Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung. Verhältnis zur Abmahnung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Abmahnung des Arbeitnehmer wegen eines nicht vertragsgerechten Verhaltens durch den Arbeitgeber hat je nach ihrem Inhalt und ihrer Zielsetzung unterschiedliche Funktionen.

a. Sie kann mit dem Hinweis auf die Gefährdung von Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses bei künftigen gleichartigen Vertragsverletzungen der Vorbereitung einer Kündigung dienen (Warnfunktion).

b. Der Arbeitgeber kann die Abmahnung aber auch in Ausübung seines vertraglichen Rügerechts (auch ohne ausreichende Warnfunktion), dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechend, als gebotene mildere Sanktion gegenüber der Kündigung erteilen (Sanktionscharakter).

2. In beiden Fällen verzichtet der Arbeitgeber konkludent auf ein Kündigungsrecht wegen der Gründe, die Gegenstand der Abmahnung waren. Er kann eine spätere Kündigung deswegen nicht allein auf die abgemahnten Gründe stützen, sondern hierauf nur dann unterstützend zurückgreifen, wenn weitere kündigungsrechtlich erhebliche Umstände eintreten oder ihm nachträglich bekannt werden (Bestätigung des nicht veröffentlichten Senatsurteils vom 31. Juli 1986 - 2 AZR 559/85 -).

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 10.02.1988; Aktenzeichen 7 Sa 389/87)

ArbG Köln (Entscheidung vom 29.01.1987; Aktenzeichen 11 Ca 8991/86)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revision um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 4. November 1986. Es steht rechtskräftig fest, daß eine am gleichen Tag ausgesprochene außerordentliche Kündigung der Beklagten unwirksam ist. Mit einer noch beim Landesarbeitsgericht anhängigen Widerklage verlangt die Beklagte einen Teil der Kosten der Flugausbildung des Klägers zurück. In einem Verfahren – 11 Ca 2591/87 – Arbeitsgericht Köln, macht der Kläger Zahlungsansprüche geltend. Außerdem begehrt er in dem Rechtsstreit – 11/15 Ca 3398/87 – Arbeitsgericht Köln, Feststellung der Unwirksamkeit einer weiteren Kündigung der Beklagten vom 27. April 1987.

Die Beklagte betrieb auf dem Flughafen Köln/Bonn ein Luftfahrtunternehmen und eine Flugschule. Sie hat eine Genehmigung zur gewerbsmäßigen Beförderung von Personen und Sachen im nichtplanmäßigen Luftverkehr, und setzte seinerzeit acht kleine Flugzeuge ein, sie beschäftigte 26 Arbeitnehmer.

Der am 16. Februar 1943 geborene Kläger, verheiratet, einem Kind unterhaltspflichtig, war seit 1. April 1985 bei der Beklagten als Ausbildungsleiter, Flugbetriebsleiter und Pilot tätig. Sein Bruttomonatsgehalt betrug 5.500,– DM zusätzlich Spesen.

Im Mai 1986 verbot der Geschäftsführer B der Beklagten dem Kläger, auf Frachtflügen nach Kopenhagen unerlaubt Flugschüler als Passagiere mitzunehmen.

Seit September 1986 beförderte die Beklagte mit einer Cessna im Auftrag einer Firma E Transport Luftverkehrsgesellschaft mbH & Co. KG (im folgenden: EL-KG) Luftfracht der U Deutschland auf der Strecke Köln-Stuttgart-Rom in einem regelmäßigen Turnus. Die EL-KG charterte zu diesem Zweck für den jeweiligen Hin- und Rückflug insgesamt das Flugzeug der Beklagten einschließlich der aus Pilot und Copilot bestehenden Besatzung.

Ende September 1986 sowie am 4., 29. und 30. Oktober 1986 nahm der Kläger unerlaubt Passagiere auf Frachtflügen mit nach Rom. In den luftverkehrsrechtlich vorgeschriebenen Formularen (technisches Bordbuch, Besetzungs- und Ladekalkulation) war in diesen Fällen die Anzahl der Passagiere mit „Null” angegeben. An den jeweiligen Flughäfen wurden die Passagiere an der Paß- und Zollkontrolle vorbei durch die der Flugzeugbesatzung vorbehaltenen Ein- und Ausgänge mitgenommen und deshalb nicht kontrolliert.

