Entscheidungsstichwort (Thema)

Einzel- oder kollektivvertragliche Altersgrenzenregelung. Rechtsfolge des SGB VI ÄndG

 

Leitsatz (amtlich)

  • Eine auf die Vollendung des 65. Lebensjahres bezogene Altersgrenzenvereinbarung, die gegen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 verstoßen hat, ist nach Inkrafttreten des SGB VI ÄndG wieder wirksam, wenn die betroffenen Arbeitnehmer nach dem 31. Juli 1994 das 65. Lebensjahr vollendet haben.
  • Eine Altersgrenzenregelung von 65 Lebensjahren ist mit Art. 12 GG vereinbar.
 

Normenkette

GG Art. 12 Abs. 1; SGB VI Änderungsgesetz Art. 2; SGB VI Änderungsgesetz Art. 3; BGB § 141

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 30.01.1996; Aktenzeichen 7 Sa 1902/95)

ArbG Bochum (Entscheidung vom 26.09.1995; Aktenzeichen 2 Ca 836/95)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Altersgrenzenregelung.

Die am 13. Mai 1930 geborene Klägerin war seit dem 15. Januar 1981 für die Beklagte in deren St. J… in B… zuletzt als Mitarbeiterin im Zentrallager beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung die “Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR-Caritas)” in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Nach § 19 Abs. 3 AVR endet das Arbeitsverhältnis ohne Kündigung mit Ende des Monats, in dem der Mitarbeiter das 65. Lebensjahr vollendet. Im Hinblick darauf lehnte es die Beklagte ab, die Klägerin über den 31. Mai 1995 hinaus weiter zu beschäftigen.

Die Klägerin hält die Altersgrenzenregelung wegen eines Verstoßes gegen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI in der bis zum 31. Juli 1994 geltenden Fassung für unwirksam. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer generellen Altersgrenze verletze ihre durch Artikel 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht mit Ablauf des 31.05.1995 beendet worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, sie für die Dauer des Feststellungsrechtsstreites weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin mit Ausnahme des Weiterbeschäftigungsanspruchs ihr ursprüngliches Klageziel. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist aufgrund wirksamer Vereinbarung über die Befristung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres mit dem Ablauf des 31. Mai 1995 beendet.

I. Die Revision der Klägerin ist zulässig. Ihr ist wegen Versäumens der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren (§§ 233, 234, 236 ZPO). Sie hat einen Sachverhalt vorgetragen, nach dem sie ohne ihr Verschulden gehindert war, die Notfrist des § 554 Abs. 2 ZPO einzuhalten. Nach ihrem unstreitigen und glaubhaft gemachten Vorbringen hat ihr Prozeßbevollmächtigter am letzten Tag der Frist um 21.34 Uhr mit der Übermittlung der Revisionsbegründung begonnen, indem er von einem ordnungsgemäß funktionierenden Sendegerät aus die ihm bekannte Fax-Nummer des Bundesarbeitsgerichts direkt angewählt hat. Obwohl die Leitung frei war, kam keine ordnungsgemäße Übermittlung zustande. Das rechtfertigt eine Wiedereinsetzung, weil der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin das seinerseits Erforderliche getan hat, eine rechtzeitige Übermittlung der Revisionsbegründung in die Wege zu leiten. Weitere Anstrengungen waren von ihm nicht zu verlangen (vgl. BVerfG Beschluß vom 1. August 1996 – 1 BvR 121/95 – AP Nr. 47 zu § 233 ZPO 1977).

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat am 31. Mai 1995 geendet.

1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die AVR-Caritas in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Das haben die Parteien in § 2 des Arbeitsvertrags vom 14. Mai 1985 vereinbart.

2. Die danach für das Arbeitsverhältnis der Parteien maßgebende Altersgrenzenregelung des § 19 Abs. 3 AVR, die auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abstellt, ist wirksam. Sie verstößt nicht gegen zwingendes höherrangiges Recht.

a) Eine aus der Verletzung des § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI in der bis zum 31. Juli 1994 geltenden Fassung des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 92) folgende Unwirksamkeit der Altersgrenzenregelung ist durch das am 1. August 1994 in kraft getretene Sozialgesetzbuch Änderungsgesetz (SGB VI ÄndG, BGBl. I, 1797) beseitigt worden.

