Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellungsinteresse – Verhältnis „minus-aliud” im Rahmen von § 308 ZPO

 

Orientierungssatz

Das Feststellungsinteresse iSd. § 256 Abs. 1 ZPO ist gegeben, wenn die Erhebung einer Leistungsklage wegen zu erwartender häufiger Änderungen der tatsächlichen Umstände voraussehbar zu wiederholten Klageänderungen zwänge; der grundsätzlich geltende Vorrang der Leistungsklage steht dann der Erhebung einer Feststellungsklage nicht entgegen.

Ein ausdrücklich allein auf die Gewährung eines freien Tages pro Monat gerichteter Antrag enthält nicht als „minus” den Antrag auf stundenweise Freizeitgewährung an bestimmten Wochentagen.

 

Normenkette

ZPO § 308 Abs. 1, § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 12.05.2000; Aktenzeichen 12 (10) Sa 1474/99)

ArbG Köln (Urteil vom 25.08.1999; Aktenzeichen 20 Ca 2037/99)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 25. Mai 2000 – 12 (10) Sa 1474/99 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Gewährung tariflicher Altersfreizeit.

Die 1941 geborene Klägerin steht als Angestellte in den Diensten der Beklagten. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet ua. der Manteltarifvertrag für die Chemische Industrie vom 24. Juni 1992 (MTV) Anwendung. Danach beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 37,5 Stunden. § 2 a MTV in der seit dem 1. Dezember 1997 unveränderten Fassung lautet, soweit hier von Interesse:

㤠2 a

Altersfreizeiten

1. Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr vollendet haben, erhalten eine 2,5-stündige Altersfreizeit je Woche.

Soweit für Arbeitnehmer aufgrund einer Regelung nach § 2 Abschnitt I Ziff. 3 oder einer Einzelvereinbarung oder aufgrund von Kurzarbeit eine bis zu 2,5 Stunden kürzere wöchentliche Arbeitszeit als die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit gilt, vermindert sich die Altersfreizeit entsprechend. Liegt die Arbeitszeit um 2,5 Stunden oder mehr unter der tariflichen Arbeitszeit, entfällt die Altersfreizeit.

2. Die Lage der Altersfreizeiten kann zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unter Beachtung des § 76 Abs. 6 BetrVG vereinbart werden. Vorrangig sollen Altersfreizeiten am Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag gewährt werden.

Ist aus Gründen des Arbeitsablaufs eine Zusammenfassung der Altersfreizeiten zu freien Tagen erforderlich, können sich die Betriebsparteien hierauf einigen.

Einigen sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht, so fallen die Altersfreizeiten auf den Mittwochnachmittag.

6. Die Altersfreizeit entfällt, wenn der Arbeitnehmer am gleichen Tag aus einem anderen Grund, insbesondere wegen Urlaub, Krankheit, Feiertag oder Freistellung von der Arbeit nicht arbeitet. Macht der Arbeitnehmer von einer Altersfreizeit keinen Gebrauch, so ist eine Nachgewährung ausgeschlossen.

…”

Die Klägerin ist seit 1993 teilzeitbeschäftigt. Sie arbeitet von Montag bis Donnerstag vormittags jeweils fünf Stunden.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der tarifliche Ausschluß von der Altersfreizeit für Teilzeitbeschäftigte verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Da sie nachmittags nicht arbeite, müsse die Beklagte ihr einmal monatlich einen freien Tag gewähren.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß die Beklagte der Klägerin ebenso einen Tag zu fünf Stunden monatlich an Altersfreizeit zuerkenne wie ihren vollzeitbeschäftigten Kollegen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, nach dem Tarifvertrag könne die Klägerin nicht die Gewährung freier Tage verlangen. Die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern in Vollzeit und Teilzeit sei sachlich gerechtfertigt, weil auf diese Weise den Vollzeitarbeitnehmern der Übergang in den Ruhestand erleichtert werde; dafür bestehe bei Teilzeitkräften kein Bedarf.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

I. Die Klage ist zulässig.

Die besondere Prozeßvoraussetzung des § 256 Abs. 1 ZPO ist gegeben. Das von Amts wegen auch noch in der Revisionsinstanz zu berücksichtigende Feststellungsinteresse(Senat 21. September 1993 – 9 AZR 580/90 – BAGE 74, 201, 203) liegt vor.

Der grundsätzlich geltende Vorrang der Leistungsklage(Senat 18. März 1997 – 9 AZR 84/96 – BAGE 85, 306; BAG 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – BAGE 79, 236) steht dem Feststellungsinteresse nicht entgegen. Dieser Vorrang dient der prozeßwirtschaftlich sinnvollen Erledigung von Rechtsstreitigkeiten. Dementsprechend ist eine Feststellungsklage zulässig, wenn auf diesem Weg eine sachgemäße, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu erreichen ist und prozeßwirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen(Senat aaO; BAG 7. März 1995 aaO). So liegt der Fall hier.

Bei einer auf Gewährung von freien Tagen gerichteten Leistungsklage hätte die Klägerin die geforderte Freistellungserklärung bereits in der Klageschrift mit einem hinreichend bestimmten Inhalt versehen müssen. Sie hätte angeben müssen, wann sie für welchen Monat freigestellt werden möchte. Da die betrieblichen und persönlichen Umstände, die für die datumsmäßige Festlegung freier Tage eine Rolle spielen, unvorhersehbaren Änderungen unterworfen sind, wäre eine solche datumsmäßige Festlegung im voraus unzweckmäßig. Deshalb ist es gerechtfertigt, die für die Parteien entscheidende Grundfrage, ob der Klägerin ein freier Tag je Monat zusteht, durch Feststellung dem Streit zu entziehen.