Der Geschäftsführer B der Beklagten erfuhr erstmals am Freitag, dem 31. Oktober 1986, von der unerlaubten Mitnahme von Passagieren nach Rom und rief sofort den Kläger in Rom an. Über den Inhalt des Telefongespräches besteht zwischen den Parteien Streit. Nach dem Telefonat richtete die Beklagte an den Kläger unter seiner Heimatanschrift am 31. Oktober 1986 folgendes Einschreiben:

„Abmahnung

Sehr geehrter Herr H, mit Bedauern mußten wir heute feststellen, daß Sie ohne Genehmigung der FTG Geschäftsleitung im Wiederholungsfalle auf den Flügen CGN – STR – CIA einen Passagier mitgenommen haben.

Die U als Auftraggeber und zahlender Kunde mahnte uns heute letztmalig ab und wird ab sofort bei den geringsten Unzulässigkeiten aufgrund dieser Sachlage die Zusammenarbeit einstellen. Darüberhinaus wird sie uns für alle wirtschaftlichen und rechtlichen Verpflichtungen, die wir mit diesem Auftrag eingegangen sind, haftbar machen.

Da wir als Unternehmer zur Sicherung der Arbeitsplätze verpflichtet sind, werden wir Sie im Wiederholungsfalle auf dem Rechtsweg für den verursachten Schaden und dessen Folgen haftbar machen.

Hiermit untersage ich Ihnen letztmalig, für alle Flüge, die Sie als Kapitän selbst durchführen oder die Sie als Flugbetriebsleiter im Rahmen des Flugbetriebs zu verantworten haben, die Mitnahme irgendwelcher Passagiere und Mitarbeiter, wenn Ihnen hierfür nicht die Genehmigung der F Geschäftsleitung vorliegt.

Gerd Ballentin

Kopie für die Personalakte”

Das Schreiben ging dem Kläger am 3. November 1986 zu; an diesem Tag hatte der Kläger den nächsten Flug durchzuführen.

Am 5. November 1986 um 0.20 Uhr händigte die Beklagte dem Kläger ein Schreiben vom 4. November 1986 folgenden Wortlauts aus:

„Kündigung

Sehr geehrter Herr H, hiermit kündigen wir Ihnen fristlos und mit sofortiger Wirkung das zwischen Ihnen und der F GmbH & Co KG bestehende Arbeitsverhältnis und alle mit dem Arbeitsvertrag zusammenhängenden Rechte.

Wir begründen wie folgt:

  1. Vorsätzliche und unberechtigte Mitnahme von Passagieren bei mindestens 4 Frachtflügen für die United Parcel Service.
  2. Die damit verbundene Fälschung der Bordbücher, Flight-Logs und ATC Pläne.
  3. Umgehung der Zoll- und Passvorschriften.

Gleichzeitig erteilen wir mit Wirkung vom 05.11.1986 01:00 Uhr Hausverbot.”

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Er hat vorgetragen, die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil die Beklagte durch ihr Schreiben vom 31. Oktober 1986 die Angelegenheit endgültig durch eine Abmahnung bereinigt habe.

Die Kündigung sei aber auch nicht gerechtfertigt. Bei dem ersten Gespräch wegen der unerlaubten Mitnahme von Flugschülern im Mai 1986 habe die Beklagte ihm nur verboten, Flugschüler mitzunehmen. Hieraus könne nicht geschlossen werden, er habe keine Passagiere mitnehmen dürfen.

Das Telefongespräch am 31. Oktober 1986 sei zunächst zwischen seinem Copiloten und der Tochter des Mitgeschäftsführers der Beklagten Frau Ba geführt worden, er habe hierbei nur beiläufig mitbekommen, daß über Passagiere gesprochen worden sei. Er habe dann selbst mit Frau Ba gesprochen und sie davon unterrichtet, in vier Fällen Passagiere mitgenommen zu haben. Er habe erklärt, am 29. Oktober 1986 sei Frau P mitgeflogen, eine Mitarbeiterin der Beklagten, am 30. Oktober 1986 ein Herr L, und zwar mit ausdrücklicher Billigung der Beklagten. Er habe weiter gesagt, daß er Ende September und am 24. Oktober 1986 eine Bekannte mitgenommen habe, ohne deren Namen zu nennen. Für den Flug am 24. Oktober 1986 habe er mündlich die Genehmigung der Auftraggeberseite eingeholt. Frau Ba habe dann den Hörer dem Geschäftsführer B überreicht. Dieser habe ihn nur lautstark abgemahnt und schließlich erklärt, die Abmahnung werde ihm noch per Post ins Haus geschickt.

