Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung ist nach § 30 Abs 2 Ziffer 3 des Lohntarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn (LTV) auch bei einem sogenannten unkündbaren Arbeitnehmer (§ 30 Abs 3 LTV) nicht ausgeschlossen.

 

Orientierungssatz

Hinweise des Senats: "Fortsetzung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 9. Juli 1964 - 2 AZR 419/63 = AP Nr 52 zu § 626 BGB".

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 11.02.1992; Aktenzeichen 7 Sa 971/91)

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 27.03.1991; Aktenzeichen 17 Ca 299/90)

 

Tatbestand

Der Kläger (geboren am 25. Januar 1943) war seit 11. Oktober 1972 im Ausbesserungswerk der Beklagten gegen einen Brutto-Monatslohn von 3.300,00 DM als Arbeiter beschäftigt. Die Parteien sind an die Tarifverträge für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn, insbesondere an den Lohntarifvertrag für Arbeiter (im folgenden LTV) gebunden.

Der Kläger hatte folgende krankheitsbedingte Fehlzeiten:

1973 in 4 Fällen an 53 Tagen,

1974 in 4 Fällen an 42 Tagen,

1975 in 4 Fällen an 50 Tagen,

1976 in 1 Fall an 29 Tagen,

1977 in 5 Fällen an 85 Tagen,

1978 in 6 Fällen an 74 Tagen,

1979 in 4 Fällen an 86 Tagen,

1980 in 5 Fällen an 87 Tagen,

1981 in 6 Fällen an 68 Tagen,

1982 in 7 Fällen an 53 Tagen,

1983 in 2 Fällen an 32 Tagen,

1984 in 3 Fällen an 41 Tagen,

1985 in 9 Fällen an 105 Tagen,

1986 in 8 Fällen an 57 Tagen,

1987 in 2 Fällen an 40 Tagen,

1988 in 3 Fällen an 128 Tagen,

1989 in 5 Fällen an 90 Tagen,

1990 in 2 Fällen an 276 Tagen,

davon bis zum Ausspruch der Kündigung vom 2. Oktober 1990 an 186 Tagen. Wegen seines künftigen Gesundheitszustandes befragt, erklärte der Kläger am 10. August 1990 gegenüber der Beklagten, er fühle sich nach einem Klinikaufenthalt gesundheitlich weiterhin schlecht und rechne mit einem Ansteigen seiner krankheitsbedingten Ausfälle. Aufgrund einer Tauglichkeitsanfrage der Beklagten kam der zuständige Bahnarzt nach einer Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis, wegen des Gesamtzustandes des Klägers sei auch in Zukunft mit hohen krankheitsbedingten Ausfällen zu rechnen.

Die Beklagte hatte für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall an den Kläger folgende Aufwendungen; 1988: 7.883,99 DM, 1989: 7.458,41 DM und 1990: 5.087,15 DM, zusammen 20.449,55 DM.

Auf Antrag der Dienststelle des Klägers stimmte die Bundesbahndirektion Frankfurt am Main mit Schreiben vom 18. September 1990 gemäß § 30 Abs. 5 LTV einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter der Voraussetzung zu, daß der Kläger eine Fortsetzungsbescheinigung über seine Erkrankung vorlegte. Der Kläger reichte am 24. September 1990 eine Folgebescheinigung für die Zeit vom 21. September bis 5. Oktober 1990 ein. Die Beklagte unterrichtete den örtlichen Personalrat unter Vorlage eines Entwurfs des Kündigungsschreibens von der Absicht, dem Kläger aus wichtigem Grund mit einer sozialen Auslauffrist bis zum 31. Dezember 1990 zu kündigen. Der Personalrat antwortete unter dem 1. Oktober 1990, gegen die geplante Kündigung könne er keine Einwände vorbringen. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 2. Oktober 1990 aus wichtigem Grund mit einer sozialen Auslauffrist zum 31. Dezember 1990, die später zum 30. Juni 1991 verlängert wurde.

