Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilnahme an Betriebsratsschulung. mittelbare Diskriminierung. Ausgleichsanspruch aufgrund betrieblicher Übung

 

Leitsatz (redaktionell)

Ausschluß mittelbarer Entgeltdiskriminierung von teilzeitbeschäftigten Mitgliedern des Betriebsrats bei der Teilnahme an ganztägigen Betriebsratsschulungen (Senatsentscheidung vom 5. März 1997 – 7 AZR 581/92 –)

 

Normenkette

BetrVG § 37 Abs. 1-3, 6, § 78 S. 2; EGVtr Art. 119; RL 75/117/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften; GG Art. 3 Nrn. 2-3; BeschFG 1985 § 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 27.05.1993; Aktenzeichen 2 Sa 3/93)

ArbG Hamburg (Urteil vom 23.09.1992; Aktenzeichen 6 Ca 415/91)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 27. Mai 1993 – 2 Sa 3/93 – aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 23. September 1992 – 6 Ca 415/91 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Freizeitausgleich einer teilzeitbeschäftigten Betriebsrätin für den Besuch einer Betriebsratsschulung, die teilweise außerhalb ihrer individuellen Arbeitszeit stattgefunden hat.

Die Klägerin ist bei der Beklagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25,5 Stunden verteilt auf drei Wochentage beschäftigt und gehört dem aus fünf Mitgliedern bestehenden Betriebsrat an. Sie nahm vom 23. bis 27. September 1991 und vom 25. bis 29. November 1991 nach einem entsprechenden Betriebsratsbeschluß an Schulungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG teil. Die Lehrveranstaltungen begannen jeweils um 9.00 Uhr und endeten um 17.45 Uhr. Die Klägerin hätte wegen ihrer Teilzeitbeschäftigung in der Zeit der Schulungsteilnahme an insgesamt vier Tagen nicht arbeiten müssen. Für die Dauer der Schulungsteilnahme zahlte die Beklagte die vereinbarte Arbeitsvergütung.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, durch die Aufwendung ihrer Freizeit aus Anlaß der Schulungsteilnahme habe sie einen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch auf Ausgleich in bezahlter Freizeit. Die Verweigerung des Freizeitausgleichs sei eine mittelbare Frauendiskriminierung, die mit dem gemeinschaftsrechtlichen Lohngleichheitsgebot unvereinbar sei und darüber hinaus gegen § 2 Abs. 1 BeschFG verstoße. Im übrigen bestehe bei der Beklagten eine betriebliche Übung, nach der teilzeitbeschäftigte Betriebsrätinnen beim Besuch von Schulungsveranstaltungen, die über ihre wöchentliche Arbeitszeit hinausgingen, entsprechenden Freizeitausgleich erhielten.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr Freizeitausgleich im Umfang von 24 bezahlten Arbeitsstunden für ihre Teilnahme an der Betriebsräteschulung vom 23. bis 27. September 1991 und vom 25. bis 29. November 1991 zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte weiterhin das Ziel der Klageabweisung. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf bezahlte Freistellung für die Inanspruchnahme von Freizeit für den Besuch einer Betriebsratsschulung.

1. Der Anspruch der Klägerin folgt nicht aus § 37 BetrVG.

a) Nach § 37 Abs. 6 in Verb. mit § 37 Abs. 2 BetrVG hat ein Betriebsratsmitglied für die Zeit der Teilnahme an einer erforderlichen Schulungsveranstaltung Anspruch auf bezahlte Freistellung von der nach dem Arbeitsvertrag geschuldeten Arbeitsleistung. Dieser Anspruch der Klägerin ist durch Erfüllung erloschen (§ 362 BGB). Die Beklagte hat das Entgelt für insgesamt 25,5 Wochenstunden gezahlt.

b) Für die darüber hinaus geltend gemachten Wochenstunden, die die Klägerin in ihrer arbeitsfreien Zeit für den Schulungsbesuch aufgewendet hat, kann sie keinen Freizeitausgleich nach § 37 Abs. 3 BetrVG verlangen (BAG Urteil vom 18. September 1973 – 1 AZR 102/73 – BAGE 25, 305, 307 = AP Nr. 3 zu § 37 BetrVG 1972, zu 3 der Gründe mit Anm. Weiss; Urteil vom 19. Juli 1977 – 1 AZR 302/74 – AP Nr. 31 zu § 37 BetrVG 1972, zu II 3 der Gründe; Urteil vom 27. Juni 1990 – 7 AZR 292/89 – BAGE 65, 238, 240 f. = AP Nr. 76 zu § 37 BetrVG 1972, zu II 1 der Gründe). Diese Vorschrift sieht zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, einen Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts vor. Bei den betriebsbedingten Gründen muß es sich um solche handeln, die sich aus der Eigenart des Betriebs oder seinen Abläufen ergeben (BAG Vorlagebeschluß vom 20. Oktober 1993 – 7 AZR 581/92 (A) – BAGE 74, 351 = AP Nr. 90 zu § 37 BetrVG 1972, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben. Die zeitliche Lage der Schulungs- und Bildungsveranstaltung wurde ausschließlich vom Schulungsträger festgelegt.