Demnach habe er nur im September 1986 unerlaubt einen Passagier befördert, was eine Kündigung nicht rechtfertigen könne. Die Falscheintragungen im technischen Bordbuch habe der Copilot vorgenommen. Hinsichtlich der Beladepläne sei es bei den zulässigen Toleranzwerten und den konkreten Beladeumständen nicht darauf angekommen, ob eine Person mehr oder weniger an Bord sei. Wenn auch die genehmigten Dauerflugpläne nur Frachtflüge vorgesehen hätten, so sei eine schriftliche Änderung dieser Pläne wegen der Mitnahme nur einer Person nicht notwendig. Er habe entsprechende Meldungen per Funk an die zuständigen Kontrollstellen gege ben. Soweit die Beklagte sich auf paß- und zollrechtliche Verstöße berufe, müsse sie zunächst einmal überprüfen, ob er sich nicht bei den Rückflügen mit seinen Passagieren bei den Behörden gemeldet habe.

Im übrigen habe die Beklagte ihn einmal veranlaßt, die gesetzliche Ruhezeit nicht einzuhalten, was sie sich im Rahmen einer Gesamtabwägung anrechnen lassen müsse.

Der Kläger hat, soweit im vorliegenden Revisionsverfahren erheblich, beantragt,

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 4. November 1986 nicht aufgelöst sei und fortbestehe,
  2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits über die Wirksamkeit der Kündigung tatsächlich weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.

Die Beklagte hat geltend gemacht, die am 4./5. November 1986 ausgesprochene fristlose Kündigung sei in jedem Falle in eine hilfsweise fristgemäße Kündigung umzudeuten, denn sie sei bei Ausspruch der Kündigung fest entschlossen gewesen, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum nächstmöglichen Termin zu beenden.

Der Kündigung stehe auch nicht ihr Schreiben vom 31. Oktober 1986 entgegen. Dieses könne nur aus dem Gesamtzusammenhang und dem vorangegangenen Telefonat zutreffend gedeutet werden. Wenn ein Flugzeug komplett gechartert werde, bestimme allein der Charterer, welche Personen oder Güter zu befördern seien. Ohne ausdrückliche Zustimmung des Charterers hätten daher Passagiere auf der Strecke Köln-Stuttgart-Rom nicht befördert werden dürfen. Eine solche Erlaubnis werde stets schriftlich erteilt bzw. nach telefonischer Erteilung schriftlich bestätigt. Hierüber sei der Kläger zu Beginn der Zusammenarbeit ausdrücklich hingewiesen worden.

Als der Kläger im Mai 1986 Flugschüler als Passagiere mitgenommen habe, sei ihm nochmals ausdrücklich verboten worden, Passagiere zu befördern, ihre Vorhaltungen hätten sich nicht nur auf Flugschüler bezogen.

Am 31. Oktober 1986 habe ihr Herr A von der EL-KG telefonisch mitgeteilt, der Kläger nehme auf den Frachtflügen nach Rom heimlich Passagiere mit, wann genau und wie oft dies geschehen sei, wisse man nicht. Wegen dieser unerlaubten Mitnahme der Passagiere habe ein Abbruch der Geschäftsbeziehungen zur EL-KG gedroht. Dies sei für sie existenzbedrohend gewesen, da dann eine mögliche Umsatzbuße von etwa 3 Mio. DM eingetreten wäre. Da der Kläger zu diesem Zeitpunkt in Rom gewesen sei und der nächste Flug am 3. November 1986 bevorgestanden habe, habe sie den Kläger sofort angerufen, damit er nicht auch beim Rückflug wieder Passagiere mitnehme. Sie habe den Kläger um nähere Auskunft zu den Vorfällen gebeten, dieser habe lediglich eingeräumt, am 30./31. Oktober 1986 einen Passagier mitgenommen zu haben. Im übrigen habe er jegliche Auskunft verweigert. Der Geschäftsführer B habe dem Kläger dann am Telefon gesagt, die Sache müsse weiter aufgeklärt werden, er erhalte die mündlich erteilten Rügen noch schriftlich. Über weitere Konsequenzen neben dem angekündigten Schreiben müsse dann noch gesprochen werden.