Der Kläger hat geltend gemacht, eine krankheitsbedingte Kündigung sei tariflich ausgeschlossen. Gemäß § 30 Abs. 4 LTV könne einem sogenannten unkündbaren Arbeiter nur dann krankheitsbedingt aus wichtigem Grunde gekündigt werden, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Versichertenrente gegeben seien, was in seinem Falle unstreitig nicht zutreffe. Abgesehen davon fehle für die Kündigung ein wichtiger Grund. Sinn des Lohntarifvertrages sei es, als wichtigen Kündigungsgrund nur verhaltensbedingte Gründe anzuerkennen.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch

die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom

2. Oktober 1990 nicht aufgelöst sei,

hilfsweise, für den Fall des Obsiegens mit dem

Feststellungsantrag, die Beklagte zu verurteilen,

ihn vertragsgemäß als Arbeiter in der Lohngrup-

pe V weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat sich mit ihrem Klageabweisungsantrag darauf berufen, die außerordentliche Kündigung wegen Krankheit sei tariflich nicht ausgeschlossen; § 30 Abs. 4 LTV sei keine Sonderregelung für alle unkündbaren Arbeiter, sondern habe nur den Zweck, bei dem Übergang vom Arbeits- zum Renteneinkommen einkommenslose Zeiten zu verhüten und die Arbeiter zu veranlassen, einen Rentenantrag zu stellen, wenn - anders als hier - die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Versichertenrente gegeben seien.

Angesichts der negativen Prognose für den Gesundheitszustand des Klägers sei ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zur Altersgrenze, also zur Zeit der Kündigung 15 Jahre, nicht zuzumuten. Wegen der termingebundenen Arbeiten im Ausbesserungswerk habe sich der Ausfall des Klägers nachteilig auf das Produktionsergebnis ausgewirkt. Hierdurch seien die betrieblichen Interessen erheblich beeinträchtigt worden, zumal das Ausbesserungswerk von der Schließung bedroht sei. Die Interessen des Betriebes seien außerdem durch die außerordentlich hohen Lohnfortzahlungskosten wegen der chronischen gesundheitlichen Schädigung des Klägers erheblich beeinträchtigt worden.

Auch nach dem Obsiegen des Klägers in erster Instanz habe er wegen fortdauernder Arbeitsunfähigkeit nicht eingesetzt werden können; ein Berufsfürsorgeverfahren sei erfolglos abgebrochen worden.

Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt, während das Landesarbeitsgericht auf die Berufung der Beklagten hin die Klage abgewiesen hat. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund mit der von der Beklagten gewählten Auslauffrist zum 30. Juni 1991 aufgelöst, § 30 Abs. 2 Ziff. 3 LTV.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:

Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. Oktober 1990 habe das Arbeitsverhältnis aufgelöst, weil eine Kündigung aus wichtigem Grunde auch bei einem sogenannten unkündbaren Arbeiter möglich und nicht etwa nach § 30 Abs. 4 LTV ausgeschlossen sei. Dies ergebe eine Auslegung der einschlägigen tariflichen Vorschriften. Da die ordentliche Kündigung ausgeschlossen sei, komme auch eine außerordentliche Kündigung wegen Krankheit in Betracht, wenn im Zeitpunkt der Kündigung zu erwarten gewesen sei, daß der Kläger auch künftig in erheblichem Ausmaße wegen Krankheit fehlen werde. Dafür sprächen nicht nur die unstreitigen erheblichen Fehlzeiten in der Vergangenheit, seine eigenen Erklärungen vom 10. August 1990, sondern auch die Bahnarztstellungnahme; im übrigen seien die Vorhersagen auch eingetreten, denn trotz des Weiterbeschäftigungsurteils habe der Kläger krankheitsbedingt nicht von der Beklagten eingesetzt werden können. Es liege auch eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vor, wie sich schon aus der Tatsache der angefallenen, hohen Lohnfortzahlungskosten ergebe. Der Kläger habe von 1988 bis 1990 unstreitig Lohnfortzahlungskosten in Höhe von 20.449,00 DM verursacht, was angesichts seines Monatslohns von 3.300,00 DM als ungewöhnlich hoch zu bezeichnen sei. Auch für die Zukunft sei von entsprechenden Kosten auszugehen. Diese erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führe zu einer unzumutbaren Belastung der Beklagten, wenn auch auf der anderen Seite die lange Betriebszugehörigkeit und das Alter des Klägers zu berücksichtigen seien. Die Beklagte habe das Arbeitsverhältnis auch nicht sogleich gekündigt, sondern trotz der erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit lange mit der Kündigung gewartet. Das Arbeitsverhältnis habe schließlich nicht ungestört bestanden, sondern sei von Anfang an durch Fehlzeiten des Klägers beeinträchtigt worden. Da nach der eigenen Erklärung des Klägers sogar mit einer Erhöhung der krankheitsbedingten Ausfälle zu rechnen sei, sei die Beklagte nicht zu weiterer Rücksichtnahme gegenüber dem Kläger verpflichtet. Der Kläger habe auch bei einer früheren Aussprache mit dem Dienststellenleiter vom 20. November 1989 erklärt, er leide an Abnutzungserscheinungen, wobei sein derzeitiger Arbeitsplatz auf seinen Gesundheitszustand keinen Einfluß habe. Zugunsten der Beklagten sei schließlich zu berücksichtigen, daß sie - wie allgemein bekannt - mit Verlust arbeite und von daher besonders bestrebt sein müsse, ein Arbeitsverhältnis zu beenden, das seinen wirtschaftlichen Sinn verloren habe.