II. Die Klage ist nicht begründet.

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf einen freien Arbeitstag je Monat. Einen solchen Anspruch sieht der Tarifvertrag nicht vor.

Nach § 2 a Nr. 1 MTV ist der Freizeitanspruch für Arbeitnehmer mit mehr als 35 Wochenstunden nicht auf die Gewährung freier Tage gerichtet, sondern auf eine Kürzung der wöchentlichen Arbeitszeit durch Gewährung von Freistunden an einem zu bestimmenden Tag. Nur, wenn eine Zusammenfassung zu freien Tagen „erforderlich” ist, können sich Arbeitgeber und Betriebsrat darauf einigen. Daß diese Voraussetzungen vorlägen, behauptet die Klägerin nicht.

Der Tarifvertrag gewährt keine Freizeit, wenn die Arbeit aus anderen Gründen, insbesondere wegen Urlaub, Krankheit, Feiertag oder sonstiger Freistellung ausfällt (§ 2 a Nr. 6 Satz 1 MTV). Das schließt einen Anspruch auf Gewährung eines freien Tags pro Monat – wie ihn die Klägerin erhebt – aus.

Schließt eine Regelung Teilzeitbeschäftigte von Vergünstigungen aus und ist sie deswegen unwirksam, so kann der Teilzeitbeschäftigte anteilig die für Vollzeitbeschäftigte vorgesehenen Vergünstigungen verlangen(vgl. für das bis zum 31. Dezember 2000 geltende Recht: BAG 30. September 1998 – 5 AZR 18/98 – AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 70 = EzA BeschFG 1985 § 2 Nr. 58; für das seit dem 1. Januar 2001 geltende Recht: § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 TzBfG; LAG Sachsen-Anhalt 6. März 2001 – 11 Sa 684/00 –). Der zu Unrecht ausgeschlossene Teilzeitbeschäftigte kann aber nicht mehr und nichts anderes als der Vollzeitbeschäftigte verlangen.

2. Ob der tarifliche Ausschluß von Teilzeitarbeitnehmern unwirksam ist und die Klägerin Anspruch auf anteilige Altersfreizeit entsprechend den tariflichen Vorschriften hat, bedarf keiner Entscheidung. Die Klägerin hat keinen hierauf gerichteten Antrag gestellt. Ein solcher Antrag ist auch nicht als „minus” im Antrag der Klägerin enthalten.

a) Ob ein Klageantrag ein begründetes Teilbegehren enthält, das der Klagepartei vom Gericht bei Abweisung des unbegründeten Mehrbegehrens zugesprochen werden kann, ist durch Auslegung des Klageantrags zu ermitteln. Der Klagepartei steht das Recht zu, den Streitgegenstand durch ihren Antrag zu bestimmen. Ihr darf vom Gericht nichts zugesprochen werden, was nicht beantragt worden ist. Die beklagte Partei darf nicht zu etwas anderem (aliud) verurteilt werden, als zu dem, worauf sie ihre Verteidigung einrichten mußte(§ 308 Abs. 1 ZPO, vgl. BGH 21. Juli 1998 – VI ZR 276/97 – NJW 1998, 3411; MünchKommZPO-Musielak 2. Aufl. § 308 Rn. 9 ff. mwN). Das gilt auch dann, wenn es im Interesse der Klagepartei liegt, jenes „aliud” zumindest auch zu verlangen(vgl. BGH aaO).

b) Aus dem Antrag der Klägerin und ihrem sonstigen Prozeßvorbringen(vgl. BAG 15. März 2001 – 2 AZR 141/00 – DB 2001, 1680) folgt, daß es ihr ausschließlich um die Gewährung freier Tage geht. Die Klägerin hat ihren Antrag stets allein auf die Gewährung eines freien Tages gerichtet. Sie hat ihn mit diesem Inhalt ausdrücklich aufrechterhalten und begründet, obwohl das Landesarbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil und die Beklagte in ihren Schriftsätzen darauf hingewiesen haben, daß der Tarifvertrag keinen Anspruch auf freie Tage vorsieht. In Auseinandersetzung mit dem Hinweis des Berufungsgerichts hat die Klägerin darauf beharrt, es müsse ihr die „für einen Monat zusammengefaßte” Altersfreizeit zuerkannt werden und die im Tarifvertrag vorgesehene stundenweise Gewährung sei unzweckmäßig. Ein Interesse an Freizeitgewährung entsprechend den tariflichen Regelungen hat die Klägerin weder durch Anträge noch durch Sachvortrag zum Ausdruck gebracht. Auch in der Revisionsverhandlung hat die Klägerin daran festgehalten, daß es ihr um die Gewährung eines freien Tages gehe. Dies schließt die Annahme aus, die Klägerin erstrebe als „minus” zu dem gestellten Antrag die Feststellung, daß ihr anteilige Freizeit nach den tariflichen Regelungen zustehe.

III. Die Klägerin muß die Kosten der Revision gem. § 97 Abs. 1 ZPO tragen.

 

Unterschriften

Düwell, Reinecke, Schmitz-Scholemann, Fox, B. Lang

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 11.12.2001 durch Brüne, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 676230

FA 2002, 119

NZA 2002, 464

EzA-SD 2002, 17

EzA

NJOZ 2002, 939

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