Am Montag, dem 3. November 1986, habe sich ihr Geschäftsführer B dann zur EL-KG nach Köln begeben, um die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe substantiell zu klären. Hier habe er erfahren, daß es sich um vier Fälle gehandelt habe, wobei nur die Namen der Passagiere L und P bekannt gewesen seien. In beiden Fällen habe eine Erlaubnis nicht vorgelegen, Herrn L habe sie auf eine entsprechende Anfrage lediglich mitgeteilt, vielleicht lasse sich irgendwann einmal ein Mitflug arrangieren. Nach der Rückkehr nach Frankfurt habe der Geschäftsführer dann auf seinem Schreibtisch einen Bericht und eine Aufstellung des Copiloten L vorgefunden. Mit Hilfe dieser Aufstellung habe sie dann erst erfahren, daß der Kläger in den Bordbüchern und Beladeplänen unzutreffende Angaben gemacht und daß er der Flugsicherung in keinem Falle eine Mitteilung habe zukommen lassen, wann er Passagiere an Bord gehabt habe. Aus den bei der Flugsicherung hinterlegten Dauerflugplänen habe sich ergeben, daß kein Passagier befördert werde. Schon im Interesse der Sicherheit der Passagiere und der bestmöglichen Hilfeleistungen bei Flugunfällen wäre die Flugsicherung über Änderungen zu unterrichten gewesen. Da auch die eigene Einsatzzentrale nicht unterrichtet worden sei, hätte man im Falle eines Unfalls das Vorhandensein von Passagieren verneinen müssen.

Der Angestellten P habe der Kläger vor ihrer Mitnahme vorgeschwindelt, die EL-KG habe ihren Mitflug genehmigt. Daß der Kläger sein Unrecht tun gekannt habe, ergebe sich schon daraus, daß Frau P sich habe versteckt halten müssen, als in Köln plötzlich Herr A von der EL-KG erschienen sei.

Indem der Kläger die Passagiere durch nicht kontrollierte Ein- und Ausgänge geschleust habe, hätten sich für sie erhebliche Schwierigkeiten bei den Behörden ergeben können, die sogar zum Entzug der Luftfahrterlaubnis hätten führen können.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, sowohl die fristlose als auch die fristgemäße Kündigung vom 4. November 1986 hätten das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst, außerdem hat es die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt und die Widerklage der Beklagten abgewiesen.

Das Landesarbeitsgericht hat durch Teil-Urteil das arbeitsgerichtliche Urteil teilweise dahingehend abgeändert, daß es die Berufung der Beklagten hinsichtlich der fristlosen Kündigung zurückgewiesen und die fristgemäße Kündigung für wirksam erklärt hat. Die Weiterbeschäftigungsklage hat es abgewiesen.

Mit der Revision begehrt der Kläger Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Dieses hat materielles Recht nicht zutreffend auf den von ihm festgestellten Sachverhalt angewandt. Seine Feststellungen erlauben dem Senat keine abschließende Entscheidung.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die vorsorgliche fristgemäße Kündigung sei wirksam. Die Beklagte habe auf dieses Recht nicht verzichtet, selbst wenn sie sich nicht – wie von ihr behauptet – weitere Konsequenzen ausdrücklich vorbehalten hätte, die Kündigung also allein auf einem Sinneswandel beruhe. Es sei niemandem verwehrt, sich nach Abgabe einer Erklärung eines Besseren zu besinnen, wenn die Besinnung nur richtig sei. In dem Schreiben vom 31. Oktober 1986 komme ein Verzichtswille der Beklagten nicht konkret zum Ausdruck, insbesondere lasse das von der Beklagten gebrauchte Wort „letztmalig” nicht erkennen, ob die Abmahnung die abschließende Reaktion habe sein sollen.

Eine Kündigung stehe zu einer Abmahnung, auch wenn sie aus demselben Grund erfolgt sei, nicht unbedingt in einem Widerspruch. Rechtsvorschriften, die insoweit an ein „Verbrauchen” des Kündigungsgrundes anknüpften, gebe es nicht.