Nach § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI in der bis zum 31. Juli 1994 geltenden Fassung des RRG 92 war eine Vereinbarung, wonach ein Arbeitsverhältnis zu einem Zeitpunkt enden soll, in dem der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Rente wegen Alters hat, nur wirksam, wenn die Vereinbarung innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt geschlossen oder von dem Arbeitnehmer bestätigt worden ist. Der Begriff der Vereinbarung erfaßt nach der Senatsrechtsprechung (BAG Urteil vom 20. Oktober 1993 – 7 AZR 135/93 – BAGE 74, 363 = AP Nr. 3 zu § 41 SGB VI; Urteil vom 1. Dezember 1993 – 7 AZR 428/93 – BAGE 75, 166 = AP Nr. 4 zu § 41 SGB VI) nicht nur einzelvertragliche Abreden sondern auch entsprechende kollektivrechtliche Regelungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen. Danach haben kollektivrechtliche Altersgrenzen generell gegen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 verstoßen; als einzelvertragliche Altersgrenzen waren sie nach dieser Vorschrift nur unter den dort genannten Voraussetzungen wirksam. Ob es sich bei der vorliegenden Altersgrenzenregelung um eine einzelvertragliche Vereinbarung handelt oder ob sie – wovon das Landesarbeitsgericht offenbar ausgeht – als kollektive Vereinbarung anzusehen ist, bedarf keiner Entscheidung. In beiden Fällen waren für die im Jahre 1985 getroffene Vereinbarung die Voraussetzungen nicht erfüllt, unter denen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 eine wirksame Altersgrenzenregelung zugelassen hat.

b) Die aus einem Verstoß gegen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 rührende Unwirksamkeitsfolge wurde durch das SGB VI ÄndG vom 26. Juli 1994 auf die Fälle beschränkt, in denen die Arbeitnehmer vor dem 1. August 1994 das 65. Lebensjahr vollendet haben. Für Arbeitnehmer, die – wie die Klägerin – erst nach Inkrafttreten des SGB VI ÄndG diese Altersgrenze erreichten, sind die bisher für sie geltenden einzel- oder kollektivrechtlichen Altersgrenzenvereinbarungen auch ohne Neuvornahme wirksam.

aa) Einzelvertragliche Altersgrenzen, die den Voraussetzungen des § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 nicht genügten, waren nach der Senatsrechtsprechung ebenso wie kollektivrechtliche Altersgrenzen aus der Zeit vor dem 1. August 1994 nichtig und konnten die Arbeitsverhältnisse derjenigen Arbeitnehmer, die nach Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 92 (1. Januar 1992) das 65. Lebensjahr vollendet hatten, nicht wirksam beenden (BAG Urteil vom 20. Oktober 1993, aaO, zu B III der Gründe). Diese Rechtslage hat durch Art. 1 des SGB VI ÄndG mit Wirkung zum 1. August 1994 (Art. 3 SGB VI ÄndG) eine wesentliche Änderung erfahren. Seitdem gilt eine Vereinbarung, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, in dem er vor Vollendung des 65. Lebensjahres eine Rente wegen Alters beantragen kann, dem Arbeitnehmer gegenüber auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abgeschlossen, es sei denn, die Vereinbarung wird innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen oder bestätigt (§ 41 Abs. 3 Satz 3 SGB VI n.F.). Damit hat der Gesetzgeber die Rechtslage vor Inkrafttreten des RRG 92 inhaltlich wieder hergestellt (vgl. Art. 6 § 5 Abs. 2 RRG 1972, BGBl. I, 1965). Eine dem § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 vergleichbare Regelung zum Schutz der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers, über die Dauer seiner Lebensarbeitszeit auch nach Vollendung des 65. Lebensjahres bestimmen zu können, enthält die Neufassung der Vorschrift nicht mehr.