Die erforderliche Zustimmung der Bundesbahndirektion nach § 30 Abs. 5 LTV habe vorgelegen; auch habe die von der Bundesbahndirektion gesetzte Bedingung einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit vorgelegen. Schließlich sei der Personalrat ordnungsgemäß angehört worden, was aufgrund der in zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme durch Vernehmung des Personalratsvorsitzenden (S ) zur Überzeugung des Gerichts feststehe. Die Kündigung sei auch nicht gemäß § 30 Abs. 2 Nr. 4 LTV verfristet, denn der maßgebende Sachverhalt sei dem Dienststellenleiter am 24. September 1990 bekannt geworden, nachdem der Bahnarzt im August 1990 seinen Bericht vorgelegt und der Kläger erneut am 24. September 1990 eine Folgebescheinigung für die Zeit ab 21. September 1990 eingereicht habe.

II. Dem sorgfältig begründeten Urteil des Landesarbeitsgerichts folgt der Senat sowohl im Ergebnis, als auch in der Begründung. Die Revision beschränkt ihre Angriffe im wesentlichen auf die angeblich falsche Auslegung des § 30 LTV. Die Auslegung des LTV ist indessen ebensowenig zu beanstanden wie die Begründung, die erforderliche Zustimmung der Bundesbahndirektion (§ 30 Abs. 5 LTV) liege vor, der Personalrat sei ordnungsgemäß angehört worden (§ 79 Abs. 4 BPersVG) und die Kündigung sei nicht etwa verfristet (§ 30 Abs. 2 Nr. 4 LTV).

1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden unstreitig kraft Organisationszugehörigkeit die Bestimmungen des LTV Anwendung. Der Kläger genoß die sogenannte "Unkündbarkeit" gemäß § 30 Abs. 3 LTV, da er eine Eisenbahndienstzeit von mehr als 15 Jahren aufzuweisen und das 40. Lebensjahr schon 1983 vollendet hatte. Sein Arbeitsverhältnis konnte daher nicht mehr ordentlich gekündigt werden, sondern nur noch außerordentlich aus wichtigem Grund nach § 30 Abs. 2 Ziff. 3 LTV. Die von der Beklagten ausgesprochene, auf häufige krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte Kündigung ist tariflich nicht ausgeschlossen. § 30 LTV enthält keine derartige Beschränkung des Rechts zur außerordentlichen Kündigung.

a) Die Auslegung eines Tarifvertrages durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (vgl. BAGE 8, 91, 96 = AP Nr. 1 zu § 305 BGB, zu 3 der Gründe). Die vom angefochtenen Urteil vorgenommene Auslegung hält dieser uneingeschränkten Überprüfung stand.

b) Tarifverträge sind wie Gesetze auszulegen. Auszugehen ist daher zunächst vom Tarifwortlaut. Dabei ist jedoch über den reinen Tarifwortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen mitberücksichtigt werden muß, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und so nur bei Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck zutreffend ermittelt werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; Senatsurteil vom 28. Februar 1990 - 2 AZR 426/89 - BAGE 64, 209, 215 = AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit, zu II 1 a der Gründe).

c) Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, spricht schon der Tarifwortlaut gegen eine Beschränkung des Rechts zur außerordentlichen Kündigung.

aa) Die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ist in § 30 Abs. 2 LTV geregelt. Gemäß § 30 Abs. 2 Ziff. 1 LTV kann das Arbeitsverhältnis von beiden Seiten ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. § 30 Abs. 2 Ziff. 2 LTV enthält eine allgemeine Definition des wichtigen Grundes; danach genügt jeder Umstand, der dem Kündigungsberechtigten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. § 30 Abs. 2 Ziff. 3 zählt Tatbestände auf, bei deren Vorliegen "aus wichtigem Grund" gekündigt werden kann. Diese Tatbestände werden ausdrücklich als "beispielsweise" gekennzeichnet. Das kann nur so verstanden werden, daß die Aufzählung nicht abschließend ist, vielmehr nur besonders typische Tatbestände hervorgehoben werden sollen.

