Entscheidungsstichwort (Thema)

Entfernung eines Schreibens aus der Personalakte

 

Leitsatz (amtlich)

Der Arbeitnehmer kann die Entfernung eines auf einer wahren Sachverhaltsdarstellung beruhenden Schreibens aus der Personalakte verlangen, wenn es für die weitere Beurteilung des Arbeitnehmers überflüssig geworden ist und ihn in seiner beruflichen Entwicklungsmöglichkeit fortwirkend beeinträchtigen kann.

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 30.05.1986; Aktenzeichen 9 Sa 1459/85)

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 04.06.1985; Aktenzeichen 8 Ca 176/84)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Entfernung eines Schriftwechsels aus der Personalakte des Klägers.

Der Kläger ist als pädagogischer Mitarbeiter im Amt für Volksbildung (Volkshochschulen) bei der Beklagten angestellt. Er ist Mitglied der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr und hat sich am 4. Mai 1983 etwa vier Stunden lang an einem Warnstreik seiner Gewerkschaft beteiligt. Daraufhin hat die Beklagte ihm mit Schreiben vom 17. Mai 1983 folgendes mitgeteilt:

„Wie uns Ihre Beschäftigungsstelle mitgeteilt hat, haben Sie aufgrund des Warnstreiks im Zusammenhang mit den laufenden Lohn- und Vergütungstarifverhandlungen am Mittwoch, dem 4. Mai 1983 in der Zeit von 8.30 Uhr bis 12.30 Uhr, das sind vier Stunden, keine Arbeit geleistet.

Insoweit besteht kein Anspruch auf Vergütungs- oder Lohnfortzahlung (vgl. u.a. § 18 Abs. 2 Satz 3 BAT, § 18 Abs. 2 Satz 3 BMT-G II). Wir haben daher veranlaßt, daß Ihnen für die Dauer der Arbeitsunterbrechung im Rahmen der nächsten Gehaltszahlung Ihre Bezüge entsprechend gekürzt werden.”

Die Beklagte hat die Durchschrift dieses Briefes zu den Personalakten genommen. Dagegen hat sich der Kläger mit Schreiben vom 20. Mai 1983 gewandt und um Entfernung des Schreibens aus der Personalakte gebeten. Die Beklagte hat das mit Schreiben vom 15. Juli 1983 unter Hinweis auf ihre Richtlinien für die Personalaktenführung abgelehnt.

Der Kläger verlangt in diesem Rechtsstreit die Entfernung dieses Schriftwechsels aus der Personalakte und hat dazu vorgetragen, die Beklagte wolle ihn wegen der Teilnahme an einem rechtmäßigen Arbeitskampf maßregeln. Die Mitteilung sei zur Rechtfertigung des Gehaltsabzugs überflüssig, weil der Kläger sich nicht dagegen gewandt habe und nach Ablauf der sechsmonatigen Ausschlußfrist kein Anlaß zur weiteren Aufbewahrung bestehe.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, aus der Personalakte des Klägers folgende Schreiben ersatzlos zu entfernen:

  1. Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 17. Mai 1983,
  2. Schreiben des Klägers an die Beklagte vom 20. Mai 1983,
  3. Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 15. Juli 1983.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und hierzu die Auffassung vertreten, der vom Kläger beanstandete Schriftwechsel müsse als Nachweis für die Gehaltskürzung in der Personalakte verbleiben. Die Beklagte habe in den vom Kläger beanstandeten Schreiben keine falschen Tatsachenbehauptungen aufgestellt. Außerdem werde der Kläger hierdurch nicht in seiner beruflichen Stellung beeinträchtigt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Arbeitsgerichts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet, denn der Kläger fordert zu Recht die Entfernung des von ihm beanstandeten Schriftwechsels aus der Personalakte.

I.

