Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Arbeiterkündigungsfristen

 

Leitsatz (redaktionell)

Hinweise des Senats:

Verlängerte Kündigungsfrist für Arbeiter nach achtähriger Betriebszugehörigkeit (Anschluß an BAG Urteil vom 29. August 1991 – 2 AZR 220/91 (A) – AP Nr. 32 zu § 622 BGB)

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; BGB § 622 Abs. 2; KündFG Art. 2, 7; BRTV-Bau § 12 Ziff. 1.2

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 26.06.1986; Aktenzeichen 10 Sa 133/86)

ArbG Münster (Urteil vom 07.11.1985; Aktenzeichen 2 Ca 96/85)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 26. Juni 1986 – 10 Sa 133/86 – aufgehoben, soweit es die Beklagte zu 1) betrifft.

2. Unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Münster vom 7. November 1985 – 2 Ca 96/85 – wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung seitens der Beklagten zu 1) vom 27. Dezember 1984 zum 31. März 1985 beendet wurde.

3. Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

4. Von den Kosten erster Instanz tragen der Kläger 5/6 und die Beklagte zu 1) 1/6; die Kosten der Berufungs- und der Revisionsinstanz tragen die Parteien je zur Hälfte.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der am 2. Juni 1929 geborene Kläger war seit dem 1. Juli 1976 bei der Beklagten zuletzt als Maurer mit einem Stundenlohn von 15,42 DM brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 3. Februar 1981 (BRTV-Bau) in den Fassungen vom 10. Mai 1983, 20. Oktober 1983 und 26. September 1984 Anwendung. In allen Fassungen des BRTV-Bau wird in § 12 Ziffer 1.2 die verlängerte Kündigungsfrist für ältere Arbeiter mit längerer Betriebszugehörigkeit wie folgt geregelt:

„Hat das Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen fünf Jahre bestanden, so erhöht sich die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber auf einen Monat zum Monatsende, hat es zehn Jahre bestanden, so erhöht sich die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber auf 2 Monate zum Monatsende, hat es 20 Jahre bestanden, so erhöht sich die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber auf 3 Monate zum Ende eines Kalendervierteljahres.

Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor Vollendung des 35. Lebensjahres liegen, nicht berücksichtigt.

Zeiten unterbrochener Betriebszugehörigkeit werden zusammengerechnet, wenn die Unterbrechung nicht vom Arbeitnehmer veranlaßt wurde und wenn sie nicht länger als sechs Monate gedauert hat.”

Mit Schreiben vom 27. Dezember 1984, dem Kläger zugegangen am 28. Dezember 1984, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis wegen fehlender Einsatzmöglichkeit zum 31. Januar 1985. Der Kläger hat hiergegen Kündigungsschutzklage erhoben und Weiterbeschäftigung „zu unveränderten Arbeitsbedingungen” verlangt. Er hat ursprünglich geltend gemacht, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt; zumindest sei das Arbeitsverhältnis frühestens zum 30. April 1985 beendet worden. Noch in der ersten Instanz hat der Kläger seine Klage auf die Firma O S Hoch-, Tief- und Stahlbetonbau, die frühere Beklagte zu 2), erweitert. Das Arbeitsgericht hat die Klage gegen beide Beklagten abgewiesen. Hinsichtlich der jetzigen Beklagten, der früheren Beklagten zu 1), hat es ausgeführt, die Kündigung sei betriebsbedingt, weil bei der Beklagten seit Dezember 1984 keine Maurerarbeiten mehr angefallen seien. Der Auffassung des Klägers, die Kündigungsfrist richte sich nach dem Angestelltenkündigungsschutzgesetz, könne nicht gefolgt werden. Mit der Berufung hat der Kläger seine Klage nur noch gegen die jetzige Beklagte weiterverfolgt, und zwar mit dem eingeschränkten Antrag auf Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 27. Dezember 1984 nicht zum 31. Januar 1985, sondern erst zum 30. Juni 1985 beendet worden sei. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Aufhebung des zweitinstanzlichen Urteils hinsichtlich des Kündigungstermins.