bb) Wenn also unter § 30 Abs. 2 Ziff. 3 a aa LTV als wichtiger Grund für eine Kündigung durch den Arbeiter "beispielsweise" genannt wird, daß er zur Fortsetzung der Arbeit unfähig wird, dieser Grund andererseits aber nicht in der "beispielsweisen" Aufzählung der Kündigungsgründe für den Arbeitgeber erscheint, kann hieraus nicht geschlossen werden, "Unfähigkeit zur Fortsetzung der Arbeit" (gemeint ist wohl infolge Erkrankung) sei in keinem Fall ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber. Der Katalog der wichtigen Gründe ist eben - auf beiden Seiten - nicht abschließend. Maßgeblich bleibt der allgemeine Obersatz des § 30 Abs. 2 Ziff. 2 LTV. Eine Beschränkung des Rechts zur außerordentlichen Kündigung für den Arbeitgeber kann dem Tarifvertrag nicht entnommen werden. Wenn die Tarifvertragsparteien die (krankheitsbedingte) Unfähigkeit des Arbeitnehmers als wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber hätten ausschließen wollen, hätten sie das deutlich zum Ausdruck bringen müssen, wie dies in anderen Tarifbereichen auch geschehen ist (vgl. etwa die Nachweise bei Jedzig, Der Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses im Krankheitsfall, 1984, S. 476 ff.).

cc) Demnach ist davon auszugehen, daß auch die krankheitsbedingte Unfähigkeit, die Arbeit fortzusetzen, als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen ist, wenn sie dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Daß dies auf seiten des Arbeitgebers nur ganz ausnahmsweise der Fall sein wird, mag der Grund für die Tarifvertragsparteien gewesen sein, diesen Grund zwar bei den Kündigungsgründen für den Arbeiter, nicht aber bei denen für den Arbeitgeber zu erwähnen.

d) § 30 Abs. 3 LTV trifft keine hiervon abweichende Regelung für den unkündbaren Arbeitnehmer. Während Satz 1 die Voraussetzungen für den Eintritt der Unkündbarkeit aufstellt, besagt § 30 Abs. 3 Satz 2 LTV schlicht: "Die Kündigung aus wichtigem Grund bleibt unberührt". D. h. - wiederum schon nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut -, es verbleibt hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bei der Regelung des § 30 Abs. 2 LTV. Ausgeschlossen ist nur die ordentliche Kündigung.

e) Die Revision beruft sich für ihre Auffassung vergeblich auf § 30 Abs. 4 LTV. Auch insoweit ist die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung zutreffend.

aa) § 30 Abs. 4 LTV räumt dem Arbeitgeber gegenüber einem unkündbaren Arbeiter ein Recht zur Kündigung unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten zum Schluß eines Kalendermonats ein, wenn ein Gutachten des Bahnarztes ergibt, daß sich die Dienstfähigkeit des Arbeiters bis zu dem Grade vermindert hat, der Voraussetzung für die Zuerkennung einer Versichertenrente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Angestellten ist.

bb) Das Landesarbeitsgericht hat hierin zu Recht keine die außerordentliche Kündigung verdrängende Sonderregelung gesehen. § 30 Abs. 4 LTV enthält nach seinem Wortlaut keine Beschränkung der in § 30 Abs. 2 LTV geregelten außerordentlichen Kündigung, die nach § 30 Abs. 3 Satz 2 LTV auch beim unkündbaren Arbeiter unberührt bleibt. Eine derartige Einschränkung ergibt sich auch nicht aus dem erkennbaren Sinn und Zweck der Regelung. Diese sprechen vielmehr umgekehrt dafür, daß es sich um eine besondere Kündigungsmöglichkeit handelt, die zu einer Reduzierung des Schutzes des unkündbaren Arbeitnehmers vor einer ordentlichen Kündigung nach Maßgabe des § 30 Abs. 3 LTV führt, nicht hingegen zu einer Beschränkung des unberührt gelassenen Rechts der außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber.