bb) Die Unwirksamkeitsfolge des § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 für kollektive und einzelvertragliche Vereinbarungen hat das SGB VI ÄndG für diejenigen Fälle beseitigt, in denen der Arbeitnehmer nach Inkrafttreten der Neuregelung das 65. Lebensjahr vollendet hat. Das ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des SGB VI ÄndG, jedoch aus dem Textzusammenhang und der Gesetzessystematik.

cc) Nach der Übergangsvorschrift des Art. 2 SGB VI ÄndG endet das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, das wegen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 über das 65. Lebensjahr hinaus fortgesetzt worden ist, mit dem 30. November 1994. Der Anwendungsbereich der Übergangsvorschrift ist begrenzt und erfaßt nur diejenigen Arbeitsverhältnisse, die auf Altersgrenzenvereinbarungen beruhen, die wegen der Regelung des § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 unwirksam waren, daher nicht beendet worden sind und seitdem dauerhaft fortbestehen. Die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Übergangsnorm zur Vermeidung unbilliger Härten macht jedoch nur Sinn, wenn in den Arbeitsverhältnissen, in denen der Arbeitnehmer nach dem 1. August 1994 das 65. Lebensjahr vollendet, die vor Inkrafttreten des SGB VI ÄndG vereinbarten Altersgrenzenregelungen ohne Neuvornahme gelten (vgl. Fieberg, ZTR 1995, 291, 292 f.,a.A. Boecken, NZA 1995, 145, 147). Das bestätigen auch die Gesetzesmaterialien. Dort wird in der Einzelbegründung zu Art. 2 SGB VI ÄndG (BT-Drucks. 12/8040, S. 5) angeführt, daß die unter den Anwendungsbereich der Vorschrift fallenden Arbeitnehmer eine mindestens dreimonatige Frist erhalten, mit deren Ablauf die z.B. in einem Tarifvertrag vereinbarten “und künftig rechtswirksamen” Altersgrenzen das Arbeitsverhältnis beenden.

dd) Dieses Auslegungsergebnis ergibt sich auch aus den allgemeinen Übergangsvorschriften des SGB VI. Nach § 300 Abs. 1 SGB VI sind die Vorschriften des SGB VI zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf Sachverhalte und Ansprüche auch dann anzuwenden, wenn diese bereits vor diesem Zeitpunkt bestanden haben, soweit nicht in den folgenden Vorschriften etwas anderes bestimmt ist, § 300 Abs. 5 SGB VI (BAG Urteile vom 20. Oktober 1993 und vom 1. Dezember 1993, aaO, zu B III bzw. B IV der Gründe; vgl. Niesel, Kasseler Kommentar, § 41 SGB VI Rz 2). § 41 Abs. 4 Satz 3 n.F. ersetzt nach Art. 1 des SGB VI ÄndG die Vorschrift des § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92. Diese Regelung ist damit Teil des SGB VI geworden, für die auch die dort geltenden allgemeinen Übergangsvorschriften gelten, die eine abschließende Regelung darüber enthalten, ob und in welchem Umfang die Vorschriften des SGB VI einschließlich des § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI n.F. anzuwenden sind. § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI n.F. erfaßt damit auch Altersgrenzenregelungen in Einzel- oder Kollektivverträgen, die vor Inkrafttreten der Norm bestanden haben (Niesel, aaO, Rz 22; Baeck/Diller, NZA 1995, 360, 361). Wie ihre Vorgängernorm enthält § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI n.F. eine unechte Rückwirkung. Sie betrifft nur gegenwärtige, im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens noch nicht abgeschlossene Sachverhalte, die sie für die Zukunft regeln will (BAG Urteil vom 20. Oktober 1993, aaO, zu B III 2 der Gründe, m.w.N.). Sie gilt damit für Fälle, in denen der Arbeitnehmer erst nach dem 31. Juli 1994 die für ihn geltende Altersgrenze von 65 Jahren erreicht. Die Rückwirkung begrenzt die Nichtigkeitsfolge des früheren § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 zwingend auf die während seiner Geltungsdauer abgeschlossenen Sachverhalte. Die vor Inkrafttreten des SGB VI ÄndG vereinbarten Altersgrenzenregelungen bestehen damit auch ohne erneute Bestätigung (§ 141 BGB) über diesen Zeitpunkt hinaus fort und sind nunmehr an § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI n.F. zu messen.