Er vertritt die Auffassung, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung nicht zum 31. Januar 1985, sondern erst zum 30. Juni 1985 beendet worden, weil § 2 Abs. 1 Satz 2 AngKSchG analog anzuwenden sei. Die tarifliche Kündigungsregelung finde keine Anwendung, weil sie ebenso wie die Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz BGB im Verhältnis zu der für Angestellte geltenden Regelung eine unzulässige Ungleichbehandlung enthalte, die gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße.

Er beantragt,

das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 26. Juni 1986 – 10 Sa 133/86 – insoweit aufzuheben, als es die Beklagte zu 1) betrifft und unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Münster vom 7. November 1985 – 2 Ca 96/85 – festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten zu 1) vom 27. Dezember 1984 nicht zum 31. Januar 1985, sondern erst zum 30. Juni 1985 beendet worden ist.

Die Beklagte hat mit ihrem Klageabweisungsantrag geltend gemacht, die tarifliche Regelung sei nicht verfassungswidrig, weil den autonomen Tarifvertragsparteien mindestens die Gestaltungsfreiheit einzuräumen sei, die das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber belassen habe. § 12 Ziffer 1.2 BRTV-Bau enthalte auch nach seinem Wortlaut eine eigenständige tarifliche Regelung, nämlich ein System sich verdoppelnder Kündigungsfristen. Aus dem Vergleich mit anderen Tarifnormen des Baugewerbe ergebe sich, daß die Tarifparteien den Willen zu einer eigenständigen Regelung der verlängerten Kündigungsfristen gehabt hätten; so sei in § 11 Ziffer 1.1 RTV-Angestellte und in § 12 Ziffer 1.1 RTV-Poliere und Schachtmeister nur auf die gesetzliche Kündigungsfrist verwiesen worden.

Darüber hinaus führe die ungleiche Behandlung bei den verlängerten Kündigungsfristen nicht zu einer Benachteiligung der Arbeiter des Baugewerbes. In der Zeit vom 1. November bis zum 31. Januar eines jeden Jahres sei es gem. § 4 Nr. 5.4 BRTV-Bau verboten, aus witterungsbedingten Gründen zu kündigen. Der Lohnausgleichstarifvertrag enthielte zudem einen faktischen Kündigungsausschluß für die Zeit vom 24. Dezember bis zum 1. Januar eines jeden Jahres, sowie Übergangshilfen in den Fällen der Arbeitslosigkeit. Die kurzen Kündigungsfristen für Arbeiter beeinträchtigten deren Urlaubsansprüche nicht. Gem. § 8 Ziffer 4.5 BRTV-Bau seien Urlaubsansprüche allein abhängig von den Beschäftigungstagen im Baugewerbe, so daß ein Wechsel des Arbeitsverhältnisses die Urlaubsansprüche nicht berühre. Desweiteren würden tarifliche Sozialleistungen, wie zusätzliche Altershilfen und Ergänzungsbeihilfen, nur an die Beschäftigungszeiten im Baugewerbe anknüpfen, nicht jedoch an die Dauer eines einzelnen Arbeitsverhältnisses. Darüber hinaus entspreche die Unterteilung der Arbeitnehmer im Baugewerbe in Arbeiter und Angestellte dem traditionellen Vorstellungsbild, weil alle Arbeiter des Baugewerbes in der Produktion tätig seien. Im Baugewerbe bestünde ein Bedürfnis an einer flexiblen Personalplanung, weil die Produktionstätigkeit im besonderen Maße witterungsbedingten Einflüssen unterworfen sei, die sowohl den Auftragsbestand als auch die Ausführung der Aufträge beeinflußten.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat durch Beschluß vom 28. Januar 1988 – 2 AZR 296/87 – (AP Nr. 24 zu § 622 BGB) den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in den Normenkontrollverfahren über die Verfassungsmäßigkeit des § 622 Abs. 2 BGB ausgesetzt. Das nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990 (BVerfGE 82, 126 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB) auf Antrag des Klägers fortgesetzte Verfahren ist durch Beschluß des Senats vom 21. März 1991 (BAGE 67, 357 = AP Nr. 30, aaO) bis zur gesetzlichen Neuregelung des § 622 Abs. 2 BGB, jedoch längstens bis zum 30. Juni 1993 erneut ausgesetzt worden. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (KündFG – BGBl I 1993 S. 1668 –) am 15. Oktober 1993 hat der Kläger die Fortsetzung des Rechtsstreits beantragt. Der Senat hat Auskünfte der Tarifpartner des BRTV-Bau eingeholt, ob mit Rücksicht auf die gesetzliche Neuregelung Verhandlungen über die tariflichen Kündigungsfristen aufgenommen worden sind.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Sie führt zur Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien in Anwendung der neuen Kündigungsfristenregelung im KündFG aufgrund der Kündigung vom 27. Dezember 1984 erst mit dem 31. März 1985 beendet wurde. Die weitergehende Klage ist von den Vorinstanzen zu Recht abgewiesen worden.