2. Die Klägerin kann die geltend gemachten Ansprüche auch nicht auf Art. 119 EGV und die Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen vom 10. Februar 1975 (RL 75/117/EWG) stützen. Der Ausschluß von Ausgleichsansprüchen für teilzeitbeschäftigte Frauen, die als Betriebsratsmitglieder Zeiten außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit für die Teilnahme an erforderlichen Betriebsratsschulungen aufwenden, verletzt nicht das gemeinschaftsrechtliche Lohngleichheitsgebot (BAG Urteil vom 5. März 1997 – 7 AZR 581/92 – BB 1997, 2218, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

3. Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG ist nicht verletzt. Eine danach zu beurteilende Ungleichbehandlung teilzeitbeschäftigter Betriebsrätinnen ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil vom 26. Mai 1993 – 5 AZR 184/92 – AP Nr. 42 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 4 b der Gründe, m.w.N.) fehlt es an einer Grundrechtsverletzung, wenn die Ungleichbehandlung durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die in keinem Zusammenhang mit einer Benachteiligung wegen des Geschlechts stehen. Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG stellen demnach an die sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung keine strengeren Anforderungen als Art. 119 EG-Vertrag. Demzufolge schließt die Ausgestaltung des Betriebsratsamts als unentgeltlich zu führendes Ehrenamt und die damit verfolgten Ziele des Gesetzgebers einen Verstoß gegen das grundrechtliche Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung aus.

4. Ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 BeschFG liegt nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob diese Vorschrift auf die Amtsausübung teilzeitbeschäftigter Betriebsräte Anwendung findet. In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist anerkannt, daß Art. 119 EG-Vertrag und Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG an die sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung Teilzeitbeschäftigter strengere Anforderungen stellen als § 2 Abs. 1 BeschFG (BAG Urteile vom 23. Januar 1990 – 3 AZR 58/88 – AP Nr. 7 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung; 20. November 1990 – 3 AZR 613/89 – BAGE 66, 264, 274 = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung). Die Versagung von Freizeitausgleich für die von der Klägerin während der Schulungsteilnahme aufgeopferte Freizeit ist sowohl mit Art. 119 EG-Vertrag als auch mit Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG vereinbar. Das schließt einen Verstoß gegen § 2 Abs. 1 BeschFG aus.

5. Der Klägerin steht kein Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich aufgrund einer betrieblichen Übung zu. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil vom 26. März 1997 – 10 AZR 612/96 – AP Nr. 50 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, m.w.N.) ist die betriebliche Übung eine regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine bestimmte Leistung oder Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Das Verhalten des Arbeitgebers ist in diesen Fällen als Willenserklärung zu werten, die von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB). Daraus entsteht ein vertraglicher Anspruch auf die üblich gewordene Leistung. Entscheidend dafür ist, wie die Arbeitnehmer die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben und der Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen durften (§§ 133, 157 BGB).

Ein durch betriebliche Übung entstandener Ausgleichsanspruch läßt sich anhand des Vorbringens der Klägerin nicht erkennen. Es fehlt schon an der Darlegung eines länger andauernden, kontinuierlichen Verhaltens des Arbeitgebers, aus dem für die Mitglieder des Betriebsrats erkennbar war, daß der Arbeitgeber über seine gesetzliche Verpflichtung hinaus den Freizeiteinsatz der teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieder aus Anlaß von Betriebsratsschulungen durch bezahlte Freistellung von der Arbeit ausgeglichen hat. Die Klägerin hat ihr Vorbringen auf die Darlegung einzelner Arbeitsbefreiungen aus Anlaß von Schulungsteilnahmen bezogen auf die Jahre 1987, 1989 und 1991 beschränkt und den Umfang der Ausgleichsleistung nicht präzisiert. Das läßt ohne Hinzutreten und ohne Darlegung weiterer Umstände nicht zwingend auf den Fortbestand und Inhalt des Ausgleichswillens des Arbeitgebers schließen.

Schließlich bestehen auch Zweifel daran, ob ein durch betriebliche Übung begründeter vertraglicher Anspruch auf bezahlte Freistellung bei Teilnahme an einer Betriebsratsschulung mit dem Bevorzugungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG vereinbar ist. Nach den Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes zur Rechtstellung der Betriebsräte erhalten die Mitglieder des Betriebsrats weder eine Amtsvergütung noch ist die Betriebsratstätigkeit eine zu vergütende Arbeitsleistung. Entsprechend dem aus § 37 Abs. 2 BetrVG und dem Grundsatz der Ehrenamtlichkeit in § 37 Abs. 1 BetrVG folgenden Lohnausfallprinzip steht den Betriebsratsmitgliedern nur dasjenige Entgelt zu, das sie verdient hätten, wenn sie an Stelle der Betriebsratstätigkeit während ihrer Arbeitszeit die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht hätten. Das schließt es aus, daß die Mitglieder des Betriebsrats auch nur einen geringen Teil ihrer Vergütung wegen oder aufgrund ihres Amtes erhalten. Im Zusammenwirken mit dem Bevorzugungs- und Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG wird damit verhindert, daß das Betriebsratsmitglied durch den Einsatz von Freizeit für die Erledigung von Betriebsratsaufgaben einen Vorteil erzielt, den andere betriebsangehörige Arbeitnehmer nicht erreichen können. Eine betriebliche Übung darf deshalb nicht ausschließlich die Mitglieder des Betriebsrats begünstigen.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dörner, Steckhan, Schmidt, G. Güner, Gerschermann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1083556

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