Die Revision geht zutreffend davon aus, der Arbeitnehmer könne verlangen, daß der Arbeitgeber eine mißbilligende Äußerung aus den Personalakten entfernt, wenn diese unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, die den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung und seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigen könnten (BAG Urteil vom 27. November 1985 - 5 AZR 101/84 - AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht). Einem Arbeitnehmer ist es aber nicht verwehrt, in Ausnahmefällen auch die Entfernung solcher Aktenvorgänge zu verlangen, die auf richtiger Sachverhaltsdarstellung beruhen. Das verkennt die Beklagte.

Der Anspruch des Klägers hierauf ergibt sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (BAG Urteil vom 9. Februar 1977 - 5 AZR 2/76 - AP Nr. 83 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht m.w.N.). Dieser hat bei allen seinen Maßnahmen, auch insoweit er Rechte ausübt, auf das Wohl und die berechtigten Interessen seines Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen. Deshalb muß er unter Umständen besondere Maßnahmen treffen, die die Entstehung eines Schadens, insbesondere eine Beeinträchtigung des Fortkommens seines Arbeitnehmers, verhindern können. Der Umfang dieser Fürsorgepflicht läßt sich im Einzelfall nur aufgrund einer eingehenden Abwägung der beiderseitigen Interessen bestimmen (BAGE 7, 267, 271, 272 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; BAG Urteil vom 17. März 1970 - 5 AZR 263/69 - AP Nr. 78 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu 2 der Gründe; BAG Urteil vom 9. Februar 1977 - 5 AZR 2/76 - AP Nr. 83 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 27. November 1985 - 5 AZR 101/84 - AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu I 3 a der Gründe).

Deshalb kann der Arbeitgeber im Einzelfall verpflichtet sein, auch solche Vorgänge aus den Personalakten zu entfernen, die auf einem wahren Sachverhalt beruhen (vgl. BAG Urteil vom 9. Februar 1977 - 5 AZR 2/76 - AP Nr. 83 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht betreffend die Entfernung eines gegen den Arbeitnehmer ergangenen Strafurteils, das ein strafbares Verhalten im außerdienstlichen Bereich betraf sowie das zur Veröffentlichung bestimmte BAG Urteil vom 15. Juli 1987 - 5 AZR 215/86 - Arbeitsrechts-Blattei „Personalakten” Entscheidung 10, zur Entfernung eines durch die Ereignisse überholten amtsärztlichen Gutachtens, das den Arbeitnehmer in seinen beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten belastet).

II.

Im Rahmen der hiernach gebotenen Interessenabwägung geht das Landesarbeitsgericht mit Recht zunächst von dem Grundsatz aus, daß die Personalakten eine Sammlung von Urkunden und Vorgängen enthalten, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse des Mitarbeiters betreffen und in einem inneren Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehen. Sie sollen ein möglichst vollständiges, wahrheitsgemäßes und sorgfältiges Bild über die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse des Mitarbeiters geben (BAGE 7, 267, 271, 272 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; BAGE 24, 247, 256 = AP Nr. 9 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu II 2 b der Gründe; BAG Urteil vom 9. Februar 1977 - 5 AZR 2/76 - AP Nr. 83 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu II 2 der Gründe).

Dieser Grundsatz wird aber durch das Verlangen des Klägers auf Entfernung des von ihm beanstandeten Schriftwechsels nicht verletzt. Diese Schreiben betreffen nämlich nur den Abzug des Gehalts für vier Stunden, weil er an einem Warnstreik seiner Gewerkschaft teilgenommen hat.

Es ist zwar nicht zu beanstanden, daß die Beklagte diesen Vorgang zunächst zu den Personalakten genommen hat; sie kann aber kein schutzwürdiges Interesse dafür geltend machen, daß diese Schreiben dauernd in der Personalakte verbleiben müssen. Auch ein ursprünglich für die persönlichen Verhältnisse und für die dienstliche Beurteilung des Arbeitnehmers wichtiger Vorgang (z.B. Personalfragebogen) kann durch zeitliche Ereignisse (z.B. Nichteinstellung des Bewerbers oder Ausscheiden des Arbeitnehmers) entbehrlich werden, so daß ein rechtlich geschütztes Interesse an der weiteren Aufbewahrung entfällt (vgl. z.B. BAGE 46, 98 = AP Nr. 7 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht).