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die Kündigung der Beklagten zum 31. Januar 1985 beendet worden, weil die tariflichen Kündigungsfristen des § 12 Ziffer 1.2 BRTV-Bau Anwendung fänden. Diese Vorschrift sei verfassungsgemäß, weil die tarifliche Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten im Baugewerbe sachlich gerechtfertigt sei. Die Arbeit im Baugewerbe werde durch eine hohe Fluktuation der Arbeitnehmer bestimmt. Der Arbeitsbereich der Arbeiter im Baugewerbe werde weniger durch den Tätigkeitsbereich ihres Arbeitgebers bestimmt, sondern überwiegend von ihrem Wohnort. In dessen Nähe suchten sie Arbeit auf wechselnden Baustellen bei unterschiedlichen Arbeitgebern. Darüber hinaus erforderten die wirtschaftlichen Bedingungen des Baugewerbes auch auf der Seite des Arbeitgebers kurze Kündigungsfristen.

II. Dem vermag der Senat nicht zuzustimmen, und zwar schon deshalb nicht, weil das Landesarbeitsgericht jedenfalls bei Annahme branchenspezifischer Besonderheiten nicht danach unterscheidet, ob die Tarifpartner mit § 12 Ziff. 1.2 BRTV-Bau überhaupt eine eigenständige, nicht nur auf den (verfassungswidrigen) § 622 Abs. 2 BGB a. F. verweisende Regelung getroffen haben.

Der Senat hat bereits im Aussetzungsbeschluß vom 21. März 1991 – 2 AZR 296/87 (B) – (BAGE 67, 357 = AP Nr. 30, aaO) unter Bezugnahme auf den früheren Beschluß vom 28. Januar 1988 (AP Nr. 24 zu § 622 BGB, zu 2 c der Gründe) näher begründet, § 12 Ziff. 1.2 BRTV-Bau enthalte jedenfalls in der bis zum 30. Juni 1985 geltenden Fassung keine eigenständige tarifliche Regelung der verlängerten Kündigungsfristen im Baugewerbe, sondern nur eine deklaratorische Verweisung auf § 622 Abs. 2 BGB a. F. Soweit die Beklagte u. a. unter Hinweis auf die anders lautenden Regelungen in § 11 Ziff. 1.1 RTV-Angestellte und in § 12 Ziff. 1.1 RTV-Poliere und Schachtmeister die Auffassung des Senats in Zweifel zieht, mag in der Tat die historische Entwicklung des § 12 Ziff. 1.2 BRTV-Bau auch Anhaltspunkte für eine konstitutive Regelungsabsicht der Tarifpartner ergeben. Auf derartige Umstände weist im übrigen eine der von den Tarifpartnern eingeholten Auskünfte hin, nämlich die des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes vom 21. Februar 1994. Der Senat hat auch im Urteil vom 2. April 1992 (– 2 AZR 516/91 – AP Nr. 38 zu § 622 BGB) hinsichtlich der Grundkündigungsfrist des § 12 Ziff. 1.1 BRTV-Bau die Eigenständigkeit dieser Kündigungsfristenregelung ebenso anerkannt wie ein sachlich gerechtfertigtes Bedürfnis aufgrund eines funktions- und branchenspezifischen Interesses an einer wesentlich kürzeren Grundkündigungsfrist für Arbeiter als für Angestellte. Dasselbe kann aber nicht ohne weiteres auch für die verlängerten Kündigungsfristen gelten.