3. Eine auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abstellende Altersgrenze hat keine unverhältnismäßige Beschränkung der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit des Arbeitnehmers zur Folge.

a) Art. 12 Abs. 1 GG garantiert u.a. die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Dabei geht es um die Entscheidung für eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit oder ein bestimmtes Arbeitsverhältnis. Geschützt wird der Entschluß des einzelnen, eine konkrete Tätigkeit in einem selbst gewählten Beruf zu ergreifen. Dazu zählt bei einem abhängig Beschäftigten die Wahl des Vertragspartners und der damit verbundene Zutritt zum Arbeitsmarkt. Die freie Wahl des Arbeitsplatzes schließt auch den Willen des einzelnen ein, eine von ihm gewählte Beschäftigung beizubehalten oder aufzugeben (BVerfGE 84, 133, 146). Das Grundrecht der Berufsfreiheit schützt gegen alle staatlichen Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit beschränken. Einen Schutz vor privatrechtlichen Dispositionen gewährt das Grundrecht nicht (vgl. BAG Urteil vom 11. Dezember 1991 – 7 AZR 431/90 – AP Nr. 141 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag).

b) Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Eintritt des Befristungstatbestandes beruht auf einer privatautonomen Regelung. Durch solche Regelungen beschränken sich die Vertragsparteien im Austausch mit der vereinbarten Gegenleistung wechselseitig in ihren beruflichen Handlungsfreiheiten. Sie bestimmen selbst, in welchem Umfang sie ihre gegenteiligen Interessen ausgleichen (BVerfGE 81, 242, 254). Privatautonomie besteht jedoch nur im Rahmen geltender Gesetze, die ihrerseits grundrechtsgebunden sind. Für den Bereich der Beendigung von Arbeitsverhältnissen aufgrund von Kündigungen treffen den Staat besondere Schutzpflichten. Ihnen hat der Gesetzgeber durch die geltenden Kündigungsschutzvorschriften hinreichend Rechnung getragen (BVerfGE 84, 133, 147). Sie schützen den Arbeitnehmer vor einer unverhältnismäßigen Beschränkung seiner Grundrechte und bewirken einen angemessenen Ausgleich der wechselseitigen Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien. Diese Aufgabe kommt bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen aufgrund einer Befristung oder einer auflösenden Bedingung der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle zu (vgl. Preis, FS Stahlhacke, S. 417, 425 f.). Sie hat davon auszugehen, daß die Befristung eines Arbeitsverhältnisses zwar nach § 620 BGB grundsätzlich möglich ist, dem Arbeitnehmer aber nicht den Schutz zwingender Kündigungsschutzbestimmungen nehmen darf. Daher bedarf jede Befristung eines sie rechtfertigenden sachlichen Grundes. Fehlt es daran, liegt eine objektiv funktionswidrige und deshalb objektiv mißbräuchliche Vertragsgestaltung vor, die die grundrechtlich geschützte Position des Arbeitnehmers im Übermaß beeinträchtigt. Andererseits gewährleistet das Vorliegen eines Sachgrunds einen angemessenen Ausgleich der wechselseitigen Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien (BAG Urteil vom 11. Dezember 1991, aaO, zu I 2b cc der Gründe).

c) Gemessen daran hält eine auf das 65. Lebensjahr abstellende Altersgrenzenvereinbarung auch unter Beachtung der dagegen im Schrifttum erhobenen Bedenken (Gitter/Boerner, RdA 1990, 129, 132; Henssler, DB 1993, 1669, 1673 f.; Joost, Anm. zu AP Nr. 2 zu § 620 BGB Altersgrenze; Stahlhacke, DB 1989, 2329, 2332; Steinmeyer, RdA 1992, 6, 11; Schlüter/Belling, NZA 1988, 297 f.; Waltermann, NZA 1994, 822 f.; ders. RdA 1993, 209 f.) einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand.