cc) Die Tarifvertragsparteien eröffnen in § 30 Abs. 4 LTV auch gegenüber dem ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitnehmer die Möglichkeit einer Kündigung mit einer Frist von sechs Monaten, wenn ein bestimmter Sachverhalt gegeben ist, nämlich ein entsprechendes Gutachten des Bahnarztes vorliegt. Diese Kündigung ist als Ausnahmefall einer ordentlichen Kündigung gegenüber einem sonst nicht mehr kündbaren Arbeitnehmer zu betrachten (vgl. KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 626 BGB Rz 45, m. w. N.). Hingegen handelt es sich nicht um eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund. Diese ist nach § 30 Abs. 3 Satz 2 LTV ohnehin zulässig; insoweit hätte es keiner zusätzlichen Regelung bedurft.

dd) Die tarifliche Regelung ist - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat - vor dem Hintergrund der weiteren tariflichen Regelung nach § 30 Abs. 9 LTV zu sehen. Danach endet das Arbeitsverhältnis ohne weiteres bei Zuerkennung einer Rente aus der Rentenversicherung wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit. § 30 Abs. 4 LTV eröffnet für die Beklagte die Möglichkeit, den Arbeitnehmer zur beschleunigten Stellung des Antrags auf Versichertenrente innerhalb von sechs Wochen nach Kündigung zu bewegen, da (nur) in diesem Fall die Kündigung später ohne weiteres als unwirksam angesehen wird, falls Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit tatsächlich nicht vorliegt. Damit wird einerseits zwar eine besondere Kündigungsmöglichkeit eröffnet, andererseits aber verhindert, daß beim Übergang vom Arbeitsentgelt auf Rentenbezug für den an sich ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitnehmer einkommenslose Zwischenräume entstehen (vgl. schon Senatsurteil vom 9. Juli 1964 - 2 AZR 419/63 - AP Nr. 52 zu § 626 BGB, zu 1 der Gründe).

ee) Da die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 30 Abs. 4 LTV hier nicht vorliegen - eine entsprechende Feststellung des Bahnarztes wurde gerade nicht getroffen -, bedarf es keiner Prüfung, wie sich das Sonderkündigungsrecht des § 30 Abs. 4 LTV zum grundsätzlich auch durch Tarifvertrag nicht einschränkbaren Kündigungsschutz nach § 1 KSchG verhält. § 30 Abs. 4 LTV kann über seinem unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus nicht entnommen werden, in Fällen einer krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit, die noch keine vom Bahnarzt attestierte Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit zur Folge hat, sei eine Kündigung überhaupt ausgeschlossen - also auch die allein in Betracht kommende außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund, die nach § 30 Abs. 3 Satz 2 LTV von der dem Arbeiter eingeräumten Unkündbarkeit unberührt bleibt. Wenn die Tarifvertragsparteien dies gewollt hätten, wäre ein entsprechender Wille im Tarifvertrag weder dem Wortlaut nach zum Ausdruck gekommen noch hinreichend deutlich aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschriften zu entnehmen.

ff) Diese Auslegung entspricht im übrigen auch der vom Senat bereits im Urteil vom 9. Juli 1964 (- 2 AZR 419/63 - AP Nr. 52 zu § 626 BGB) vorgenommenen Auslegung des inhaltsgleichen § 30 Abs. 4 LTV in der damaligen Fassung. In dieser war allerdings unter den auch dort beispielhaft aufgezählten wichtigen Gründen für eine Kündigung durch die Beklagte der Fall aufgeführt, "wenn der Arbeiter zur Fortsetzung der Arbeit an seinem bisherigen oder einem anderen, ihm zumutbaren Arbeitsplatz nicht willens oder aus gesundheitlichen oder sonstigen von ihm zu vertretenden Gründen nicht in der Lage ist (für unkündbare Arbeiter, deren Dienstfähigkeit sich nach dem Gutachten des Bahnarztes bis zu dem Grade vermindert hat, der Voraussetzung für die Zuerkennung einer Versichertenrente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Angestellten ist, gilt Abs. 4)". Der Umstand, daß in der vorliegend maßgeblichen Fassung des Tarifvertrages die Arbeitgeberkündigung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als beispielsweiser Fall aufgeführt wird, ändert an der hier getroffenen Auslegung nichts. Das wurde auch vom Kläger anläßlich der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht bezweifelt. Die Beispielsfälle bilden nach wie vor keinen abschließenden Katalog, sondern zeigen typische Konstellationen auf. Es gilt der Grundsatz des § 30 Abs. 2 Ziff. 2 LTV, wonach ein wichtiger Grund jeder Umstand ist, der dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht, verbunden mit dem Grundsatz des § 30 Abs. 3 Satz 2 LTV, wonach die Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund von der Unkündbarkeit nicht berührt wird. Wenn die Tarifvertragsparteien mit der Abänderung des Beispielskataloges wichtiger Gründe erreichen wollten, daß künftig gesundheitliche Gründe in keinem Fall mehr für eine außerordentliche Kündigung herangezogen werden sollten, hätte nichts näher gelegen, als dies im Tarifvertrag ausdrücklich auszusprechen. Gerade die Tatsache, daß dies nicht geschehen ist und auch die Regelung des § 30 Abs. 4 LTV inhaltlich unverändert blieb, spricht im Zusammenhang mit § 30 Abs. 2 Ziff. 2 und Abs. 3 LTV für die Annahme, daß insoweit keine Einschränkungen gewollt waren. Unbeschadet der Frage, welcher Stellenwert der Tarifgeschichte bei der Tarifauslegung zukommt, bleibt es also auch unter Berücksichtigung dieser Entwicklung bei der sich aus Wortlaut, systematischem Zusammenhang, erkennbar werdendem Sinn und Zweck ergebenden Auslegung.