Für die Bestimmung, ob eine konstitutive oder nur deklaratorische Klausel vorliegt, ist nach den von der Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen zur Tarifauslegung (BAG Urteil vom 30. September 1971 – 5 AZR 123/71 – AP Nr. 121 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Urteil vom 31. Oktober 1990 – 4 AZR 114/90 – BAGE 66, 177 = AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge: Presse und vom 28. Februar 1990 – 2 AZR 426/89 – BAGE 64, 209, 215 = AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit, zu II 1 a der Gründe) in erster Linie vom Tarifwortlaut unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Tarifnorm auszugehen und erst bei Zweifeln kann auf die Entstehungsgeschichte zurückgegriffen werden. Der Senat hat bisher mit guten Gründen – ausgehend vom Wortlaut – die Auffassung vertreten, § 12 Ziff. 1.2 BRTV-Bau wiederhole hinsichtlich der verlängerten Kündigungsfristen nur den Gesetzestext; die Tarifklausel entspreche zwar nicht wörtlich, aber im wesentlichen sachlichen Kernbereich dem § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F., von dem diese Tarifnorm nur in zwei Punkten sachlich abweiche. Die beiden Abweichungen vom Gesetzeswortlaut dienten jedoch nur der Information über die geltende Rechtslage in ihrer Ausprägung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung. Die Beschränkung der verlängerten Kündigungsfristen auf die arbeitgeberseitigen Kündigungen sowie die Regelung der Auswirkung von Unterbrechungen der Betriebszugehörigkeit stellten lediglich eine Wiedergabe der Rechtsprechung des BAG (BAGE 24, 50; 28, 176 und 28, 252 = AP Nr. 11 zu § 622 BGB; 1 und 2 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit; BAG Urteil vom 18. Januar 1979 – 2 AZR 254/77 – AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit) dar. Den Tarifvertragsparteien sei es bei der Aufnahme dieser Verweisung allein darum gegangen, die Rechtslage hinsichtlich der Kündigungsfristen vollständig darzustellen. Die Wiedergabe der verlängerten gesetzlichen Kündigungsfristen sei im Interesse der Klarheit und Übersichtlichkeit erfolgt, um die Tarifgebundenen umfassend über die zu beachtenden Rechtsvorschriften zu informieren (BAG Beschluß vom 28. Januar 1988 – 2 AZR 296/87 – AP Nr. 24 zu § 622 BGB; Urteile vom 4. Oktober 1990 – 2 AZR 699/85 – und – 2 AZR 700/85 – nicht veröffentlicht).

Es kann nach Auffassung des Senats dahingestellt bleiben, ob an dieser Auffassung weiter festzuhalten ist, weil – gleichgültig, ob man die Klausel des § 12 Ziff. 1.2 BRTV-Bau als deklaratorisch oder konstitutiv ansieht – im vorliegenden Fall einer Kündigung nach mehr als 8 Jahren Betriebszugehörigkeit (abgeleistet nach dem 25. Lebensjahr) nach beiden Varianten dasselbe Ergebnis, nämlich die Frist von 3 Monaten zum Monatsende des § 622 Abs. 2 BGB n. F. gilt.

