Entscheidungsstichwort (Thema)

Ruhen des Arbeitsverhältnisses bei Bezug von Arbeitslosengeld

 

Leitsatz (amtlich)

Bezieht ein Arbeitnehmer bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit auf seinen Antrag hin nach Aussteuerung durch die Krankenkasse Arbeitslosengeld nach den §§ 105a, 101 AFG ist zu vermuten, daß die Parteien – zumindest stillschweigend – das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart haben.

 

Normenkette

BGB § 611; AFG §§ 101, 105a

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 18.03.1994; Aktenzeichen 10 Sa 1790/93)

ArbG Paderborn (Urteil vom 08.09.1993; Aktenzeichen 2 Ca 656/93)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 18. März 1994 – 10 Sa 1790/93 – aufgehoben.
  • Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 8. September 1993 – 2 Ca 656/93 – wird zurückgewiesen.
  • Der Kläger trägt die Kosten der Berufung und der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung eines tariflichen 13. Monatseinkommens für das Jahr 1992.

Der Kläger ist seit 1970 bei der Beklagten, einem Unternehmen der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie, als Maurer beschäftigt. Im Betrieb der Beklagten wird kraft betrieblicher Übung auf alle Arbeitnehmer der Tarifvertrag über die stufenweise Einführung eines 13. Monatseinkommens (Sonderzahlung) für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie in den Ländern Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, im Land Nordrhein-Westfalen für die Landesteile Westfalen und Lippe für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden vom 10. Januar 1989, gültig ab 1. Januar 1989 (im folgenden: TV-Sonderzahlung), angewandt. Dieser bestimmt – soweit hier von Bedeutung – folgendes:

  • Arbeitnehmer, die am 1. Dezember in einem Arbeitsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen mindestens 4 Monate angehören, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen als Teil eines 13. Monatsverdienstes nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen.
  • Die Sonderzahlung wird am 1. Dezember jeden Jahres fällig. Sie beträgt bei vollem Anspruch

    ab 1992

    70 %

    eines durchschnittlichen Brutto-Monatsverdienstes bzw. einer monatlichen Ausbildungsvergütung.

  • Der durchschnittliche Brutto-Monatsverdienst wird aus dem Gesamtverdienst der Monate Januar bis September einschließlich (1. Januar bis 30. September) des laufenden Kalenderjahres berechnet.
  • Für die Berechnung des Gesamtverdienstes gelten folgende Grundsätze:

    • Dem Gesamtverdienst ist hinzuzurechnen Lohn- oder Gehaltsausfall für Fehlzeiten, die von dem Arbeitnehmer nicht zu vertreten sind; dazu gehören Kurzarbeit bis zu 15 Wochen und Ausfallzeiten, die durch Teilnahme an Schulungskursen nach den Bestimmungen des MTN sowie an Tarifverhandlungen entstanden sind. Bei Krankheit, die länger als 4 Monate dauert, wird Lohn- und Gehaltsausfall für dadurch bedingte weitere Fehlzeiten nicht mehr hinzugerechnet. Dies gilt nicht für durch unverschuldete Betriebsunfälle hervorgerufene Zeiten der Arbeitsunfähigkeit sowie nicht für Arbeitnehmer, die länger als 10 Jahre dem Betrieb ununterbrochen angehören.
  • Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht, erhalten keine Leistung; ruht das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung.

Der Kläger ist seit dem 4. Mai 1990 durchgehend arbeitsunfähig krank. Im Anschluß an die Lohnfortzahlung durch die Beklagte hat er bis zum 13. Oktober 1991 Krankengeld von der Krankenkasse erhalten; nach der Aussteuerung durch die Krankenkasse hat er ab dem 14. Oktober 1991 Arbeitslosengeld beim Arbeitsamt beantragt und bezogen. Auf telefonische Anfrage des Arbeitsamtes hat die Beklagte auf die Verfügungsmacht über die Arbeitsleistung des Klägers verzichtet. Seit dem 1. April 1994 bezieht der Kläger Berufsunfähigkeitsrente.

Mit Schreiben vom 26. April 1993 verlangte der Kläger die tarifliche Sonderzahlung für das Jahr 1992 in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 2.527,56 DM brutto. Die Beklagte hat die Zahlung mit Schreiben vom 30. April 1993 abgelehnt. Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe für das Jahr 1992 ein Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung zu. Aufgrund der tariflichen Regelung müsse der Arbeitgeber auch bei einer langanhaltenden Erkrankung des Arbeitnehmers das anteilige 13. Monatseinkommen zahlen. Bei mehr als zehnjähriger Betriebszugehörigkeit komme eine Kürzung oder Minderung der Sonderzahlung nicht in Betracht. Da das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht geruht habe, stehe dem Anspruch Ziffer 9 TV-Sonderzahlung nicht entgegen. Der Kläger sei trotz seines Arbeitslosengeldbezuges arbeitsunfähig erkrankt und aus diesem Grunde an der Arbeitsleistung verhindert. Der Kläger hat beantragt,

