftsführer des Beklagten ohne weitere Nachforschung davon ausgegangen sei, die Spätdienststelle sei mit einer Frau nicht zu besetzen, insbesondere sei die Position für Frauen zu gefährlich, habe er fahrlässig gehandelt. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

IV. Für die vom Beklagten zu vertretende Persönlichkeitsverletzung ist eine anderweitige Entschädigung, die den Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens ausschließen könnte (vgl. BGH Urteil vom 26. Januar 1971 - VI ZR 95/70 - NJW 1971, 698), nicht vorgesehen.

Auf § 611 a Abs. 2 BGB kann der Anspruch nicht gestützt werden. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen. Nach dieser Bestimmung ist der Arbeitgeber nur zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet. Dieser wird regelmäßig nur die Bewerbungskosten umfassen. Diese Anspruchsbegrenzung auf das negative Interesse war vom Gesetzgeber gewollt (vgl. BT-Drucks. 8/3317; BR-Drucks. 353/79).

§ 611 a Abs. 2 BGB bietet auch dann keine Rechtsgrundlage für eine Entschädigung, die den Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens ausschließt, wenn man die Grundsätze der Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 10. April 1984 (- Rechtssachen 14/83 und 79/83 - AP Nr. 1 und 2 zu § 611 a BGB) berücksichtigt. Danach reicht die Rechtsfolge des § 611 a Abs. 2 BGB nicht aus, um dem Regelungsziel der Richtlinie 76/207/EWG vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) gerecht zu werden. Entscheide sich ein Mitgliedstaat dafür, als Sanktion gegen das Diskriminierungsverbot eine Entschädigung zu gewähren, müsse diese jedenfalls, damit ihre Wirksamkeit und ihre abschreckende Wirkung gewährleistet seien, in einem angemessenen Verhältnis zu dem erlittenen Schaden stehen und somit über einen rein symbolischen Schadenersatz wie etwa die bloße Erstattung der Bewerbungskosten hinausgehen. Es sei Sache der nationalen Gerichte, das zur Durchführung der Richtlinie erlassene Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraumes, den ihm das nationale Recht einräume, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden (EuGH, aaO).

§ 611 a Abs. 2 BGB kann auch bei Beachtung dieser Grundsätze nicht als Grundlage eines den Vertrauensschaden übersteigenden Anspruchs auf Schadenersatz wegen geschlechtsbezogener Benachteiligung herangezogen werden. Dem steht der eindeutige Wortlaut der Bestimmung entgegen. Eine "richtlinienkonforme" Auslegung mit dem Ziel, § 611 a Abs. 2 BGB einen über den dort geregelten Anspruch hinausgehenden Schadenersatzanspruch zu entnehmen, ist nicht zulässig (ebenso Scholz, SAE 1984, 250, 252; Eisemann, ArbuR 1988, 225, 230). Es ist Sache des nationalen Gesetzgebers, eine für die Mitgliedstaaten verbindliche EG-Richtlinie in innerstaatliches Recht umzusetzen (§ 189 Abs. 3 EWG-Vertrag). Selbst eine verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen findet dort ihre Grenze, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (BVerfGE 18, 97, 111). Für die Auslegung innerstaatlichen Rechts im Lichte des Wortlauts und des Zweckes einer Richtlinie nach Art. 189 Abs. 3 EWG-Vertrag kann nichts anderes gelten.

V. Der Entschädigungsanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts ist andererseits auch nicht durch § 611 a Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Diese Bestimmung regelt die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot nach § 611 a Abs. 1 BGB nicht abschließend.

