Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnstandssicherung und Berufsunfähigkeitsrente

 

Normenkette

Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder (MTL II) §§ 37, 62

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 05.04.1989; Aktenzeichen 12 Sa 113/88)

ArbG Karlsruhe (Urteil vom 07.04.1988; Aktenzeichen 3 Ca 339/87)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 5. April 1989 – 12 Sa 113/88 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger nach Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente einen Anspruch auf Weitergewährung einer persönlichen Zulage nach § 37 Abs. 1 MTL II hat.

Der Kläger war seit dem 7. September 1964 in seinem erlernten Beruf als Waffenmechaniker im Polizeidienst tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder (MTL II) Anwendung. Die bei einem Arbeitsunfall am 17. Januar 1985 erlittenen, irreparabelen Körperschäden führten dazu, daß der Kläger die Tätigkeit eines Waffenmechanikers nicht mehr ausüben konnte. Mit Änderungsvertrag vom 30. August 1985 wurde der Kläger als Pförtner weiterbeschäftigt. Nach § 3 Nr. 2 des Arbeitsvertrages vom 30. August 1985 wurde dem Kläger gemäß § 37 Abs. 1 MTL II eine persönliche Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der LohnGr. IX und der LohnGr. IV MTL II zugesagt.

Mit Bescheid der Landesversicherungsanstalt Baden vom 30. April 1987 wurde dem Kläger rückwirkend zum 1. März 1986 eine Berufsunfähigkeitsrente wegen Berufsunfähigkeit in der früheren Tätigkeit als Waffenmechaniker bewilligt. Mit Schreiben vom 1. Oktober 1987 teilte das beklagte Land dem Kläger mit, daß das Arbeitsverhältnis am 28. September 1987 gemäß § 62 MTL II geendet habe. Gleichzeitig wurde ihm der Abschluß eines neuen Arbeitsvertrages als Pförtner ohne Vereinbarung der bisher gezahlten persönlichen Zulage gemäß § 37 Abs. 1 MTL II angeboten. Dies nahm der Kläger unter dem Vorbehalt an, „daß das Arbeitsverhältnis ohnehin nicht weiterläuft”.

Der Kläger ist der Auffassung, sein mit Änderungsvertrag vom 30. August 1985 begründetes Beschäftigungsverhältnis sei nicht beendet. Er habe Anspruch auf Weiterzahlung der im Arbeitsvertrag zugesagten persönlichen Zulage, weil Berufsunfähigkeitsrente und persönliche Zulage unterschiedliche Funktionen erfüllten.

Der Kläger hat beantragt:

  1. das beklagte Land wird verurteilt,

    an den Kläger

    1.006,– DM mit 4 % Zinsen seit dem 16. Oktober 1987,

    1.006,– DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. November 1987,

    1.006,– DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Dezember 1987,

    1.006,– DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Januar 1988,

    1.006,– DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Februar 1988,

    1.006,– DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. März 1988,

    1.024,06 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. April 1988,

    1.024,06 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Mai 1988,

    1.024,06 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Juni 1988,

    1.024,06 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Juli 1988,

    1.024,06 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. August 1988,

    973,75 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. September 1988,

    973,75 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Oktober 1988,

    973,75 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. November 1988,

    973,75 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Dezember 1988,

    987,38 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Januar 1989,

    987,38 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Februar 1989,

    987,38 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. März 1989,

    zu zahlen;

  2. es wird festgestellt,

    daß das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger auch in Zukunft, also ab dem Monat April 1989, die persönliche Zulage gemäß § 37 MTL II in tariflicher Höhe zu zahlen.

Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und gemeint, ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis infolge Berufsunfähigkeit geendet habe, der aber gemäß § 62 Abs. 4 MTL II weiterbeschäftigt werde, erhalte die persönliche Zulage gemäß § 37 MTL II nicht mehr. Sonst werde der Arbeitgeber benachteiligt, der seiner Fürsorgepflicht entsprechend den Arbeitnehmer noch vor Erlaß des Rentenbescheides mit einer der eingeschränkten Leistungsfähigkeit entsprechenden Tätigkeit beschäftige. Da § 37 Abs. 1 MTL II voraussetze, daß eine Lohndifferenz auszugleichen sei, entfalle der Anspruch, wenn diese Ausgleichsfunktion von der Berufsunfähigkeitsrente übernommen werde.

Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Das beklagte Land verfolgt mit der zugelassenen Revision seinen Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das mit Änderungsvertrag vom 30. August 1985 begründete Beschäftigungsverhältnis bestehe fort. Es sei auch nicht gemäß § 62 MTL II am 28. September 1987 beendet worden, so daß die persönliche Zulage gemäß § 37 Abs. 1 MTL II weitergewährt werden müsse. Eine Benachteiligung des Arbeitgebers, der seinem in der Leistungsfähigkeit beschränkten Arbeitnehmer unabhängig von der Feststellung der Berufsunfähigkeit eine andere, geringer bezahlte Tätigkeit anbiete, gegenüber dem Arbeitgeber, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 62 MTL II abwarte, trete nicht ein.

Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten im Ergebnis und weitgehend in der Begründung der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

II. Der Kläger hat einen vertraglichen Anspruch auf Zahlung der Zulage gemäß § 37 Abs. 1 MTL II.

1. Das Arbeitsverhältnis des Klägers als Pförtner ist nicht gemäß § 62 MTL II beendet.

Nach § 62 MTL II, dessen Anwendung die Parteien einzelvertraglich vereinbarten, endet das Arbeitsverhältnis bei Feststellung der Berufsunfähigkeit kraft normativer Wirkung, ohne daß es einer Kündigung bedarf.

Entgegen der Auffassung der Revision wird das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers des öffentlichen Dienstes durch die im Verlauf des Arbeitsverhältnisses von einem Rentenversicherungsträger getroffene Feststellung der Berufsunfähigkeit des Arbeitnehmers dann nicht beendet, wenn der Arbeitnehmer für die ihm im Zeitpunkt der Feststellung übertragene Tätigkeit nicht berufsunfähig ist. Das kann auch der Fall sein, wenn der Arbeitgeber den für seine ursprüngliche Tätigkeit nicht mehr berufsfähigen Arbeitnehmer schon vor Feststellung der Berufsunfähigkeit auf einem Arbeitsplatz weiterverwendet, der von der Feststellung des Rentenversicherungsträgers nicht erfaßt wird.

2. Der Normalfall des § 62 MTL II liegt dann vor, wenn ein Arbeiter während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses für dieses berufsunfähig wird. Ein Arbeiter, der infolge dauernder körperlicher oder geistiger Schwäche nicht mehr in der Lage ist, seine arbeitsvertraglichen Obliegenheiten zu erfüllen, soll vor körperlicher Überbeanspruchung und der damit verbundenen Gefahr einer Verschlimmerung seiner Gebrechen geschützt werden. Außerdem soll dem Arbeitgeber die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Berufsunfähigkeit des Arbeiters erleichtert werden.

Im Falle der Berufsunfähigkeit, die nur einen Teilbereich möglicher Berufstätigkeiten erfaßt, ist die Regelung in § 62 MTL II nach ihrem Sinn und Zweck dahin zu verstehen, daß die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur dann eintreten soll, wenn die Berufsunfähigkeit hinsichtlich derjenigen Tätigkeiten festgestellt wird, die in diesem Zeitpunkt den Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bilden, wenn also der Arbeiter für die gegenwärtig, nicht aber für die früher ausgeübte Tätigkeit berufsunfähig ist. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 62 MTL II kann nicht eintreten, wenn die Berufsunfähigkeit, wie sie vom Rentenversicherungsträger festgestellt ist, nicht für diejenige Tätigkeit besteht, die der Arbeiter zum Zeitpunkt der Feststellung der Berufsunfähigkeit tatsächlich verrichtet. Der Arbeiter bedarf keines Schutzes mehr, denn die neue Tätigkeit überfordert ihn gesundheitlich nicht. Der Arbeitgeber ist nicht mehr darauf angewiesen, das Arbeitsverhältnis unter erleichterten Voraussetzungen zu beenden, denn er kann jetzt wieder eine volle Arbeitsleistung erwarten. Für die Anwendung des § 62 MTL II kommt es somit darauf an, daß zwischen Berufsunfähigkeit und Tätigkeit des Arbeiters ein Zusammenhang besteht (so auch PK-BAT-Schmalz, § 59 Rz 8).

3. Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist davon auszugehen, daß im Zeitpunkt der Feststellung der Berufsunfähigkeit des Klägers seine Verwendung als Waffenmechaniker schon seit fast 2 Jahren aufgegeben und an deren Stelle die Tätigkeit als Pförtner getreten war. Da der Kläger für diesen Beruf nicht berufsunfähig ist, sondern diesen ohne Beanstandung seitens des Arbeitgebers ausübt, ist das Arbeitsverhältnis durch die Feststellung der Berufsunfähigkeit als Waffenmechaniker nicht gemäß § 62 MTL II beendet worden (vgl. BAG Urteil vom 8. November 1973 – 2 AZR 550/72 – AP Nr. 3 zu § 59 BAT, zu II 1 und 2 der Gründe).

4. Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht den Anspruch des Klägers auf Zahlung der persönlichen Zulage gem. § 37 Abs. 1 MTL II neben der Berufsunfähigkeitsrente bejaht. Dies ergibt die Auslegung dieser Vorschrift.

