Entscheidungsstichwort (Thema)

Erziehungsurlaub. Anrechnung auf Bewährungszeit

 

Leitsatz (amtlich)

Die Zeit des Erziehungsurlaubs ist auf die 12jährige Bewährungszeit für eine Zulage nach Fußnote 1 zur VergGr. VII, Fallgruppe 1, Teil II, Abschnitt N, Unterabschnitt I (Angestellte im Schreibdienst) der Anlage 1a zum BAT nicht anzurechnen. § 23a Nr. 4 BAT verstößt insoweit nicht gegen höherrangiges Recht.

 

Normenkette

BAT Fußnote 1 zur VergGr. VII, Fallgruppe 1 Teil II, Abschn. N Unterabschnitt I (Angestellte im Schreibdienst) der Anlage 1a zum BAT; BAT § 23a Nr. 4; EWGVtr Art. 119; GG Art. 3 Abs. 2-3; BErzGG § 15

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 06.10.1993; Aktenzeichen 5 Sa 191/93 E)

ArbG Lüneburg (Urteil vom 17.11.1992; Aktenzeichen 2 Ca 878/92 E)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 6. Oktober 1993 – 5 Sa 191/93 E – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Erziehungsurlaub der Klägerin auf die Bewährungszeit für eine tarifliche Zulage anzurechnen ist.

Die Klägerin ist seit dem 1. April 1980 beim beklagten Land als Angestellte im Schreibdienst beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Die Klägerin ist seit dem 1. September 1980 in VergGr. VII, Fallgruppe 1, Teil II, Abschnitt N, Unterabschnitt I (Angestellte im Schreibdienst) der Anlage 1a zum BAT eingruppiert.

Die Fußnote 1 zu dieser tariflichen Bestimmung lautet:

“Erhalten nach zwölfjähriger Bewährung in einer Tätigkeit der Vergütungsgruppe VII – mit Ausnahme einer Tätigkeit der Vergütungsgruppe VII Fallgruppe 2 des Teiles I – eine monatliche Zulage in Höhe von 9,5 v.H. der Anfangsgrundvergütung (§ 27 Abschn. A Abs. 1) der Vergütungsgruppe VII. Bei der Berechnung sich ergebende Bruchteile eines Pfennigs unter 0,5 sind abzurunden, Bruchteile von 0,5 und mehr sind aufzurunden. § 23a gilt sinngemäß.”

Die Klägerin befand sich in der Zeit vom 26. Juli 1990 bis 29. August 1991 in Erziehungsurlaub. Das Beklagte Land berechnete die nach der Fußnote 1 erforderliche zwölfjährige Bewährungszeit für den Anspruch auf die Zulage ohne Berücksichtigung des Zeitraums des Erziehungsurlaubs. Danach steht der Klägerin die Zulage ab 9. Oktober 1993 zu.

Die tarifliche Bestimmung des § 23a BAT, die für die Berechnung der Bewährungszeit sinngemäß gilt, lautet, soweit hier von Interesse:

§ 23a

  • Die Bewährungszeit muß ununterbrochen zurückgelegt sein. Unterbrechungen von jeweils bis zu sechs Monaten sind unschädlich; unabhängig hiervon sind ferner unschädlich Unterbrechungen wegen

    • Ableistung des Grundwehrdienstes, des zivilen Ersatzdienstes nach dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst und des Zivildienstes nach dem Zivildienstgesetz,
    • Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 37 Abs. 1,
    • der Schutzfristen und des Mutterschaftsurlaubs nach dem Mutterschutzgesetz,
    • Erziehungsurlaubs nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz und sonstiger Beurlaubung zur Kinderbetreuung bis zu insgesamt fünf Jahren.
    • Die Zeiten der Unterbrechung, mit Ausnahme
    • eines Urlaubs nach den §§ 47 bis 49,
    • eines Sonderurlaubs nach § 50 Abs. 1,
    • einer Arbeitsbefreiung nach § 52,
    • einer Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 37 Abs. 1 bis zu 26 Wochen,
    • der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz,

    werden auf die Bewährungszeit jedoch nicht angerechnet.”

Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Zeit des Erziehungsurlaubs sei in vollem Umfange, zumindest aber mit 26 Wochen auf die Bewährungszeit anzurechnen. Soweit aus der tariflichen Regelung folge, daß Zeiten des Erziehungsurlaubs nicht anzurechnen seien, verstoße dies gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung von Frauen nach Art. 119 EWG-Vertrag. Erziehungsurlaub werde in wesentlich größerem Umfang von Frauen als von Männern in Anspruch genommen. Selbst wenn die Zeit des Erziehungsurlaubs nicht in vollem Umfange anzurechnen sei, so müsse sie jedenfalls in gleichem Umfang wie Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bis zu 26 Wochen angerechnet werden. Ein sachlicher Grund für die Differenzierung liege insoweit nicht vor, da auch während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit kein für die Bewährung bedeutsames Erfahrungswissen erworben werden könne.