Im vorliegenden Fall sei die Kündigung durch das Verhalten des Klägers, nämlich die unerlaubte Mitnahme von Passagieren und das damit in Zusammenhang stehende weitere Tun verursacht. Der Kläger hätte sich schon wegen des ausdrücklichen Verbotes im Mai 1986, keine Flugschüler mitzunehmen, an seine Pflichten halten müssen. Ebenso schwer wiege, daß er als verantwortlicher Flugbetriebsleiter auch vor unkorrekter Führung der vorgeschriebenen Urkunden nicht zurückgeschreckt sei, bzw. die Handlungsweise seines Copiloten geduldet habe. Die Interessen der Beklagten an einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses überwögen die Interessen des Klägers, denn durch die Pflichtverletzungen habe er das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Eignung als Pilot und Flugbetriebsleiter gravierend und irreparabel zerstört. Die Abmahnung stehe dem nicht entgegen, zumal es möglich sei, daß die Beklagte sich erst durch das Aufdecken der „Fälschungen” der Bedeutung des Verhaltens des Klägers voll bewußt geworden sei. Es habe auf der Hand gelegen, daß die Beklagte weitere Nachforschungen anstellen werde. Angesichts dieser Umstände sei es unerheblich, daß die Befürchtungen der Beklagten hinsichtlich einer Entziehung des Auftrages und möglicher Schwierigkeiten mit den Behörden anscheinend unberechtigt gewesen seien.

II.

Das Berufungsgericht hat das Schreiben der Beklagten vom 31. Oktober 1986 rechtlich unzutreffend gewürdigt. Seine bisherigen Feststellungen tragen seine Entscheidung nicht, da der Senat unter deren Zugrundelegung nicht abschließend entscheiden kann, ob im vorliegenden Fall eine Abmahnung entbehrlich war.

1. Das Landesarbeitsgericht hat die ausdrücklich erklärte fristlose Kündigung zu Recht in eine ordentliche Kündigung umgedeutet. Die Umdeutung ist nicht von Amts wegen erfolgt. Die Beklagte hatte vielmehr ausdrücklich vorgetragen, die Kündigung sei auch unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen, da sie sich in jedem Falle vom Kläger habe trennen wollen (vgl. BAGE 27, 262 = AP Nr. 10 zu § 626 BGB Druckkündigung und BAG Urteil vom 14. August 1974 - 5 AZR 497/73 - AP Nr. 3 zu § 13 KSchG 1969).

2. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Arbeitgeber sei nicht gehindert, aus dem gleichen einer Abmahnung zugrundeliegenden Sachverhalt später zu kündigen, wenn er sich keine weiteren Konsequenzen vorbehalten habe, entspricht nicht der Rechtslage. Sie berücksichtigt weder die sich aus der Abmahnung ergebenden Folgen hinsichtlich der Warnfunktion noch bezüglich des Sanktionscharakters.

a) Im individualrechtlichen Bereich kann der Arbeitgeber mit der Abmahnung die Voraussetzung für eine eventuelle spätere Kündigung schaffen wollen, indem er für die Zukunft vertragsgerechtes Verhalten fordert und für den Fall weiterer Vertragsverletzungen individualrechtliche Konsequenzen in Aussicht stellt (Warnfunktion) (BAG Urteile vom 30. Januar 1979 - 1 AZR 342/76 - AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße; 18. Januar 1980 - 7 AZR 75/78 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; BAGE 50, 362 = AP Nr. 96 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; Hunold, BB 1986, 2050; KR-Wolf, 3. Aufl., Grunds. Rz 218; Stahlhacke, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 4. Aufl., Rz 6; KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 626 BGB Rz 190: Doppelfunktion der Abmahnung). Durch das Erfordernis einer vergeblich gebliebenen Abmahnung vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung, insbesondere bei Störungen im Leistungsbereich, soll der mögliche Einwand des Arbeitnehmers ausgeräumt werden, er habe die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht gekannt oder jedenfalls nicht damit rechnen müssen, der Arbeitgeber sehe dieses Verhalten als so schwerwiegend an, daß er zu kündigungsrechtlichen Konsequenzen greifen werde (BAG Urteil vom 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 5 der Gründe; KR-Becker, 3. Aufl., § 1 KSchG Rz 234; Stahlhacke, aa0, Rz 334). Die Warnfunktion ist damit unabdingbare Voraussetzung einer Abmahnung (BAG Urteil vom 18. November 1986, aaO).