Anspruchsgrundlage für die Zahlung der Zulage ist der Arbeitsvertrag vom 30. August 1985, in dem die Zulage unter Bezugnahme auf § 37 MTL II ausdrücklich vereinbart ist. Der Arbeitsvertrag enthält keine Regelung über den vollständigen oder teilweisen Wegfall der Zulage bei Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente. Eine solche ergibt sich auch nicht aus den tariflichen Bestimmungen.

Nach dem Wortlaut des § 37 MTL II wird die persönliche Zulage gewährt, wenn der Arbeiter infolge eines Arbeitsunfalles in seiner Lohngruppe nicht mehr voll leistungsfähig ist und deshalb in einer niedrigeren Lohngruppe weiterbeschäftigt wird. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Eine Anrechnung der Berufsunfähigkeitsrente oder ein Wegfall der persönlichen Zulage bei Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente ist im Tarifvertrag nicht vorgesehen.

Auch der Sinn und Zweck der Regelung des § 37 MTL II, insbesondere im Zusammenhang mit § 62 MTL II, spricht dafür, daß § 37 MTL II bei einer tätigkeitsbezogenen Leistungsminderung und einer dadurch bedingten Beschäftigung in einer niedrigeren Lohngruppe den Lohn der früheren Lohngruppe in der zuletzt bezogenen Höhe sichern soll.

Zwar erfüllen die persönliche Zulage und die Berufsunfähigkeitsrente die gleiche Funktion. Die Ausgleichszulage des § 37 MTL II dient der Lebensstandardsicherung durch Lohnausgleich (so PK-BAT-Schmalz, § 56 Rz 7). Die Berufsunfähigkeitsrente hat den Zweck, daß der im aktiven Erwerbsleben erarbeitete soziale und wirtschaftliche Lebensstandard im wesentlichen beibehalten werden kann (BSGE 30, 167, 172). Daraus kann jedoch nicht entnommen werden, daß die persönliche Zulage immer dann entfallen soll, wenn der Arbeiter durch die Berufsunfähigkeitsrente zusätzlich einen Lohnausgleich erhält.

Dies folgt auch nicht aus § 62 MTL II. § 62 MTL II regelt allein die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bei Feststellung der Berufsunfähigkeit hinsichtlich der zu dieser Zeit ausgeübten Tätigkeit. Bezieht der Arbeiter zum Ausgleich einer Lohnminderung i. S. des § 37 MTL II eine persönliche Zulage, so entfällt dieser Anspruch mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Wird das Arbeitsverhältnis jedoch nicht beendet, weil sich die Feststellung der Berufsunfähigkeit nicht auf die ausgeübte Tätigkeit bezieht, so bleibt der Anspruch auf die Zulage bestehen. Ein allgemeiner Grundsatz, daß die persönliche Zulage immer dann entfällt, wenn dem Arbeiter eine Berufsunfähigkeitsrente gezahlt wird, kann § 62 MTL II nicht entnommen werden.

Zwar gilt bei Vorliegen einer Berufsunfähigkeit infolge eines Arbeitsunfalles gem. § 1252 RVO die Wartezeit als erfüllt, so daß die Voraussetzungen für die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente neben der persönlichen Zulage aus § 37 MTL II in der Regel gegeben sind. Allerdings müssen die Höhe der Berufsunfähigkeitsrente und die der persönlichen Zulage nicht immer identisch sein. Für die Berechnung der Höhe der Berufsunfähigkeitsrente ist insbesondere die Zahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre von Bedeutung, so daß die Berufsunfähigkeitsrente für Arbeitnehmer in vergleichbaren Lohngruppen sehr unterschiedlich ausfallen kann. Bei einer geringen Zahl an Versicherungsjahren kann die Berufsunfähigkeitsrente niedriger ausfallen als die persönliche Zulage, so daß trotz Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente eine Lohndifferenz zum ursprünglich gezahlten Lohn bestehen bleibt. Entfiele in diesem Falle die persönliche Zulage ohne Rücksicht auf die Höhe der Berufsunfähigkeitsrente allein bei Feststellung der Berufsunfähigkeit, würde dies dem Sinn und Zweck des § 37 MTL II, den Ausgleich einer tatsächlichen Lohnminderung zu bewirken, widersprechen. Erforderlich wäre demgemäß eine Anrechnungsvorschrift, die das Verhältnis der Berufsunfähigkeitsrente zur persönlichen Zulage regelt. Daran fehlt es jedoch. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ist somit nicht ersichtlich, daß die persönliche Zulage ganz oder teilweise entfallen soll, wenn eine Berufsunfähigkeitsrente gewährt wird. Ob dies zweckmäßig und sachgerecht ist, haben die Gerichte für Arbeitssachen nicht zu überprüfen (vgl. BAGE 48, 65, 74 = AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Süßwarenindustrie).

III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Freitag für den in Kur befindlichen Prof. Dr. Jobs, Dr. Freitag, Dr. Armbrüster, Mergenthaler, Wax

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1081216

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