Die Beklagte könnte den Verbleib des vom Kläger beanstandeten Schriftwechsels nur rechtfertigen, wenn der Kläger noch Anspruch auf das ihm wegen der Teilnahme am Streik gekürzte Gehalt erheben könnte. Das ist jedoch unstreitig nicht der Fall, denn der Kläger hat ausdrücklich erklärt, daß er solche Forderungen nicht stellen will und nicht erhoben hat. Außerdem ist die tarifliche Ausschlußfrist hierfür abgelaufen. Die Beklagte kann unter diesen Umständen nicht geltend machen, sie benötige diesen Schriftwechsel, um sich gegen noch nicht erhobene Ansprüche des Klägers zu wehren.

III.

Allerdings würde allein der Verbleib eines durch zeitliche Ereignisse überholten und überflüssigen Vorgangs in der Personalakte noch nicht den Anspruch auf Entfernung dieses Aktenbestandteils rechtfertigen. Der Anspruch des Klägers ergibt sich jedoch daraus, daß hiermit seine Teilnahme am Warnstreik dokumentiert wird, ohne daß dies für die Abwehr des Zahlungsanspruchs des Klägers noch erforderlich wäre.

Das Berufungsgericht hat zu Recht in diesem fortbestehenden Hinweis auf die Teilnahme des Klägers an einem Warnstreik die Möglichkeit gesehen, daß der Kläger in seiner beruflichen Entwicklung beeinträchtigt wird. Das ist nicht lediglich eine Spekulation, wie die Beklagte meint, sondern die Gefahr ist zumindest nicht auszuschließen, wenn man berücksichtigt, daß bei jeder personellen Veränderung des Klägers die Personalakte als Entscheidungsgrundlage herangezogen wird und nicht voraussehbar ist, welche Folgerungen hieraus im Einzelfall gezogen werden. Außerdem handelt es sich um einen einmaligen Vorgang, der schon längere Zeit zurückliegt und sich nicht wiederholt hat. Unter diesen Umständen ist ein Hinweis auf die Rechtsprechung zur Wirkungslosigkeit einer Abmahnung angebracht, wonach zwar eine ursprünglich gerechtfertigte Abmahnung nicht allein durch Zeitablauf wirkungslos werden kann, wohl aber nach Ablauf einer bestimmten Zeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles (vgl. BAG Urteil vom 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung).

Die Beklagte verletzt mit der weiteren Aufbewahrung der beanstandeten Schreiben das Persönlichkeitsrecht des Klägers. In entsprechender Anwendung der §§ 12, 862, 1004 BGB kann der Kläger die Beseitigung dieser fortwirkenden und nicht durch schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigte Beeinträchtigung – also die Entfernung der Schreiben aus der Personalakte – verlangen.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Pallas, Krebs

 

Fundstellen

BB 1988, 1893-1893 (LT1)

DB 1988, 1702-1702 (LT1)

NJW 1988, 2693

NJW 1988, 2693 (L1)

SteuerBriefe 1988, 425-425 (K)

BetrR 1988, Nr 8, 7-8 (LT1)

ARST 1988, 129-129 (LT1)

DOK 1989, 329 (K)

JR 1988, 440

JR 1988, 440 (S1)

NZA 1988, 654-655 (LT1)

RdA 1988, 380

USK, 8861 (ST1)

ZTR 1988, 391-392 (LT1)

AP, Fürsorgepflicht (LT1)

DuD 1988, 582-583 (LT1)

EzA, Fürsorgepflicht Nr 47 (LT1)

EzBAT, (LT1)

PERSONAL 1989, 74-74 (LT1)

PersR 1988, 250-251 (ST1)

PersV 1989, 541-542 (LT1)

RDV 1989, 19-19 (LT1)

SVFAng Nr 53, 19 (1989) (K)

VR 1989, 68 (K)

ZfPR 1990, 94 (L)

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