b) Hiervon zu unterscheiden ist die Wahrnehmung des dem Arbeitgeber zustehenden vertraglichen Rügerechts, mit dem ausdrücklich nur eine Gläubigerfunktion geltend gemacht werden soll (vgl. BAG Urteil vom 6. August 1981 - 6 AZR 1086/79 - AP Nr. 40 zu § 37 BetrVG 1972). Insoweit, als Vertragsrüge, dient die Abmahnung – auch ohne Androhung möglicher Konsequenzen – nicht vornehmlich der Vorbereitung einer Kündigung, sondern sie ist eine Sanktion auf ein vertragswidriges Verhalten. In der Entscheidung vom 30. Januar 1979 (aa0) wird insoweit ausgeführt, die Kündigung sei die stärkste individualrechtliche Maßnahme, die Abmahnung demgegenüber das mildere Mittel. Insofern geht die Abmahnung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Kündigung vor, da die Kündigung nur erforderlich ist, wenn andere Mittel nicht mehr ausreichen (BAG Urteil vom 18. Januar 1980 - 7 AZR 75/78 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; KR-Wolf, aaO, Rz 219; Stahlhacke, aaO, Rz 8; Hunold, aaO, S. 2052; Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 1 Rz 89, 90; KR-Hillebrecht, aa0).

c) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bei Störungen im Leistungsbereich regelmäßig vor Ausspruch einer Kündigung eine vergebliche Abmahnung mit ausreichender Warnfunktion erforderlich (BAG Urteile vom 18. Januar 1980, aa0; 9. August 1984 - 2 AZR 400/83 - AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu III 1 a der Gründe; BAGE 46, 163, 170 = AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969), was insbes. auch für verhaltensbedingte Gründe mit Auswirkungen im Leistungsbereich gilt (BAG Urteil vom 9. August 1984, aa0; KR-Hillebrecht, aa0, § 626 BGB Rz 109; Stahlhacke, aa0, Rz 8). Auch bei einem Fehlverhalten im Vertrauensbereich bedarf es dann einer vorherigen erfolglosen Abmahnung, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (BAG Urteil vom 30. Juni 1983 - 2 AZR 524/81 - AP Nr. 15 zu Art. 140 GG, zu IV 1 der Gründe).

d) Mahnt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen eines bestimmten Verhaltens ab, so schließt dies eine spätere Kündigung, die auf den gleichen, dem Arbeitgeber bereits zum Zeitpunkt der Erteilung der Abmahnung bekannten Sachverhalt gestützt wird, aus und zwar unabhängig davon, ob sie als Sanktion gedacht war oder hierdurch die Warnfunktion erfüllt werden sollte. Soweit das Berufungsgericht seine gegenteilige Auffassung darauf gestützt hat, das Wort „letztmalig” im Schreiben vom 30. Oktober 1986 beziehe sich nur auf die Abmahnung – die Untersagung –, lasse jedoch weitere Sanktionen offen, ist dies revisionsrechtlich nicht haltbar. Willenserklärungen sind auch im Hinblick auf den Empfängerhorizont auszulegen. Wer aber – letztmalig – abgemahnt wird, faßt das nach üblichem Sprachgebrauch nicht so auf, die Letztmaligkeit ergebe sich aus der kurz darauf nachfolgenden, auf den gleichen Grund gestützten und zu erwartenden Kündigung, sondern weil er annimmt, bei einem nochmaligen Verstoß würden andere Sanktionen folgen.