Der Beklagte hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.527,56 DM brutto nebst 4 % Zinsen ab 24. Mai 1993 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, sie sei zur Zahlung des tariflichen 13. Monatseinkommens nicht verpflichtet, da das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger aufgrund der Erklärung gegenüber dem Arbeitsamt über den Verzicht auf die Verfügungsgewalt über die Arbeitsleistung geruht habe. Das folge auch daraus, daß der Kläger seine Dienstbereitschaft nicht mehr anerkannt habe. Darin liege eine wechselseitige Suspendierung der jeweiligen Hauptpflichten. Außerdem habe der Kläger gegenüber dem Personalleiter der Beklagten anläßlich seines Antrags auf Zahlung von Arbeitslosengeld erklärt, er werde seine Arbeit nicht mehr aufnehmen können und Arbeitslosengeld beziehen, bis er die beantragte Erwerbsunfähigkeitsrente bekomme, was voraussichtlich noch einige Zeit dauern werde.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von 2.527,56 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag verurteilt. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger bittet die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung nicht zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Kläger habe aus dem TV-Sonderzahlung einen Anspruch gegenüber der Beklagten auf die tarifliche Sonderzahlung für das Jahr 1992 in der rechnerisch unstreitigen Höhe, da er die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 TV-Sonderzahlung erfülle. Der Anspruch sei auch nicht deswegen ausgeschlossen oder zu mindern, weil der Kläger bereits seit dem 4. Mai 1990 arbeitsunfähig erkrankt sei. Nach Ziffer 5c des TV-Sonderzahlung werde die tarifliche Sonderzahlung bei länger als 10 Jahren beschäftigten Arbeitnehmern durch langanhaltende Krankheitszeiten nicht berührt. Der Anspruch des Klägers sei auch nicht aufgrund eines Ruhens des Arbeitsverhältnisses nach Ziffer 9 des TV-Sonderzahlung ausgeschlossen, da das Arbeitsverhältnis der Parteien im Jahr 1992 weder wegen der langandauernden Krankheit des Klägers noch aufgrund des gegenüber der Arbeitsverwaltung erklärten Verzichts der Beklagten auf die Verfügungsgewalt über die Arbeitsleistung des Klägers geruht habe.

Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

II. Der Kläger kann die tarifliche betriebliche Sonderzahlung nach dem TV-Sonderzahlung nicht verlangen.

1. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, erfüllt der Kläger grundsätzlich die Anspruchsvoraussetzungen für die tarifliche Sonderzahlung. Er stand am 1. Dezember 1992 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten und gehörte zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen mindestens vier Monate an.

a) Der Umstand, daß der Kläger im gesamten Kalenderjahr 1992 aufgrund seiner fortdauernden Arbeitsunfähigkeit keine Arbeitsleistung erbracht hat, steht nicht entgegen. In seinem Urteil vom 24. März 1993 (– 10 AZR 487/92 – AP Nr. 155 zu § 611 BGB Gratifikation) hat der Senat bereits entschieden, daß für die tarifliche Sonderzahlung nach dem hier in Streit stehenden TV-Sonderzahlung die Erbringung einer tatsächlichen Arbeitsleistung nicht Anspruchsvoraussetzung ist. Der Senat hat dies – entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung – seit den Urteilen vom 5. August 1992 (– 10 AZR 88/90 – und – 10 AZR 171/91 – AP Nr. 143 und 144 zu § 611 BGB Gratifikation) damit begründet, daß der Anspruch eines Arbeitnehmers auf eine tarifliche Sonderzahlung über die normierten Anspruchsvoraussetzungen hinaus nicht allein mit der Überlegung, die Sonderzahlung werde auch mit Rücksicht auf die für den Betrieb erbrachte Arbeitsleistung gewährt, in den Fällen verneint werden kann, in denen der Arbeitnehmer nicht einmal eine nicht ganz unerhebliche Arbeitsleistung von zwei Wochen erbracht habe. Ein allgemeines Rechtsprinzip, daß der Anspruch entfalle, wenn während des Bezugszeitraums überhaupt keine oder keine nennenswerte Arbeitsleistung erbracht worden sei, gebe es nicht. Allerdings stehe es den Tarifvertragsparteien frei, zu bestimmen, ob und welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung den Anspruch auf die Sonderzahlung ausschließen oder mindern sollen. Der hier in Streit stehende TV-Sonderzahlung enthalte eine ausdrückliche Regelung, daß der Anspruch auf die Sonderzahlung entfalle, wenn der Arbeitnehmer keine oder nur eine unerhebliche Arbeitsleistung infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit während des Bezugszeitraums erbracht habe, jedoch nicht.