Die Klägerin hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, sie nach BAT VII m.Z. (mit Zulage) einzustufen,

hilfsweise,

das beklagte Land zu verurteilen, der Klägerin ab dem 8. April 1993 die Zulage gem. Fußnote 1 zur VergGr. VII Teil II Abschnitt N Unterabschnitt I der Anlage 1a zum BAT zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es vertritt die Auffassung, die Berechnung der Bewährungszeit entspreche den tariflichen Bestimmungen. Diese verstießen nicht gegen höherrangiges Recht.

Das Arbeitsgericht hat die Klage im Hauptantrag abgewiesen und dem Hilfsantrag stattgegeben. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht die Klage in vollem Umfange abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Hilfsantrag weiter. Das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf die Zulage für die Zeit vor dem 9. Oktober 1993 nicht zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Zeit des Erziehungsurlaubs sei auf die für den Anspruch auf die Zulage erforderliche zwölfjährige Bewährungszeit in sinngemäßer Anwendung des § 23a Nr. 4 BAT nicht anzurechnen. Diese tarifliche Bestimmung verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Die Tarifvertragsparteien seien berechtigt, bei der Berechnung der Bewährungszeit zwischen Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis ruhe, und solchen, in denen eine Vergütungspflicht für den Arbeitgeber bestehe, zu differenzieren. Deshalb sei die Nichtanrechnung von Zeiten des Erziehungsurlaubs ebensowenig eine mittelbare Diskriminierung von Frauen, wie die Nichtanrechnung von Zeiten des Wehr- oder Zivildienstes eine mittelbare Diskriminierung von Männern sei.

II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Die Zeit des Erziehungsurlaubs der Klägerin ist auf die für den Anspruch auf die Zulage nach Fußnote 1) zur VergGr. VII, Teil II, Abschnitt N, Unterabschnitt I der Anlage 1a zum BAT erforderliche zwölfjährige Bewährungszeit nicht anzurechnen.

1. Für die Berechnung der zwölfjährigen Bewährungszeit gilt nach Satz 3 der Fußnote 1 § 23a BAT sinngemäß. Daraus folgt, daß eine Unterbrechung der Bewährungszeit durch Erziehungsurlaub für den Lauf der Bewährungszeit gem. § 23a Nr. 4 Satz 2 Buchst. d BAT unschädlich ist. Aus § 23a Nr. 4 Satz 3 BAT ergibt sich jedoch, daß der Lauf der Bewährungszeit während des Erziehungsurlaubs gehemmt ist (vgl. BAG Urteil vom 9. März 1994 – 4 AZR 228/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Die Tarifvertragsparteien haben nämlich in § 23a Nr. 4 Satz 3 Buchst. a bis e BAT abschließend bestimmt, welche Zeiten der Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses auf die Bewährungszeit anzurechnen sind. Dazu gehört weder der Erziehungsurlaub noch der Wehr- oder Zivildienst.

2. Diese tarifliche Bestimmung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

a) Zutreffend führt das Landesarbeitsgericht aus, daß die tarifliche Regelung keine mittelbare Diskriminierung der den Erziehungsurlaub in Anspruch nehmenden Frauen enthält, die nach Art. 119 EWG-Vertrag unwirksam wäre.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts verbietet Art. 119 EWG-Vertrag und die Richtlinie 75/117 EWG auch eine mittelbare Diskriminierung im Entgeltbereich. Eine für Männer und Frauen in gleicher Weise geltende Rechtsnorm enthält dann eine gegen diese Bestimmung verstoßende mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, wenn sie erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts nachteilig trifft und nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (BAG Urteil vom 24. November 1993 – 10 AZR 704/92 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen; BAG Urteil vom 23. Februar 1994 – 4 AZR 219/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

Insoweit macht die Klägerin geltend, daß die tarifliche Bestimmung des § 23a Nr. 4 Satz 2 BAT, soweit sich aus ihr die Nichtanrechnung des Erziehungsurlaubs auf die Bewährungszeit ergebe, zu einer mittelbaren Frauendiskriminierung führe, da Erziehungsurlaub weit überwiegend von Frauen und nicht von Männern in Anspruch genommen werde.