Zwar gelten grundsätzlich die auf Gesetz beruhenden Haftungsbeschränkungen auch für deliktische Ansprüche. Dies gilt aber nur, soweit die Haftungsbeschränkung reicht (vgl. Zuleeg, RdA 1984, 325, 330; Eckertz-Höfer, JuS 1987, 611, 614). Die Beschränkung der Schadenersatzpflicht nach § 611 a Abs. 2 BGB auf das negative Interesse bezweckt, einen Einstellungsanspruch des benachteiligten Arbeitnehmers und damit auch einen Anspruch auf Zahlung des entgangenen Lohns auszuschließen (vgl. BT-Drucks. 8/3317, S. 9). Betroffen von dem haftungsbeschränkenden Teil dieser Regelung sind somit allenfalls Ansprüche auf Ersatz des materiellen Schadens, soweit sie den Vertrauensschaden übersteigen würden. Dagegen werden Ansprüche auf Ersatz immaterieller Schäden nicht berührt (vgl. Zuleeg, RdA 1984, 325, 330; Eisemann, ArbuR 1988, 225, 233). Durch die Richtlinie 76/207/EWG, die den deutschen Gesetzgeber zur Regelung des § 611 a BGB veranlaßt hat, sollten Arbeitnehmer vor geschlechtsspezifischen Benachteiligungen geschützt und damit ein weiterer Schritt zur Gleichberechtigung von Mann und Frau getan werden. Diesem Normzweck widerspräche es, wollte man in § 611 a Abs. 2 BGB einen Ausschluß des Anspruchs auf Ersatz des immateriellen Schadens sehen. Schon vor Erlaß des § 611 a BGB wurden Ansprüche auf Ersatz immateriellen Schadens nach § 823 Abs. 1, § 847 BGB bei Diskriminierungen anerkannt. Dafür, daß sich diese Rechtslage ändern sollte, enthält § 611 a Abs. 2 BGB keine Anhaltspunkte (vgl. auch Stellungnahme der Bundesregierung in den Rechtssachen 14/83 und 79/83 vor dem Europäischen Gerichtshof in DB 1984, 1476).

VI. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin als schwerwiegend angesehen.

1. Eine Geldentschädigung kommt bei einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur in Betracht, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt. Geringfügige Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht lösen keine Entschädigungsansprüche aus (BGHZ 35, 363, 368 = NJW 1961, 2059, 2060). Ob eine Persönlichkeitsverletzung vorliegt, die die Zahlung einer Entschädigung erfordert, hängt insbesondere ab von Grad des Verschuldens, Art und Schwere der Benachteiligung, Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessenschädigung, Anlaß und Beweggrund des Handelns und geschützter Sphäre, in die der Eingriff erfolgte (zuletzt BGH Urteil vom 22. Januar 1985 - VI ZR 28/83 - NJW 1985, 1617, 1619).

2. Bei Benachteiligung eines Stellenbewerbers wegen des Geschlechts liegt regelmäßig eine erhebliche Persönlichkeitsverletzung vor. Dies folgt nicht nur daraus, daß der Gesetzgeber beim Zugang zum Arbeitsverhältnis die Benachteiligung wegen des Geschlechts in § 611 a Abs. 1 BGB in Ausführung der Richtlinie 76/207/EWG verboten hat. Vielmehr kann bei Beurteilung der Frage, ob die Persönlichkeitsverletzung als schwerwiegend anzusehen ist, nicht unberücksichtigt bleiben, daß nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaften bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot eine Sanktion zu verlangen ist, die in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden steht und über einen rein symbolischen Schadenersatz hinausgeht. Mit diesem Ziel haben die nationalen Gerichte als Träger der öffentlichen Gewalt in den Mitgliedstaaten nach Art. 5 EWG-Vertrag bei ihrer Rechtsprechungstätigkeit das nationale Recht, und zwar nicht nur das zur Durchführung der Richtlinie erlassene, im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen, um das in Art. 189 Abs. 3 EWG-Vertrag genannte Ziel zu erreichen (vgl. EuGH, aaO). Dies muß dazu führen, eine Persönlichkeitsverletzung, die in der geschlechtsspezifischen Diskriminierung beim Zugang zum Arbeitsplatz liegt, regelmäßig als anspruchsbegründend anzusehen.

VII. Die Revision hat allerdings Erfolg, soweit sie sich gegen die Höhe des Anspruchs richtet. Der Anspruch der Klägerin besteht nur in Höhe eines Monatsgehalts (832,64 DM).

1. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht bei Bemessung der Entschädigung an den Monatsverdienst angeknüpft, den die Klägerin erzielt hätte, wenn ihre Bewerbung erfolgreich gewesen wäre. Auch sonst werden im Arbeitsrecht Einbußen mit Geldbeträgen abgegolten, die das Ein- oder Mehrfache eines Monatsverdienstes betragen (vgl. z. B. §§ 9, 10 KSchG, § 113 BetrVG, § 65 SeemG; bei unangemessener Beschäftigung eines Bühnenschauspielers: vgl. BAG Urteil vom 12. November 1985 - 3 AZR 576/83 - AP Nr. 23 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag). Es spricht nichts dagegen, bei Bemessung der billigen Entschädigung für eine geschlechtsspezifische Diskriminierung ebenso zu verfahren. Überlegungen, die darauf hinauslaufen, als Entschädigung einen Betrag zuzubilligen, der dem Lohn entspricht, den der abgelehnte Bewerber oder die abgelehnte Bewerberin in der Kündigungsfrist verdient hätte, die auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden gewesen wäre, scheiden somit aus. Sie würden auch verkennen, daß der Bewerber dafür entschädigt werden muß, daß er bei der Einstellung diskriminiert wurde, und nicht nur dafür, daß er bis zum nächstmöglichen Beendigungszeitpunkt keine Arbeitsleistung erbringen oder anbieten durfte.