1. Enthält § 12 Ziff. 1.2 BRTV-Bau keine eigenständige Regelung der Grundkündigungsfrist für die gewerblichen Arbeitnehmer, sondern verweist nur deklaratorisch auf die gesetzliche Regelung, so bestimmt sich die Kündigungsfrist für die streitige Kündigung nunmehr nach dem Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (KündFG) vom 7. Oktober 1993 (BGBl I, S. 1668). Rechtsgrundlage für die Fristenregelung in neutralen Klauseln ist nicht der Tarifvertrag, sondern die in Bezug genommene gesetzliche Regelung. Die verfassungswidrige Vorschrift des § 622 BGB ist inzwischen durch das KündFG ersetzt worden, das nach dem geänderten Art. 222 EGBGB auch für Fälle wie den vorliegenden gilt, in dem ein Rechtsstreit noch anhängig ist, bei dem die Entscheidung über den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses von der Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB in der Fassung des Art. 2 Nr. 4 des Ersten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes vom 14. August 1969 abhängt.

Die gesetzliche Neuregelung ist auch als verfassungskonform anzusehen. Die durch das KündFG geschaffenen Kündigungsfristen, mit denen der Gesetzgeber einen Mittelweg zwischen den früheren Arbeiter- und Angestelltenkündigungsfristen beschreitet, behandeln Arbeiter und Angestellte gleich und entsprechen damit Art. 3 GG.

a) Auch die in Art. 222 EGBGB eingefügte Übergangsregelung des KündFG ist nicht als verfassungswidrig anzusehen (vgl. auch BVerfG Beschluß vom 24. Januar 1994 – 1 BvL 23/93 – n.v.). Es liegt in der Kompetenz des Gesetzgebers, verfassungswidrige gesetzliche Regelungen auch rückwirkend zu beseitigen. Beschränkt sich der Gesetzgeber für die Vergangenheit darauf, die Wiederherstellung des verfassungsgemäßen Zustandes an die Voraussetzung zu knüpfen, daß noch ein Rechtsstreit bei Gericht anhängig ist, so ist auch dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber hat mit der Übergangsregelung nur der durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990 (BVerfGE 82, 126 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB) geschaffenen Rechtslage Rechnung getragen, daß die diskriminierenden Kündigungsfristen in § 622 Abs. 2 BGB nur als unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden und seither die Gerichtsverfahren, in denen diese Kündigungsfristen entscheidungserheblich waren, insoweit ausgesetzt worden sind. Daß eine Übergangsregelung, die an die Anhängigkeit eines Rechtsstreits über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpft und damit das schutzwerte Vertrauen nicht völlig unberücksichtigt läßt, nicht als verfassungswidrig anzusehen ist, hat der Senat bereits im Teilurteil vom 21. März 1991 (– 2 AZR 323/84 (A) – BAGE 67, 342 = AP Nr. 29 zu § 622 BGB, m.w.N.) näher ausgeführt. Daran wird festgehalten.