Mit dem Wunsch auf dauerhafte Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses über das 65. Lebensjahr hinaus verfolgt der Arbeitnehmer legitime wirtschaftliche und ideelle Anliegen. Das Arbeitsverhältnis sichert seine wirtschaftliche Existenzgrundlage und bietet ihm die Möglichkeit beruflicher Selbstverwirklichung. Diesen Interessen dient auch der durch das Kündigungsschutzgesetz gewährleistete Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses. In der Regel handelt es sich allerdings um ein Fortsetzungsverlangen eines mit Erreichen der Regelaltersgrenze wirtschaftlich abgesicherten Arbeitnehmers, der bereits ein langes Berufsleben hinter sich hat, und dessen Interesse an der Fortführung seiner beruflichen Tätigkeit aller Voraussicht nach nur noch für eine begrenzte Zeit besteht. Hinzu kommt, daß der Arbeitnehmer auch typischerweise von der Anwendung der Altersgrenzenregelungen durch seinen Arbeitgeber Vorteile hatte, weil dadurch auch seine Einstellungs- und Aufstiegschancen verbessert worden sind. Demgegenüber steht das Bedürfnis des Arbeitgebers nach einer sachgerechten und berechenbaren Personal- und Nachwuchsplanung. Dabei handelt es sich um ein eigenes Interesse des Arbeitgebers und nicht um ein sogenanntes Drittinteresse, das bei der Prüfung des Sachgrundes unberücksichtigt bleiben muß (BAG Urteil vom 3. Juli 1970 – 2 AZR 80/69 – AP Nr. 33 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; Urteil vom 14. Januar 1982 – 2 AZR 254/81 – BAGE 37, 305 = AP Nr. 65 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag). Bei der im Rahmen der Befristungskontrolle vorzunehmenden Abwägung der wechselseitigen berechtigten Bedürfnisse räumt das Bundesarbeitsgericht dem Interesse des Arbeitgebers an einer kalkulierbaren Personalplanung den Vorrang vor dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers jedenfalls dann ein, wenn der Arbeitnehmer durch den Bezug einer gesetzlichen Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres wirtschaftlich abgesichert ist (BAG Urteil vom 20. November 1987 – 2 AZR 284/86 – BAGE 57, 30 = AP Nr. 2 zu § 620 BGB Altersgrenze). Daran hält der Senat fest.

d) Die Behandlung der AVR-Caritas als Kollektivregelung hätte kein anderes Ergebnis zur Folge. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind die Tarifvertragsparteien an die Grundrechte gebunden. Ihren durch Art. 9 Abs. 3 GG eröffneten normativen Gestaltungsspielraum überschreiten sie, wenn die tariflichen Regelungen in unverhältnismäßiger Weise grundrechtlich geschützte Positionen der Tarifunterworfenen beschränken (BAG Urteil vom 25. Juli 1996 – 6 AZR 683/95 – AP Nr. 6 zu § 11 BAT, zu II 5 der Gründe, m.w.N.). Das bindet die Tarifvertragsparteien auch an die Grundsätze der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle, weil der gesetzliche Kündigungsschutz nicht zu ihrer Disposition steht. Diese Grenze wird in jedem Fall gewahrt, wenn tarifvertragliche Befristungsregelungen einen Sachgrund normieren, der den Kontrollmaßstäben von Einzelvertragsbefristungen genügt. Das ist bei einer auf das 65. Lebensjahr bezogenen Altersgrenze der Fall.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Zugleich für den durch Urlaub verhinderten Vorsitzenden Richter Dörner

Steckhan

Schmidt, Steckhan, Seiler, Dr. Koch

 

Fundstellen

Haufe-Index 441120

BAGE, 105

NJW 1998, 630

NWB 1997, 2126

FA 1998, 25

JR 1998, 132

JR 1998, 395

NZA 1997, 1290

RdA 1998, 58

SAE 1998, 174

MDR 1997, 1129

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