Damit kann sie keinen Erfolg haben. Auch wenn davon auszugehen ist, daß die Nichtanrechnung des Erziehungsurlaubs auf die Bewährungszeit weit mehr Frauen als Männer betrifft, enthält die tarifliche Bestimmung keine mittelbare Frauendiskriminierung. Die Differenzierung zwischen anrechenbaren Zeiten und nicht anrechenbaren Zeiten beruht nämlich auf objektiven Faktoren, die nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

Nach § 23a Nr. 4 Satz 3 Buchst. a bis e BAT sind nur solche Zeiten auf die Bewährungszeit anzurechnen, in denen das Arbeitsverhältnis nicht ruht. Demgegenüber sind Zeiten, in denen die gegenseitigen Hauptpflichten im Arbeitsverhältnis suspendiert sind, wie Zeiten des Wehr- oder Zivildienstes und des Erziehungsurlaubs nicht anzurechnen.

Wie der Senat bereits hinsichtlich der Einschränkung von Gratifikationsansprüchen bei Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub entschieden hat (BAG Urteil vom 24. November 1993 – 10 AZR 704/92 – AP Nr. 158 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 28. September 1994 – 10 AZR 697/93 –), sind Regelungen, die für die Begründung von Ansprüchen danach differenzieren, ob das Arbeitsverhältnis ruht oder nicht, rechtlich zulässig. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt objektiv eine Anspruchsminderung. Diese hat mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nichts zu tun, auch wenn überwiegend Frauen davon betroffen sind.

Gleiches gilt hinsichtlich der Anrechnung von Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis ruht, auf die Bewährungszeit. Der Ablauf der Bewährungszeit ist eine Anspruchsvoraussetzung für die Zulage nach der Fußnote 1. Sind die gegenseitigen Hauptpflichten im Arbeitsverhältnis, wie beim Wehr- oder Zivildienst oder beim Erziehungsurlaub, suspendiert und ruht das Arbeitsverhältnis damit, so ist es objektiv gerechtfertigt, diese Zeiten auch hinsichtlich der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung der Bewährungszeit nicht zu berücksichtigen (vgl. hinsichtlich der Steigerung von Anwartschaften in der betrieblichen Altersversorgung durch Erziehungsurlaub: BAG Urteil vom 15. Februar 1994 – 3 AZR 708/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

Mit Recht verweist das Landesarbeitsgericht ferner darauf, daß nach § 23a Nr. 4 Abs. 3 Buchst. a bis e BAT nur solche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung auf die Bewährungszeit anzurechnen sind, die die für die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses unschädliche Zeit von einem halben Jahr nicht übersteigen. Demgegenüber umfaßt sowohl der Wehr- oder Zivildienst als auch der Erziehungsurlaub weit längere Zeiträume. Auch dieser Umstand rechtfertigt eine unterschiedliche Berücksichtigung bei der Normierung der Voraussetzungen für den Ablauf der Bewährungszeit.

Die tarifliche Bestimmung enthält entgegen der Auffassung der Klägerin auch insoweit keine mittelbare Frauendiskriminierung, als Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit bis zu 26 Wochen auf die Bewährungszeit anzurechnen sind, eine Anrechnung des Erziehungsurlaubs aber selbst in diesem Umfange nicht vorgesehen ist.

Zwar kann auch während der Zeit einer Arbeitsunfähigkeit kein für die Bewährung bedeutsames Erfahrungswissen erworben werden; die Arbeitsunfähigkeit führt aber nicht zur Suspendierung der gegenseitigen arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten. Vielmehr kann dem Angestellten je nach Dienstzeit selbst bei einer Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von 26 Wochen ein Vergütungsanspruch zustehen (§ 37 Abs. 2 BAT). Da die Tarifvertragsparteien bei der Bemessung der Bewährungszeit im Hinblick auf das erworbene Erfahrungswissen notwendigerweise pauschalieren müssen, liegt es im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums, solche Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit, für die noch ein Anspruch auf Vergütung bestehen kann, auf die Bewährungszeit anzurechnen und demgegenüber Zeiten des Ruhens des Arbeitsverhältnisses in vollem Umfange von der Anrechnung auszunehmen. Auch insoweit knüpfen sie an objektive Faktoren an, die nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

3. Aus den gleichen Gründen scheidet auch ein Verstoß der tariflichen Bestimmung gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG aus. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses während des Erziehungsurlaubs mit der Folge der Nichtanrechnung dieser Zeit bei den anspruchsbegründenden Voraussetzungen hinsichtlich der Bewährungszeit für die Zulage nach Fußnote 1 ist von solchem Gewicht, daß eine generelle Gleichstellung mit Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse wie in den Fällen des § 23a Nr. 4 Satz 3 Buchst. a bis e BAT nicht ruhen, nicht verlangt werden kann.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Freitag, Böck, Hermann, Großmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 857021

NZA 1995, 1003

KHuR 1998, 36

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