b) Der Anspruch des Klägers auf die tarifliche Sonderzahlung wird auch nicht dadurch berührt, daß er im Jahr 1992 aufgrund seiner durchgehenden Arbeitsunfähigkeit keinen Arbeitsverdienst erzielt hat. Zwar ist nach Ziffer 4 des TV-Sonderzahlung der für die Berechnung der tariflichen Sonderzahlung zugrundezulegende durchschnittliche Monatsverdienst aus dem Gesamtverdienst der Monate Januar bis September des laufenden Kalenderjahres zu berechnen. Dabei sind nach Ziffer 5 Buchst. c Satz 2 TV-Sonderzahlung bei Krankheiten bis zur Dauer von vier Monaten Lohn- und Gehaltsausfall für die dadurch bedingten Fehlzeiten hinzuzurechnen, nicht aber für eine längere Dauer. Nach der Rechtsprechung des Senats ist darin eine Regelung darüber zu sehen, wie sich Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit ohne Entgeltfortzahlung auf die tarifliche Sonderzahlung auswirken (BAG Urteil vom 5. August 1992 – 10 AZR 171/91 – AP Nr. 144 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 24. März 1993 – 10 AZR 487/92 – AP Nr. 155 zu § 611 BGB Gratifikation). Liegt eine Regelung vor, wonach sich eine tarifliche Sonderzuwendung nach einem tatsächlich erzielten Arbeitsverdienst des Arbeitnehmers im laufenden Kalenderjahr oder Bezugszeitraum errechnet, so folgt daraus, daß Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung die tarifliche Sonderzahlung vermindern und – soweit ein Arbeitsverdienst für den gesamten Bezugszeitraum fehlt – ausschließen. Eine solche Regelung enthält Ziffer 4 TV-Sonderzahlung.

Eine Ausnahme hiervon bestimmt aber Ziffer 5c TV-Sonderzahlung für Arbeitnehmer, die – wie der Kläger – länger als zehn Jahre dem Betrieb des Arbeitgebers ununterbrochen angehören. Für diese Arbeitnehmer sind damit auch Lohnausfälle durch krankheitsbedingte Fehlzeiten über die Dauer von vier Monaten hinaus dem Gesamtverdienst für die Berechnung der tariflichen Sonderzuwendung hinzuzurechnen; mit dieser Regelung haben die Tarifvertragsparteien klargestellt, daß für die in Ziffer 5 Buchst. c Satz 3 des TV-Sonderzahlung genannten Arbeitnehmer längere Krankheitszeiten ohne Entgeltfortzahlung ohne Einfluß auf den Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung bleiben sollen.

2. Dem Kläger steht jedoch ein Anspruch auf die tarifliche Sonderzuwendung nicht zu, weil sein Arbeitsverhältnis im Sinne der Ziffer 9 des TV-Sonderzahlung ab dem 14. Oktober 1991 geruht hat. Nach Ziffer 9 des TV-Sonderzahlung erhält ein Arbeitnehmer keine Leistung, der zwar – wie der Kläger – die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt und daher an sich anspruchsberechtigt ist, wenn sein Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht. Das Arbeitsverhältnis des Klägers, das rechtlich nicht beendet worden ist, ruht kraft Vereinbarung.

a) Das Landesarbeitsgericht hat zunächst zutreffend angenommen, daß die seit Mai 1990 bestehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers für sich allein nicht zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses geführt hat. Davon geht das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung aus (Urteil vom 23. August 1990 – 6 AZR 124/89 – BAGE 66, 34 = AP Nr. 93 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; Urteil vom 22. Februar 1995 – 10 AZR 782/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

b) Daß die Parteien das Ruhen des Arbeitsverhältnisses zumindest konkludent vereinbart haben, ist jedoch aufgrund der gesamten Umstände zu vermuten.

Das “Ruhen” des Arbeitsverhältnisses ist ein in der Rechtssprache gebräuchlicher Begriff. Benutzen Tarifvertragsparteien ohne Erläuterung einen derartigen Begriff, so kann davon ausgegangen werden, daß sie ihn im allgemein anerkannten Sinne verstanden wissen wollen (ständige Rechtsprechung des BAG; vgl. BAGE 62, 35 = AP Nr. 2 zu § 15 BErzGG). Ein Arbeitsverhältnis ruht danach – soweit das Ruhen nicht bereits durch gesetzliche Bestimmungen angeordnet wird, wie z.B. nach § 1 Arbeitsplatzschutzgesetz, § 15 Abs. 1 Arbeitssicherstellungsgesetz oder § 1 Eignungsübungsgesetz –, wenn die wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag, die Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung und die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der vereinbarten Vergütung, suspendiert sind und somit der jeweilige Gläubiger von seinem Schuldner die Erbringung der Leistung nicht mehr verlangen und durchsetzen kann (BAGE 62, 35 = AP Nr. 2 zu § 15 BErzGG). Diese Tatbestandsmerkmale sind vorliegend erfüllt.