b) Wenn Wollgast (ArbuR 1993, 325; dagegen Preis, DB 1993, 2125, 2130) demgegenüber die Übergangsregelung des KündFG für verfassungswidrig hält und dafür plädiert, in den noch anhängigen Gerichtsverfahren auch auf die Arbeiter die früheren Angestelltenkündigungsfristen anzuwenden, so vermag dies nicht zu überzeugen. Die Übergangsregelung enthält nicht ihrerseits einen Verstoß gegen Art. 3 GG. Soweit noch Gerichtsverfahren anhängig sind, sind in den Altfällen sowohl auf Arbeiter wie auch auf Angestellte gleichermaßen die Kündigungsfristen des KündFG anzuwenden. Wollgast ist zwar einzuräumen, daß bei Angestellten ausgesetzte Verfahren vor allem Angestellte in Kleinbetrieben mit weniger als 3 Angestellten betreffen, so daß die Mehrzahl der ausgesetzten Verfahren Arbeiterkündigungsfristen betreffen wird. Darin liegt jedoch kein Verstoß gegen Art. 3 GG: Wollgast räumt selbst ein, daß für bereits abgeschlossene Gerichtsverfahren wegen des Gebotes der Rechtssicherheit eine Anpassung auf die neuen Kündigungsfristen auszuschließen ist. Mit den Arbeitnehmern, Arbeitern oder Angestellten, die bis zum 15. Oktober 1993 aufgrund eines rechtskräftig abgeschlossenen Gerichtsverfahrens oder ohne Gerichtsverfahren aus einem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind, sind die Arbeitnehmer, die unter die Übergangsregelung des KündFG fallen, nicht vergleichbar. Innerhalb der Übergangsregelung werden aber Arbeiter und Angestellte gleich behandelt. Würde man, wie dies Wollgast vertritt, für die Vergangenheit vor Inkrafttreten des KündFG in allen noch anhängigen Verfahren auf die Arbeiter die früheren Angestelltenkündigungsfristen anwenden, so würde dies zu einer durch nichts zu rechtfertigenden Besserstellung der Arbeiter führen, denen vor Inkrafttreten des KündFG gekündigt worden ist, ganz abgesehen davon, daß selbst auf die Angestellten in den noch anhängigen Verfahren nur die kürzeren Kündigungsfristen des KündFG anwendbar sind (vgl. die Senatsurteile vom 17. März 1994 – 2 AZR 657/87 (C) –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, und – 2 AZR 665/87 (C) –).

2. Geht man von der Annahme aus, § 12 Ziff. 1.2 BRTV-Bau enthalte eine eigenständige Regelung der Kündigungsfristen für ältere, langjährig beschäftigte Arbeiter, so ist jedenfalls die tarifliche Regelung insoweit nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren, als auf der vergleichbaren früher für Angestellte geltenden zweiten Stufe der Wartefristen nach 8 Jahren Betriebszugehörigkeit (§ 11 Ziff. 1.1 RTV-Angestellte bzw. § 12 Ziff. 1.1 RTV- Poliere in Verb. mit § 2 AngKSchG 1926) für den Kläger als Arbeiter überhaupt keine Verlängerung der Kündigungsfrist vorgesehen ist. So hat der Senat bereits im Urteil vom 29. August 1991 (– 2 AZR 220/91 (A) – AP Nr. 32 zu § 622 BGB) eine ähnliche Tarifklausel ebenfalls deshalb als verfassungswidrig angesehen, weil für die zweite Stufe der Wartezeit im Gegensatz zu der für Angestellte geltenden Regelung keine Verlängerung der Kündigungsfrist vorgesehen war, so daß – wie auch im vorliegenden Fall – für den Arbeiter trotz ebenso erbrachter Betriebstreue nur eine Kündigungsfrist von 1 Monat zum Monatsende, für den vergleichbaren Angestellten aber eine solche von 4 Monaten zum Quartalsende galt. Hinsichtlich der Anrechnung der Betriebstreue verdienen aber Arbeiter und Angestellte grundsätzlich gleichen Schutz (ebenso BVerfGE 62, 256 = AP Nr. 16 zu § 622 BGB).

Für diese Verschlechterung der Rechtsstellung der älteren gewerblichen Arbeitnehmer gegenüber den Angestellten sind jedenfalls hinsichtlich der unterschiedlichen Wartezeiten keine sachlichen Differenzierungsgründe ersichtlich. Sie ergeben sich insoweit auch nicht aus dem Vortrag der Parteien. Auch die Revisionsbeklagte hat solche nicht aufgezeigt. Eventuelle branchenspezifische Unterschiede könnten möglicherweise unterschiedliche Grundfristen (vgl. dazu das Urteil vom 2. April 1992 – 2 AZR 516/91 – AP Nr. 38 zu § 622 BGB), weniger aber differenzierende Wartezeiten rechtfertigen. Zunächst vielleicht erhebliche Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten hinsichtlich ihrer Schutzbedürftigkeit oder einem betrieblichen Interesse an einer flexiblen Personalplanung und -anpassung verlieren bei längerer Betriebszugehörigkeit erheblich an Gewicht (vgl. BVerfGE 62, 256 = AP Nr. 16 zu § 622 BGB, zu II 6 der Gründe). Sie können jedenfalls eine solche Diskrepanz, wie sie hier vorliegt, nämlich einer mehr als 4fachen Verlängerung – aufgrund des unterschiedlichen Termins zum Monatsende bzw. Quartalsende ergibt sich eine weitere Verlängerung – nicht rechtfertigen.