2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, die der Klägerin zuzusprechende Entschädigung betrage sechs Monatsverdienste. Das Berufungsgericht hat maßgebliche Umstände, die für die Höhe der Entschädigung von Bedeutung sind, nicht gewertet. Die angefochtene Entscheidung hält deshalb insoweit revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand (vgl. BAG Urteil vom 26. Januar 1971 - 1 AZR 304/70 - AP Nr. 10 zu § 847 BGB).

a) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Entschädigung sei unter Abwägung aller Umstände und unter Berücksichtigung der Abschreckungsfunktion auf mindestens einen Monatslohn als Untergrenze, im Hinblick auf die besonderen Umstände des Falles jedoch auf sechs Monatsverdienste festzusetzen.

b) Dem Berufungsgericht ist zu folgen, soweit es bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles die Schwere des Verstoßes und die konkrete Situation der diskriminierten Person berücksichtigt. Auch soweit es auf die besondere Sanktionsfunktion der Entschädigung abstellt, sind seine Ausführungen frei von Rechtsirrtum. Dadurch trägt das Berufungsgericht seiner Verpflichtung Rechnung, das nationale Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie 76/207/EWG auszulegen. Nachdem der nationale Gesetzgeber sich in § 611 a BGB entschieden hatte, als Sanktion für einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot eine Entschädigung zu gewähren (sich also nicht etwa für eine stattdessen ebenfalls zulässige Bußgeldregelung entschieden hatte, vgl. EuGH, aaO), mußte die Entschädigung, damit ihre Wirksamkeit und ihre abschreckende Wirkung gewährleistet sind, in einem angemessenen Verhältnis zu dem erlittenen Schaden stehen und über den in § 611 a Abs. 2 BGB vorgesehenen unzureichenden, weil nur symbolischen Schadenersatz (vgl. EuGH, aaO) hinausgehen.

Rechtlich nicht begründen läßt sich aber die vom Berufungsgericht angenommene Entschädigungshöhe. Der Betrag von sechs Monatsverdiensten setzt als Abfindung bei der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses (§§ 9, 10 KSchG) in der Regel eine mehrjährige Betriebszugehörigkeit voraus. Ob eine den § 611 a Abs. 2 BGB ergänzende oder ersetzende Regelung bei geschlechtsspezifischer Diskriminierung von Einstellungsbewerbern diesen oder einen anderen Betrag als pauschalen Schadenersatz vorschreibt, ist eine Entscheidung, die im Ermessen des nationalen Gesetzgebers liegt (vgl. z. B. Gesetzesantrag des Landes Hessen, BR-Drucks. 180/83 sowie Gesetzentwurf der Abgeordneten Frau Blunck u. a. sowie der Fraktion der SPD, BT-Drucks. 10/156). Solange diese gesetzgeberische Entscheidung aussteht, müssen die Gerichte bei der Bemessung der Entschädigung die Wertentscheidungen beachten, die sich aus den geltenden Bestimmungen ergeben. Dabei ist, wie der in seinen Rechtsfolgen zwar unzureichende, aber nach wie vor gültige § 611 a Abs. 2 BGB zeigt, der bisher unveränderte Wille des nationalen Gesetzgebers nicht zu übersehen, geschlechtsspezifische Diskriminierungen nur insoweit zu sanktionieren, als dies nach EG-Recht unbedingt erforderlich ist. Diese gesetzgeberische Grundentscheidung ist, solange sie gilt, bei Festlegung der Entschädigung in die Abwägung mit einzubeziehen. Dies führt nach Auffassung des Senats dazu, daß die Entschädigung im Normalfall in Höhe eines Monatsverdienstes zu gewähren ist. Dieser Betrag stellt nach Auffassung des Senats bereits eine hinreichende Sanktion dar. Auch in den genannten Gesetzentwürfen wird er als Untergrenze für ausreichend gehalten. Er kann nach Maßgabe der für die Abwägung wesentlichen Gesamtumstände überschritten oder unterschritten werden bzw. ganz entfallen.