aa) Der Kündigungsberechtigte kann sowohl bei der ordentlichen wie bei der außerordentlichen Kündigung auf ein auf bestimmte Gründe gestütztes und konkret bestehendes Kündigungsrecht verzichten (KR-Wolff, aaO, Grunds. Rz 343 ff.; KR-Hillebrecht, aaO, § 626 BGB Rz 38, 39; Staudinger/Neumann, BGB, 12. Aufl., § 626 Rz 64). Der Verzicht auf ein entstandenes Kündigungsrecht ist ausdrücklich oder konkludent durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung des Kündigungsberechtigten möglich. Vor Ablauf der Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist ein Verzicht nur dann anzunehmen, wenn der Kündigungsberechtigte eindeutig seine Bereitschaft zu erkennen gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen (Staudinger/Neumann, aaO; KR-Hillebrecht, aaO, § 626 BGB Rz 39). Das ist hinsichtlich des Rechts zur außerordentlichen Kündigung z.B. dann anzunehmen, wenn der Kündigungsberechtigte vor Ablauf der Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB eine ordentliche Kündigung ausspricht (Staudinger/Neumann, aaO; KR-Hillebrecht, aaO; einschränkend: MünchKomm-Schwerdtner, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 53, 54). Dagegen erlischt das Kündigungsrecht durch konkludenten Verzicht insgesamt, wenn der Kündigungsberechtigte wegen des ihm bekannten Kündigungssachverhalts eine Ermahnung oder Abmahnung ausspricht, sofern sich die für die Kündigung maßgebenden Umstände später nicht noch ändern (so ausdrücklich schon BAG Urteil vom 31. Juli 1986 - 2 AZR 559/85 -, zu II 2 a der Gründe, n. v.; Staudinger/Neumann, MünchKomm-Schwerdtner und KR-Hillebrecht, jeweils aaO).

bb) Der Arbeitgeber gibt durch eine Abmahnung außerdem kund, er sehe das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört an, daß ihm eine weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer nicht mehr möglich sei. Nach § 1 KSchG ist eine Kündigung nur dann gerechtfertigt, wenn Gründe vorliegen, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen, was nach herrschender Auffassung bei allen Kündigungsgründen festzustellen ist (vgl. BAG Urteil vom 5. August 1976 - 3 AZR 110/75 - AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu II 3 b der Gründe: hier wird wegen der Frage der Weiterbeschäftigung auf das Urteil des BAG vom 22. November 1973 - 2 AZR 543/72 - AP Nr. 22 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung verwiesen; BAGE 47, 26 = AP Nr. 8 zu § 2 KSchG 1969; Herschel, Festschrift Schnorr von Carolsfeld, S. 170; Herschel/Löwisch, aaO, § 1 Rz 138).

Damit ist die negative Prognose Voraussetzung für die einseitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch eine Kündigung, die eines rechtfertigenden Grundes bedarf (vgl. Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 332; Herschel, Festschrift, aaO, S. 202). Die negative Prognose kann der Arbeitgeber nur mit dem Vortrag begründen, in Zukunft sei mit weiteren Störungen zu rechnen. Regelmäßig liegen diese Voraussetzungen nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer nach einer vorangegangenen Abmahnung sein beanstandetes Verhalten weiter fortsetzt. Andererseits zeigt ein Arbeitgeber, der abmahnt, daß ihm eine abschließende negative Prognose noch nicht möglich ist. Hat er das aber selbst durch eine Abmahnung zu erkennen gegeben, dann kann er eine spätere negative Prognose nur durch neue Tatsachen belegen, und zwar auch durch solche, die bei der Abmahnung zwar schon vorlagen, ihm aber noch nicht bekannt waren. Die Abmahnung führt demgemäß nur hinsichtlich der zum Zeitpunkt ihrer Erteilung vorliegenden und bekannten Gründe zum Verzicht auf das Kündigungsrecht. Treten weitere Gründe hinzu oder werden sie erst nach der Abmahnung bekannt, dann kann zur Begründung der Kündigung auch unterstützend auf die abgemahnten Gründe zurückgegriffen werden, sofern und soweit sie auch ohne Abmahnung oder aufgrund einer früheren Abmahnung, die die Warnfunktion erfüllt, erheblich sind.

3. Bei Anwendung dieser Grundsätze bedarf es einer weiteren Aufklärung, ob und inwieweit der Sachverhalt, der die Beklagte zur Kündigung veranlaßt hat, über die Gründe hinausgeht, die Gegenstand der Abmahnung vom 31. Oktober 1986 waren.