2. Schließt demnach § 30 LTV eine auf häufige krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte außerordentliche Kündigung nicht aus, so ist diese nach den allgemein für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund maßgeblichen Kriterien zu beurteilen.

a) Das Landesarbeitsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung bejaht. Es konnte zu Recht bei seiner Würdigung von den allgemeinen Grundsätzen zur Bestimmung eines wichtigen Grundes nach § 626 BGB ausgehen. Verwendet nämlich ein Tarifvertrag den Begriff des wichtigen Grundes, ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien diesen auch in seiner allgemein gültigen Bedeutung im Sinne des § 626 BGB gebraucht haben und nicht anders verstanden wissen wollen (vgl. Senatsurteil vom 17. Mai 1984 - 2 AZR 161/83 - AP Nr. 3 zu § 55 BAT; KR-Hillebrecht, 3. Auflage, § 626 BGB Rz 47).

b) Krankheit ist nicht grundsätzlich als wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB ungeeignet. An eine Kündigung wegen Erkrankung eines Arbeitnehmers ist zwar schon bei einer ordentlichen Kündigung ein strenger Maßstab anzulegen. Dies schließt aber nicht aus, daß in eng zu begrenzenden Ausnahmefällen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber unzumutbar im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB sein kann. Da die Einhaltung der Kündigungsfrist eigentlich immer zumutbar sein dürfte, wird dies in der Regel allerdings nur bei einem Ausschluß der ordentlichen Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarung in Betracht kommen. Für diesen Bereich wird ausnahmsweise die Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen Krankheit allgemein anerkannt (vgl. Feichtinger, AR-Blattei - D -, Krankheit des Arbeitnehmers, B III 3; KR-Hillebrecht, aaO, § 626 BGB Rz 105; Münchkomm-Schwerdtner, BGB, 2. Aufl., § 626 Rz 91; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 5. Aufl., Rz 551 ff.; Conze, ZTR 1987, 99, 102; Weng, DB 1977, 676, 677, alle mit ausführlichen weiteren Nachweisen auch aus der Rechtsprechung der Instanzgerichte; vgl. auch Senatsurteil vom 9. Juli 1964 - 2 AZR 419/63 - AP Nr. 52 zu § 626 BGB, welches die Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit voraussetzt).

c) Bei der Prüfung des Vorliegens eines wichtigen Grundes handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Sie kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 626 BGB Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, beachtet hat (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsurteil vom 6. August 1987 - 2 AZR 226/87 - AP Nr. 97 zu § 626 BGB; Senatsurteil vom 2. April 1987 - 2 AZR 418/86 - AP Nr. 96 zu § 626 BGB).

d) Dieser eingeschränkten Überprüfung hält das angefochtene Urteil stand. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung die von der Senatsrechtsprechung entwickelten Grundsätze zur krankheitsbedingten (ordentlichen) Kündigung zugrunde gelegt. Danach ist die Wirksamkeit einer wegen Erkrankung ausgesprochenen Kündigung des Arbeitgebers in drei Stufen zu prüfen. Zunächst ist eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes erforderlich. Die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten müssen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. In der dritten Stufe, bei der Interessenabwägung, ist dann zu prüfen, ob die erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vom Arbeitgeber billigerweise noch hinzunehmen ist (vgl. u. a. Senatsurteil vom 5. Juli 1990 - 2 AZR 154/90 - AP Nr. 26 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