3. Der Senat sieht den vorliegenden Fall als den Normalfall an, der keine Besonderheiten aufweist, die es erforderlich machen, von dem Betrag eines Monatsverdienstes nach oben oder unten abzuweichen.

Der Geschäftsführer des Beklagten hat die Klägerin bewußt wegen ihres Geschlechts benachteiligt, auch wenn er in ihrem vermeintlichen Interesse (Stelle sei für eine Frau zu gefährlich) handelte und möglicherweise über die Vorschriften der Arbeitszeitordnung in bezug auf Beschäftigung von Frauen irrte. Die Klägerin war in der Folgezeit arbeitslos. Im Vergleich zu anderen denkbaren Fällen geschlechtsspezifischer Benachteiligung von Bewerbern um eine Arbeitsstelle weist der Fall keine Besonderheiten auf.

B. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht der Klägerin einen Anspruch auf Ersatz der Bewerbungskosten in Höhe von 0,15 DM zugesprochen.

I. Zwar handelt es sich, soweit die Klägerin den Ersatz ihrer Bewerbungskosten in dieser Höhe verlangt, um Vertrauensschaden im Sinne des § 611 a Abs. 2 BGB. Die Klägerin hat aber nicht dargelegt, daß sie ohne die Benachteiligung wegen ihres Geschlechts die ausgeschriebene Arbeitsstelle erhalten hätte. Für den Anspruch fehlt es somit an der nach dem Gesetzeswortlaut vorausgesetzten Ursächlichkeit zwischen dem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot und der Nichteinstellung. Auch in diesem Punkt ist somit eine "richtlinienkonforme" Auslegung unmöglich, abgesehen davon, daß sie nicht zu einer abschreckenden Sanktion in dem vom Europäischen Gerichtshof (aaO) geforderten Sinne führen würde.

II. Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, der Anspruch ergebe sich aus § 823 Abs. 2 in Verbindung mit § 611 a Abs. 1 BGB. Dabei hat es übersehen, daß das Ursächlichkeitserfordernis nach der spezielleren Regelung des § 611 a Abs. 2 BGB nicht dadurch entfällt, daß der Anspruch auf § 823 Abs. 2 in Verbindung mit § 611 a Abs. 1 BGB gestützt wird. Einer Entscheidung, ob § 611 a Abs. 2 BGB seinem Sinn und Zweck entsprechend eine Sperrwirkung für alle weitergehenden materiellen Schadenersatzansprüche entfaltet, bedarf es in diesem Zusammenhang nicht (Birk, NZA 1984, 145, 147; Scholz, SAE 1984, 250, 252; Bertels- mann/Pfarr, DB 1984, 1297, 1301, die jedoch § 611 a Abs. 2 BGB als richtlinienwidrig für unbeachtlich halten; gegen die Sperrwirkung: Zuleeg, RdA 1984, 325, 330).

Michels-Holl Dr. Peifer Dr. Wittek

Fox Dr. Pühler

 

Fundstellen

Haufe-Index 441628

BAGE 61, 209-219 (LT1-2)

BAGE, 209

BB 1989, 2187-2189 (LT1-2)

DB 1989, 2279-2281 (LT1-2)

NJW 1990, 65

NJW 1990, 65-67 (LT1-2)

SteuerBriefe 1990, 57-57 (K)

EBE/BAG 1989, 163-166 (LT1-2)

ARST 1989, 234-235 (LT1-2)

Gewerkschafter 1989, Nr 12, 38-38 (T)

JR 1990, 220

JR 1990, 220 (S)

NZA 1990, 21-24 (LT1-2)

RdA 1989, 377

ZAP, EN-Nr 20/89 (S)

ZTR 1989, 490-492 (LT1-2)

AP § 611a BGB (LT1-2), Nr 5

AR-Blattei, ES 800 Nr 84a (LT1-2)

AR-Blattei, Gleichbehandlung im Arbeitsverhältnis Entsch 84a (LT1-2)

ArbuR 1989, 384-384 (T)

ArbuR 1990, 390-392 (LT1-2)

EuR 1990, 362-367 (LT1-2)

EzA § 611a BGB, Nr 45 (LT1-2)

EzBAT § 8 BAT Gleichbehandlung, Nr 7 (LT1-2)

JA 1990, 88-90 (T)

JZ 1991, 43-46 (LT1-2)

MDR 1990, 81-82 (LT1-2)

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