Da für die unterschiedliche Staffelung der Wartezeiten, wenn überhaupt, so doch nur unter besonderen Umständen, gegenüber dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG erhebliche, sachliche Gründe denkbar sind, greift zumindest insoweit keine materielle Richtigkeitsgewähr für die Verfassungsmäßigkeit der tariflichen Kündigungsregelungen zugunsten der Beklagten ein (BAG Urteil vom 21. März 1991 – 2 AZR 323/84 (A) – BAGE 67, 342 = AP Nr. 39 zu § 622 BGB). Zwar spricht bei tariflichen Regelungen, die bestimmten Arbeitnehmergruppen vermögenswerte Vorteile gegenüber anderen Arbeitnehmern einräumen, die Vermutung zunächst für einen sachgerechten Interessenausgleich (vgl. BAGE 29, 72 = AP Nr. 24 zu Art. 9 GG; BAGE 33, 185 = AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Diesem Grundsatz hat aber das BVerfG im Beschluß vom 30. Mai 1990 (BVerfGE 82, 126 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB, C I 4 c der Gründe) im Bereich unterschiedlicher gesetzlicher Kündigungsregelungen zwischen Arbeitern und Angestellten nur eine beschränkte Bedeutung zuerkannt. Es hat ausgeführt, die Auffassung der „betroffenen Kreise” allein könne eine objektive Benachteiligung nicht rechtfertigen. Das gilt auch für den vorliegenden Fall, zumal tatsächliche Umstände aus der Interessenlage der beteiligten Kreise in der Bauindustrie nicht ersichtlich sind, was die verlängerten Kündigungsfristen ohne auch nur annähernde Wartezeiten, wie sie für Angestellte üblich sind, angeht.

Die Annahme der Verfassungswidrigkeit der vorliegenden Tarifklausel führt ebenfalls (vgl. oben zu II 1) zur Anwendung der Neuregelung des KündFG. Wie der Senat im Parallelurteil vom 10. März 1994 (– 2 AZR 323/84 (C) –, zur Veröffentlichung bestimmt) näher ausgeführt hat und worauf hier Bezug genommen wird, ist dann, wenn die Tarifpartner bei einer Kündigungsfristenregelung in nicht verfassungskonformer Weise von der in § 622 BGB enthaltenen Tariföffnungsklausel Gebrauch gemacht haben, die dadurch entstandene Lücke durch Anwendung der tarifdispositiven Gesetzesnorm zu schließen, d. h. es gelten die (neuen) gesetzlichen Kündigungsfristen.

3. Die Kündigungsfrist des Klägers beträgt danach 3 Monate zum Ende eines Kalendermonats (§ 622 Abs. 2 BGB i. d. Fassung des KündFG vom 7. Oktober 1993). Bei einem Zugang der Kündigung am 28. Dezember 1984 hat daher das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1985 geendet.

4. Der Senat hatte keine Veranlassung, den Rechtsstreit im Hinblick auf eine erwartete tarifliche Neuregelung der Kündigungsfristen (vgl. dazu Hromadka, BB 1993, 2372, 2379) weiter auszusetzen, nachdem die Tarifparteien übereinstimmend mitgeteilt haben, daß derzeit wegen der Geltungsdauer des BRTV-Bau keine einschlägigen Verhandlungen geführt werden.

 

Unterschriften

Bitter, Bröhl, Böck, Thelen, Mauer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI916009

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