Der Umstand, daß diese Grundsätze zur ordentlichen Kündigung entwickelt worden sind, steht ihrer Übertragung auf die - nur im Ausnahmefall in Betracht kommende - außerordentliche Kündigung grundsätzlich nicht entgegen. Dabei kann unerörtert bleiben, ob die Prüfung der erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen rechtssystematisch zur Eignung als wichtiger Grund oder zur Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung gehört. Entscheidend ist vielmehr, daß bei der Interessenabwägung der besondere Maßstab des § 626 BGB zu beachten ist, wonach die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bzw. bis zum sonst maßgeblichen Ende des Arbeitsverhältnisses unzumutbar sein muß. Ein Rechtsfehler bei der Subsumtion ist dem Landesarbeitsgericht insofern jedenfalls nicht unterlaufen.

aa) Das Berufungsgericht hat festgestellt, im Zeitpunkt der Kündigung sei zu erwarten gewesen, daß der Kläger auch künftig in erheblichem Ausmaße krankheitsbedingt fehlen werde. Es hat dies mit den unstreitig erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten der Vergangenheit, der eigenen Erklärung des Klägers vom 10. August 1990 und der Bahnarztstellungnahme vom 17. August 1990 begründet. Diese Feststellung einer negativen Prognose ist für den Senat bindend (§ 561 ZPO), da sie von der Revision mit Verfahrensrügen nicht angegriffen worden ist. Da sie sowohl der eigenen Einschätzung des Klägers wie auch der bahnärztlichen Feststellung entspricht, ist sie revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

bb) Das Berufungsgericht hat weiter festgestellt, es liege eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vor, weil die Beklagte angesichts der von 1988 bis 1990 verursachten Lohnfortzahlungskosten von 20.449,00 DM auch für die Zukunft mit derartigen Kosten zu rechnen habe. Auch diese Würdigung ist von der Revision nicht angegriffen worden. Sie entspricht im übrigen der Senatsrechtsprechung (BAGE 61, 131 = AP Nr. 20 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Die Revision macht insofern nur geltend, die Beklagte habe den Nachweis einer betrieblichen Störung führen müssen, allgemeine wirtschaftliche Erwägungen könnten dieser Darlegungslast nicht gerecht werden; die Aussage des Zeugen S reiche insofern für das Vorliegen von Betriebsablaufstörungen nicht aus.

Da das Landesarbeitsgericht das Vorliegen einer erheblichen betrieblichen Beeinträchtigung nicht auf das Vorhandensein von Betriebsablaufstörungen gestützt hat, sondern die erhebliche betriebliche Beeinträchtigung in den zu erwartenden hohen Lohnfortzahlungskosten gesehen hat, ist dieser Revisionsangriff unerheblich. Die Revision räumt im übrigen selbst ein, die unstreitigen Tatsachen reichten (allenfalls) für die Feststellung, daß eine negative Gesundheitsprognose vorhanden sei, und merkt außerdem - widersprüchlich - an, eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten liege vor.

cc) Andererseits liegt ein konkreter Angriff auf die umfassende Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts nicht vor. Diese ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

Das Landesarbeitsgericht hat für die Prüfung, ob der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar sei, zutreffend nicht auf die Dauer einer fiktiven Kündigungsfrist, sondern auf die tatsächliche künftige Vertragsbindung abgestellt (vgl. BAG Urteil vom 14. November 1984 - 7 AZR 474/83 - AP Nr. 83 zu § 626 BGB; Senatsurteil vom 2. April 1981 - 2 AZR 1025/78 - unveröffentlicht). Es hat - wenn auch in anderem Zusammenhang - ausgeführt, wolle man dem Kläger folgen, so hieße dies, daß ihm noch bis zu seinem 65. Lebensjahr, also noch über 15 Jahre lang Leistungen der Beklagten gewährt werden müßten, ohne daß von ihm eine wirtschaftlich brauchbare Gegenleistung zu erwarten sei. Die Zugrundelegung einer fiktiven Kündigungsfrist hätte zur Folge, daß die Interessenabwägung auf einen Zeitraum abgestellt würde, der wegen des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung gar nicht relevant ist. Bei Dauertatbeständen kann sich insofern die längere Vertragsbindung auch zu Ungunsten des Arbeitnehmers auswirken (BAG Urteil vom 14. November 1984 - 7 AZR 474/83 - AP, aaO, zu II 1 a der Gründe).