c) Der Kläger bezieht nach der Aussteuerung durch die Krankenkasse auf seinen Antrag hin Arbeitslosengeld nach §§ 105a, 101 AFG. Obwohl der Kläger weiterhin im Arbeitsverhältnis zur Beklagten steht, erfüllt er die Voraussetzungen hierfür, wenn er arbeitslos im Sinne von § 101 AFG ist. Das setzt voraus, daß der Kläger vorübergehend nicht in einem “Beschäftigungsverhältnis” steht (§ 101 Abs. 1 AFG). Mit dem Begriff “Beschäftigungsverhältnis” ist dabei nicht das Arbeitsverhältnis als ganzes gemeint. Nicht in einem Beschäftigungsverhältnis kann der Arbeitnehmer grundsätzlich auch in einem rechtlich fortbestehenden Arbeitsverhältnis z.B. dann stehen, wenn der Arbeitgeber seine Verfügungsgewalt über den Arbeitnehmer und dessen Arbeitskraft nicht mehr beansprucht (Eckert, GK-AFG, § 101 Rz 14; Schieckel, AFG, § 101, Anm. III 1.) – etwa nach einer unwirksamen Kündigung – oder der Arbeitnehmer die Verfügungsgewalt des Arbeitgebers über seine Arbeitskraft nicht mehr anerkennt (Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, AFG, § 101 Rz 15).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Der Kläger und die Beklagte haben mit ihren Handlungen und Erklärungen diejenigen Voraussetzungen geschaffen, die dafür erforderlich waren, daß der Kläger Arbeitslosengeld erhalten konnte. Der Kläger hat Arbeitslosengeld beantragt und eine entsprechende Arbeitsbescheinigung vorgelegt. Er hat damit zu erkennen gegeben, daß er seine Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis, die Erbringung der Arbeitsleistung, wegen seiner krankheitsbedingten und nicht nur vorübergehenden Leistungsunfähigkeit zumindest vorläufig als beendet ansieht. Die Beklagte hat auf einen Anruf des Arbeitsamtes hin erklärt, daß sie auf die Verfügungsmacht über die Arbeitsleistung des Klägers verzichte. Sie hat damit ihrerseits auf die Erbringung der Arbeitsleistung durch den Klägers verzichtet. Bei dieser Fallage gehen beide Vertragsparteien erkennbar davon aus, daß wegen der Nichterbringung der Arbeitsleistung und des Bezugs von Arbeitslosengeld durch den Arbeitnehmer auch die Pflicht zur Vergütungszahlung durch den Arbeitgeber entfällt.

Aufgrund dieser Umstände bewilligte das Arbeitsamt die Zahlung von Arbeitslosengeld an den Kläger ab dem 14. Oktober 1991. Damit ist zu vermuten, daß die Parteien – zumindest konkludent – das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart haben, indem beide ihre jeweilige Hauptpflicht nicht mehr anerkennen. Das entspricht dem rechtlichen Begriff des Ruhens des Arbeitsverhältnisses, das ja darin besteht, daß die gegenseitigen Hauptpflichten suspendiert sind. Die Suspendierung der gegenseitigen Hauptpflichten in diesem Sinne stellt das für den Bezug des Arbeitslosengeldes nach § 101 AFG erforderliche Tatbestandsmerkmal des “nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen” dar, weil ein Arbeitnehmer zumindest vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht, wenn die Hauptpflichten des Arbeitsverhältnisses – Arbeitsleistung und Entgeltzahlung – aufgehoben sind. Dies rechtfertigt es in Fällen wie dem vorliegenden eine Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien über das Ruhen des Arbeitsverhältnisses zu vermuten, wenn der Arbeitnehmer bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit trotz des rechtlichen Weiterbestehens des Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld beantragt und bezieht.

Daß der Kläger aufgrund seiner fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung steht, ist nach § 105a AFG ohne Bedeutung. Der Arbeitnehmer kann gleichwohl Arbeitslosengeld erhalten. Er hat jedoch auf Aufforderung des Arbeitsamtes innerhalb eines Monats einen Antrag auf Maßnahmen zur Rehabilitation oder auf Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit zu stellen.

Gesichtspunkte, die gegen eine konkludente Vereinbarung über das Ruhen des Arbeitsverhältnisses sprechen würden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Damit steht dem Kläger ein Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung nicht zu.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Hauck, Brose, J. Wingefeld

Richter Böck ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert.

Matthes

 

Fundstellen

Haufe-Index 871605

BAGE, 308

BB 1996, 329

NZA 1996, 154

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