a) Nach dem Vorbringen der Beklagten ging sie zum Zeitpunkt dieser Abmahnung davon aus, der Kläger habe am 30./31. Oktober 1986 e i n e n Passagier mitgenommen, denn sie behauptet, der Kläger habe nur dies eingeräumt und im übrigen jegliche Auskunft verweigert. Feststellungen dazu, in welchem Umfang die Beklagte Kenntnis von den unrichtigen Eintragungen im Bordbuch hatte, hat das Berufungsgericht ebenfalls nicht getroffen. Es hat insoweit lediglich ausgeführt, es „wiege schwer”, daß der Kläger als verantwortlicher Flugbetriebsleiter auch vor unkorrekter Führung der vorgeschriebenen Urkunden nicht zurückgeschreckt sei, bzw. die Handlungsweise seines Copiloten geduldet habe. Es ist daher unklar, ob der Kläger selbst Falscheintragungen vorgenommen hat, ob er seinen Copiloten zu falschen Eintragungen angestiftet, ob er in vorheriger Kenntnis beabsichtigten Tuns des Copiloten dieses gebilligt hat oder ob er erst nachträglich von den Vorgängen erfahren und diese nur stillschweigend hingenommen hat.

b) Hat die Beklagte erst nach Erteilung der Abmahnung erfahren, daß der Kläger nicht nur einen, sondern mehrere Passagiere mitgenommen hatte, und daß die technischen Bordbücher unrichtig geführt waren, so rechtfertigt dieser erweiterte Sachverhalt noch nicht ohne weiteres eine Kündigung, denn es handelt sich dann um Vorfälle, die zeitlich vor Erteilung der Abmahnung liegen, die insoweit eine Warnfunktion noch nicht erfüllen konnte. Hierbei kommt nach der Würdigung des Landesarbeitsgerichts der Unterredung zwischen der Beklagten und dem Kläger vom Mai 1986 keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Das Berufungsgericht ist insoweit zutreffend davon ausgegangen, dem Vortrag der Beklagten sei nicht zu entnehmen, daß sie den Kläger in kündigungsrechtlicher Hinsicht damals gewarnt habe; dem Kläger habe offenbar nur der genaue Inhalt seiner Leistungspflicht klargemacht werden sollen. Das gilt auch dann, wenn weiter der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegung des Landesarbeitsgerichts gefolgt wird, der Hinweis auf Flugschüler habe Passagiere allgemein betroffen.

c) Stellt das Landesarbeitsgericht einen gegenüber dem zum Zeitpunkt der Abmahnung der Beklagten bekannten, erweiterten Sachverhalt fest, so sind diese neuen Tatsachen als Kündigungsgrund allerdings dann verwertbar, wenn durch die Kenntnis von der unrichtigen Führung der Bordbücher das Vertrauen der Beklagten zum Kläger nachhaltig gestört worden ist. Auf eine insoweit unstreitig nicht erteilte Abmahnung käme es dann nicht an, wenn dem Kläger aufgrund der Schwere seines Tuns erkenntlich sein mußte, die Beklagte werde ein solches Verhalten nicht hinnehmen. Die Würdigung in dieser Hinsicht hängt von der genauen Tatbeteiligung des Klägers ab, die, wie unter 3 a) ausgeführt, nicht hinreichend festgestellt ist und ebenfalls weiterer Aufklärung bedarf.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Triebfürst, Ascheid, Roeder, Mauer

 

Fundstellen

Haufe-Index 60147

BB 1989, 1483-1484 (LT1-2)

DB 1989, 1427-1428 (LT1-2)

NJW 1989, 2493

NJW 1989, 2493-2495 (LT1-2)

SteuerBriefe 1989, 304-304 (K)

EBE/BAG 1989, 98-101 (LT1-2)

BetrVG, (4) (LT1-2)

DRsp, VI (604) 180 (T)

ASP 1988, 429 (K)

ASP 1989, 265 (K)

EWiR 1989, 801 (S1)

Gewerkschafter 1989, Nr 8, 38-38 (T)

JR 1990, 44

JR 1990, 44 (S)

NZA 1989, 633-635 (LT1-2)

RdA 1989, 195

RzK, I 1 46 (LT1-2)

ZAP, EN-Nr 194/89 (S)

ZIP 1989, 1005

ZIP 1989, 1005-1008 (LT1-2)

AP, Abmahnung (LT1-2)

EzA, Abmahnung Nr 18 (LT1-2)

EzBAT, Verhaltensbedingte Kündigung Nr 19 (LT1-2)

VR 1989, 420 (K)

br 1989, 120 (L1-2)

br 1989, 163-165 (ST1-2)

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