Das Landesarbeitsgericht hat im übrigen die beiderseitigen Interessen abgewogen, nämlich einerseits die erhebliche Härte, die die Kündigung für den Kläger in seinem Gesundheitszustand nach der langen Betriebszugehörigkeit bedeutet, andererseits hat es der Beklagten attestiert, lange mit der Kündigung gewartet zu haben, obwohl das Arbeitsverhältnis in der gesamten Vergangenheit nicht ungestört verlaufen sei; die Beklagte habe lange Zeit Rücksicht bewiesen, brauche aber weitere erhebliche Beeinträchtigungen nicht mehr hinzunehmen, zumal der Kläger selbst noch mit einer Erhöhung der krankheitsbedingten Ausfälle rechne. Diese Würdigung hält sich in dem dem Berufungsgericht zustehenden Beurteilungsspielraum, ohne daß ersichtlich ist, das Landesarbeitsgericht habe wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt oder unangemessen abgewogen. Wenn es zu dem Ergebnis kommt, eine lediglich förmliche Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses bis zum Erreichen der Altersgrenze sei der Beklagten nicht zumutbar, da sie ohnehin mit Verlust arbeite und bestrebt sein müsse, ein Arbeitsverhältnis, das seinen wirtschaftlichen Sinn verloren habe, zu beenden, so ist auch das unter Berücksichtigung des durch die tariflich eingeräumte Unkündbarkeit angezeigten besonders strengen Maßstabes angesichts des mutmaßlichen Zeitraums von noch ca. 15 Jahren nicht zu beanstanden. Auch im öffentlichen Dienst ist ein Arbeitsverhältnis auf den gegenseitigen Austausch von Leistungen ausgerichtet und wird sinnentleert, wenn dies nicht mehr möglich ist.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Landesarbeitsgericht angesprochenen Regelung des § 30 Abs. 13 LTV (Ausscheiden bei längerer Krankheit). Diese Bestimmung, wonach Arbeitern, die auf längere Zeit erkrankt sind, vor Ablauf von 26 Wochen nur gekündigt werden soll, wenn dienstliche Gründe dies erfordern, steht nicht entgegen. Die Vorschrift ist zum einen als Soll-Vorschrift ausgestaltet, enthält also kein zwingendes Gebot. Zum anderen hat der Kläger schon seit 17 Jahren Krankheitszeiten aufzuweisen, die jedenfalls in der Hälfte der Jahre summiert über 26 Wochen hinausgehen. Insofern ist dem erkennbaren Regelungsgehalt des § 30 Abs. 13 Satz 1 LTV, bei einer längeren Erkrankung nicht vorschnell zu handeln, Genüge getan.

3. Die von der Beklagten gewählte Auslauffrist von knapp neun Monaten, die jedenfalls der längsten ordentlichen Kündigungsfrist nach § 30 Abs. 1 Ziff. 1 d LTV von sechs Monaten zum Quartalsende entspricht, wird vom Kläger nicht beanstandet.

4. Schließlich ist die außerordentliche Kündigung auch nicht wegen Versäumung der Zwei-Wochen-Frist des § 30 Abs. 2 Ziff. 4 LTV (entsprechend § 626 Abs. 2 BGB) unwirksam. Das Landesarbeitsgericht hat sich mit dieser Frage auseinander gesetzt und letztlich auf den endgültigen Kündigungsentschluß des Dienststellenleiters abgestellt, wie er sich nach der Erklärung des Klägers vom 10. August 1990 und der Bahnarztstellungnahme vom 17. August 1990 sowie der weiter andauernden Krankschreibung des Klägers bis 20. September 1990 und der am 24. September 1990 vorgelegten Folgebescheinigung ab 21. September 1990 ergab. Innerhalb der seit 24. September 1990, dem Tag der Vorlage der letzten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, laufenden Frist von 14 Tagen, auf die auch die Zustimmung der Bundesbahndirektion gestützt war, ist die Kündigung ausgesprochen worden. Insofern erhebt auch die Revision keine Beanstandungen.

Hillebrecht Dr. Wittek Bitter

Weisskirchen Walter

 

Fundstellen

Haufe-Index 437593

BB 1993, 291

BB 1993, 291-292 (LT1)

EEK II/211, (ST1-4, LT1)

NZA 1993, 598

NZA 1993, 598-601 (LT1)

RdA 1992, 408

RzK, I 6f Nr 5 (LT1)

ZTR 1993, 116-117 (LT1)

AP § 626 BGB Krankheit (LT1), Nr 3

AR-Blattei, ES 560 Nr 18 (LT1)

EzA § 626 nF BGB, Nr 142 (LT1)

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